Im Test: Ein großer Schritt für die Serie?
Plötzlich Kapitän
Nach einem verheerenden Überfall auf die eigene Flotte springt Protagonist Nick Reyes ein: Als Captain des Kriegsschiffs Retribution springt man durchs Sonnensystem, um wichtige Stationen zurückzuerobern und Angriffe zurückzuschlagen. Die Geschichte trieft geradezu vor Hurra-Patriotismus und klischeehaft selbstlosen Rettungsaktionen. Ein Crewmitglied nach dem anderen besteht förmlich darauf, den Heldentod sterben zu können. Muss es denn wirklich immer der Holzhammer sein, um das militär-affine US-Publikum zu erreichen? Trotzdem übt die Erkundung unseres Sonnensystems mit all seinen mysteriös glänzenden Gesteinsoberflächen und Außenposten eine gewisse Fazination aus. Auch Nicks engste Partner wie die stoische, aber eigentlich gutherzige Nora Salter oder der sympathische Bot Ethan wachsen einem im Laufe der Story ans Herz. Dank fein umgesetzter Mimik fühlt man sich fast wie in einer Episode von Star Trek oder Stargate.
Brot und Butter
Der Großteil der Action spielt sich nach wie vor in klassischen Schießereien ab. Die KI der Gegner und Partner hat leider nicht dazugelernt und spult ähnlich passiv wie in Titanfall 2 ihre Routinen ab, statt auch mal koordiniert zu flankieren oder aggressiv in den Zweikampf zu gehen. Zahlreiche Gadgets bringen aber trotzdem Dynamik in die Schlachten, darunter Hackmodule, zielsuchende Krabbelminen, fette Strahlengewehre oder intelligente Nahkampfflinten. Es fühlt sich ziemlich befriedigend an, einen nervig verschanzten Bot zu übernehmen, um hinter den Linien Amok zu laufen. Da sich die Gegner hier leichter von solchen Tricks überrumpeln lassen als in Black Ops 3, ist das Hacken hier aber schon etwas zu mächtig. Ab und zu werden auch Luftschläge oder ein Mech befehligt. Oder man kapert den Metallkoloss per Sprung auf den Rücken und jagt ihn mit seiner eigenen Rakete in die Luft.
Planetarer Krieg
Serientypisch stürmt man meist zusammen mit Kameraden durch Minenanlagen, zertrümmerte Städte der Erde oder über unwirtliches Planetengestein. Im Vergleich zu den detailreichen Zerstörungsorgien von Battlefield 1 zieht Infinity Ward visuell klar den Kürzeren. Die Kulisse ist dank gleißender Spiegelungen, Nebelschwaden und anderer Details durchaus ansehnlich, wirkt mit der kaum vorhandenen Zerstörung sowie der grauen, kontrastarmen Farbpalette aber etwas statisch. Ähnlich wie in Titanfall 2 punktet das sauber laufende Schauspiel allerdings mit fast immer flüssigen 60 Bildern pro Sekunde. Die beiden Konsolenversionen unterscheiden sich übrigens nur in Details: Auf der PS4 sieht man an schrägen Kanten einen Deut weniger Alias-Treppchen, den Unterschied erkennt man allerdings nur, wenn man genau hinschaut. Außerdem kommen manche Filter wie der Unschärfe-Effekt in der Microsoft-Fassung intensiver zum Einsatz.
Feuerwerk in der Schwerelosigkeit
Es gibt auch Momente, in denen das Explosionschaos richtig bombastisch aussieht, z.B. in den atemlosen Weltraumschlachten. Die Jäger steuern sich derart intuitiv, dass man blitzschnell durch die Trümmer zerlegter Raumstationen tauchen kann. Am meisten Spaß macht die Jagd auf die Haken schlagenden Feind-Gleiter. Wenn man sie mit zielsuchenden Raketen und dem konventionellen Geschütz zerbröselt, werden angenehme Erinnerungen an Spiele wie Colony Wars wach. Zwischendurch kümmert man sich mit der großen Kanone um die Bordgeschütz-Reihen fetter Kriegsschiffe, bis die Fregatte irgendwann in einer gewaltigen Explosion auseinanderbricht. Was für ein Feuerwerk!
Nur für Spezialisten
Spannend ist außerdem der Schwierigkeitsgrad „Spezialist“, bei dem angeschossene Trefferzonen zum Humpeln und zu Rissen im Blickfeld führen. Hier arbeitet man sich vorsichtig zu rettenden Kisten mit Energiespritzen und neuen Helmen vor. Schade, dass man erst nach dem Abschließen der Story auf diese Weise loslegen darf. Des Weiteren lässt sich laut Menü der extrem schwere „YOLO-Modus“ mit Perma-Death freischalten.
Online enttäuschend
Das Herzstück von Call of Duty ist seit Modern Warfare natürlich der Mehrspielermodus – und ausgerechnet der schwächelt schon wieder. Während Battlefield 1 mitreißend große Schlachten inszeniert und Halo 5 auf mutige Weise Einzel- und Mehrspieler-Elemente vermischt, tritt Infinite Warfare auf der Stelle. Auch das von ehemaligen Infinity-Ward-Köpfen entwickelte Titanfall 2 fühlt sich mit seinem Wechsel zwischen Mechs und Piloten nach wie vor frischer an. In Infinite Warfare treten bis zu 18 Spieler zumeist in altbekannten Modi wie Domination, Team Deathmatch oder Abschuss Bestätigt an. Selbst die neue Variante „Front“ fühlt sich nicht wirklich aufregend an, weil das gewohnte Prinzip einfach mit zwei Respawn-Basen ergänzt wurde, in denen die Heim-Teams eine bessere Panzerung besitzen. Immerhin etwas spannender wird es im Modus „Verteidiger“, der an Oddball aus Halo oder die Brieftaube aus Battlefield 1 erinnert: Man schnappt sich eine Drohne und muss sich beinahe unbewaffnet in Sicherheit bringen, um unbehelligt Daten hochzuladen.
Klassische Schusswechsel mit technischen Tricks
Einiges wurde einfach aus Treyarchs Black Ops 3 übernommen, z.B. sechs „Helden“ bzw. Grundklassen , die hier „Rüstungen“ genannt werden. Sie bringen jeweils eine kleine Auswahl freischaltbarer Spezialfähigkeiten mit sich. Sobald die Söldnerrüstung aufgeladen ist, kann ihr Träger z.B. wie ein wilder Bulle Feinde über den Haufen trampeln. Oder er grillt sie mit der vermutlich coolsten Energiewaffe des Spiels, der Steel Dragon. Die Überlichtrüstung dagegen ermöglicht Tricks wie das blitzschnelle Zurückbeamen an den Ort, an dem man sich etwa zwei Sekunden früher befand. Zusatzherausforderungen werden diesmal mit einer kleinen Hintergrundstory unterfüttert: Man tritt einer Söldnertruppe bei, die einem Nebenaufgaben für verschiedene Spielstile anbietet.
Blitzschnelle Duelle und Probleme mit Lags
Das Tempo der Schusswechsel erfordert auch diesmal gute Reflexe - vor allem, weil die Soldaten der Zukunft wieder mit Parcours-Manövern und Schwebedüsen durch die Levels rasen. Die akrobatischen Elemente wurden nicht ganz so intensiv und sinnvoll in die Bauwerke eingebaut wie in Titanfall 2. Wer sie sich zunutze macht und seine Gegner aus der Luft überrascht, hat trotzdem einen entscheidenden Vorteil. Bei einer derartigen Geschwindigkeit fallen die gelegentlichen Lags natürlich besonders negativ auf. Meist entscheidet zwar Können über das Duell, zu häufig sieht man jedoch in der Killcam eine ganze andere Szene als man sie gerade erlebt hat. Mal gehen in der Wiederholung zwei Schusssalven ins Leere, anderswo fliegt nicht mal mehr eine Granate, die man eigentlich schon lange vorm Tod geworfen hatte. Anders als in Battlefield 1 kann man hier nicht mal eben in einen Server-Browser wechseln, um sich ein europäisches Match auf einem dedizierten Server herauszufiltern.
Modernes Kriegsgerät
Oft wirken die Schauplätze aber etwas statisch und unbelebt – vor allem, wenn ein krachender Luftschlag so gut wie keine Spuren hinterlässt. Wer entsprechend viele Punkte anhäuft, kann mitten im Match diverse vorher ausgerüstete „Score-Streaks“ abfackeln. Dazu gehören die bekannten UAV-Drohnen für oder gegen Feindmarker auf der Minimap - oder auch ein kleiner Mech zur automatischen Beschützung, der sich auf Wunsch fernsteuern lässt und sich mit einem futuristischen Schild schützt.
Fazit
Schön, dass Call of Duty nach stetig fortschreitender Technisierung nun komplett den Sprung ins All gewagt hat. Das Coolste an Infinite Warfare sind die traumhaft schnellen und direkten Raumschlachten, die teils schön mit klassischen Einsätzen verwoben werden. Auch der Ausflug über die zerklüfteten Planetenoberflächen bietet ein deutlich spannenderes Missionsdesign als das oft zähe Black Ops 3, trotz nach wie vor vorhandener KI-Macken. Dank sympathischer Charaktere und professioneller Umsetzung passen auch die zahlreichen Zwischensequenzen gut zum Abwehrkrieg gegen die neue Opposition im All – trotz typischem Militär-Kitsch und übertriebener Heldenverehrung. Wer sich für den Mehrspieler-Part interessiert, könnte aber eine Enttäuschung erleben: Es werden zwar nach wie vor routinierte blitzschnelle Infanterieduelle mit viel freischaltbarer Ausrüstung geboten. Von den konservativen Modi über die etwas statischen Karten bis hin zu gelegentlichen Lags wirkt hier aber alles ein wenig altbacken. Die überraschend starke Konkurrenz zeigte sich im Laufe des letzten Jahres deutlich risikofreudiger - z.B. mit der erstaunlich variantenreichen Rückkehr in den Ersten Weltkrieg oder coolen Ideen wie dem Kriegsgebiet in Halo 5. Als Gesamtpaket kann Infinite Warfare aber trotzdem überzeugen: Wer nach der etwa sieben Stunden langen Kampagne noch nicht genug hat, kann sich beim nächsten Durchgang z.B. an weiteren Nebenmissionen oder dem nervenaufreibenden Schwierigkeitsgrad „Spezialist“ mit Verbandskästen und Trefferzonen versuchen. Oder man verbringt ein paar Koop-Runden im nach wie vor lustigen Zombiemodus.
[Leider lag uns zum Test keine PC-Version vor. Eine teurere "Legacy Edition" des Spiels beinhaltet die Remastered-Version von Modern Warfare inklusive Multiplayer-Part, welche wir aber nicht für den Test berücksichtigt haben.]
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Die abwechslungsreiche Kampagne überzeugt mit schnellen Raumschlachten, aber der uninspirierte Mehrspieler-Part wirkt etwas altbacken.
XboxOne
Die abwechslungsreiche Kampagne überzeugt mit schnellen Raumschlachten, aber der uninspirierte Mehrspieler-Part wirkt etwas altbacken.
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