Unberechenbare Begegnungen
Erinnert sich jemand an
I Am Alive? Das Spiel erschien 2012 für PC, PS3, 360 bei Ubisoft Shanghai und hat in einer Hinsicht einen bleibenden Eindruck hinterlassen: der Inszenierung von brenzligen Situationen. In keinem anderen Spiel habe ich die Momente
vor einem Kampf derart intensiv erlebt. Was heißt das? In den meisten Spielen trifft man auf direkt erkennbare Freunde oder Feinde ohne Zwischenstufen. Sprich: Wenn man sich einer Figur nähert, ist sie entweder sofort feindselig oder wird es z.B. nach dem Ziehen einer Waffe oder der Auslösung eines Alarms. Es gibt in der Phase der Begegnung kaum interaktive Möglichkeiten, auf den Konflikt einzuwirken, also zu drohen oder zu deaskalieren. Damit gehen der psychologische Nervenkitzel sowie das Unberechenbare verloren.
Auch mit dem Bogen könnt ihr jagen - dann ist die Beute wertvoller.
In I Am Alive war das erfrischend anders. Wenn ich dort die Pistole zückte und auf einen Typen richtete, blieben er und seine Kumpels sofort stehen und hoben beschwichtigend die Hände - man konnte ihre Nervosität spüren. Danach ging das Psychospiel erst richtig los: Die beiden anderen begannen vielleicht zu quatschen, wollten ein paar Sekunden meine Aufmerksamkeit stören. Ließ ich die Waffe nur einen Moment sinken, kamen sie schnell auf mich zu! Zunächst konnte ich alle per Befehl auf Distanz halten, indem ich die Waffe abwechselnd auf sie richtete und „Zurück!“ rief – das beruhigte, aber die Spannung blieb greifbar. Ihr Anführer fing dann an, mich aggressiver anzumachen, bezweifelte nicht nur meine Entschlossenheit, sondern auch die geladene Waffe. Wenn er mit gezückter Klinge auf mich zu stürmte, wurde klar, dass ich falsch gepokert hatte.
I Am Arthur
Das Pferd baut mit der Zeit Vertrauen auf, kann dann seitwärts tänzeln oder U-Turns nach dem Galopp hinlegen.
In
Red Dead Redemption 2 fühle ich mich daran erinnert, denn auch hier können Situationen plötzlich eskalieren. Wenn ich als Arthur Morgan im Jahr 1899 irgendwo in der Steppe auf einen Planwagen zugehe, vor dem ein Kerl seine Suppe schlürft, sind Freund oder Feind nicht per Icon oder roter Leiste klar definiert. Kaum komme ich auf Sprechweite heran, steht der Typ auf und fordert mich auf stehen zu bleiben. Als ich noch einen Schritt weiter gehe, wird er sichtlich aggressiver, hat die Hand an der Waffe. Ab jetzt kann ich über L2 die Kommunikation starten und ihn z.B. weiter provozieren oder beschwichtigen. Ich versuche Letzteres, aber der Hillbilly lässt sich davon nicht beeindrucken und ich schau in die Mündung seines Colts. Nur der sofortige Rückzug sorgt für eine Deeskalation. Er ruft mir zwar noch ein paar deftige Schimpfworte hinterher, aber kümmert sich wieder um seine Suppe. Jetzt hab ich fast wieder Lust, mich mit ihm anzulegen...
Weder die wunderbare Prärie des Wilden Westens noch die fantastisch animierten Pferde oder die vielen Möglichkeiten von der Jagd über den Banküberfall bis zum Crafting oder Glücksspiel sind für mich so wichtig wie diese herrlichen alltäglichen Situationen, die man abseits der Story rund um seine Gang erlebt.