Im Test: Explosive offene Welt
Eine persönliche Fehde
In dem erfundenen mittel- bzw. südamerikanischen Land Solís spielt das Wetter verrückt. Grund dafür ist allerdings nicht der Klimawandel. Die Phänomene wie Sandstürme, Tornados oder Gewitterzonen sind bewusst herbeigeführt. Verursacher ist wieder einmal ein Diktator, der hinter diesen Wetterkapriolen sein Sicherheitssystem versteckt. Rico Rodriguez hatte eigentlich keine Ambitionen mehr, sich nach seinen von der „Agency“ gesponserten Despoten-Entsorgungen in Medici, Panau sowie San Esperito, eines weiteren Tyrannen zu entledigen. Eigentlich wollte er in Solís seiner Vergangenheit entfliehen und zur Ruhe kommen. Doch natürlich hat das Schicksal etwas anderes mit ihm vor. Und wie es der Zufall will, soll ihn diese Aufgabe nicht nur mit seiner Vergangenheit in der Agency zusammenbringen, sondern löst auch ein Puzzle seiner Familienhistorie.
Michael-Bay-Filme: Das Spiel
Die große Qualität der Reihe war ohnehin immer die explosive Action, an der Michael Bay mit Sicherheit seine Freude hätte. Und auch das ist hier basierend auf dem, was Avalanche New York mit den Mechaniken von Just Cause 3 als Basis anbietet nicht anders. Immer noch mit einem potenten Greifhaken, einem Fallschirm sowie einem Wingsuit ausgestattet, hat Rico zusätzlich Zugriff auf ein breit angelegtes Waffen- und Fahrzeugarsenal, um mit seinen Gegnern fertigzuwerden oder die Infrastruktur des bösen Diktators imposant in Schutt und Asche zu legen. Die Söldner der Schwarzen Hand sind übrigens auch keine Unbekannten und haben in anderen Serienteilen bereits eine Rolle gespielt.
Territorien und Schnickschnack
Um sich die Upgrades bzw. Modifikationen für seinen Greifhaken anschaffen zu können, muss man allerdings Aufgaben für drei Personen erledigen. Sargento ist quasi der Rekrutierer für die "Armee des Chaos", die Rico um sich schart und verantwortlich für Veränderungen an den Ballons. Javi ist ein Archäologe, der Hilfe braucht, um Grabmale zu erforschen. Als Belohnung gibt es von ihm Verbesserungen der Zugseile. Garland hingegen ist eine Regisseurin, die in Solís eine ganze Barrage an Action-Filmen zu drehen scheint und Rico als ihren neuen Hauptdarsteller/Stuntmen in Personalunion auserkoren hat. Um Modifikationen für die Schubraketen zu bekommen, muss man mit dem Wingsuit Ringe in einem bestimmten Zeitraum durchqueren, wieder andere Ringe mit einem bestimmten Fahrzeug passieren oder Geschwindigkeitsrekorde brechen. Etwas Ähnliches gab es bereits im Vorgänger. Doch dort waren die Aktivitäten nicht ganz so harmonisch in den Spielfortschritt eingebunden. Zudem ist hier zunehmend der Einsatz der Greifhaken-Fähigkeiten in jeglicher Form oder ein genaues Studieren der Umgebung gefragt. Wie soll man das Boot auf die Terasse bekommen, während man drin sitzt oder das Auto durch die Zielmarkierung bugsieren, die gut 30 Meter über dem Boden in einer Windfarm zu finden ist? Mit diesen Kopfnüssen wird der Action-Spielplatz auf jeden Fall aufgewertet – auch wenn der Weg zu den Schauplätzen meist deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt, als die Aufgabe an sich. Allerdings hätte bei den Rekruten-Missionen mehr Abwechslung gut getan. Auf dem Papier unterscheiden sich die Aufgaben zwar, doch letztlich fährt man fast immer mit zwei Nachwuchs-Soldaten von A nach B, danach zu C und D, vielleicht noch zu E oder F und erledigt dort ein Ziel im Kampf – bzw. sammelt es ein. Das wird auf Dauer zu vorhersehbar.
Der Action-Spielplatz
Denn so imposant Avalanche abermals die Action rund um Rico Rodriguez inszeniert, nutzt sie sich auf Dauer ab. Auch wenn zunehmend neue Waffen, Fahrzeuge oder neue Gegnertypen eingesetzt werden und ich mich partout nicht an den Bildschirm füllenden Explosionen oder den physikalisch passablen Auswirkungen meiner Umgebungsmanipulationen satt sehen kann. Allerdings zeigt sich die KI auch in Solís weiterhin von ihrer spröden Seite. Nicht bei ihren Angriffen, wohlgemerkt: Sowohl die gegnerischen Soldaten als auch vor allem die bei Bedarf eingesetzten Mitstreiter der Chaos-Armee, die einen bei bestimmten Situationen unterstützen, sind nicht zu unterschätzen und bei den Feinden vor allem in der Masse eine enorme Gefahr. Zumindest solange sie sich nicht am Steuer eines Fahrzeugs befinden. Dann nämlich setzt zu häufig ein kollektives Aussetzen ein. Sie fahren wie Berserker durch die Botanik, rammen Mauern oder ihre Kollegen. Und kommt bei einer Schutzmission, in der man das Fahren der KI überlassen muss, ein unerwartetes Hindernis, weiß der Kollege einfach nicht damit umzugehen. Er setzt zurück, bis er beinahe von einer Brücke fällt. Oder er bremst und bleibt davon stehen, weil er offensichtlich nicht den Weg vorbei findet. Auch andere Titel haben mit dem Fahrverhalten der KI in der offenen Welt Probleme. Doch so gravierend und einen aus der Welt ziehend wie hier sind sie nur selten. Natürlich ist mir klar, dass Just Cause 4 wie seine Vorgänger ein
Mit zwei Elementen jedoch kann Avalanche mich in diesem Bereich wieder milder stimmen: Zum einen bieten sie einem immer wieder Ruhepausen, um nach den mitunter sehr chaotischen Auseinandersetzungen wieder zur Ruhe zu kommen, wenn mann sich mit Fallschirm und Wingsuit nur mit dem Rauschen des Winds im Ohr über Solís zum nächsten Missions- oder Aktivitätsstart bewegt. Und zum anderen nutzen sie die Upgrades der hauseigenen Apex-Engine, die auch bei Rage 2 zum Einsatz kommen wird, um den Kampf gegen die Wetterphänomene sehr imposant und dramatisch zu inszenieren. Wenn man in einem Mega-Gewitter darum kämpft, nicht von den um einen einschlagenden Blitzen getroffen zu werden, in einem Sandsturm mit nur geringer Sichtweite die Umgebung navigieren muss oder mit seinem Wingsuit vor einem Tornado flieht, der alles in seiner Bahn zerstört, ist das gleichermaßen eindrucksvoll wie intensiv. Auch, weil man dies in dieser Form noch nie bzw. sehr selten zu sehen bekam. Da allerdings auch Mad Max von Avalanche stammt, das mit seinem Endzeit-Wüstenszenario ebenfalls Sandstürme anbot (wenngleich nicht in dieser Intensität), bin ich nicht einmal ansatzweise erzürnt, dass man sich bei sich selbst bedient – insbesondere, da es hier plausibel eingefügt wurde. Überhaupt wird bei allen Aufgaben, die mit dem Kampf gegen die von menschlicher Hand herbeigeführten Naturgewalten, genau die Abwechslung geboten, die man bei vielen der Eroberungs- oder Nebenmissionen vermisst.
Was wäre, wenn?
In einem anderen Punkt hat man ebenfalls aus dem Vorgänger gelernt: Die deutsche Lokalisierung ist deutlich besser gelungen als seinerzeit der Versuch, mit u.a. Gronkh und Moritz Bleibtreu (den ich als Schauspieler schätze) neue Zielgruppen über die Popularität der Sprecher zu gewinnen. Denn das Ergebnis konnte sich nur eingeschränkt hören lassen, was mich allerdings nur mehr darin bestärkte, auf die englische Sprachspur zu schalten, die damals deutlich besser war. In Solís bevorzuge ich auf Dauer zwar auch die englische Variante, muss mich aber bei der lokalisierten Variante nicht immer schütteln – alles klingt deutlich angenehmer, die Sprecher machen einen besseren Job. Insofern: Selbst wenn es immer noch Moritz Bleibtreu wäre, füllte er die Rolle hier überzeugender aus. Weniger zufrieden hingegen bin ich bei der Kulisse, die mich durch ein Wechselbad der Gefühle jagt. Avalanches Engine ist mächtig, keine Frage. Sowohl die unterschiedlichen Vegetationszonen wie Wüste, Grasland, verschneite Gebirge oder Küstenareale als auch die Städte und Gemeinden werden ebenso stimmungsvoll auf den Bildschirm gebracht wie Wettereffekte und die allgegenwärtige explosive Zerstörung. Man macht hinsichtlich des Detailgrads deutliche Fortschritte zum Vorgänger. Auch die Geschwindigkeit lässt keine Wünsche übrig. Und solange man in Bodennähe bleibt, stört nur die Bewegungsunschärfe ein wenig, die man am PC mit seinen eher spartanischen Grafikoptionen auch deaktivieren darf.
Fazit
In der Vorschau hatte ich noch die Hoffnung, dass sich Just Cause 4 mit Spider-Man oder Assassin‘s Creed Odyssey im Kampf der offenen Welten einen spannenden Schlagabtausch um den Platz hinter Red Dead Redemption 2 liefern würde. Doch auch wenn Ricos neuer Action-Ausflug in einigen Bereichen besser ist als sein Vorgänger, vor allem was Fortbewegungs-Dynamik und Ruhephasen betrifft, gibt es abseits der altbekannten Storyschwäche zu viele neue Probleme. Das fängt schon bei der Kantenbildung, der Zeichendistanz sowie dem Aufploppen von Texturen an, wofür zumindest die Darstellung der Naturgewalten und deren Einbindung in die Missionsstruktur etwas hinweg trösten kann. Aber die hauseigene Apex-Engine wurde weder für PC noch Konsole optimiert, denn der Hardware-Hunger ist enorm. Die ebenfalls mit recht großen Arealen ausgestatteten Ghost Recon Wildlands oder Far Cry 5 umschifften das eleganter und sahen im Detail nicht unbedingt schlechter aus. Zusätzlich zu den visuellen Schwierigkeiten wird man auch noch von der Fahrer-KI mit ihren unsäglichen Aktionen immer wieder unsanft aus der eigentlich stimmungsvollen Welt von Solís gerissen; außerdem ist die Gebietseroberung zu oberflächlich. Das ist umso bedauerlicher, da die Kernkompetenz der Just-Cause-Serie so gut umgesetzt wurde wie schon lange nicht mehr: In ihren besten Momenten lässt einen die explosive Action mit Bildschirm erschütternden Detonationen und Feuerbällen atemlos zurück. Aber das Potenzial dieses Szenarios wird über knapp 20 Stunden immer wieder ausgebremst.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Die Essenz der Serie ist immer noch spürbar und bietet nach wie vor richtig gute sowie explosive Action-Unterhaltung, doch der enorme Hardware-Hunger der Apex-Engine torpediert den Spaß immer wieder.
XboxOne
Avalanche hat die Apex-Engine auf Konsolen nicht im Griff, so dass die explosive Action immer wieder durch Mankos der Kulisse ausgebremst wird.
PlayStation4
Avalanche hat die Apex-Engine auf Konsolen nicht im Griff, so dass die explosive Action immer wieder durch Mankos der Kulisse ausgebremst wird.
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Season Pass, dessen Inhalte keine bzw. nur minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.