Höllenqualen
Nach den letzten Trailern war ich immer noch unschlüssig, um was für eine Art Spiel es sich bei Agony handelt. Offiziell wird es der Kategorie "Survival-Horror" zugeordnet. Doch dieses Feld wird vielschichtig bestellt und reicht von
Silent Hill und
Resident Evil bis
Layers of Fear oder
Outlast. Mit etwas Interpretationsspielraum könnte man sogar den Klassiker
Clive Barker’s Undying aus dem Jahr 2001 hinzuzählen. Auch die in den Trailern dargestellte Gewalt oder die verstörende Atmosphäre, die auch durch die mal versteckten, aber viel häufiger deutlich dargestellten sexuellen Bezüge aufgebaut wird, weckte bei mir Assoziationen an den britischen Autor, der u.a. für das Fundament von Hellraiser verantwortlich ist.
Um die Erzählung komplett zu erfassen, muss man auch die Umgebung nach Hinweisen durchsuchen.
Der erzählerische Beginn von Agony macht neugierig und wird intensiv inszeniert: Man stürzt kilometerweit in die Hölle. Doch bei der Ankunft öffnen sich keine Tore und man wird von Beelzebub begrüßt. Man schlägt stattdessen unsanft auf dem Boden der Tatsachen auf und zerschellt. Wieso man in die Hölle verbannt wurde oder wer man ist, bleibt lange unklar und wird schließlich mit den insgesamt sieben zur Verfügung stehenden Enden auf dem Weg zur Höllenflucht aufgelöst. Auch die Rolle der Roten Göttin, die ein zentrales Element innerhalb der Erzählung darstellt, wird von anfänglich diffusen sowie kryptischen Informationen zunehmend konkreter und bleibt lange ein Spannungsmoment. Interessant ist auch die visuelle Interpretation des Ortes, der in einigen Religionen ewige Verdammnis für Sünder propagiert und der auch in der bildenden Kunst, der Literatur sowie natürlich in Spielen wie Dante’s Inferno oder Diablo immer wieder aufgegriffen und thematisiert wird.
Giger und Barker als Inspiration?
Hinsichtlich des Artdesigns zeigt sich das Team von Madmind, das sich teils aus ehemaligen Entwicklern von CD Projekt Red oder City Interactive zusammensetzt, extrem kompromisslos. Die Hölle, die sich vor einem auftut, ist schmutzig, blutig und besteht größtenteils aus organischen Versatzstücken. Man durchwatet Leichenberge, findet immer wieder andere gequälte, aufgespießte oder anderweitig verstümmelte Seelen und ist mitunter vielleicht sogar geschockt, wenn man sieht, welche Grenzen Agony bei der Darstellung gelegentlich durchbricht. Eine Symphonie in Schwarz und Rot, deren Dunkelheit häufig nur von Flammen und Blitzschlag durchbrochen wird. Scheinbar inspiriert auf der einen Seite von Clive Barker, dazu ein kleiner Schuss H.R. Giger und auf der anderen von Gemälden von Breughel und Bosch sowie Comics und einschlägigen Filmen. Dass Letztere (v.a. Hellraiser, Constantine oder manche Folgen der Lucifer-TV-Serie) sich ebenfalls von der bildenden Kunst oder den anderen Elementen inspirieren lassen, sorgt dafür, den Kreis zu schließen. Allerdings hätte es
Notizen und Briefe sind ebenfalls ein probates Mittel, um die Geschichte voranzutreiben.
Agony nicht geschadet, trotz der düsteren Atmosphäre die Dunkelheit nicht so sehr in den Vordergrund zu stellen, da es zu häufig negative Auswirkungen auf die Spielbarkeit hat – doch dazu gleich mehr. Denn im Rahmen der Visualisierung muss auch das Thema Sex bzw. Freizügigkeit angesprochen werden.
Obwohl es diesbezüglich natürlich Interpretationsspielraum gibt, scheint für Madmind die Hölle allerdings gleichbedeutend mit körperlichen Merkmalen der Frau sowie einem Fokus auf Fruchtbarkeit. Nicht nur, weil die Rote Göttin quasi die Erlösung darstellt. Während die Seelen, denen man bei seinem Höllentrip begegnet, in etwa zu gleichen Teilen aus wenige bekleideten Männern und Frauen bestehen, haben die Gegner und Dämonen größtenteils weibliche Züge. Die Sukkubi z.B. sind nicht nur barbusig (immerhin wohlgeformt), sondern haben auch häufig mit Zähnen versehene sowie gehörnte Vulven anstelle eines Kopfes. Die Früchte des Baums der Sünde, mit denen man seine wenigen Eigenschaftswerte steigern kann, sind Äpfel (die allerdings auch Pfirsichen ähneln), die ebenfalls mit einer Vulva versehen sind. Man kann dämonische Orgien beobachten und viele weitere offene sowie wenige versteckte sexuelle Anspielungen bzw. Bezüge entdecken. So explizit und direkt hat sich ein Spiel noch nicht mit Fetischen in dieser Form beschäftig - Clive Barker wird sich an dieser Stelle wahrscheinlich denken, dass sein Horror-Shooter Jericho zehn Jahre zu früh erschien. Dabei hat Madmind für die PEGI-Freigabe sogar noch die Schere angesetzt; was genau entfernt wurde, haben die Entwickler jüngst
in einem kleinen Video gezeigt. Doch keine Angst: Die Kürzungen betreffen in erster Linie Inhalte von wenigen Endsequenzen sowie einige nach dem Ende freigeschaltete Szenen.