Detroit: Become Human23.04.2018, Jan Wöbbeking

Vorschau: Was bedeutet eigentlich Menschsein?

„In zehn Jahren ist es zu spät“  - diese Prognose von Fabian Westerheide sorgte auf einem Event zu Detroit: Become Human (ab 13,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) nicht gerade für eine Wohlfühl-Atmosphäre. Die Menschheit müsse sich schon vorher überlegen, wie sie damit umgeht, wenn Maschinen lernen, eigenständig zu lernen. Sony hatte den KI- und Robotik-Experten eingeladen, um auszuloten, wie wahrscheinlich eigentlich die Zukunftsvision des Adventures ist, das am 25. Mai für die PS4 erscheint.

Arbeitserleichterung oder jüngstes Gericht

Ich habe selten erlebt, dass ich von einem Event mit einem mulmigen Gefühl nach Hause gefahren bin, doch die Berliner Diskussionsrunde mit Fabian Westerheide (Unternehmer, Investor und Redner im Bereich von Drohnen, Robotik und künstlicher Intelligenz) und Andreas Brandhorst (Science-Fiction-Autor) ließ mich doch etwas nachdenklich zurück. Sie haben zwar kein Horror-Szenario an die Wand gemalt, in dem Skynet schon vor der Tür steht, um alles in Schutt und Asche zu legen; und auch die Vorteile als Arbeitserleichterung  wurden thematisiert. Doch unsere Gesellschaft befindet sich offenbar näher an der im Spiel gezeigten Vermischung mit Künstlicher Intelligenz und Robotern als ich es mir ausgemalt habe. Man könnte und sollte zwar Regeln für die gemeinsame Existenz entwerfen - so der Tenor. Und für die Bereiche, in denen man intelligenter Technik die Kontrolle überlässt. Doch „Wir müssen uns heute im Klaren sein, welche Werte wir verkörpern, weil die Maschinen lernen von uns“, postulierte Westerheide. Der biologische Mensch werde dagegen irgendwann in der Minderheit sein.

Androiden-Diener Markus bekommt bei seinem alternden Besitzer viel Raum, seine Persönlichkeit zu formen - auch wenn es technisch gar nicht so vorgesehen war.
Im Laufe des Spiels proben manche Androiden den Aufstand gegen die als unfaire Sklavenhalter empfundenen Herren. Daraufhin lässt sich das Problem offenbar gar nicht mehr so leicht eindämmen. Vor allem in Sequenzen des Roboter-Butlers Markus soll man dabei häufig vor Entscheidungen gestellt werden, wie resolut man für die Befreiung gegen Menschen kämpfen möchte. Auch in der Realität sei es letztendlich eine Illusion, dass man irgendwann den Stecker ziehen könne, erläutert Brandhorst, der sich bei Recherchen für seinen aktuellen Roman Das Erwachen einen ausführlichen Überblick über die Forschungslage verschafft hat: „Die Forscher sind sich der Gefahr bewusst, machen aber munter weiter, weil man damit richtig schön Geld verdienen kann." Also ähnlich wie seinerzeit beim riskanten ersten Test der Atombombe.

Ethische Bedenken

Dazu kämen die machtpolitischen Vorteile, die für Unternehmen oder Staaten mit geringen ethischen Bedenken viel zu groß seien, um die Gelegenheit auszulassen: „Putin hat gesagt, wer die KI beherrscht, beherrscht die Welt – und da ist was Wahres dran“, so Brandhorst. Die Gesellschaft müsse sich also die Frage stellen, welchen Grad der Autonomie sie etwa Kampfdrohnen zugesteht: Schon heute gibt es laut Westerheide Exemplare, die notfalls auch autonom töten können, wenn die Funkverbindung zu ihrem „Piloten“ am Joystick abbricht.

Die vorsetzlich von ihrem Besitzer zerstörte Kara erlebt das Beginn des Abenteuers in der Werkstatt - es wurden schließlich alle Spuren der "Fehlfunktion" aus dem Erinnerungsspeicher gelöscht.
Der Mensch in der Zentrale müsse im Moment des Abschusses nicht mal mehr einen Knopf drücken. Selbst in sozialen Netzwerken wie Facebook ist die KI allgegenwärtig: Algorithmen nähmen bereits heute großen Einfluss darauf, aus welchen Informationen  sich unsere persönliche Realität zusammensetzt. Auch Detroit: Become Human konzentriert sich auf die persönlichen Aspekte der Zukunftsvision. Der CEO des Entwicklers Quantic Dream, Guillaume de Fondaumière, erklärte in Berlin, dass das Datum der Handlung anhand einer Umfrage ausgesucht wurde. Ca. 50% der befragten Wissenschaftler hätten geantwortet, dass die im Konzept beschriebene Gesellschaft bereits im Jahr 2040 realistisch sei – passend dazu spielt das Abenteuer im Jahr 2038. Dann sollen Roboter mit menschlichen Zügen im Alltagsleben nicht mehr wegzudenken sein.

Drei Figuren, viele Entscheidungen

Um die Sache interessanter zu machen, schlüpft man als Spieler selbst in die Rolle von drei künstlichen Figuren. Sie müssen im bekannten Stil von Quantic-Dream-Spielen jede Menge Entscheidungen treffen und ihren Alltag meistern. Der kalt und mechanisch agierende Connor ist ein Prototyp, der menschlichen Ermittlern bei der Aufklärung von Verbrechen hilft, an denen Androiden beteiligt sind. Kara sucht nach Identität, Liebe und Empathie wird durch ihr Mitleid mit einem kleinen Mädchen und ihren gemeinsamen Wunsch nach Freiheit zur Gejagten. Markus schließlich soll sich zum Anführer der Rebellion der Androiden aufschwingen. In der realen Welt versuche vor allem China, mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz bis 2030 die Welt zu beherrschen, so Westerheide: Ein Ziel sei es, die Dominanz der US-amerikanischen App-Hochburg Silicon Valley zu brechen. Der KI-Spezialist sorgt sich dabei vor allem um den Verlust europäisch geprägter Werte und Ethik:

„Sind’s amerikanische Freiheitswerte oder werden es die russischen Werte sein? Unsere europäischen Werte sind nicht definiert - und wir sind technologisch so weit hintendran. Ich habe dazu Studien gemacht: Wir haben einen Marktanteil von drei Prozent in Deutschland (…) Es gibt keine deutsche Zukunft im Moment. Unsere Werte werden nicht in diesem System drin sein, ergo werden wir überhaupt nicht mehr repräsentativ. Und da habe ich persönlich viel mehr Sorge drum, in einer Welt zu leben, in der ich keinen Einfluss mehr auf die Moral habe. Denn das amerikanische Auto entscheidet einfach in einer Situation, wie es für seinen Wertekodex am besten handelt“.

Etwas hölzern…

Andreas Brandhorst (links) und Fabian Westerheide trafen beim Berliner Podiumsgespräch recht ähnliche Prognosen.
Beim Anspielen spielten solche übergeordneten Gedanken zunächst kaum eine Rolle: Stattdessen fiel als erstes die haklige Steuerung negativ auf. Warum konzentrieren sich die Gesten so stark auf Halbkreisbewegungen des rechten Sticks? Sie kommen sich schließlich immer wieder mit der Kamerasteuerung in die Quere. Auch das Streichen übers Touchpad oder andere Eingaben gehen zu Beginn nicht wirklich natürlich von der Hand. Nach einigen Mi nuten hatten wir uns aber daran gewöhnt. Dann navigierten wir flüssiger durch die futuristische Welt und begannen, die dichte Atmosphäre zu genießen. Zu Beginn erledigt man noch eher profane Aufgaben wie Aufräumen. Nicht besonders spannend, aber es macht den Alltag eines Droiden greifbar und bietet einen passenden, unaufgeregten Einstieg in die fremdartige Welt.Es ist nun mal die Aufgabe der Haushaltshilfe Kara, die Küche aufzuräumen, den Müll herauszubringen und sich nebenbei vom herrschsüchtigen Besitzer anschreien zu lassen. Die Introsequenz in der Werkstatt lässt keine Zweifel daran, dass er seine künstliche „Ersatz-Frau“ als Ziel seiner Gewaltphantasien missbraucht. Auch seine bemitleidenswerte Tochter Alice wirkt reichlich eingeschüchtert, wenn er sie wieder einmal betrunken anbrüllt.

Mitten im Familiendrama

Ein Vorteil an den Fleißarbeiten ist, dass man auf dem Streifzug durchs Haus Hintergründe des Familiendramas erfährt. Nebenbei kundschaftet man schon einmal den Hinterhof als potenziellen Fluchtweg aus oder gewinnt mit geschickten Dialogen das Vertrauen der eingeschüchterten Tochter. Nachdem sie sich aus ihrem mit Polstern gebauten Rückzugsort wagte, überreichte sie mir z.B. einen Schlüssel, der später noch nützlich werden könnte. Wie die Eskalation später abläuft, haben wir aufgrund der begrenzten Spielzeit noch nicht erfahren. Die relativ stark verzweigten Diagramme am Ende jeder Szene ließen aber bereits erahnen, dass die eigenen Wege und Abwägungen später noch eine wichtige Rolle spielen könnten. Auch Markus beginnt zu menscheln und seine Rolle als Mitglied der Gesellschaft zu überdenken: Auf einem Botengang zum Malerbedarf führt mich meine Neugier an einer lautstarken Demonstration vorbei.

Quantic-Dream-CEO Guillaume de Fondaumière möchte mit seinem Spiel Fragen anstoßen, statt sie zu beantworten.
Wie sich herausstellt, wird Markus dort selbst zum Ziel der aufgebrachten Masse, denn sie demonstrieren gegen den Jobnotstand, der sich durch Arbeitsandroiden offenbar stark verschärft hat. Nach einem kurzen Gerangel versucht ein besonders wütender Demonstrant, Markus das Licht auszuknipsen. Glücklicherweise schreitet rechtzeitig ein Polizist ein: „Keine Beschädigung von Arbeitsdroiden!“ lautet die Devise, mit der er Mark nicht nur in Sicherheit bringt, sondern auch ein wenig Unbehagen beim Spieler auslöst. Obwohl ich mich bereits ein wenig mit dem gesittet agierenden Roboter identifiziert habe, machte der Satz bewusst, dass es sich in den Augen der Gesellschaft nur um ein Gut handelt. Nach der Rückkehr im vollgestopften Androiden-Bus (der übrigens wie der „Mover“ von Schaeffler mit drehbaren Rädern seitlich auf die Straße gleitet) macht sein Besitzer ihm allerdings klar, dass er mehr in Mark sieht als nur ein Objekt.

Futuristischer Gleiter

Bisher wirkten die meisten Spielfiguren ziemlich kurz angebunden, die alltäglichen Dialoge fügten sich aber natürlich in die Handlung ein.
Er nimmt die typische Rolle eines alternden Künstlers ein, der sich mit seinem aufmüpfigen Sohn zerstritten hat und sich mehr und mehr mit dem folgsameren Androiden anfreundet. Die Präsentation des Themas wirkt zwar etwas klischeehaft und abgegriffen (inklusive dramatischem Auftritt des Sprösslings) - sie eignet sich aber allemal dazu, das Thema von Markus‘ Identitätsfindung anzuschneiden.Ein wichtiger Teil davon ist die Entdeckung seiner Kreativität. Statt immer nur Stillleben von Objekten wie einer Büste zu zeichnen, soll er endlich mal die Augen schließen und eine persönliche Interpretation wagen. In der Praxis läuft das in einem Minispiel ab, das ähnlich wie das Klimpern auf dem Piano funktioniert. Auch beim Musizieren waren wir zwar an die Noten des Lieds gebunden, per Tempowechsel lassen sich aber unterhaltsame persönliche Impulse einbringen.

Unklare Rolle in der Gesellschaft

Nach der Attacke der Demonstranten will ihn sein Mentor außerdem fit für ein selbstständiges „Leben“ machen. „Ich werde nicht immer da sein“, gibt er zu Bedenken und fordert ihn auf, seine eigene Rolle und seine Ziele in der Gesellschaft zu ergründen. Ein interessanter Ausgangspunkt, denn wie Quantic Dream bereits verraten hat, muss man in seiner Rolle später entscheiden, wie konsequent und gewaltsam sich der Widerstand der Maschinen gegen seine menschlichen Herrscher auflehnt. De Fondaumière betont, dass sein Spiel keine Antworten geben, sondern Fragen aufwerfen soll: „So könnte die Zukunft aussehen und ihr müsst entscheiden!“ Das rege natürlich zum Nachdenken darüber an, wie schnell wir als Gesellschaft auf die Entwicklung reagieren müssen, um etwa die Künstliche Intelligenz zu begrenzen. Laut Westerheide könnten eines Tages auch eine Art „Menschenrechte“ für KIs nötig werden:

„Ich habe letztes Jahr vorm Bundestag dafür plädiert, wir müssen sie wie Firmen behandeln: Rechenschaft ablegen, haftbar machen, was Versicherung angeht. Aber sie können sich auch selbst verwalten, Steuer erheben, Leute einstellen. Jeder Algorithmus da draußen, der mit Aktien handelt, hat bereits einen enormen Einfluss auf uns. Wir müssen ein rechtliches Grundkonstrukt dafür haben, das dann erweiterbar ist. Vielleicht kriegen sie irgendwann Menschenrechte. Das wird nicht ohne gehen und das wird mit einem gewissen Konflikt einhergehen.“

Killswitch oder Massenmord?

Kann eine Maschine das Vertrauen der eingeschüchterten Tochter Alice leichter gewinnen als ein Mensch?
Problematisch sei in dem Zusammenhang die Notabschaltung intelligenter Systeme: Sollten sie erst einmal menschenähnliche Rechte genießen, könnte man die Deaktivierung schließlich als Massenmord interpretieren. Wie aktuell das Thema ist, zeigen auch die Schlagzeilen: Laut Heise.de hat sich das EU-Parlament Anfang April dafür ausgesprochen, einen rechtlichen Status für Roboter in Form einer "elektronischen Person" zu schaffen. Einige Experten hätten allerdings öffentlich dagegengehalten, dass der Appell von einer durch Science Fiction verzerrten Wahrnehmung inspiriert sei.

In David Cages Abenteuer spielt die Wahrnehmung ebenfalls eine wichtige Rolle: Die visuelle Umsetzung profitiert erneut stark vom Aufwand, der ins Performance-Capturing geflossen ist. 300 Schauspieler arbeiteten über zwei Jahre lang daran, die 37.000 Animationen authentisch in den Kasten zu bekommen. Danach folgte natürlich noch die Zusammenführung, bei der die nicht aufgenommenen Augenbewegungen direkt von den Designern animiert werden. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen, wird vor allem zu Beginn allerdings ein wenig von der störrischen Kameraführung  gestört.

Ein Spiel als Lobby-Programm für KI-Rechte?

Trotzdem dürfte der Großteil der Spieler sich bei so viel Liebe zum Detail stark mit den Protagonisten identifizieren. Die künstlichen Personen scheinen hier allgemein deutlich sympathischer rüberzukommen scheinen als ihre Gesprächspartner aus Fleisch und Blut. „Das Spiel ist ein Lobbyprogramm für KI-Rechte“, scherzte auch Westerheide, weil sie zumindest im Einstieg viel rationaler und sozialer agierten als die Menschen. De Fondaumière konterte allerdings mit dem Argument, dass sich die Persönlichkeit der Charaktere später noch entwickelt. Das Design der Kulissen hinterließ ebenfalls schon einen interessanten Eindruck: Quantic Dream hat sich für einen Mix aus vielen verfallenen Stadtteilen und futuristisch aufgemotzten reicheren Vierteln entschieden.

Im virtuellen Detroit der Zukunft treffen architektonische Gegensätze aufeinander.
Auch die schon früher von uns angespielte Befreiungsaktion mit Connor war erneut Teil des Spiels (mehr dazu hier in der Vorschau). Nachdem wir zur Rettung der Geisel vom Dach gestürzt waren und auf dem Boden aufschlugen, schritt Connor allerdings kurze Zeit später schon wieder unversehrt durch eine Kneipe – obwohl es sich bei ihm laut Geschichte um einen einzigartigen Prototypen handelt. Ich hoffe darauf, dass sie ihn lediglich wieder zusammengeflickt haben. Auf Rückbklicke und wilde Epochenwechsel wie im wirr inszenierten Beyond: Two Souls kann ich nämlich gerne verzichten. Um alle Wege von Detroit: Become Human zu erleben, soll man etwa 25 bis 30 Stunden lang beschäftigt sein. Ein gewöhnlicher Durchgang dauere dagegen nur geschätzte zehn bis zwölf Stunden.

Ausblick

Nach meiner ersten Begegnung mit Detroit: Become Human freue ich mich aufs Spiel und fürchte mich zugegebenermaßen auch ein wenig vor der Zukunft. Schön, dass Sony ein paar Kenner der KI-Forschung eingeladen hat. Ihre Diskussion stellte sich nicht als bloße PR-Show heraus, denn das Spiel wirft tatsächlich wichtige Fragen auf, mit der sich die reale Gesellschaft in gar nicht so ferner Zeit befassen muss. In einem derartigen Szenario machte es mir bereits deutlich mehr Spaß, Entscheidungen zu fällen als in anderen erzählerisch fokussierten Adventures mit historischem oder rein fiktivem Thema. Schön, dass das Medium Videospiel einen weiteren Schritt in die Richtung solcher gesellschaftlichen Themen wagt. Den Alltag und das Spannungsverhältnis der Droiden zu ihren menschlichen Meistern wurde bereits stimmungsvoll vermittelt. Quantic Dream sollte allerdings endlich mal etwas gründlicher an der nach wie vor unnötig hakligen Steuerung schrauben. Entscheidende Fragen sind auch, wie stark und erzählerisch geschickt sich die Entscheidungen auf die spätere Handlung auswirken – und wie die Handlungsfäden der drei Figuren verknüpft werden. Ich bin gespannt auf das Endergebnis – und auf unsere kommenden realen Overlords aus Metall, denen ich hiermit schon einmal präventiv huldige!

Einschätzung: gut

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