Micro Machines World Series05.07.2017, Jan Wöbbeking

Im Test: Party-Klassiker oder Schnellschuss?

Es wird wieder bunt in der Wohnung: Elf Jahre nach Micro Machines V4 lässt Codemasters erneut Modellautos durch bunte Alltagskulissen flitzen. Auf den ersten Blick verspricht das Gekabbel auf Billardtischen & Co. unkomplizierten Party-Spaß. Doch es gibt einen entscheidenden Haken...

Hübsch und monoton

Im vergangenen Jahr gab es übrigens ein kleines Micro Machines für iOS und Android, aber mit der neuen „World Series“ hatte Codemasters jetzt die Chance, endlich wieder einen großen Auftritt für PC und Konsolen zu starten. Die hübsch umgesetzten Pisten quer durch die Wohnung lassen tatsächlich sofort Nostalgie aufkommen: Mal düsen die Mini-Flitzer inklusive Spiegelungen über einen gefrorenen Teich, anderswo rammt man Spielzeugsoldaten aus dem Weg oder schlängelt sich durch gefährlich blitzende Elektrospulen. Mit zehn Strecken ist die Auswahl zwar nicht gerade üppig, die Kurse wurden aber liebevoll umgesetzt – inklusive kleiner Fallen wie etwa einem Lava spuckenden Vulkan oder brüchigen Eisflächen.

Ab durchs Micro-Biotop: Hier und da ergeben sich Abkürzungen, auf denen sich kleine Hindernisse aus dem Weg schieben lassen.

Auch die vielen kleinen Gadgets passen zum geselligen Gerempel: Eine geschickt platzierte Bombe schleudert aufdringliche Verfolger mit ihrer Druckwelle zur Seite und mit den Gummipfeilen der Nerf-Pistolen verlangsamt man effektiv den Vordermann. Am meisten Schadenfreude verursacht aber der fette Hammer auf dem Dach, mit dem man den Gegner entweder platt macht oder aus dem Weg kloppt, was beim Driften durch die Kurven zu coolen Duellen führt. Die Extras sammelt man wie in Mario Kart auf der Strecke ein.

Inferno im Kinderzimmer

Online bekriegen sich bis zu zwölf Spieler (der Rest wird mit Bots aufgefüllt) in gewöhnlichen Positionsrennen, Arenakämpfen oder den serientypischen Ausscheidungs-Matches, bei denen man seine Mitspieler abhängen muss: Wer auf dem gemeinsamen Bild zu weit zurückfällt und verschwindet, ist draußen und kassiert weniger Punkte für die Gesamtwertung als Mitspieler, die länger durchhalten oder die Runde gewinnen. Wer sich im Wechsel in normale Rennen und Ausscheidungs-Matches stürzt, bekommt einen schönen Modi-Mix. Die Arena-Kämpfe wirken zwar etwas hektisch, sind aber ebenfalls eine nette Abwechslung.

In den Arena-Kämpfen um Zonen, Bomben und Flaggen brennt nicht nur die Luft...

Auf den weiter angelegten Spielfeldern kann man Abkürzungen über kleine Rampen und durch Loopings nehmen und seine Gegner mit zahlreichen Waffen auseinandernehmen. Vehikel wie ein Sportwagen, ein Luftkissenboot oder ein langes Feuerwehrauto besitzen angenehm unterschiedliche Gadgets und Fähigkeiten wie eine Ramme, Wasserspritzen, Rundum-Luftstöße und sogar aufladbare Spezialfähigkeiten wie eine Luftunterstützung durch einen Helikopter. Als praktisch erweist sich auch der defensive Modus des Panzers, der seine Kanone kurzzeitig sehr stark und die Ketten gleichzeitig langsam werden lässt. Wer ein wenig mit den Extras experimentiert, kann sie für das Einnehmen und Beschützen von Zonen nutzen. Weniger Spaß hat mir das hektische Gewusel beim Flaggenklau oder dem Bombenlegen gemacht, bei dem sich fast alle auf neuralgische Punkte der Karte stürzen.

Wo ist denn hier das Spiel?

Klingt bis hierher nach einer Menge Spaß? Leider nur zu Beginn, denn Codemasters hat vergessen, das gelungene Grundgerüst mit Inhalten zu füllen. Es wirkt fast so, als hätte das Team sich erst einmal um Spielmechanik und Strecken gekümmert und dann keine Zeit mehr für eine Karriere oder die Konzeption anderer großer Veranstaltungen gehabt. Stattdessen stürzt man sich in ein Online-Einzelmatch nach dem anderen - zunächst im freien Spiel und nach ein bis zwei Stunden Fleißarbeit auch in gewerteten Matches. In Letzteren arbeitet man sich in Ligen auf der Rangliste nach oben, was auf Dauer ziemlich fade ist. Mangels Mitspielern bekommt man es auch in Internet-Matches oft mit der zu zaghaft und vorhersehbar agierenden KI zu tun. Selbst Spezial-Events starten nur alle paar Tage, vorher muss man Däumchen drehen oder sich mit dem gewöhnlichen Grind zufriedengeben. Für eine immerhin kleine Belohnung sorgen Personalisierungen wie neue Verhöhnungen oder alternative Karosserien.

Das etwas andere Kochduell!

So wird z.B. aus der Baustellenraupe von „Sieglinde Immerzu“ im Handumdrehen ein knallbuntes Speiseeis-Mobil inklusive Bissspuren und Holzstielen. Auch der Monster-Truck mit dreckig grinsendem Teufelsgesicht oder ein an die Addams Family erinnerndes Gruselmobil geben dem Fuhrpark eine persönliche Note. Leider dauert es ziemlich lange, bis man genug Bares für kosmetisches Tuning zusammen hat. Schade auch, dass es keine Leistungs-Upgrades oder wenigstens ein unterschiedliches Handling gibt. Egal ob klobiger Panzer oder Sportflitzer: Beide verhalten sich in der Kurve gleich. Noch trauriger ist, mit welch kargem Angebot das klassische Kernstück des Spiels abgespeist wird: Wer sich lokal mit bis zu vier Spielern vor einem Bildschirm bekriegt, darf lediglich Ausscheidungsrunden starten. Die normalen Rennen fehlen hier - vermutlich wollte sich Codemasters den Aufwand für einen Splitscreen-Modus sparen.

Trauriges Bild auf den Konsolen

Bäm!

Der Kampfmodus aus dem Online-Spiel ist technisch gesehen zwar auch lokal vorhanden, wurde aber zu einem derart simplen Duell vereinfacht, dass wir schon nach Sekunden die Lust verloren. Für noch mehr Ärger sorgt die schlampige Umsetzung auf den Konsolen. Während die PC-Version mit unserer GeForce GTX 980 auch auf höchsten Grafik-Einstellungen perfekt flüssig lief, muss man auf Xbox One, PlayStation 4 und sogar der PS4 Pro mit den gleichen Rucklern leben. Bereits die nur 30 Bilder pro Sekunde wirken aus der Vogelperspektive mit ihrer eingeschränkten Übersicht anstrengend, doch dazu kommen noch zusätzliche kleine Ruckler. Warum haben die Entwickler stattdessen nicht einfach ein wenig die Details und Effekte reduziert?

Fazit

Micro Machines wirkt eher wie Early-Access als eine Vollversion: Zunächst überwiegt noch die Freude darüber, wie knuffig die kleinen Flitzer durch die plastische Miniaturwelt wuseln. Beim Rempeln auf Pisten wie dem Billardtisch macht sich sofort die bekannte Party-Stimmung breit. Es gibt zwar actionreiche Arena-Kämpfe, klassische Rennen und das berühmt-berüchtigte Ausscheiden am unteren Bildrand. Aber schon nach einer Stunde sinkt die Motivation rapide ab, denn Codemasters serviert nur ein Sparprogramm. Für Solisten gibt es fast nichts zu tun: keine Karriere, kein Arcade-Modus, keine Upgrades und nicht einmal Unterschiede beim Handling der Flitzer. Stattdessen werden lediglich einzelne Online-Veranstaltungen oder Bot-Rennen geboten und man muss sich im Netz oft mit schwachen KI-Fahrern herumärgern. Lokal mit Freunden wird es noch trostloser, denn es gibt fast nur Ausscheidungsrennen – die übrigen Modi fehlen oder wurden extrem vereinfacht. Auf den Konsolen wurde das Ganze zudem schlampig umgesetzt, so dass man sogar auf der PS4 Pro mit leichten Rucklern leben muss. Alles in allem ein enttäuschender moderner Auftritt des Party-Klassikers.

Pro

idyllisch-knuffige Miniaturlandschaften
praktische Gadgets und Waffen sorgen für Schadenfreude
plastische Kulisse dank feiner Details und Spiegelungen
spaßige Modi wie Arenakämpfe, Positions- und Ausscheidungsrennen
lustige Lackierungen und optische Modifikationen...

Kontra

keine Karriere oder andere langfristig motivierende Einzelspielermodi
niedrige Framrate mit zusätzlichen leichten Rucklern (Konsolen)
lokal gibt es keine Positionsrennen und nur sehr simple Arenakämpfe
sehr unterschiedliche Fahrzeuge steuern sich gleich
...optische Fahrzeug-Varianten werden sehr langsam freigeschaltet
kein Tuning oder Leistungs-Upgrades
aufgrund von Mitspielermangel ärgert man sich auch online oft mit schwachen Bots herum
Spezial-Events starten nur alle paar Tage

Wertung

PlayStation4

Spaßiges Grundgerüst, wenig dahinter: Micro Machines World Series bietet viel zu wenige Inhalte und leidet auf den Konsolen unter einer schwachen Technik.

XboxOne

Spaßiges Grundgerüst, wenig dahinter: Micro Machines World Series bietet viel zu wenige Inhalte und leidet auf den Konsolen unter einer schwachen Technik.

PC

Spaßiges Grundgerüst, wenig dahinter: Micro Machines World Series bietet viel zu wenige Inhalte.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.