Tempest 400018.07.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Der Ochse ist gelandet

Kaum zu glauben, aber wahr: Nach rechtlichen Drohungen seitens Atari, wütenden Tweets und bizarren Verschiebungen ist Llamasofts Vita-Highlight TxK doch für den großen Bildschirm erschienen. Die Umsetzung für PS4, PC und Xbox One nennt sich Tempest 4000 (ab 17,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) und bombardiert Arcade-Freunde mit noch mehr Farb-Effekten. Eine gelungene Weiterentwicklung des Klassikers Tempest 2000 (zum Klassiker) oder zu viel des Guten?

Hickhack mit Atari

Spiele von Jeff Minter sind nach wie vor etwas Besonderes. Der zottelige Altmeister mit einer Vorliebe für Huftiere und blitzende Weltraum-Shooter werkelt auf seiner Waliser Farm wie in frühen Heimcomputer-Tagen im Zwei-Mann-Team an seinen Arcade-Titeln: Zusammen mit Ivan Zorzin hatte er bereits vor vier Jahren seinen Klassiker Tempest 2000 überarbeitet – mit einem hübsch glühenden Retro-Gitter, ein paar modernen Ergänzungen und einem genialen Rave-Soundtrack (zum Test). Das geschah allerdings unter dem Namen TxK und offenbar ohne die Genehmigung von Atari. Obwohl der einstige Branchenriese fast nichts mehr mit dem Atari der Siebziger bis Neunziger gemeinsam hat, besitzt das Unternehmen die Rechte an der Marke des ursprünglichen Tempest-Automaten, was prompt einige Anwälte auf den Plan rief.

MMMMMMUUUUUUH: Auch Minters Spleen für Huftiere im All darf nicht fehlen.
Llamasoft sollte offenbar das Vita-Original aus dem PSN-Store entfernen, sämtliche Umsetzungen einstellen und sich auch künftig tunlichst von der Marke fernhalten. Das führte wiederum zu wütenden Tweets von Minter , der Ataris erfolglose Konsole Jaguar mit seiner furiosen Neuinterpretation von Tempest damals immerhin etwas beliebter machte. Nach monatelangem Hickhack einigte man sich offensichtlich doch noch, um eine erweiterte TxK-Umsetzung unter dem Namen Tempest 4000 herauszubringen – was allerdings ebenfalls nicht reibungslos ablief: Am 28. April war die PS4-Fassung sogar versehentlich schon ein paar Stunden im US-amerikanischen PSN-Store erhältlich. Warum? Weiß keiner so genau. Gestern war es zumindest auch für alle anderen so weit.

Endlich wieder Hirnfasching!

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Tempest 4000 um ein leicht aufgebohrtes TxK, weshalb wir in diesem Artikel nicht so intensiv auf die Spielmechanik eingehen wie im Originaltest. Am vorderen Ende einer Drahtgitter-Röhre huscht das eigene Schiffchen über den Rand, während aus der Tiefe des Alls geometrische Figuren, blitzende Stachelsterne und andere galaktische Monstrositäten auf den Spieler zu rauschen. Zerlegt man sie nicht rechtzeitig mit der Kanone, erreichen sie den oberen Rand und marschieren bedrohlich nah neben dem Schiffchen entlang, um es bei Berührung in die tödliche Tiefe des Alls zu entführen. Um das zu verhindern, gibt es eine Hand voll Extras wie einen aufgerüsteten Partikelschuss, eine selbstständig agierende Hilfsdrohne oder einen kurzen Sprung vom Gitter, um herumlungernde Störenfriede zu entfernen. Zur Not zündet man eine Smartbombe, die bei geschicktem Einsatz besonders viel Punkte aufs Konto spült. Auf den Punkt gebracht also nach wie vor ein vereinnahmendes Spektakel mit Suchtgefahr, dessen Vorbild schon lange vor Rez die Intensität klassischer Arcade-Action mit Techno-Ästhetik vermischte.

Die Geometrie wurde bei der Umsetzung komplett neu entwickelt - auch wenn man nicht immer viel davon erkennt.
Ein zentrales Element für den Farbrausch sind natürlich die visuellen Effekte – die Llamasoft im Vergleich zum Vita-Spiel noch einmal ordentlich aufgedreht hat. Während man auf dem Handheld trotz der Explosionen meist noch relativ klar erkennbare Linien vor Augen hatte (was vor allem auf dem OLED-Schirm der ersten Vita wunderhübsch aussah), kann es neuerdings selbst für Veteranen etwas überfordernd werden. Immer wieder beginnt das komplette Bild hell zu leuchten, zu wabern oder sich anderweitig zu verzerren. Nach ein paar Spielstunden stehe ich der Neuerung mittlerweile ambivalent oder sogar leicht negativ gegenüber. Der Neon- und Techno-Fan in mir kann gar nicht genug vom noch berauschenderen Feuerwerk bekommen, zumal mir TxK ohnehin einen Deut zu „brav“ aussah – vor allem im Vergleich zum optischen Wahnwitz in Minters Polybius oder gar Space Giraffe. Andererseits leidet aber die Übersicht, so dass es vor allem auf eng verschlungenen Gittern oder in Extremsituationen mit fiesen Gegnerwellen ziemlich chaotisch und knifflig werden kann. Als ich eben noch einmal TxK auf der Vita auspackte, kam ich etwas besser in einen ausgewogenen Flow zwischen Konzentration und Entspannung.

Rave on!

Auf der Vita versetzten mich die entspannten Rave-Melodien sofort in die passende Stimmung für den bunt glühenden Arcade-Trip. In Tempest 4000 gibt es in der Voreinstellung aber erst einmal die klassischen Tracks aus Tempest 2000 (Saturn, PC) zu hören. Auch dabei handelt es sich natürlich um einen der besten Videospiel-Soundtracks aller Zeiten! Wenn man ihn wie ich schon hunderte Male gehört hat, sehnt man sich aber schnell nach den modernen Stücken. [Nachtrag: Drückt während der Level-Wahl auf dem Controller Y oder Dreieck, um den gewünschten Soundtrack auszuwählen - danke an Spiritflare82]. Ein Vorteil ist allerdings, dass der Soundtrack neuerdings viel üppiger ausfällt. Neben den schon erwähnten Liedern sind auch die MOD-Stücke der Jaguar-Fassung von Tempest 2000 enthalten – inklusive einiger Tracks, die seinerzeit aus Platzgründen weggelassen wurden. Da der Jaguar und seine Spiele mittlerweile verdammt teuer geworden sind, war es noch vor ein paar Jahren gar nicht so einfach, die Original-Musik in die Finger zu bekommen. Sie klang eine ganze Ecke härter und technoider als die mit Strings weichgespülten, „trancigeren“ Remixes für Saturn und PC.

Lass dich von deine Gefühlen leiten: In derart verzwirbelten Levels verliert man leider schneller die Übersicht als auf der Vita.
Die Härte ist auch die deutsche Übersetzung. Sie lässt sich aber glücklicherweise auf Englisch umstellen. Wir sind uns nicht sicher, ob „Droide IA“ (für „Droid AI“) eine Minter-typische Anspielung auf einen Esel ist - oder ob einfach die Buchstaben vertauscht wurden. Stilblüten wie „Einsparung“ statt „speichern“ sind aber vermutlich deshalb zustande gekommen, weil Entwickler Ivan Zorzin seine hübsch leuchtenden Vektor-Fonts selbst entwickelt hat und dabei in Zeitnot geriet. Nonsense-Phrasen wie „Eat Electric Death“ heizen den Spieler während der Action traditionell mit britischem Humor an. Zorzin hat dabei offenbar nicht bedacht, dass sich die wild morphenden Worte gar nicht so einfach lokalisieren lassen wie Standard-Schriften. Vor allem, wenn auch lange deutsche oder französische Begriffe passend formatiert über den Schirm wuseln sollen. Im offiziellen Llamasoft-Forum zumindest lässt sich der Entwickler in seitenweisen Fluchtiraden über die Umsetzung der Schriften auf. Sehr unterhaltsam zu lesen bzw. nervig für Llamasoft. Auch gegenüber Arstechnica.com polterte Zorzin: "Wenn es ÜBERHAUPT KEINE Lokalisation gegeben hätte, hätte ich vermutlich neun Versionen von T4K gemacht, inklusive VR“.

Etwas verpeilt…

Bislang scheinen die Chancen für eine Nachreichung eines VR-Updates eher schlecht zu stehen, auch wenn Llamasoft sie noch nicht ausschließt. Momentan können PSVR-Besitzer den Titel aber lediglich im Kinomodus starten. Auch die PC-Version wirkt hier und da noch wie mit der heißen Nadel gestrickt. In den kargen Optionen gibt es weder eine freie Tastenbelegung (die vorgegebene Belegung mit den Pfeiltasten wirkt etwas verkrampft) noch einen Fenstermodus oder Grafikoptionen. Ein schönes Detail ist dagegen erneut das praktische Soundtrack-Menü. Wir empfehlen ohnehin, mit dem Analogstick zu spielen, um das Tänzeln zwischen Leben und Tod im Gegnerchaos feiner dosieren zu können. Das kommt auch dem Spielgefühl des ursprünglichen Tempest-Automaten näher, der ähnlich wie Centipede mit einem analogen Trackball gesteuert wurde. Diese Ur-Fassung aus dem Jahr 1980 ist trotz Ataris Beteiligung übrigens nicht enthalten. Mich stört das allerdings kaum, weil der Oldie heutzutage ohnehin deutlich dröger wirkt als Minters bunter Funkenregen.

Rave in Spielform.
Allgemein wirkt die Veröffentlichungsstrategie ein wenig planlos: Während das Vita-Vorbild nur 6,99 Euro kostete, möchte Atari stattliche 29,99 Euro für die neuen Konsolenfassungen sehen (Llamasoft betonte im Forum , dass sie diesmal keinen Einfluss auf die Preisgestaltung haben). Gerade angesichts der überschaubaren drei Modi (von Beginn an, Survival oder direkter Einstieg in ein späteres Level) dürften einige potenzielle Käufer vom neuen Preis abgeschreckt werden. PC-Nutzer kommen mit 19,99 Euro immerhin etwas günstiger weg. Die PR konnte uns zudem keine klare Antwort zu den Retail-Fassungen geben. Wann in welchen Territorien auch Retail-Versionen in den Handel kommen ist uns nach wie vor nicht ganz klar. Eine kleine Store-Recherche ergab, dass in den USA momentan schon Fassungen für PS4 und Xbox One erhältlich sind. In Großbritannien stießen wir lediglich auf eine PS4-Fassung, die auf Amazon-co.uk für den 10. August gelistet ist. In Deutschland scheint man sich die Box-Version dagegen ganz zu sparen.

PC-Wehwehchen

Peng!
Technisch liefen die Konsolenversionen bei uns einwandfrei (getestet wurde auf PS4 Pro und Xbox One X). Lediglich die (zum Glück ignorierbare) recht schwammige Dualshock-Bewegungssteuerung in den Bonus-Sequenzen nervte ein wenig. Auf dem PC verweigerte in seltenen Fällen der Xbox-One-Controller den Dienst (schaltet ihn am besten immer schon an, bevor ihr das Spiel startet). Laut Forum kann es auf 144Hz-Monitoren außerdem passieren, dass das Spiel zu schnell läuft, was uns aber nicht untergekommen ist. In fernerer Zukunft könnte der Titel übrigens auch für Ataris geplante VCS-Konsole (ehemals „Ataribox“) erscheinen. Im Spiel befinden sich bereits Anspielungen auf das Gerät und auch Atari warb in seiner Kampagne damit. Bisher scheint allerdings noch keine Fassung für das verwendete Linux-Betriebssystem zu existieren.

Fazit

Das wurde aber auch Zeit! Nach all dem Hin und Her hinter den Kulissen ist doch noch etwas Gutes aus dem beigelegten Zwist zwischen Llamasoft und Atari entstanden. Endlich können sich Arcade-Fans auch auf dem großen Schirm Jeff Minters Dröhnung geben. Im Vergleich zum Vita-Vorbild hat Llamasoft den psychedelischen Wahnsinn noch um mindestens zwei Stufen aufgedreht: Der Blitz-pro-Synapsen-Index erreicht zwar nicht ganz die Sphären von Polybius oder Space Giraffe, trotzdem wird es mitunter schon etwas zu viel. Einerseits habe ich mich darüber gefreut, dass das Farb-Chaos jetzt noch schicker aussieht, andererseits wird es vor allem in späteren Levels unübersichtlicher – und dadurch auch noch kniffliger als das ohnehin schon anspruchsvolle Vita-Original. Der Soundtrack fällt diesmal deutlich umfangreicher aus, was vor allem Jaguar-Fans freuen dürfte. Das Wichtigste ist aber, dass auch bei mir sofort wieder die Sucht zugeschlagen hat. Ein echter Klassiker eben, der mechanisch allerdings weniger gründlich modernisiert wurde als etwa Housemarques Defender-Hommage Resogun. Auch die überschaubare Zahl an Modi und Optionen dürfte einige potenzielle Käufer davon abhalten, den Titel für die veranschlagten 19,99 bis 29,99 Euro mitzunehmen.

Pro

zeitlos fesselndes Prinzip
blitzschneller, sehr kniffliger Adrenalinrausch
hübsch glühendes Vektor-Design
wunderbar verspielte und melodiöse Hardcore-Breaks
energiegeladener Soundtrack ist deutlich umfangreicher als in TxK
psychopathische Retro-Soundeffekte
geschickter Einsatz von Extras und Besonderheiten ist überlebensnotwendig
noch intensivere Grafik-Effekte als in TxK

Kontra

nur kleine Neuerungen gegenüber TxK und den Vorgängern
Schwierigkeitsgrad steigt zu abrupt an, vor allem für weniger geübte Spieler
wildere Grafik-Effekte stören die Übersicht stärker als auf Vita
wenige Modi
diverse Steuerungs-Macken und zu wenige Optionen

Wertung

XboxOne

Furiose, knifflige und blitzschnelle Arcade-Action alter Schule, der Effekt-Overkill sorgt später allerdings für leichte Übersichtsprobleme.

PC

Furiose, knifflige und blitzschnelle Arcade-Action alter Schule, die auf dem PC mitunter von kleinen Steuerungsmacken und Optionsarmut gestört wird.

PlayStation4

Furiose, knifflige und blitzschnelle Arcade-Action alter Schule, der Effekt-Overkill sorgt später allerdings für leichte Übersichtsprobleme.

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