Vorschau:
Die Holzhammer-Moral
Ich bin nicht alleine unterwegs: Auf meinen Streifzügen durch die Stadt werde ich von der jungen Fetch beleitet, die ebenfalls übernatürlich begabt ist. Sie geht gegen Drogendealer in der Umgebung vor, was Delsins Bruder auf den Plan gerufen hat. Dieser ist Cop, hat sein Leben im Griff und ist der Gegenentwurf zum anarchischen Protagonisten, der seine Zeit lieber mit Graffitisprayen verbringt. Zwar ist klar, dass die Beziehung der beiden Brüder eine wichtige Rolle spielen wird, mehr wird allerdings nicht verraten. Auch wie Delsin und Fetch sich kennenlernen bleibt zunächst ein Geheimnis.
Trotzdem muss ich mich direkt zu Beginn der kurzen Vorschauversion entscheiden: Will ich Fetch zu einer selbstbeherrschten Kämpferin des Guten machen, oder soll sie als ruchlose Killerin alle Feinde der „Conduits“, wie die Menschen mit Superkräften genannt werden, eliminieren? Zunächst entscheide ich mich für die gute Variante, die klar farblich gekennzeichnet ist. Grautöne? Gibt es nicht! Die Auswahl ist Schwarz-Weiß und so subtil wie ein Holzhammer. Ob sich Fetch durch diese Entscheidung dauerhaft verändern wird und man nicht nur den eigenen, sondern auch ihren Charakter beeinflussen kann, bleibt abzuwarten.
Arsenal der Superkräfte
Natürlich gibt es auch weiterhin die klassische Entscheidung zwischen Töten oder Gefangennehmen, die wie in den Vorgängern mein Karma in eine Richtung verändert. In der Vorschau-Version stehen mir dazu „Neon-“ und „Rauchkräfte“ zur Verfügung, die sich an verschiedenen Stellen im virtuellen Seattle aufladen lassen. Neon-Energie erhalte ich überall dort, wo Leuchtreklamen oder Bildschirme blinken; meine Rauchkraft wird durch Schornsteine und Feuertonnen aufgefrischt. Ich kann aber immer nur eine aktive Kraft nutzen: durch das Aufladen an der jeweils anderen Quelle wird die Fähigkeit getauscht. Später sollen noch weitere Varianten hinzukommen.
Geballte Partikelkraft
Diese Kräfte überzeugen mit ansehnlichen Partikel- und Lichteffekten. Wenn sich Delsin in eine Wolke verwandelt oder Gegner im Nahkampf mit wuchtigen Schlägen attackiert, während im nächtlichen Seattle der Regen von den Neoreklamen tropft, ist Second Son ziemlich hübsch. Auch die Mimik der Figuren ist dank der detaillierten Gesichtserfassung der Schauspieler äußerst stimmig. Allerdings kann die Umgebung nicht ganz mit den hohen Ansprüchen an Sonys hauseigene PS4-Titel mithalten. Zudem geht zu wenig kaputt: Zwar gibt es einige zerstörbare Objekte, aber Lichter, Fassaden, Scheiben oder Autos bleiben großteils intakt. Dies wirkt im Angesicht der entfesselten Kräfte nicht gerade authentisch.
Lineares Missionsdesign
Allerdings ist auch diese Variante des Geschehens streng linear: gegen Ende muss ich Fetch aus einem Tunnel befreien, der von der DUP gesperrt wurde. Ich habe mich gegen den Kampf entschieden und habe das (eingestürzte) Ende der Unterführung erreicht, ohne einen DUP-Officer zu töten. Allerdings war hier Schluss: Erst nachdem ich jeden einzelnen Feind im Tunnel ausgeschaltet oder gefangengenommen hatte, wurde der Trigger ausgelöst, der die Mission beendete. Dies wirkte nicht nur herkömmlich, sondern schränkte mich in meiner Verhaltensweise gegenüber der Fraktionen im Spiel empfindlich ein.
Ausblick
Zugegeben, ich habe nicht viel gesehen. Dennoch scheint Sucker Punch den einfachen Weg zu gehen: InFamous: Second Son wirkt auf mich wie die typische Minimierung jeglichen Risikos. Ein cooler Protagonist mit weiblichem Sidekick trifft auf viel Action mit mächtigen Superkräften. Gleichzeitig gibt es herkömmliches Missionsdesign, Holzhammer-Moralentscheidungen und bisher wenig Raum für die interessanten Grautöne. Leider passt die Aussage „Wir wollen statt der moralischen Entscheidungen mehr Spaß in einer offenen Welt“ auf diese Vorschau-Version sehr genau. Ja, die Kulisse von Second Son ist ziemlich hübsch, auch wenn sie bei der Umgebung etwas hinter den hohen Ansprüchen an die PS4 zurückbleibt. Ja, die schnelle, unkomplizierte Bewegung und die Superkräfte machen durchaus Spaß. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass Charaktere und subtile Zwischentöne bei dieser Ausrichtung viel zu kurz kommen.
Einschätzung: befriedigend
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