Im Test: Gefangen in der Toskana
Stimmen im Kopf
Im grellen Licht der Toskana des Jahres 2016 beginnt für eine alte Frau die Reise in eine schreckliche Vergangenheit. In der Nähe der Stadt Volterra besucht sie eine ehemalige Psychiatrie, die mittlerweile als menschenleere Ruine zu verfallen droht. Doch spätestens als Renée über die Flure spaziert, ist sie nicht mehr allein. Da melden sich Stimmen in ihrem Kopf und mit ihnen öffnen sich immer wieder für kurze Momente oder längere Passagen die Pforten in die späten 30er Jahre, als sie hier als junges Mädchen und angeblich Geisteskranke über Jahre misshandelt wurde.
Dokumentarische Sicherheit
Das Problem ist auch, dass das Geheimnis um Ort und Protagonistin zu schnell gelüftet ist - man kann sich vieles sehr schnell denken, weil die Regie nichts zurückhält. Wenn es gleich zu Beginn heißt "Im Reich des Lichtes gab es weder Verständnis noch Mitleid", man die Folterinstrumente sieht und die faschistische Zeit des Zweiten Weltkriegs berücksichtigt, weiß man natürlich ganz genau, dass diese Psychiatrie eine Hölle gewesen sein muss.
Immerhin motiviert die Regie damit, dass sie in den Multiple-Choice-Fragen die gespaltene Persönlichkeit abbildet: So wird Renées Unsicherheit bezüglich der Vergangenheit deutlich. Das beginnt mit einfachen Fragen, ob man etwa Briefe aus der Anstalt lesen darf oder nicht, weil man dann bestraft wird - hier melden sich die Angst und Schuldgefühle von damals. War sie etwa ein "böses" Mädchen? Hat sie diese Behandlungen vielleicht sogar verdient? Je nachdem, wie man hier antwortet, verändert sich die psychische Stabilität der alten Frau und damit Teile der folgenden Geschichte. Aber wer einigermaßen zwischen den Zeilen lesen kann, wird wissen, in welcher Antwort die Aufklärung steckt.
Ablaufroutine und Stilbrüche
Leider ist alles andere außerhalb dieser psychologisch interessanten Fragerunden spielerisch nicht der Rede wert und statt offener Erkundungsreize oder wenigstens detektivischer Recherche herrscht meist Ablaufroutine, zumal man auf Knopfdruck die Anweisung bekommt, wo man als Nächstes hin soll: Geh ins Obergeschoss, geh in Behandlungsraum C, geh ins Archiv und so weiter. Viel zu oft muss man einfach nur von A nach B laufen und dort eine Puppe oder einen Brief platzieren oder mal extrem simple Schalterrätsel bewältigen - und besonders weitläufig ist die Anlage nicht. Hinzu kommen unlogische Situationen wie plötzlich verschlossene oder geöffnete Türen, obwohl man sich nicht in einer surrealen Erinnerung, sondern in der toskanischen Realität befindet, in der es weder Geister noch Übersinnliches gibt.
Die größte Herausforderung bleibt die hakelige Steuerung, denn man muss ständig die Karten auf den Fluren langsam heranzoomen (warum werden die nicht einmal archiviert und gut?), hängt schonmal an kleinen Hindernissen und öffnet in schlimmer Monotonie Türen oder Schränke - manchmal muss man beide Flügel sogar einzeln anwählen, sonst kommt man nicht durch. Sehr enttäuschend ist zudem,
Stattdessen muss man sich sehr viel vorlesen lassen, immerhin gut auf Deutsch eingesprochen, und braucht eine Lupe, um so manche Texthinweise zu lesen, die in zu kleiner Schrift oben rechts angezeigt werden. Hinzu kommen die Stilbrüche in der Präsentation, die einen mit ihren gezeichneten Rückblicken immer wieder aus dem Erlebnis herausreißen. Immerhin wirken die gespielten Passagen in der Vergangenheit mit ihren surrealen Verzerrungen oder dem Gang durch die diffus graue Welt der 30er Jahre mit den puppenhaft Inhaftierten eindringlicher - hier wird trotz schrecklich steifer Animationen zumindest die kalte Fratze von Wärtern ebenso greifbar wie das entseelte Gesicht all der gequälten menschlichen Marionetten.
Labyrinth der Langeweile
Irgendwann ab dem letzten Drittel dieses Psychotrips war ich aber nur noch genervt. Wie gut man das Erkunden inszenieren kann, ohne dass man sich dermaßen gegängelt fühlt, hat What Remains of Edith Finch kürzlich eindrucksvoll bewiesen - hier erlebt man das Gegenteil. Was hat die Entwickler bloß geritten, dieses erzählerisch so interessante Abenteuer dermaßen künstlich zu strecken? Hier wird das Klischee des "Wandersimulators" leider rücksichtslos bedient, weil irgendjemand auf die Idee kam, dass es außerhalb der Psychiatrie ja noch eine Landschaft, einen Friedhof und Pavillons gibt.
Aber auch das Spieldesign bricht während dieser Ausflüge aufs Land komplett ein: Man muss tatsächlich wie an der Schnur gezogen Lichtern folgen, jedes Gestell eines Spielplatzes nutzen und in einem surrealen Labyrinth der Erinnerungen einige Bildmotive an Wänden finden. Hab ich einige gesagt? Es sind 17! Und wenn da erst 1/17, dann 2/17, dann 3/17 eingeblendet wird, während man blöde umherirrt, fühlt man sich wie in einem schlechten Ubisoft-Film, in dem Assassinen irgendwelche Federn sammeln sollen. Es war lediglich die Aussicht auf das baldige Finale, die mich durchhalten ließ.
Fazit
Mit dokumentarischer Schonungslosigkeit nähert man sich der schrecklichen Vergangenheit einer misshandelten Frau. In der ersten Stunde dachte ich noch: Das fühlt sich fast an wie Silent Hill als Serious Game! Aber so interessant der Ansatz von The Town of Light auch ist, nämlich auf Grundlage historischer Fakten einen eher authentischen Weg mit surrealen Rückblicken anstatt typischen Survival-Horror mit Schockmomenten und Monstern zu beschreiten, wird das Erlebnis von einigen verdammt schlechten Designentscheidungen konterkariert. Das Unheimliche verschwindet nicht nur aufgrund der unnötigen Stilbrüche in der Präsentation, der hakeligen Steuerung sowie der eintönigen Spielmechanik, in der man einer Ablaufroutine von A nach B ohne Rätselanspruch folgt - im letzten Drittel wird man regelrecht an der Leine geführt und muss wie blöde Bildmotive sammeln. Hinzu kommen auch die unübersehbaren technischen Schwächen sowie Bildratenprobleme, die während des langweiligen Spazierens zusätzlich stören. Immerhin retten die psychologischen Multiple-Choice-Phasen das Abenteuer auf ein befriedigendes Niveau, weil man den weiteren Weg damit beeinflussen kann. Aber das Thema der Misshandlung von Geisteskranken ist letztlich eindringlicher und bedrückender als das sterile Spielerlebnis. Innerhalb des jungen Genres der Erzählspiele wirkt Town of Light wie ein ambitioniertes, aber auch sehr sprödes Relikt.Titel wie Firewatch, SOMA, Kona, The Vanishing of Ethan Carter, Everybody's Gone to the Rapture und vor allem What Remains of Edith Finch sind alle auf ihre Art deutlich moderner und unterhaltsamer.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Das Thema der Misshandlung von Geisteskranken ist eindringlicher als das Spielerlebnis selbst. Innerhalb des jungen Genres der Erzählspiele wirkt dieses Town of Light wie ein sprödes Relikt.
XboxOne
Das Thema der Misshandlung von Geisteskranken ist eindringlicher als das Spielerlebnis selbst. Innerhalb des jungen Genres der Erzählspiele wirkt dieses Town of Light wie ein sprödes Relikt.
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