Red Dead Online30.11.2018, Jörg Luibl
Red Dead Online

Vorschau: Battle Asozial

Am 30. November startet die Beta von Red Dead Online für alle Besitzer von Red Dead Redemption 2 auf Xbox One und PlayStation 4. Rockstar lässt sich also sehr viel Zeit zwischen dem am 26. Oktober veröffentlichten Hauptspiel und dem dazugehörigen Multiplayer-Modus. Das liegt zum einen an der schlechten Erfahrung mit GTA Online, das zum Start alles andere als stabil lief, aber auch an der Art des Spieldesigns. Wie fühlt sich der Wilde Westen online an?

Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf

Auch wenn der Wilde Westen ein gnadenloser war, gab es einen gewissen Kodex. Und selbst Gesetzlose verfolgten zumindest ein Ziel, wenn sie über Leichen gingen. Aber was man aktuell in Red Dead Online erlebt, ist einfach nur frustrierende Anarchie. Zu viele Leute ballern alles und jeden über den Haufen, so dass man kaum zur nächsten Mission kommt. Man betritt einen Saloon und wird niedergemäht. Man reitet nur etwas langsamer durch die Wildnis und bekommt einen Kopfschuss. Und weil man den Namen des Täters noch zeigt, gibt es natürlich auch überall Rache nach dem Respawn...

Herrenlose Pferde, primitives Geballer und wüste Beschimpfungen gehören gerade zum Alltag der offenen Beta - gut, dass man zumindest den Chat mit "Fuck you bitch!" und "Aufs Maul du Hure!" abstellen

In der Beta könnt ihr diverse Szenarien bzw. Startpunkte wählen oder die offene Welt frei erkunden.
und nicht ausgeraubt werden kann. Aber es ist ausgesprochen nervig, dass man nicht nur die bescheuerten Namen der Mitspieler ertragen muss, sondern auch ihr Verhalten. Aktuell gibt es keinerlei spürbare Konsequenzen dafür, dass man einfach jemanden mit Blei vollpumpt. Musste man in der Kampagne noch die Marshals fürchten, passiert hier nix - und die Moralanzeige bleibt schön stabil. Was soll bitte in diesem Kontext noch ein Begriff wie Ehre? Rockstar sollte weit unter dem "Outlaw" noch den Status des "Asozialen" einführen. Nur in seinem Lager ist man sicher, wenn man die weiße Fahne hisst. Dort hat man übrigens einen Kumpel namens Cripps, der es weiter ausbauen kann. Zu Beginn hat man nicht mal ein Zelt...

Filmischer Einstieg

Dass es aktuell noch kaputte Statistiken, Abstürze und Verbindungsprobleme gibt, stört mich nicht so stark, weil es sich hier um eine Beta handelt. Aber der ungenügend sanktionierte anarchistische Status quo ärgert mich deshalb so, weil gerade diese wunderbare Spielwelt auch online großes Potenzial für Rollenspiel bieten würde. Das flackert vor allem in den kooperativen Missionen auf, wenn man z.B. in einer Vierergruppe darüber abstimmen kann, ob jemand verschont oder zum Sheriff gebracht wird. Innerhalb dieser Aufgaben gibt es dann einige gute Kurzgeschichten und auch so einige Überraschungen, die immer wieder die Stärke der Regie aufblitzen lassen.

Denn Rockstar setzt mit diesem Multiplayer-Modus seine filmische Regie fort. Schon in den ersten Minuten öffnet sich der Vorhang für eine weitere Story im Wilden Westen - inklusive neuer Figuren, die auf den ersten Blick ebenso markant ausgearbeitet sind wie jene

Es gibt einige coole kooperative Missionen inklusive Abstimmungen im Team.
im Hauptspiel. Man fühlt sich im Einstieg fast wie in einer zweiten Kampagne, wenn man mit einem männlichen oder weiblichen Helden in einem Gefängnis beginnt. Bevor man als verurteilter Sträfling dort landet, kann man seinen Charakter im starken Editor erstellen.

Mann oder Frau

Dabei darf man aus einigen Grundtypen wählen, das Alter von 18 bis weit über 50 festlegen und den Körperbau bestimmen, bevor man in Feinarbeit am Gesicht von den Augen über die Brauen bis zu Nase und Mund sehr ausdrucksstarke Typen inklusive persönlichem Pfeifton und Gang gestalten kann - nur eine eigene Stimme gibt es nicht, so dass man später auch in der Kommunikation über L2 auf sperrige Gesten wie das Nicken beschränkt ist. Auch das führt dazu, dass meist alle aneinander vorbei reiten...

Dafür darf man zwei freie Punkte auf Gesundheit, Ausdauer oder Dead Eye verteilen, wobei sich das Fähigkeitensystem später mit seinen freischaltbaren Karten von der Kampagne unterscheidet - man kann sich quasi besser auf und in einem Bereich spezialisieren, indem man bis zu vier Karten mit Boni ausrüstet. Wer sich auf Dead Eye konzentriert regeneriert z.B. entweder

Im Lager hilft einem Cripps beim Ausbau.
Lebenspunkte während des Zielens oder kann Körperteile anvisieren. Gerade Letzteres ist eigentlich Pflicht und man fragt sich, warum man in dieser martialischen Welt etwas anderes entwickeln sollte? Oder anders: Das Fähigkeitensystem muss sich auf lange Sicht erstmal beweisen und wirkt weniger vielfältig als jenes in Fallout 76. Aber dafür ist die Regie besser.

Kaum wird man nach Valentine zur Strafarbeit geschickt, wird die Kutsche von einer Bande überfallen. Und das war scheinbar kein Zufall, denn der Anführer interessiert sich nicht für die anderen Gefangenen oder seine vermummten Helfer, die er alle wegschickt, sondern nur für den Spieler. Wieso, weshalb, warum?  An dieser Stelle beginnt die Story und damit auch das Tutorial, das auf die wesentlichen Merkmale der Spielmechanik wie das Reiten eingeht, während man zusammen zum mysteriösen Auftraggeber reitet. Dahinter verbirgt sich eine sehr gut gekleidete Lady, die zunächst wie eine weibliche Variante von Dutch wirkt.

Mysteriöse Lady sucht Hilfe

Ihr Mann wurde ermordet und sie will die Täter zur Rechenschaft ziehen, die sie alle per Foto vorstellt; einer davon versteckt sich z.B. in Blackwater. Jetzt erfährt man auch, warum man im Gefängnis war und befreit wurde: Weil man als Fremder zu Unrecht für genau diesen Mord verurteilt wurde - und die Witwe weiß das. Sie ist aber keine gewöhnliche Frau, sondern verfügt scheinbar über so viel Mittel und Einfluss, dass sie einem einen neuen Start samt Handlanger sowie einem kleinen Lager ermöglicht. Dabei ist ihr egal, ob man brutal oder ehrenhaft vorgeht: Genau wie im Hauptspiel gibt es eine Leiste für die Moral, die sich je nach Annahme von Aufgaben sowie Taten anpasst. Rockstar verspricht, dass sich je nach eigenem Status auch die Missionen ändern - was zumindest gut klingt.

Orange Punkte? Da kommen andere Spieler, die in der Beta meist wild um sich schießen...
Auf der von Anfang an frei zugänglichen Karte, die vom äußersten Südwesten an der mexikanischen Grenze bis nach Lemoyne reicht, erkennt man gelbe Symbole, die die Story vorantreiben, weiße Symbole für Gruppenereignisse, aber auch orange Symbole mit Fremden. Und gerade diese sind interessant: Dahinter verbergen sich unbekannte Nichtspielercharaktere, die Aufträge erteilen - ob es sich um ehrenhafte oder skrupellose Jobs handelt, weiß man erstmal nicht. Aber es ist schön, dass es einige alte Bekannte aus der Kampagne als auch neue Figuren wie ein Billy-the-Kid-Verschnitt gibt. Gelungen ist auch die interne Suche: Sind für eine Mission zwei bis vier Spieler nötig, wird man zufällig mit anderen zusammen gebracht und kann sich vorher in einer Art Lobby über sie informieren, die Waffen checken etc.

Mehr Komfort, weniger Details

Man kann alleine oder mit bis zu sieben Gesetzlosen losziehen, um die Colts zusammen oder gegeneinander rauchen zu lassen. Dazu gibt es spezielle Ereignisse, die auf spektakuläre Schussduelle zwischen Banden oder Wettrennen zu Pferd ausgelegt sind. Leider werden viele Missionen noch von schweren Bugs geplagt - da verheddern sich Pferde im gebälk oder verschwinden plötzlich oder Anführer bzw. Nichtspielercharaktere bewegen sich nicht weiter, so dass man abbrechen muss. Zudem sind die Städte deutlich weniger belebt und man kann aktuell weder pokern noch andere Minispiele austragen. Außerdem wirkt die Spielwelt nicht mehr so gefüllt mit Tieren, obwohl man auf zig Arten trifft und theoretisch genauso jagen und Nahrung über Rezepte herstellen kann. Jäger und Angler dürften aktuell jedoch kaum Muße dafür finden, denn man wird ja selbst gejagt.

Hier zeigen sich dann auch faule Kompromisse für den Multiplayers-Modus, denn vieles der Ausrüstung ist an einen von hundert Rängen gebunden, die man über Erfahrungspunkte erreichen kann: den Bogen gibt es z.B. erst ab dem zehnten Rang

Rockstar setzt die filmische Regie fort.
und die Angel erst ab Rang 14 - selbst ein Fernglas hat man nicht sofort zur Verfügung!

Trotzdem ist es gut, dass Rockstar z.B. die Waffen teurer und später zugänglich macht. Man startet mit einem einfachen Revolver und Karabiner, kann einen Schofield- oder Double-Action-Revolver erst ab Rang 9 oder 17 führen, wobei diese noch mit fast 200 Dollar zu Buche schlagen. Wer ein Scharfschützengewehr wie das Rolling-Block haben will, muss ab Rang 13 fast 700 Dollar investieren. Das könnte dem zu schnellen Reichtum der Kampagne abhelfen, zumal sowohl das Lager als auch das Pferd im Stall jeden Tag einen kleinen Beitrag kosten.

Mikrotransaktionen im Anmarsch

Rockstar will mit Red Dead Online zusätzlich verdienen, daher hat man Gold als neue virtuelle Währung auserkoren: Damit kann man z.B. Gegenstände sofort freischalten, für die man sonst deutlich länger spielen müsste, weil man dafür, wie oben erwähnt, einen speziellen Rang benötigt. Wer die Angel sofort haben will, kann sie für vier Gold kaufen. Das klingt nicht nach viel, aber erst hundert Nuggets ergeben ein Goldstück. Noch hat Rockstar seinen Shop nicht geöffnet, so dass man nicht weiß,

Neuerdings hat man einen Katalog dabei; bestellte Waren landen in der Lagerkiste.
was dieser Pay-to-Shortcut-Unsinn letztlich kostet. Auf jeden Fall raubt er auch dieser Spielwelt ein Stück Glaubwürdigkeit.

Immerhin ist jetzt schon ersichtlich, dass man nicht nur an Gold kommt, wenn man sein echtes Geld einsetzt, sondern auch, wenn man Schätze findet oder Aufträge meistert - nur ist nicht ganz klar, wann genau diese glitzernde Belohnung ausgeschüttet wird. Apropos Schätze: Auch hier musste man bisher Abstriche machen, denn statt gezeichneter Karten mit geografischen Andeutungen, konnte man lediglich einer Markierung auf der Karte folgen.

Ausblick

Rockstar Games hat noch viel zu tun! Einerseits ist es lobenswert, dass man die filmische Regie in diesem Red Dead Online fortsetzt. Vor allem der gelungene Einstieg mit der freien Charakterentwicklung sowie die Storymissionen mit neuen Figuren haben mich zunächst richtig neugierig gemacht: Hey, das fühlt sich ja fast an wie eine zweite Kampagne! Aber meine anfängliche Lust auf diesen Online-Western verging mit jeder Stunde. Dass es aktuell zu Abstürzen, Verbindungsproblemen und Bugs kommt, ist ärgerlich, aber immerhin ist das ja noch eine Beta. Auch über die Ränge und Fähigkeiten kann man streiten, die alle künstlich gestreckt werden. Und natürlich lauern am Ende des Tages die Mikrotransaktionen über das neue Gold. Es war aber aus einem anderen Grund als der Technik oder Charakterentwicklung sehr weise von Rockstar, erstmal Feedback in diesem Early Access zu sammeln: Denn was mich richtig ankotzt, ist die fehlende Konsequenz für asoziales Verhalten. Wenn es zum Start keine Server für Rollenspieler oder wirkungsvolle Maßnahmen gegen alles weg ballernde oder pöbelnde Idioten gibt, wird das Potenzial dieses Spiels vor die Säue geworfen. Nicht falsch verstehen: Man soll einen Outlaw spielen können! Es muss PvP und offene Gefechte geben! Aber selbst dafür braucht man Regeln. Wenn es keine Clints, sondern nur Kevins gibt, mutiert diese Spielwelt zu einem anarchistischen Battle Asozial. Und das wäre sehr schade, denn es gibt richtig gute kooperative Ansätze inklusive moralischer Entscheidungen in kleinen Gruppen. Aber manchmal kommt man ja gar nicht zur nächsten Mission...sorry, da vergeht mir der Spaß.

Einschätzung: ausreichend

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