Mädchen auf Odyssee
Die kleine Marryn ist verzweifelt, denn ihr Vater ist im Meer verschollen. Aber die Zwölfjährige gibt ihn nicht auf, bastelt sich ein U-Boot namens "Nautilocerus" und macht sich voller Mut auf die Suche. Schon bald versinkt sie in einem riesigen Labyrinth voller alter Mythen und gefährlicher Monster...
Klingt märchenhaft? Ist es auch. Man sollte sich aber nicht vom Einstieg täuschen lassen, der mit seinen Kinderbuchskizzen vielleicht etwas naiv anmutet. Song of the Deep ist ein Abenteuer, das sich viel Zeit lässt und im besten Sinne episch angelegt ist. Das ist kein Snack für schnelle Schatzsucher, sondern eine angenehm fordernde Reise, mit der man an die zwölf Stunden verbringen kann.
Metroid Prime unter Wasser
Marryn erkundet eine wunderschöne, aber auch gefährliche Unterwasserwelt.
Und natürlich ist das eine moderne Variante all jener klassischer Abenteuer wie Metroid, die einen bei der Erkundung fremder Welten stetig weitere Pfade öffnen und wachsen lassen - sowohl was die Fähigkeiten als auch die Erkenntnis betrifft. Marryn startet mit einem einfachen U-Boot, das sie (auf PC und Konsole) sehr präzise steuern sowie in Bereichen wie Schub, Torpedos oder Magnetkralle aufrüsten kann, während sie immer mehr Wissen über diese riesige Welt sammelt, die mal idyllisch, mal imposant, mal unheimlich sein kann.
Ach, so etwas habt ihr schon häufig gespielt? Ja, aber diesmal präsentiert kein unerfahrenes Studio seine Variante eines Klassikers, sondern Insomniac Games. Daran konnte bis vor ein paar Tagen allerdings noch zweifeln, denn das Spiel ruckelte unverschämt - aber Patch 1.03 sorgt für saubere Tauchgänge. Und die Qualität dieses Entwicklers spürt man inhaltlich mit jeder Stunde, die man mit Marryn tiefer taucht, wenn man in angenem offenen und verzweigten Arealen gegen Strömungen, Quallen und Anglerfische ankämhpft. Man zwängt sich hier nicht durch ein enges Korsett aus Grotten und Höhlen, sondern darf frei navigieren. Dabei entdeckt man früher oder später auch eines der vielen kleinen Geheimnisse, die dieses Spiel so charmant machen.
Subtile Spielmechaniken
Die englischsprachige Erzählerin leitet auch Bosskämpfe wie gegen diese Riesenspinne stimmungsvoll ein. Auf Wunsch gibt es deutsche Untertitel.
Ich meine all die subtilen und clever integrierten Spielmechaniken. Dazu gehören Kleinigkeiten wie etwa die korrekte Mahlzeit für eine Muschel zu finden, damit sie auch ihren Schatz ausspuckt. Oder der langsam gehobene Arm eines Skeletts, der einem den Weg weisen soll. Noch faszinierender sind z.B. die Auswirkungen von Berührung oder Licht: Richte ich meinen Suchscheinwerfer auf Quallen oder kleine Schalentiere, bewegen sich Erstere scheu weg, während Letztere erst dann ihr Geheimnis offenbaren, wenn sie sich auch alle auf einen Suchstreich verstecken - das sieht übrigens sehr witzig aus.
Manchmal hilft es auch, andere leuchtende Wesen zu begleiten, damit man in ihrem Schatten bestimmte Zonen überhaupt erreichen kann, oder einem über Algen illuminierten Pfad zu folgen, der bei jeder korrekten Berührung heller erstrahlt. Man wird ein wenig an den "Sense of Wonder" in Flower oder Journey erinnert, wenn man in einem Schwung über den Boden düsen muss, damit alle kleinen Bewohner den Kopf einziehen - das sind tolle Momente, wenn man tatsächlich belohnt wird, weil man einfach intuitiv experimentiert hat!
Steampunk und Mythologie
Das U-Boot kann in vielen Bereichen aufgewertet werden.
Die Geschichte wird an wichtigen Stellen von einer charismatischen Sprecherin, auf Wunsch mit deutschen Untertiteln, vorgetragen. Irgendwann trifft Marryn z.B. auf die Artefakte der "Fomori". Hier werden für die Story keltische Mythen wie jene von den dämonischen "Fomoire" (ein altes irisches Wort, vermutlich mit "Meer" verwandt), die laut Sage als erste Wesen die grüne Insel eroberten, mit dem Flair von Abenteuer-Geschichten à la Jules Verne und Steampunk. Es gibt also Monster und Maschinen, versunkene Mythen und Städte, Sagenfiguren und Torpedos.
Viel wichtiger als der erzählerische Hintergrund ist in diesem Fall aber die wunderschöne Kulisse: Das kleine U-Boot sieht aus wie ein goldener Pinsel, der sich je nach Schub mal sanft, mal wuchtig durch ein Unterwasser-Gemälde malt. Überall blubbert, leuchtet oder schwimmt etwas. Während man im Vordergrund mit seiner Kralle vielleicht einen Hebel aktiviert, gleiten im Hintergrund majestätisch ein paar Wale vorbei - die Tiefenwirkung ist toll und Insomniac bildet das Meer in seiner vollen Pracht ab.