Assassin's Creed Rogue18.11.2014, Benjamin Schmädig

Im Test: Hinlaufen und abholen

Eine Hassliebe verbindet mich mit Assassin's Creed – nicht nur mit dem aktuellen, sondern der gesamten Serie. Auf der einen Seite ist da das entspannende Gefühl, mir nach einem anstrengenden Tag beim Spielen zuzusehen: Die automatischen Bewegungen wirken wie Beruhigungsmittel. Auf der anderen Seite ist da aber eine Spielwelt, die wie ein drängelndes Kind um Aufmerksamkeit bettelt: "Komm hier her!", "Spiel dieses!", "Versuch jenes!" "Log dich ein, sammel' Punkte, nimm alles mit!" Wie soll ich diesen Beschäftigungszirkus ernst nehmen?

Große Leistung!

Ubisoft hat mit Assassin's Creed eine neue Art Spiel populär gemacht: das Ausradieren. Nein, nicht im Sinne der namensgebenden Attentäter, sondern ganz wörtlich. Denn es werden Markierungen radiert. Markierungen auf einer Landkarte, die den Blick auf topografische Besonderheiten behindern. Man kann sie entfernen, indem man in einer aufwändigen virtuellen Welt ihren Standort lokalisiert und eine Taste drückt – viel mehr ist kaum nötig. Man gewinnt, wenn fast alle Markierungen verschwunden sind.

Die unglaubliche Reise in einem verrückten Animus

Das war seit dem ersten Teil so und das hat sich seitdem kaum verändert: Ohne Mühe rennt, springt und klettert die Hauptfigur durch das Land, die Straßen und über die Dächer historisch interessanter Schauplätze – zuerst die Gegend um Jerusalem zur Zeit des dritten Kreuzzugs, später Italien zur Zeit der Renaissance, Konstantinopel, das um seine Unabhängigkeit kämpfende Nordamerika und schließlich die verklärte Piratenhochzeit um 1700.

In dieser Ära spielt auch Rogue, das gleichzeitig mit Unity erscheint, aber eine andere Geschichte erzählt. Während das PC-, PS4- und Xbox-One-Abenteuer nämlich ins Paris der Französischen Revolution entführt, knüpft Rogue sowohl spielerisch als auch erzählerisch an Black Flag an, erinnert an zahlreiche Ereignisse und

Die Geschichte dreht sich um Shay Cormac, der während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs seine Identät als Assassine infragestellt.
Figuren der Vorgänger und bietet einen neuen Einblick in die Welt der Assassinen.

Babylon Creed

Deren Gegenspieler, die Templer, stehen immerhin im Mittelpunkt, wenn sich der junge Assassine Shay Cormac gegen die Prinzipien seiner Bruderschaft entscheidet – nicht aufgrund einer profanen Stimmungsschwankung, sondern wichtiger menschlicher Motive. Die Trennung ist umso schmerzhafter, da er in den ersten Stunden viel Zeit mit den Assassinen verbringt. Man lernt seine Freunde und seine Liebe kennen. Trotzdem ist das Zerwürfnis unvermeidbar und so verlässt Shay seine "Familie" schließlich ohne Zorn, aber aus großer Überzeugung. Und Ubisoft erschafft einen der glaubwürdigsten Protagonisten der bisherigen Serie.

Im Vordergrund steht dabei die besonnene, vom Schicksal gezeichnete Figur. Der Konflikt um die Ordnung der Welt und das Erbe vormenschlicher Wesen wird in den Hintergrund gedrängt. Das tut der Erzählung gut! Ich mochte die verquaste Science-Fiction nie, bin über Desmonds Verschwinden heilfroh und glücklich darüber, dass das in Black Flag begonnene Abenteuer im Abstergo-Zentrum diesmal nur wenige Szenen lang dazu dient, interessante Verbindungen zu bisherigen Geschehnissen herzustellen.

Der Geist des Erfinders

Zurück zur Serientradition also. Zurück zum mühelosen Rennen, Springen und Klettern, das auch Shay beherrscht. Genau wie die Seefahrt, denn ähnlich wie Piraten die Karibik durchquert Shay den Nordatlantik: In einer offenen Welt macht er auf zahlreichen Inseln halt, erkundet naturbelassene Gegenden und kleine Siedlungen. Er trifft sich mit Assassinen und Templern, verfolgt historische Persönlichkeiten, verübt Attentate, schleicht ungesehen in feindliche Lager oder kämpft mit Schwert, Pistole und Gewehr.

Als Hilfsmittel dienen ihm die Prototypen eines Benjamin Franklin – Granaten etwa, die mehrere Wachen töten oder einschlafen lassen. Das trickreiche Umgehen des bewaffneten Konflikts stand nie im Mittelpunkt der Serie, es bietet aber auch in Rogue ideenreiche Alternativen.

Für eine Handvoll Pfund

Immerhin bekommt es Shay nicht nur mit überschaubaren Herausforderungen im Rahmen der Handlung zu tun; er kann sich die Welt auch zu Eigen machen, um Ressourcen und Geld zu horten. Tatsächlich gehören einige der Nebenbeschäftigungen zu den interessantesten Aufgaben. Das Erobern eines von Gegnern gehaltenen Lagers ist ohne Planung und umsichtiges Vorgehen etwa kaum schaffbar. Und im Suchen von Schätzen nach von Hand gezeichneten Karten schlummert der Geist eines großen Abenteuers.

Einen der schönsten Momente erlebte ich, als Shay nach langem Streifzug durch unberührte Natur von einem Baum zum nächsten huschte, um einen hohen Felsen zu erreichen: Anstatt dort anzukommen, rutschte er unvorhergesehen in eine alte Höhle – ein starker Augenblick! Der wenige Sekunden später vernichtet wurde, als

Die Jagd auf Wale gehört zu den spannenden Nebenaufgaben - ist im Grunde aber überflüssig, da man die Haut von Walen für relativ wenig Geld kaufen kann.
er inmitten der verlassenen Wildnis eine Truhe mit dem Fuß zertrat. Für ein paar schnöde hundert Pfund; welch traurige ignorante Idiotie.

Kann Nichtstun Spiel sein?

Die Suche nach Schatztruhen zum Aufbessern des Kontos ist ohnehin ein miserabler Running Gag, der sich immer auf die Schenkel klopft, wenn der ausgebildete Mörder präzise kartografierte "Verstecke" erläuft, um eine lausige Belohnung zu zertreten. Die Jagd auf Tiere verläuft ähnlich spannend: Shay rennt in die Wildnis, erschießt Tiere und zieht von dannen. Pirsch, Fallen oder Köder? Fehlanzeige. Ubisoft zitiert aus dem Lehrbuch spielerischer Langeweile, indem es diesen und anderen Hinlauf-Beschäftigungen einen Großteil der Spielzeit einräumt.

Selbstverständlich kann ich mich im Nichtstun üben. Aber darf das der Spielsinn sein? Soll ich wegschauen, wenn mit jedem neu eroberten Gebiet Dutzende Symbole aufblinken? "Geh dort hin!", "Spiel dies, mach jenes!" Es ist unmöglich die Hinweisdisko zu ignorieren. Zumal Shay Geld und Material benötigt, um sich eine bessere Ausrüstung und seinem Schiff stärkere Waffen zu besorgen.

Und natürlich kann es eine unschuldige Idee sein, dass Ubisoft den sehr langen Weg zu allen Verbesserungen durch Abkürzungen in Form kleiner Downloadinhalte erleichtern will...

So oder so ist es ein leidvoller Rhythmus, zu dem Assassin's Creed zwingt – zu Lande wie auf dem Wasser.

Game Must Go On!

Auf hoher See setzt sich das profane „Hinfahren und Abholen“ nahtlos fort. Wertvolles Treibgut, das den Nordatlantik wie Hänschens Krümelspur ziert, klickt man mit einem Tastendruck an Bord. Die Crew wirft nicht einmal eine Leine aus. Hauptsache, es geht schnell. Game Must Go On! Ein Angriff auf kleine Boote sieht so aus: Shays Schiff, die Morrigan, rast auf ein Kanonenboot zu, dieses sinkt sofort und per Tastendruck hole ich binnen eines Wimpernschlags über Bord Gegangene sowie die fremde Ladung ein. Das zerstört jede Illusion.

Dabei sind Seeschlachten durchaus aufregend, wenn Kanonensalven großer Pötte über den Ozean krachen und eine volle Breitseite einschlägt. Es ist zwar lächerlich, dass ich Schaden vom Schiff abwende, wenn Shay während des Einschlags in Deckung geht, doch das Spektakel ist zumindest unterhaltsam. Mit geenterten Schiffen repariert Shay zudem die Morrigan oder er fügt sie seiner Flotte hinzu. In einem ebenso strategischen wie überflüssigen Minispiel weist er Schiffen dann auf einer Karte Missionen zu. Erfolgreiche Aufträge füllen Kasse und Laderaum.

Er trifft mich, er trifft mich nicht...

Während des Enterns fällt allerdings eine weitere Schwachstelle ins Auge: Die Schwertkämpfe sind im Angesicht moderner Action eine Farce. Denn abgesehen davon, dass Shay die meisten Gefechte mit links gewinnt, leiden

Die Kämpfe funktionieren besonders beim Entern nicht so wie sie sollen.
die Kämpfe unter technischen Mängeln. So inszeniert Ubisoft die Scharmützel ähnlich wie Batmans Arkham-Serie als Reaktionsspiel – ein Knopf wehrt Angriffe ab, ein anderer durchbricht die Deckung, ein weiterer versetzt den Todesstoß.

Nur funktioniert die Zuweisung oft nicht. Mal verteidigt sich Shay nicht, ein andermal trifft er den Gegner nicht. Mit Höhenunterschieden in der Größe einer Treppenstufe hat Assassin's Creed massive Schwierigkeiten. Besonders die Gefechte an Deck eines Schiffs, an denen zahlreiche feindliche und eigene Kämpfer beteiligt sind, geraten so zum heillosen Durcheinander. Das Spiel kann Aktionen und Bewegungen der vielen Fechter schlecht koordinieren und produziert deshalb Fehler.

Spätestens in diesem Jahr, mit Blick auf Mittelerde: Mordors Schatten, kann ich diese ungeschliffene Inszenierung nicht mehr entschuldigen. Wo ich in Tolkiens Universum ohne eingeblendete Aktionshinweise präzise schlachte und taktiere, reagiert der Assassine selbst mit omnipräsenten Eingabeaufforderungen nicht zuverlässig.

Erlebte Geschichte

Eine weitere Schwäche unterstützt die Ungenauigkeit: Die Bildrate bewegt sich häufig am Rande des Erträglichen. Das Bild wirkt außerdem unruhig, grobkörnig – technisch scheint Assassin's Creed die Konsolen der vergangenen Generation stärker zu fordern als sie zu geben in der Lage sind.

Die Mühe lohnt sich ja! Viele Panoramen sehen fantastisch aus. Staub weht

Die Belohnung eifriger Kletterer: fantastische Aussichten in New York und freier Natur.
durch die Siedlungen des frühen Nordamerika, Regen vermiest Shay schon mal den Tag und im Schnee hinterlässt er tiefe Spuren. Am meisten überzeugt einmal mehr die Darstellung einer Stadt: Im New York des 18. Jahrhunderts ist die heutige Metropole zwar kaum zu erkennen, doch ich genieße jeden Schritt über belebte Märkte, lese Werbetafeln an kahlen Backsteinwänden und schlendere zu einer ruhigen Musik, die überraschend eindeutig Ezios Abenteuer in Italien zitiert.

Wenn ich so durch die Straße bummele, spüre ich die alte Liebe für Assassin's Creed – diese Illusion ein Stück Geschichte zu erleben. Das ist nicht so beeindruckend wie in Unity, dem technisch fortschrittlichen Abenteuer der neuen Konsolengeneration. Dem stilvollen Erlebnis kann der grafische Rückstand aber nichts anhaben.

Der ganz legale WallHack

Zumal meine Reise durch interessante Elemente bereichert wird. Denn Shay wird von Attentätern gejagt, die sich an den bekannten Flecken verstecken: auf Bänken, auf Dächern, in Heuwagen oder der Uniform eines Soldaten. Sie lauern ihm auf, bis er in ihrer Nähe ist. Dann greifen sie an und verletzen ihn meist auch empfindlich. Diese Assassinen sind eine echte Gefahr!

Es sind insgesamt unsinnig viele Agenten und mir gefällt nicht, dass ich sie ausschließlich durch den Adlerblick lokalisieren kann. Weil der nämlich jeden erkannten Feind durch die Umgebung hindurch sichtbar macht, empfinde ich ihn als atmosphärisch störend.

Wenn Attentäter zu Opfern werden

Erst nach dem Einnehmen eines Lagers ziehen sich die Attentäter aus dem dazugehörigen Stadtteil zurück – dennoch sorgen sie dafür, dass ich nicht so sorglos wie bisher über die Dächer springe. Shay sollte zudem stärker darauf achten, keine Unschuldigen umzubringen, weil nach jedem Tod eine Belohnung auf seinen Kopf ausgesetzt wird, die einen Assassinen auf seine Spur setzt.

Er selbst kann Attentate im Gegenzug verhindern, indem er Brieftauben abfängt, die einen Mordauftrag transportieren. Dann muss er genau wie ein Assassine die Zielperson ausfindig machen, sie allerdings vor den

Überlebt: Es wird Zeit, dass die Nordamerika-Trilogie mit Rogue ein Ende findet.
anrückenden Mördern beschützen. Klingt einfacher als gedacht! Immerhin muss er die Killer so schnell wie möglich ausschalten, im Zweifelsfall inmitten einer Menschenmenge. Das geht einmal, vielleicht zweimal gut. Irgendwann verfolgt ihn jedoch die Stadtwache – während weitere Attentäter längst ihrem Opfer auflauern...

Das Alte und der Neue

Das Vereiteln der Anschläge ist eine richtig gute der wenigen neuen Ideen. Sie bringt frischen Wind in eine Serie, die sich in der spielerischen Belanglosigkeit festgefahren hat. Tatsächlich klettert Shay noch schneller und mit noch weniger Tastendrücken durch Nordamerika als es Altair und Ezio taten. So gut wie nie muss er einen möglichen Aufstieg erst suchen. Er muss keinen Eingang, keine Station erreichen – er aktiviert die Schnellreise einfach jederzeit.

Ubisoft zelebriert ein "Hinlaufen und abholen", das jederzeit, überall erreichbar ist. Dass dies in der gezeigten Konsequenz der falsche Weg ist, hat man in Montreal interessanterweise längst erkannt: Unitys Arno öffnet Kisten in Ruhe und greift mit der Hand hinein. Er klettert langsamer, hält nach schwierigen Klimmzügen kurz inne. Paris ist, wie es scheint, eine lebendige Kulisse. Nordamerika wirkt wie eine Tech-Demo.

Fazit

Assassin's Creed Rogue beendet auf den alten Konsolen die Generation einer Serie, welche sich vom Spiel zum interaktiven Zuschauen entwickelt hat. Eine Generation, welche die Glaubwürdigkeit der virtuellen Welt für ein getriebenes Erlebnis opfert, in dem tausend Hinweisschilder das nächste Ziel markieren, während man schnell noch eine Kiste zertritt – für ein bisschen Geld, das kaum einen Nutzen hat. Könnte ich die Minispiele ignorieren? Ich will es gar nicht! Ich mache mir gerne eine Welt zu Eigen, in der ich mich um ganz verschiedene Bedürfnisse des Protagonisten kümmern muss. Ich will diese Welt aber entdecken; sie darf sich nicht aufdrängen. Und sie muss mich spielerisch fordern. Selbst nach harten Arbeitstagen bedeutet mir ein Videospiel mehr als "Hinlaufen und abholen". Spielerisch ist dieses Rogue gerade ausreichend – manchmal befriedigend, wenn das Verhindern von Attentaten und die Gefahr durch feindliche Assassinen dem knorrigen Prinzip frischen Wind verleihen. In exotischen Panoramen lasse ich zudem die Seele baumeln. Vor allem aber ist es die Geschichte, die einen gelungenen Schlussstrich unter die Nordamerika-Trilogie setzt: Shay Cormac ist die bislang reifste Figur der Serie. Seine Motive sind glaubhaft, sein Schicksal nachvollziehbar. Ubisoft zeichnet ein plastisches Bild der bisherigen Bösewichte – eine Tiefe, die dem Spielerischen leider fehlt.

Pro

persönliche Geschichte um gegensätzliche Ideale...
Gegner lauern in Assassinen-Verstecken...
viele erzählerische Verknüpfungen mit vergangenen Episoden
interessante neue Missionen: Zielperson vor Assassinen schützen
große Welt mit unterschiedlichen Schauplätzen
umfangreiches Verbessern der Ausrüstung und des Schiffs

Kontra

... aber langweilige Erzählung in der Gegenwart
... sind aber ausschließlich durch aufdringliche Adlersicht erkennbar
störend: Adlersicht macht Gegner durch Kulissen hindurch sichtbar
Shay bewegt sich übermäßig schnell und fast ohne spielerisches Zutun
er ist fast allen Gegnern haushoch überlegen, auch einer Überzahl
er führt nicht immer nicht die gewünschte Bewegung aus
schwache Technik: Kämpfe gegen Gruppen sind unpräzises Kuddelmuddel
niedrige Bildrate, aussetzende Geräusche und andere audiovisuelle Fehler
etliche anspruchslose und im Grunde sinnlose Sammelaufgaben

Wertung

360

Spielerisch altbackenes und weitgehend anspruchsloses Abenteuer, das sich alleine über die sehr gute Erzählung definiert.

PlayStation3

Spielerisch altbackenes und weitgehend anspruchsloses Abenteuer, das sich alleine über die sehr gute Erzählung definiert.

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