WRC 514.10.2015, Michael Krosta

Im Test: Pannenhilfe benötigt?

Milestone ist die WRC-Lizenz mittlerweile los, will aber im nächsten Jahr mit Sébastien Loeb Rally wieder auf die Schotterpisten zurück. Bis dahin überlässt man das Feld nicht nur Codemasters und dessen wieder entdeckten Simulations-Ambitionen bei Dirt Rally, sondern auch dem offiziellen Rennspiel zur FIA-Serie: Kann der neue Entwickler Kylotonn der virtuellen Rallye neues Leben einhauchen oder geht es nach dem jahrelangen Milestone-Recycling mit WRC 5 (ab 8,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) sogar noch weiter bergab?

Das komplette Lizenzprogramm

Auf den ersten Blick bekommt man in WRC 5 alles, was man sich als Rallye-Fan wünscht: Das Spiel enthält dank der offiziellen Lizenz nicht nur alle Original-Fahrer, Teams, Fahrzeuge und Schauplätze des diesjährigen Kalenders. Neben der Königsdisziplin sind sogar die kleineren Klassen WRC 2 und WRC Junior enthalten, in denen der Nachwuchs in schwächer motorisierten Boliden um Bestzeiten kämpft. Und auch die Auswahl an Spielmodi lässt kaum Wünsche offen: Zum einen gibt es schnellen Wertungsprüfungen oder Einzel-Rallyes, die auf Wunsch bis zu einem eigenen Rennkalender oder sogar der kompletten Meisterschaft erweitert werden können. Zum anderen wartet eine Karriere, in der man mit einem eigenen Fahrer Verträge mit Teams abschließt, Ziele erfüllen muss und sich mit guten Ergebnissen vom Junior bis zur Premium-Klasse vorkämpfen muss. Ganz interessant ist hier, dass die Team-Chefs unterschiedliche Prioritäten legen und z.B. auch die Team-Moral und Effizient der Mechaniker eine Rolle spielen.

Wie im realen Motorsport geht man auch hier alleine auf die Pisten.
Fans von Mehrspieler-Duellen dürfen sich lokal mit bis zu acht Fahrern messen, die nacheinander ins Auto steigen. Auch online ist das Starterfeld auf acht Teilnehmer limitiert, wenn man einem schnellen Spiel beitritt, eine öffentliche Lobby anlegt oder lieber eine private Sitzung für Freunde erstellt. Leider gibt es keinen Serverbrowser, auf dem die offenen Lobbys gelistet werden. Gleichzeitig fehlt eine Filterung nach Klassen: Meist landet man bei der automatischen Vermittlung daher in der WRC, auch wenn man vielleicht zunächst lieber als Junior erste Online-Luft schnuppern möchte. Auch habe ich die Möglichkeit vermisst, ganze Meisterschaften über die Online-Leitung oder lokal austragen zu können.Geister-Rennen am geteilten Bildschirm hätten sicher ebenfalls nicht geschadet. Nervig: In Online-Veranstaltungen werden die bunten Geisterwagen der Mitspieler leider so intensiv dargestellt, dass die Übersicht darunter leidet – eine Option zum Deaktivieren gibt es nicht. Besser sind daher die asynchronen Veranstaltungen, in denen man bei wechselnden Mini-Turnieren innerhalb eines festgelegten Zeitraums auf vorgebenen Pisten und mit bereitgestellten Wagen um den Platz am der Spitze kämpft.  

Mehr Arcade als Simulation

Leider fällt es schwer, gerade beim Driften ein gutes Gefühl für die Steuerung und Fahrphysik zu entwickeln.
Für Neueinsteiger wird eine Fahrschule angeboten, in der man in diversen Lektionen in die Kunst des Rallyefahrens eingeweiht wird. Daneben kann man sich außerdem von einer Stabilitätskontrolle sowie einer aktiven Bremsunterstützung optional unter die Arme greifen lassen und auch ein Automatikgetriebe als Alternative zum manuellen Schalten wird selbstverständlich genauso angeboten wie die Art und Auswirkungen des Schadensmodells. Doch selbst ohne Hilfen tendiert die Fahrphysik deutlich stärker zum Arcade-Modell als die letzten WRC-Teile unter der Regie von Milestone, die sich eher im Bereich der Simulationen eingeordnet haben. Zwar muss man in engen Kurven etwas gefühlvoller mit dem Gaspedal umgehen und Unebenheiten können bei zu hohen Geschwindigkeit unangenehme Folgen haben, aber insgesamt reagieren selbst die PS-starken WRC-Boliden von Ford, Citroen, VW & Co ausgesprochen gutmütig, wenn auch nicht ganz so arcadig wie etwa Sega Rally. Allerdings kann man im Spielhallen-Klassiker ein viel besseres Gefühl für die Wagen entwickeln und lässig durch die Kurven driften. Hier fällt es mir dagegen schwer, mich mit dem etwas eigenwilligen Fahrmodell anzufreunden, das in dieser Form weder Arcade-Fans noch Simulationsfetischisten ansprechen dürfte. Selbst der angestrebte Kompromiss aus beiden Welten wirkt hier nur halbgar, wenn man das betagte Colin McRae Rally oder die alten WRC-Titel auf der PS2 als Vergleich heran zieht, die allesamt ein authentischeres Fahrgefühl vermitteln und bei denen ich in einen großartigen Flow aus Geschwindigkeit und kontrolliertem Schlittern komme, den ich hier höchstens im Ansatz erlebe. Recht oberflächlich wirken die Setup-Optionen: Zwar hat man die Wahl zwischen Schotter- sowie Asphaltpneus und schraubt am Fahrwerk, Getriebe, Differenzial und den Bremsen herum, doch fallen die Veränderungen relativ grob aus. Weniger technisch versierte Spieler vermissen zudem Anmerkungen, wie sich die jeweiligen Maßnahmen auf das Fahrverhalten auswirken. Und auch das Schadensmodell kann sowohl hinsichtlich der Darstellung als auch der mechanischen Folgen nur bedingt überzeugen und ist nicht immer nachvollziehbar.

Vom Truck Racer in den Rallye-Polo

Neben Regen zählt in kälteren Gefilden auch Schnee zu den Witterungsverhältnissen.
Trotzdem spricht zumindest die Auswahl an Modi in Kombination mit der Lizenzen für einen durchaus soliden Rallye-Titel. Bis zu dem Moment, in dem man sich zum ersten Mal selbst hinter das Steuer klemmt und neben der enttäuschenden Fahrphysik die Folter für Augen und Ohren beginnt. Irgendwie hatte ich schon ein ungutes Gefühl, als das Team von Kylotonn als Milestones Erben für die WRC-Serie vorgestellt wurde, denn die Franzosen bewiesen mit Gurken wie Truck Racer bisher vor allem eins: Technisches Unvermögen. Und auch beim Blick auf WRC 5 fragt man sich, ob man da wirklich ein PS4-Spiel vor sich sieht. Ja: Rallye-Fans haben sich in den letzten Jahren an technisches Mittelmaß gewöhnt, denn auch Milestones Engine fehlte ein moderner Anstrich und lässt bis heute die Leistung vermissen, mehr als 30 Bilder pro Sekunde aus den Konsolen herauszukitzeln. Wer hätte gedacht, dass ich mir das trotzdem irgendwann zurückwünschen würde? Doch dann kam Kylotonn. Und was die Franzosen jetzt fabriziert haben, ist einfach nur eine Schande für die Lizenz und Marke: Auf Bildern mögen die 13 Schauplätze der diesjährigen Saison noch ordentlich rüber kommen, auch weil sich manche Spiegelungen auf dem nassen Asphalt oder Lichteffekte von Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen durchaus sehen lassen können. Doch sobald Bewegung in die Sache kommt, verpufft die Hoffnung auf eine akzeptable Darstellung in spürbaren Einbrüchen der Bildrate, kombiniert mit massiven Pop-ups am Streckenrand und einem schlimmen Tearing, das vor allem bei Nachtrennen auftritt. Manche Texturen erinnern sogar an die PS2-Ära. Was man der Engine neben der akzeptablen Beleuchtung lediglich zugute halten kann, ist die gute Darstellung von Staub und Partikeln, die vor allem in den Wiederholungen oder dem Fotomodus zur Geltung kommen. Trotzdem: Hingen schon die Milestone-Vertreter der WRC technisch gefühlt ein paar Jahre hinterher, sind es hier Jahrzehnte.  

Rechts, links, Kuppe, Schnauze!

Ähnlich katastrophal präsentiert sich der Audiobereich: Die Motorenklänge schwanken vor allem in den Innenansichten zwischen Düsentriebwerk und Staubsauger, während man durch das übertriebene Potzen von hinten ständig das Gefühl hat, dass jemand eine ganze Ladung Knallfrösche im Auspuff deponiert hat. Vom Schaltgetriebe hört man dagegen herzlich wenig und das leise Sample erinnert eher an das Klickgeräusch einer Maus, wenn man es denn überhaupt wahrnimmt. Fast schon wieder lustig ist die deutsche Sprecherin, welche die jeweiligen Menüs erläutert: Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob die Dame nur furchtbar lispelt oder die rauschfreudige Aufnahmequalität zu dieser Annahme beiträgt. Vermutlich beides. Über den wahlweise männlichen oder weiblichen Ko-Piloten würde ich sogar am liebsten den Mantel des Schweigens legen oder mir wünschen, er oder sie würde es beim roboterhaften Herunterrasseln des Gebetbuchs ebenfalls tun. Ich durfte durch einen Defekt der Eletronik und der folgenden Funkstörung sogar feststellen, dass man ohne die nervigen Ansagen des Beifahrers teilweise sogar besser dran ist und sich stärker auf die Strecke konzentrieren kann. Überhaupt sollte man den Streckenverlauf lieber auswendig lernen, was angesichts mancher Etappen mit einer Länge von mehr als fünf Minuten durchaus eine Herausforderung darstellen kann. Möchte man nicht auf den Beifahrer verzichten empfiehlt es sich, in den Optionen eine frühere Vorhersage des Verlaufs zu forcieren, denn bei der Standardeinstellung kommen viele Anmerkungen einfach zu spät – mit fatalen Folgen. Nach einem Abflug hat man zwei Möglichkeiten: Entweder nimmt man eine

Der Abgas-Skandal spielt hier zwar keine Rolle, dafür hat man hier auch hinter dem Steuer eines Polos mit ganz anderen Problemen zu kämpfen - z.B. der extrem schwankenden Bildrate.
Strafzeit in Kauf oder spult die Zeit zurück und landet auf Knopfdruck wieder am letzten Checkpunkt. Letzteres ist allerdings nur in niedrigeren Schwierigkeitsgraden und in begrenzter Anzahl möglich.       

Fake-Zeiten statt Berechnung

Den Vogel schießen die Entwickler aber mit den Zeiten der Konkurrenz ab. Schon nach dem ersten Rennen auf der mittleren Stufe wunderte ich mich: Uff, nur so knapp mit einer Sekunde Vorsprung gewonnen? Gut, ich hatte den einen oder anderen kleinen Abflug und hätte in manchen Passagen etwas mehr Gas geben können. Neuer Versuch: Ich überquere die Ziellinie etwa zehn Sekunden früher. Und was sehe ich auf dem Ergebnisbildschirm? Der Zweitplatzierte ist dieses Mal sogar nur eine halbe Sekunde hinter meiner Zeit. Spätestens jetzt war mir klar: Kylotonn lässt hier keine Zeiten berechnen, sondern verarscht den Spieler, damit es am Ende möglichst knapp aussieht. Also machte ich mir den Spaß und fuhr die Strecke erneut – dieses Mal bewusst im Bummelzugtempo. Tatsächlich wurde ich mal nicht Erster, konnte dann aber sehen, dass der Sieger mehr als 20 Sekunden(!) langsamer war als ich bei meiner besten Zeit.

Immerhin: Die Staubeffekte in den Replays können sich sehen lassen.
Folge: Es spielt eigentlich kaum eine Rolle, wie schnell man ist. Je nach Schwierigkeitsgrad muss man sich zeitlich lediglich in einem bestimmten Rahmen bewegen und die Ergebnisse der anderen Fahrer werden einfach angepasst. Das dürfte dann auch erklären, weshalb man bei den Wertungsprüfungen niemals über Zwischenzeiten informiert wird – etwa so, als würde man immer als Erster auf die Strecke geschickt. Was für ein Blödsinn! Dumm auch, wenn man in einer Wertungsprüfung tatsächlich einmal Mist baut und in der Gesamtwertung ins Hintertreffen gerät, denn mit diesem Pfusch ist es in den folgenden Rennen quasi unmöglich, genug Abstand herauszufahren, um wieder Zeit gutzumachen. Wirklich gefordert wird man daher erst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad, doch übertreibt man es hier: Vergleicht man die KI-Zeiten der Spitze mit den aktuellen Online-Bestenlisten, muss man sich bei manchen Etappen im Bereich der weltweiten Top-20-Fahrer bewegen, um ganz oben auf dem Podest zu stehen.

Kaum Filterungsoptionen

Manche Pisten könnten zwar einen Tick enger sein, aber das Streckendesign ist insgesamt angemessen für die WRC.
Apropos Bestenliste: Diese erlaubt zwar neben der weltweiten Rangliste auch einen Vergleich unter Freunden, hat aber sonst quasi keine Filter zu bieten. Das ist besonders deshalb ärgerlich, weil auch alle drei Klassen für jede Wertungsprüfung in einen Pott geworfen werden. Im Klartext: Hier müssen sich z.B. die Zeiten, die man in der Junior-Klasse mit den schwächer motorisierten Fahrzeugen aufstellt hat, mit denen der Top-Fahrer in ihren WRC-Boliden messen. Was soll das? Diese Frage dürften sich auch viele Lenkradbesitzer stellen, denn aktuell werden an der PS4 kaum Geräte unterstützt. Wirft man einen Blick auf die Webseite, wird sogar darauf hingewiesen, dass man auf der Xbox One aktuell keine Lenkrad-Peripherie mit dem Rennspiel nutzen kann. Wo kämen wir da auch hin, wenn Leute ihr Lenkrad bei einem Rallye-Titel benutzen wollen?

Fazit

Die gute Nachricht: Nach dem katastrophalen Truck Racer (4P-Wertung: 10%) hätte es für WRC 5 wesentlich schlimmer kommen können. Deshalb Glückwunsch an Kylotonn! Dank des Lizenzpakets, einer ordentlichen Auswahl an Spielmodi und halbwegs akzeptablen Fahrphysik mit Arcade-Schwerpunkt hat man sich im Vergleich zur genannten Gurke deutlich gesteigert. Allerdings sollte man in Zukunft vielleicht besser davon absehen, die nötige Technologie unbedingt selbst entwickeln zu wollen, denn die hauseigene Kt Engine HD ist in dieser Form einfach nur ein schlechter Witz! Die Bildrate ist teilweise unter aller Kanone – und das, obwohl sich immer nur ein Fahrzeug auf der Strecke befindet. Zusammen mit dem quasselnden Roboter auf dem Beifahrersitz, dem Düsentriebwerk unter der Motorhaube und der zu stark auf Arcade sowie gewöhnungsbedürftigen Fahrphysik hat die WRC-Serie unter der Obhut von Publisher Big Ben Interactive den vorläufigen Tiefpunkt erreicht. Dabei spricht es übrigens nicht gerade für die ESL, dass die virtuelle Variante dieses interessanten Motorsports ausgerechnet von diesem Machwerk ab 2016 im eSport-Bereich repräsentiert wird.

Pro

offizielle Lizenz
drei Rallye-Klassen
volles Schadensmodell...
optionale Fahrhilfen
Rallye-Schule
Nacht- und Regenrennen inklusive
Setup-Einstellungen (in höheren Klassen)
eingeschränkte Rücksetzfunktion
wechselnde Online-Herausforderungen
Mehrspieler-Modus mit eSport-Integration
Zuschauerfunktion (online)

Kontra

mitunter starke Einbrüche der Bildrate
Zeiten der KI werden beliebig angepasst, nicht im Vorfeld berechnet
...aber nicht immer nachvollziehbar und visuell ausbaufähig
eher auf Arcade ausgerichtete Fahrphysik & mäßiges Fahrgefühl
angestaubte Grafik (Texturen, Fahrzeuge)
roboterhafte Ko-Piloten
enttäuschende Motorengeräusche und Getriebe kaum zu hören
z.T. heftiges Tearing
billige Cockpitansicht
keine Klassen-Filterung bei Online-Bestenliste
fehlende Setup-Erklärungen
maue Präsentation & verrauschte Sprachsamples
miese Lenkradunterstützung (X1: keine Unterstützung)
Abkürzungen werden mitunter zu penibel durch Zurücksetzen bestraft
keine Siegerehrung
Geisterwagen stören Übersicht (online)
Replays nicht speicherbar
viele Pop-ups und Fade-Ins am Streckenrand
kein Splitscreen
keine Online-Meisterschaften

Wertung

PlayStation4

Schwache Technik, enttäuschendes Fahrgefühl, Zeiten-Beschiss: Mit WRC 5 hat die offizielle Reihe zur Rallye-WM den vorläufigen Tiefpunkt erreicht!

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