Cyberpunk 207717.06.2018, Michael Krosta

Vorschau: Shooter oder Rollenspiel?

Endlich ist die Katze aus dem Sack: Auf der E3 präsentierte CD Projekt Red nicht nur einen Trailer, sondern erstmals auch echte Spielszenen rund um das ambitionierten Rollenspiel Cyberpunk 2077 (ab 29,26€ bei kaufen). Was das Team aus Polen alles vorhat und welchen Eindruck die Vorstellung bei uns hinterlassen hat, klären wir in der E3-Vorschau...

Ein Shooter?

Nicht nur ich, sondern auch manch anderer dürfte sich zunächst verwundert die Augen bei dem gerieben haben, was sie da auf dem Bildschirm gesehen haben: Aufgrund der Ego-Ansicht, in Kombination mit einer futuristischen Wumme im Anschlag und reichlich viel Action könnte schnell der Eindruck entstehen, dass Cyberpunk angesichts der Szenen eher als Action- denn als Rollenspiel wahrgenommen werden könnte. Dessen ist man sich auch bei CD Projekt Red bewusst und daher wird man nicht müde zu betonen, dass im Kern ganz klar weiterhin die Rollenspiel-Aspekte im Vordergrund stehen sollen.

In manchen Augenblicken erinnert Cyberpunk 2077 eher an einen Shooter als an ein Rollenspiel.
Das soll bereits die Charakter-Erstellung unterstreichen, denn man hat nicht nur die Wahl zwischen einem männlichen oder weiblichen Protagonisten, sondern kann auch dessen Aussehen mit vielen Detail-Optionen nach Lust und Laune selbst gestalten. Die Biographie ist allerdings vorgegeben: Man übernimmt die Rolle von V und verdient sich seinen Lebensunterhalt in dieser dystopischen Zukunft als Söldner, der sich von einem Auftrag zum nächsten hangelt. Wie sich die Geschichte entwickelt, liegt allerdings ganz in den Händen des Spielers, der die Handlung mit seinen Entscheidungen maßgeblich formen soll. Kein Wunder, denn neben der recht expliziten Darstellung nackter Körper sowie sexueller Themen will man auch hinsichtlich des Story- und Questdesigns dort weitermachen, wo man zuletzt bei The Witcher aufgehört hat.

Zwei Arten von Erfahrungspunkten

Entsprechend wird es nicht nur Hauptmissionen geben, in denen sich die Geschichte rund um kontrollwütige Konzerne sowie die zunehmende Kluft zwischen Armen und Reichen weiterentwickelt. In zahlreichen Nebenmissionen taucht man nicht nur tiefer in die Welt ein, sondern erhält auch Zugriff auf spezielle Händler und damit auch seltene Hightech-Upgrades oder Körperteile, die sich sogar auf die Bildschirmanzeigen auswirken können. Denn hat man eine dieser Augmentationen wie eine Augen-Verbesserung mit Scan-Funktion installiert, ändert sich auch entsprechend das HUD.

Man soll sich mit allen erdenklichen Vehikeln durch die Metropole bewegen können.
Während man für das Abschließen der Hauptmissionen so genannte Core XP erhält, wird man für Nebenmissionen mit einer zweiten Art von Erfahrungspunkten belohnt, die sich StreetCred nennt und quasi den gesellschaftlichen Status definiert. Passend dazu kann man sogar mit feschen Klamotten den StreetCred-Wert steigern.

Kein Klassensystem

Die übliche Einteilung in vorgeschriebene Klassen soll es nicht gehen. Stattdessen sollen die getroffenen Entscheidungen die Persönlichkeit von V formen und es dadurch ermöglichen, Fähigkeiten verschiedener Klassen zu kombinieren.

Bei den Auseinandersetzungen setzt man dank des entsprechend großen Arsenals an Hightech-Waffen sowohl auf Nah- als auch den Fernkampf. Dabei stehen V drei Systeme zur Verfügung: Während Power Weapons die größte Durchschlagkraft aufweisen, schalten Tech Weapons vor allem die Deckung und Schutzschilde aus, während Schüsse aus Smart Weapons dank ihrer künstlichen Intelligenz die Gegner sogar verfolgen. Selbst eine stylische Bullet-Time wird geboten – da lässt die Matrix grüßen! Gerät man selbst unter Beschuss, kann man dagegen ein aktives Deckungssystem nutzen. Oder es aber gar nicht erst so weit kommen lassen: Laut den Entwicklern wird auch Schleichen häufig eine Alternative zum offenen Gefecht darstellen. So kann man sich z.B. unauffällig von hinten an einer Wache nähern, sie überwältigen und anschließend hacken, um sich nützliche Aufklärungsdaten zu beschaffen. Darüber hinaus scheint sich CD Projekt Red auch von den polnischen Kollegen von Techland inspiriert haben zu lassen, denn mit Wandläufen ist V ähnlich agil wie die Spielfigur in Dying Light oder Faith aus Mirror's Edge. Die Gegner sollen sich übrigens nicht der Stufe des Spielers anpassen, leveln also nicht automatisch mit.

Eine lebendige Stadt

Als Schauplatz dient eine fiktive Metropole innerhalb einer alternativen Zeitlinie, die auf den Namen Night City hört und zwischen Los Angeles und San Francisco angesiedelt ist. Sie besteht aus sechs großen Distrikten, die sich stilistisch merklich voneinander unterscheiden und jeweils in ganz eigenes Flair ausstrahlen sollen. Die Entwickler versprechen, dass es keine Ladeunterbrechungen geben soll, wenn man sich in der dystopischen Spielwelt und zwischen den Distrikten bewegt. Im Gegensatz zu den weiten Landschaften aus The Witcher 3 konzentriert man sich hier mit vielen mehrstöckigen Wolkenkratzern allerdings mehr auf eine vertikale Ausrichtung.

Neben Faktoren wie dem dynamischen Tag- und Nachtwechsel soll vor allem das Verhalten der NPCs dafür sorgen, dass sich die gewaltige Stadt lebendig anfühlt: Jeder der Bewohner soll laut CD Projekt Red einem individuellen Tagesablauf folgen und sich auch an die Regeln innerhalb der Spielwelt halten. An roten Ampeln hält die Menge z.B. an und überquert erst dann die Straße, wenn sie umschaltet. Um für mehr Dynamik zu sorgen wäre es allerdings cool, wenn nicht alle Bürger roboterartig die

Die sechs Distrikte von Night City sollen sich stilistisch deutlich voneinander unterscheiden und ohne Ladeunterbrechungen besucht werden können.
Vorgaben befolgen würden, sondern man zwischendurch noch Leute beobachten könnte, die noch im letzten Moment über die Kreuzung spurten und von einem aufgebrachten Hupkonzert ungeduldiger Fahrer begleitet werden.

Cyberpunk-GTA

Apropos: Man selbst muss sich bei der Erkundung der Metropole nicht zwingend die Füße wund laufen, sondern kann sich ebenfalls hinter das Steuer diverser Vehikel klemmen. Laut Angaben der Entwickler ist jedes von ihnen benutzbar, das man in der Spielwelt sieht. Na, da weht doch gleich eine Prise GTA durch die Cyberpunk-Luft. Der Eindruck wird dadurch verstärkt, dass auch die Vehikel in die Kämpfe eingebunden werden können und man sich manchmal während der Fahrt heftige Schießduelle liefert.

Ausblick

Cyberpunk 2077 ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. In meinem Kopf war das Spiel immer nur eine Fortführung des Witchers in einem neuen Szenario. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass CD Projekt Red hier in den Gefilden eines Deus Ex wildert und mit wuchtigen Actioneinlagen stellenweise sogar wie ein ausgewachsener Shooter wirkt. Selbst ein Hauch von GTA wird spürbar, wenn man mit Vehikeln durch die riesige Metropole saust, die mit ihren grell leuchtenden Reklamen an hohen Wolkenkratzern, dem hochtechnisierten Moloch und Themen wie der Informationskontrolle, Implantaten und Hacking alles auffährt, was man sich an Cyberpunk-Flair wünscht. Die Präsentation konnte trotz ihres ordentlichen Umfangs allerdings nur einen Bruchteil von dem zeigen, was das finale Spiel ausmachen wird. Doch schon dieser kleine Appetithappen zeigt eindrucksvoll, wo CD Projekt Red hin will, welche Visionen und Ambitionen das Team mit diesem überraschend actionreichen Cyberpunk-Rollenspiel verfolgt. War der Trailer auf der Microsoft-Pressekonferenz noch relativ nichtssagend, hat man jetzt endlich eine konkrete Vorstellung davon, wie Spielkonzept und Mechaniken aussehen. Klar erinnert dabei viel an Deus Ex. Doch abgesehen von der beeindruckenden Technik dürfte man sich auch aufgrund des größeren Schwerpunkts auf die Rollenspiel-Komponente von dem geistigen Verwandten abheben. Wenn es neben The Last of Us 2 einen Titel gibt, den ich als Spiel der Messe bezeichnen müsste, dann wäre es höchstwahrscheinlich Cyberpunk 2077.


Einschätzung: sehr gut / Fit4Hit

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