Gal Gun: Double Peace26.07.2016, Mathias Oertel
Gal Gun: Double Peace

Im Test: Der etwas andere Railshooter

Klassische Railshooter scheinen ausgestorben. Um dem Genre wieder Leben einzuhauchen, geht das Anime-Abenteuer Gal Gun: Double Peace (ab 15,43€ bei kaufen) seltsame Wege. Hier schießt man weder im Rhythmus der Musik wie in Rez noch nimmt man Aliens mit Laserknarren oder Zombies mit Revolvern unter Beschuss. Stattdessen schießt man mit Pheromonen auf Mädchen, um seine wahre Liebe zu finden - mehr zu diesem merkwürdig anmutenden Konzept im Test!

Wahre Liebe zwischen Engeln und Dämonen

Die Geschichte in Gal Gun ist schnell erzählt: Der High-School-Nerd Houdai ist in Herzensangelegenheiten nicht nur schüchtern, sondern auch tolpatschig. Das ändert sich jedoch, als er von einem übereifrigen Nachwuchsengel mit einem hochgradig geladenen Liebespfeil getroffen wird. Auf einmal hat er mehr Sex-Appeal als Adonis, Geralt von Rivia und Ryan Gosling zusammen. Sprich: Die Mädchen in seiner Schule fliegen ihm nur so zu. Um sie sich vom Leib zu halten, während er sich auf die Suche nach seiner wahren Liebe macht, kann er die ihn angreifenden Horden an unbedarften Schülerinnen mit Pheromonen beschießen, um sie zu besänftigen. Allerdings hat er nicht allzu viel Zeit: Wenn er es nicht bis zum Ende des Tages schafft, seiner Herzallerliebsten seine Liebe zu gestehen, muss er für immer allein bleiben. Zu dumm, dass zusätzlich eine Liebesdämonin auf den Plan gerufen wird, die alles daran setzt, um ihn an seinem Vorhaben zu hindern.

Trotz gelegentlich anzüglicher Inhalte ist Gal Gun im Kern nur ein Railshooter.
Das klingt nicht nur merkwürdig, sondern ist es auch. Und von Zeit zu Zeit überschreitet die Geschichte sogar die eine oder andere Grenze des guten Geschmacks oder greift dabei immer wieder in die Klischee- und Fetischkiste. Daher habe ich mich auch gelegentlich dabei ertappt, dass ich die japanischen Dialoge mit den englischen Texten so schnell weggeklickt habe, wie ich sie lesen konnte – manchmal sogar noch schneller. Allerdings muss ich auch anmerken, dass Gal Gun sich dabei erstaunlich ernst nimmt. Mitunter sind die Dialoge oder Situationen zwar zum Fremdschämen, dennoch wird die Geschichte nie überstrapaziert und erreicht auch nie den überkandidelten Albernheitsgrad von Filmserien wie American Pie oder Eis am Stiel aus den 80er Jahren. Und von Zeit zu Zeit kann man angesichts der Naivität sogar richtiggehend lachen, wenn die Figuren in aller Ernsthaftigkeit auch über Themen wie Schlüpfer-Diebstahl oder halbnackte SM-Anspielungen sprechen.

Simple Schienen-Ballerei

Um die Smartbomb zu aktivieren, müssen die Mädchen durch Berührung in Stimmung gebracht werden.
Railshooter waren nur selten die Quelle von Innovation oder mechanischer Weiterentwicklung. Entsprechend schlicht präsentiert sich auch Gal Gun: Wahlweise mit dem linken oder rechten Stick kann man den Kreis mitsamt Fadenkreuz lenken, während man mit der Qudarat-Taste mit seinen Hormonen die Schulmädchen unter Beschuss nimmt – das Gehen, Laufen und sporadische In-Deckung-Gehen wird vom Spiel erledigt. Man kann den Schuss aufladen, um mehrere Mädchen gleichzeitig zu erwischen; ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Man kann zoomen, um Geheimnisse zu entdecken oder Mädchen in der Entfernung anvisieren – dass man durch die oberste Kleidungsschicht luschern darf, ist eine angenehme Begleiterscheinung. Und man kann durch den Beschuss bestimmter Zonen, die bei jedem angreifenden Mädchen anders sein können, aber sich meist auf Kopf, sekundäre Geschlechtsorgane oder Unterleib konzentrieren, eine Art Spezialschuss aufladen und aktivieren.

Dann wird in ein Minispiel geschaltet, bei dem Houdai durch das Finden und Betatschen der jeweils favorisierten Zone (die hier jedoch am ganzen Körper, also auch z.B. am Arm, Po, den Schultern oder den Füßen liegen kann) eine Art Ekstase einleitet. Die wiederum fungiert als eine Art Smartbomb und legt alle zu jenem Zeitpunkt angreifenden Mädels lahm. Hat man sich an diese Grundregeln gewöhnt, die sich gar nicht so sehr von denen in Time Crisis oder Dead Space Extraction unterscheiden, obwohl sie stark auf Sexualisierung und Fetisch-Fantasien abgestimmt sind, kann Gal Gun mit all seinen Merkwürdigkeiten durchaus für Unterhaltung sorgen. Dass diese nicht allzu lang vorhält, liegt nicht nur an mechanischen Defiziten, sondern auch daran, dass keinerlei Bewegungserfassung unterstützt wird. Konnte man auf der PS3 noch die Move-Controller benutzen, bleibt es hier bei der reinen Pad-Steuerung. Dabei wäre es zumindest theoretisch möglich gewesen, das Leuchtdreieck des PS4-Pads oder gar die alte Move-Hardware zu nutzen, um ein interessanteres Spielerlebnis zu schaffen. Wieso das Team von IntiCreates darauf verzichtet hat, erschließt sich mir nicht.

Rubbeldiekatz

In den Bosskämpfen muss man entweder kleine Ziele erwischen oder rechtzeitig eine Bewegung auf dem Touchpad starten.
Die mechanische Redundanz wird auch von attackierenden Worten (entsprechen quasi den Messern und Granaten herkömmlicher Railshooter und können abgeschossen werden) oder Mini-Dämonen, die erst ausfindig gemacht und pheromonisiert werden müssen, nicht großartig aufgebrochen. Immerhin können die "Bosskämpfe" für etwas Abwechslung sorgen, bleiben aber jeder für sich auch leider zu gleichförmig, um auf Dauer überraschen zu können. Das erste oder das zweite Mal ist es noch halbwegs interessant, die Kurven bzw. Körper der Mädels abzufahren, um besondere Symbole zu finden, die man entweder abschießt oder durch Gesten auf dem Touchpad aktiviert, um eine Energieleiste zu füllen. Hat man dieses Ziel erreicht, wird die jeweilige Etappe des Bosskampfs erfolgreich beendet, indem man weitere Gesten auf dem Touchpad durchführt. Das kann z.B. ein gleichmäßiges Vor-und-Zurück an den Padrändern sein, um ein Mädchen aus einem Fenster zu befreien, in dem sie feststeckt, während die Kamera hinter ihr postiert wird. Oder ein diagonales Rubbeln, um im Rahmen einer SM-Fantasie die Berührung an einer Wade darzustellen. Später darf man sogar (natürlich) gegen ein Tentakelwesen antreten. Doch
Kaum zu glauben: Man hat Auswahlmöglichkeiten bei den oberflächlichen Dialogen.
sehr schnell ist das Prinzip durchschaut - zumal die einzelnen Etappen fast immer nach dem gleichen Schema ablaufen und das Überraschungsmoment auch hier relativiert wird.

Einzig die Entscheidungen, die man sporadisch bei Dialogen und häufiger bei der Wahl des nächsten Abschnitts trifft, sorgen für den Hauch von Spannung. Wie wirkt sich das Gesagte aus? Was erwartet einen? Da man verschiedenen Mädchen seine Liebe schwören kann und sich die Taten und Entscheidungen unterschiedlich auswirken können, wird hier zumindest der Ansatz eines Wiederspielwertes gepflegt. Zu schade, dass man sich auf dem Weg dorthin durch weitgehend belangloses Pheromon-Verballern bei Laune halten muss. Immerhin hinterlässt die verwendete Unreal-Technologie mit ihrem Anime-Stil einen weitgehend stimmigen Gesamteindruck. Der Beweis, dass hier allerdings eine PlayStation 4 ihre Dienste verrichtet, wird zu keinem Zeitpunkt erbracht.

Fazit

Thematisch ist Gun Gal: Double Peace einer jener Titel, die mit ihren sexuell geprägten Inhalten nach einem "befriedigend" als Wertung schreien. Doch die als Schienenballerei verpackte und in ein Animekostüm gequetschte Geschichte, die erfrischend ernsthaft (aber dadurch erfreulicherweise nicht humorlos) mit Themen wie wahrer Liebe und Erwachsen-werden umzugehen versucht, ist leider nicht alles. Denn so unprätentiös und mitunter herrlich naiv sie mit Sexualität und entsprechenden Themen zu spielen versucht, so unbeholfen ist die darauf folgende Action. Mit Pheromonen auf vorzugsweise erogene Zonen zu schießen, klingt spannender und anzüglicher als es letztlich ist. Denn die Ballerei wird schnell vorhersehbar und schafft es nicht einmal in den Bosskämpfen Spannung jeglicher Form aufzubauen. Kurzzeitig ist Gun Gal irgendwie niedlich, aber die mechanischen Defizite wiegen zu schwer, als dass sie die Entscheidungen, die man auf der Suche nach der Liebe trifft, in welcher Form auch immer aufwerten könnten.

Pro

Geschichte nimmt sich erstaunlich ernst...
simples Ballerprinzip
Entscheidungen und Konsequenzen
stimmiger Anime-Stil
grundsätzlich interessante Bosskämpfe...

Kontra

... kann sich aber nicht vor zahlreichen Fremdschäm-Momenten schützen
keine Unterstützung von Move
oder anderen Bewegungskontrollen
Kulisse bleibt NextGen-Beweis schuldig
abwechslungsarm
... die aber schließlich auch nach Schema F ablaufen

Wertung

PlayStation4

Thematisch ungewöhnlicher, aber mechanisch weitgehend redundanter Railshooter, bei dem selbst die sexuellen Anspielungen am Ziel vorbeischießen.

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