Im Test: Virtuell existierender Sozialismus
Der kommunistische Gedanke
Was hatte ich mich auf dieses Spiel gefreut! Eine Art postapokalyptisches Minecraft sollte es sein, in dem man gemeinsam mit anderen Spielern für das Wohl einer quasi-kommunistischen Gemeinschaft arbeitet. Diese Sprache spricht zumindest das Artdesign mit in die Luft gestreckten Fäusten und Werkzeugen. Die Einwohner reden sogar ein vage an russisch angelehntes Kauderwelsch, während man sich vor kleinen Läden in Schlangen einreiht, anstatt einfach an den NPC heranzutreten – für mich ein Verweis auf das Anstehen nach Bananen zu Kindheitszeiten.
Den kommunistischen Gedanken unterstützt auch das Spiel selbst, denn anders als in Minecraft oder dem Einzelspieler-Abenteuer Dragon Quest Builders baut man hier weder nach Gutdünken noch im Alleingang, sondern ist mit den anderen Besuchern derselben Stadt mit deren Aufbau beschäftigt. Immerhin wurde die Welt durch einen großen Zwischenfall zerstört; übrig blieb eine Leere, in der sich gelegentlich kleine Inseln materialisieren. Auf diesen Inseln finden Arbeiterklone, also Spieler, nicht nur Materialien zum erwähnten Aufbau ihrer (voneinander
Godzillas und Apfelbäume
Also schwebt man entweder in einem kleinen Einsitzer, mit dem Bus oder per Raketenrucksack über das Nichts zu einer der Inseln, bricht mit Spitzhacke, Schaufel oder Dynamit den Boden auf, verteidigt sich mit Schrotflinte oder Raketenwerfer gegen Angreifer und schleppt die erbeuteten Materialien zur Bushaltestelle, wo sie automatisch aufgeladen werden. In der Stadt werden sie später auch automatisch abgeladen – auf die richtigen Lagerplätze müssen sie allerdings per Hand getragen werden. Dann sieht man oft, wie sich mehrere Spieler verschiedene Ressourcen schnappen und an ihren vorgesehenen Platz tragen und fühlt sich irgendwie wohl inmitten dieser kleinen Gemeinschaft.
Manche tragen hingegen die ebenfalls auf den Inseln ausgegrabenen Matroschkas zu einem Gebäude, an dem die in ihnen verschlossenen Menschen aufgeweckt werden. Andere bauen an Werkbänken Behausungen und entscheiden, wo diese aufgestellt werden. Wieder andere schütteln Apfelbäume, bringen die Früchte ins Lager und erstellen daraus Setzlinge für weitere Bäume. Denn ohne ausreichend Nahrung können keine weiteren Menschen aufgeweckt werden;
Und dann gibt es noch jene, die von Geschütztürmen aus auf riesige „Godzillas“, Spinnen oder Angreifer aus der Luft schießen, damit die nicht die Stadt ramponieren. Man kann beschädigte Objekte zwar reparieren, doch nachdem ein Monster erst mal durch die Straßen getrampelt ist, müssen oft Bäume neu gepflanzt und Gebäude neu errichtet werden.
Für unterschiedliche Aufgaben gibt es dabei verschiedene Kostüme, die einzelne Charakterwerte verstärken, darunter die Geschwindigkeit beim Bergbau oder Stärke im Kampf. Hauptsächlich spezialisiert man sich aber wie in einem Rollenspiel durch das Verbessern der gewünschten Fähigkeiten. Für getane Arbeit erhält man dabei Geld, das zum Kauf neuer Ausrüstung dient, darunter Werkzeuge, Waffen, ein größerer Rucksack und mehr. Den Lohn holt man im Ministerium für Arbeit persönlich ab, wobei jede noch so kleine sinnvolle Aktion belohnt wird.
Geld statt Rätsel
Irgendwie cool, dieses vereinfachte Darstellung einer realen Gesellschaft: Alle ziehen an einem Strang, Arbeitsteilung, kreatives Schaffen, Ressourcenverwaltung und sogar ein bisschen Action – klingt gut. Doch es ist so furchtbar oberflächlich! Kreativ ist hier nämlich gar nichts. Man wählt an der Werkbank nur den gewünschten Gegenstand und schon rollt der vom Laufband, falls die erforderlichen Materialien auf dem Lagerplatz liegen. Zum Herstellen löst man lediglich ein kleines Schieberätsel oder überspringt die auf Dauer schrecklich langweiligen Puzzles durch den Einsatz einer zweiten Spielwährung, die man entweder mühsam sammelt oder im PlayStation-Store für Echtgeld kauft. Auf einem Schwarzmarkt erhält man zudem Werkzeuge, Gesten, Kostüme und mehr für diese Freiheitsdollar.
Und auch das ist ein Ärgernis: Die Anzahl aller Gegenstände ist sehr überschaubar – vor allem deshalb, weil sie kaum die spielerischen Möglichkeiten erweitert. Immerhin besorgt man immer und immer wieder gerade mal eine Hand voll Materialien, die noch dazu nicht veredelt werden, sondern ausschließlich als Rohstoffe für praktisch fertige
Kleine Kreise drehen
Dass man sich auf ein Laufband stellen kann, um in einem leidlich spannenden Minispiel Strom für die gesamte Stadt zu produzieren, ist da schon der Gipfel der Abwechslung, das müde Ballern mit Gewehren oder in Geschütztürmen ist mehr dröge Pflicht als spannende Unterhaltung. Das Anklicken von Wänden zum Abbau der wenigen Ressourcen fühlt sich kaum besser an: Die Inseln sind ja winzig, zu entdecken gibt es praktisch nichts und nach ein paar Minuten sind ihre Rohstoffe ohnehin erschöpft, weshalb man schon bald auf das Auftauchen des nächsten Eilands wartet. Oder sich schon wieder an die Werkbank stellt. Oder mal wieder Bäume schüttelt.
Der Kreis aller möglichen Tätigkeiten ist einfach zu klein, die Aktionen selbst sind banal bis langweilig. Man errichtet zwar Gebäude, doch die einzelnen Aktionen bauen kaum aufeinander auf. The Tomorrow Children fehlt das Gefühl etwas zu erschaffen.
Grüne Geister statt Gemeinschaftsgefühl
Zu allem Überfluss sind sich alle Städte dermaßen ähnlich, dass man sich gefühlt mehr verläuft als zielstrebig einen Weg zu gehen. Sie sind außerdem so klein, dass selbst komplett ausgebaute Orte mit dem Höchstwert an aus Matroschkas befreiten Seelen nur ein um das Rohstofflager angelegter Marktplatz sind. Ist das Ziel erreicht, darf man den Ort nicht einmal mehr betreten, sondern muss sich eine neue Stadt aussuchen. Nach vielleicht fünf Minuten hat man also buchstäblich das meiste dessen gesehen, was es in diesem Spiel zu „entdecken“ gibt.
Schlimmer noch: Ihr größtes Potential, das gemeinsame Schaffen und Werkeln, kratzen die „Kinder von morgen“ kaum an. Jeder Spieler gibt bei der Wahl des Bürgermeisters zwar seine Stimme ab – der gewählte Kandidat verschafft allen Besuchern einen bestimmten Bonus –, dafür sind die anderen Spieler kaum zu sehen. Genauer gesagt tauchen sie nur immer dann auf, wenn sie eine Aktion ausführen. Oft will man deshalb beim Entladen ein Stück Holz aufheben, als das plötzlich eine Figur übernimmt, die aus einem grünen Nebel auftaucht und kurz darauf wieder verschwindet. Was sich für einen Moment wie gemeinschaftliches Schaffen anfühlt, verhindert in Wirklichkeit
Gelenktes Chaos
So wird das Onlinespiel in The Tomorrow Children von einer Art gelenktem Chaos bestimmt. Natürlich: Hat man Glück, arbeiten alle auf das “große“ Ziel hin. Hat man Pech, machen Störenfriede den Fortschritt aber mit wenigen Handgriffen zunichte. Man kann die Trampel zwar für ein paar Minuten ins Gefängnis stecken, also kurzfristig aus dem Spiel nehmen, doch diese Möglichkeit wird umgekehrt schon mal zweckentfremdet.
Und wie kann es eigentlich sein, dass man bei der schnellen Rückkehr in eine Stadt, an der man zuvor stundenlang mitgewirkt hat, keinen Zutritt mehr erhält, weil es dann zu viele Arbeiter gibt. Hätte mir das Spiel nicht einen Platz reservieren können? Auf einen Umzug hatte ich jedenfalls keine Lust.
Doch die Kinder von morgen können nach Abschluss dieses Berichts sowieso ohne mich weitermachen. Wieso auch? Ich hatte nicht das Gefühl, gemeinsam mit ihnen etwas zu erleben. So sehr ich mich auf dieses Spiel gefreut hatte, so wenig will ich jetzt in seine Leere zurückkehren.
Fazit
Natürlich soll The Tomorrow Children kein Minecraft sein – der unmittelbare Vergleich hinkt zwangsweise und das Spiel hätte weder den großen Vorreiter noch ein Spiel wie Dragon Quest Builders kopieren müssen. Es hätte allerdings in wenigstens einem Bereich abseits des hübschen Äußeren überzeugen müssen! So gibt es jedoch weder das kreative Bauen des namhaften Vorreiters noch eine umfassende und teilweise spannende Rohstoffbesorgung. Und nicht einmal die vermeintliche Besonderheit des Spiels funktioniert: das soziale Zusammenspiel. Zumindest kann ich nicht nachvollziehen, wie mit unsichtbaren Mitspielern das Gefühl einer Gemeinschaft entstehen soll. Man trifft ja weder sinnvolle Absprachen noch erkennt man durch Beobachten der Umgebung, wo man gebraucht wird. Abgesehen davon ist der Kern des Schaffens, die Produktionskette, viel zu kurz, da Ressourcen nicht veredelt, sondern unmittelbar verbaut werden. Für das dröge, ständig notwendige Ballern am Geschützturm gilt zudem das Gleiche wie für das oberflächliche Beschaffen der wenigen Materialien, ein lockeres Abholen-und-Hinbringen mit viel zu kurzen Wegen: Es ist mehr Fleiß- als Spaßarbeit. Würden die Entwickler damit Parallelen zum real existierenden Sozialismus vergangener Jahrzehnte ziehen, könnte man The Tomorrow Children eine sinnvolle Verbindung von Spiel und Inhalt zusprechen. Eine solche Cleverness lässt der Titel jedoch nicht durchschimmern. Ihm fehlt es einfach nur an beidem.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Die Idee ist gut - ihre Umsetzung ein langweiliges Umherlaufen und Klicken. Weder das soziale noch das kreative Schaffen funktioniert.
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