Brettspiel-Test: Kamisado (Abstrakte Strategie)

von Jörg Luibl



Kamisado
Entwickler:
Publisher: Huch & Friends
Release:
kein Termin
Spielinfo Bilder  
Ich habe eine Schwäche für Strategie alter Schule: Zwei Spieler sitzen sich gegenüber, brüten über Zügen und verschieben Figuren - herrlich! Vor allem für jene, die die Prinzipien von zeitlosen Klassikern wie Dame, Go oder Schach kreativ entwickeln oder abwandeln. Erst kürzlich habe ich für das iPad das nordische Tafl vorgestellt und auch Oshi war bereits ein Brettspieltipp. Aus gleichem Hause stammt Kamisado, das ebenfalls auf fernöstliches Flair setzt, aber noch kreativer ist!

Schach mit Farben

Kamisado ist ein Strategiespiel von Huch & Friends für zwei Personen und kostet knapp 15 Euro. Ein Spielplan, 16 Drachentürme in Scharz und Weiß sowie 22 durchsichtige Drachenzahnmarker sind enthalten.
Ist das etwa Schach mit Farben? Auf den ersten Blick sieht Kamisado genau so aus: Der Spielplan zeigt über acht mal acht Felder ein kunterbuntes Raster mit 64 Feldern. Die einzigen Konstanten scheinen die braunen und orangen Diagonalen zu sein, die sich von jeder Ecke über den Plan ziehen und in der Mitte kreuzen. Hinzu kommen gelbe, grüne, lila, rote und rosa Felder, die ebenfalls einem Muster folgen und symmetrisch angelegt sind - aber das erkennt man erst auf den zweiten Blick, denn zunächst wirkt alles grell und verwirrend.

Auf diesem Flickenteppich stehen sich eine schwarze und eine weiße Drachenturmreihe wie beim Schach gegenüber. Allerdings gibt es hier nur acht Figuren pro Spieler und jede beherrscht zu Beginn dieselben Züge - es gibt also keinen König, keine Dame oder Bauern mit unterschiedlichen Bewegungen. Stattdessen darf sich jeder der acht Türme soweit gerade oder diagonal nach vorne bewegen, wie es möglich ist; nur zurück und zur Seite ist tabu. Schlagen oder werfen? Geht nicht! Man muss vor einer feindlichen Figur stoppen.

Drachentürme in der Offensive

Die Grundaufstellung, in der die Farbe des Feldes auch die des Turmes bestimmt: Nach einem gewonnenen Spiel darf man wählen, ob im nächsten von links oder rechts aufgebaut wird, so dass ein grüner Turm auch auf dem braunen Feld stehen kann - auch das kann Vorteile bringen.
Ziel ist es, mit einer Figur die Reihe des Gegners zu erreichen - dann gibt es einen Siegpunkt; gewöhnlich geht es bis zum dritten. Man kann also nur nach vorne stürmen? Alles bewegt sich gleich? Ja. Das führt dazu, dass man Kamisado zu Beginn unterschätzt. Auch das eher schrill und abstrakt denn historisch oder edel anmutende Artdesign weckt die Skepsis. Aber auf den zweiten Blick kann dieses clevere Brettspiel mit offensiver Dynamik und cleverer Blockadetaktik überraschen.

Denn es gibt zwei wichtige Regeln: Zum einen kann man die Figur in einen "Sumo" verwandeln, die die gegnerische Linie erreicht - dann legt man ein farbloses Steinchen auf den Turm und er darf andere Türme nicht nur ein Feld nach hinten schubsen, sondern erlaubt einen weiteren Zug! Erreicht dieser Turm nochmal die Linie, wird er zum Doppel-, danach sogar zum Dreifach-Sumo mit entsprechend erhöhter Schubskraft für bis zu drei Türme. Mit diesen aufgewerteten Türmen kann man Druck machen und die Zeit der Offensive verlängern - allerdings nur, wenn der Gegner vorher auf einem Feld ihrer Farbe landet. Außerdem wird die Spielbalance dadurch gewahrt, dass sie nicht mehr unbegrenzt ziehen dürfen: Der normale Sumo nur noch fünf, der doppelte nur noch drei und der dreifache nur noch ein Feld.

Kunterbunt matt setzen!

Die zweite und wesentlich wichtigere Regel besteht darin, dass man dem Gegner den nächsten Zug aufzwingen kann! Wer
Der schwarze Turm auf dem roten Feld ist ein Doppel-Sumo: Er kann bis zu zwei weiße Türme nach hinten schubsen! Übrigens: Dreht man den Spielplan um, bekommt man dasselbe bunte Raster mit chinesischen Schriftzeichen - das soll farbenblinden Spielern helfen.
seinen Turm nach vorne bewegt, bestimmt mit der Farbe des erreichten Feldes auch die Farbe des Turmes, den der Gegner bewegen darf. Sprich: Ich ziehe auf Blau, also muss er danach den Turm mit dem blauen chinesischen Schriftzeichen bewegen! So kann man nicht nur verhindern, dass der Gegner in eine Lücke der eigenen Reihe vorstößt, sondern ihn noch weiter in Bedrängnis bringen.

Ähnlich wie beim Schach kann man Matt-Situationen konstruieren, indem man gezielt Sackgassen oder fatale Öffnungen vorbereitet. Dabei spielt natürlich das kunterbunte Feld eine Rolle, denn die Farben folgen einem Muster: Wer den Zug des gelben Turmes erzwingen will, muss vornehmlich an seiner linke Flanke ziehen, denn dort gibt es gelbe Felder in kurzer Diagonale. Natürlich gibt es diese auch oben rechts auf der gegnerischen Seite, aber will man sich so weit vorwagen?

Am Anfang ist es verlockend, seine Figuren aggressiv weit vorne zu postieren, immer genau dort, wo der Gegner eine Lücke zeigt - schließlich kann man sich ja beliebig weit bewegen! Aber sehr schnell wird man erkennen, dass man so den Bewegungsradius der eigenen Türme fatal einschränkt: Was ist, wenn der eigene Turm nur noch auf genau das gelbe Feld ziehen kann, das den gegnerischen gelben Turm aktiviert, der wiederum in der Diagonalen auf den finalen Zug zur Grundlinie lauert? Hinzu kommen die Blockaden: Kann man nämlich gar nicht vorwärts ziehen, muss man aussetzen und der Gegner ist nochmal dran.

Fazit

 Kamisado ist ein kurzweiliges und überraschend cleveres Spiel für zwei Taktiker, die um die Farbenecke denken können! Ich gebe zu, dass ich es zu Beginn unterschätzt habe, weil mich das Artdesign nicht gerade ansprach und die reine Offensive im Vordergrund zu stehen schien. Aber schon nach wenigen Partien entwickelt das hierzulande kaum bekannte Spiel eine ganz eigene Dynamik, die sowohl defensive Manöver als auch gezielte Matt- und Blockade-Strategien ermöglicht - quasi Schach mit Farben. Das Ganze ist allerdings wesentlich einfacher zu verstehen und auf den ersten Blick alles andere als komplex. Aber die Turmaufrüstung, das Aussetzen und vor allem die klasse Idee mit dem farblichen Zugzwang sorgen für taktische Tiefe. Peter Burley hat damit zurecht einige Erfolge gefeiert: Kamisado stand auf der Empfehlungsliste für das "Spiel des Jahres 2010", bei den "International Gamers Awards" erreichte es 2009 das Finale und gewann auf der "UK Games Expo" den erstens Platz als "Best New Abstract Game". Neben Oshi und Hive gehört es für mich zu den besten Geheimtipps dieses Genres!


Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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Kommentare

Coleburn schrieb am
voodoo44 hat geschrieben:Ich spiele immer noch mit dem Gedanken, mir "Junta" zuzulegen ... leider sind wir nur 2 Personen, nicht 3.
Wie ist denn die alte Version von dem Spiel?
Ansonsten: wieder mal toller "Test" zu einem tollen Spiel ...!
Also ich habe, angeregt durch den Test des "kleinen " Juntas, das "große" Junta gekauft und ich kann dir nur sagen: Treibe noch 2(+) Menschen auf und spiele es! Das spielt macht ungemein viel Spaß und ist für den Preis (rund 25-30 Euro) auch in einem guten Rahmen für die Spielzeit und Tiefe die geboten wird.
Unser erstes Spiel hatten wir mit 5 Mann, 2 zu wenig um das Maximum zu erreichen, was aber keineswegs geschadet hat. Schon bei der Ämtervergabe kommen hier "Favouriten" des Präsidenten auf und nach 1, 2 Runden des Abtastens kamen schon die ersten etwas hinterhältigen Aktionen (ganz gezielt von meinerseits ;) ). Es kommt schnell Spannung auf, da man einfach niemandem vertrauen kann, gleichermasen kann man gekonnt Leute manipulieren und gegeneinander aufhetzten - ein großer Spaß! Die taktische Putschphase ist zwar auf den ersten Blick recht simpel gehalten was die Kämpfe angeht, beweist ihre Tiefe aber im Miteinander der Spieler (so kann man sich auch hier nicht sicher sein, wer Rebell ist und wer regierungstreu). Auch Politikkarten können das Feld aufrollen wenn auf einmal Studenten angetrabt kommen um den Rebellen zu helfen oder der Helikopter gerufen wird. Man merkt schnell das die Rolle des Präsidenten viel Macht innehat, aber gerade da durch die schwierigste ist (man sollte sich doch gut mit dem Innen Minister verstehen, dieser neigt dazu Attentate auf all jene auszuführen, die ihm im Weg stehen).
Das kleine Junta habe ich vorerst abgelehnt, einfach weil das große soviel mehr bietet und preislich nicht weit entfernt ist, dafür einen ganzen Abend füllen kann, der voller Wut und Freude nur so strotzt (spiel es ja nicht mit Leuten die das ganze Ernst nehmen, sonst hast du den Salat, solltest du sie putschen oder mal kurz...
voodoo44 schrieb am
Ich spiele immer noch mit dem Gedanken, mir "Junta" zuzulegen ... leider sind wir nur 2 Personen, nicht 3.
Wie ist denn die alte Version von dem Spiel?
Ansonsten: wieder mal toller "Test" zu einem tollen Spiel ...!
nawarI schrieb am
Bei Amazon bin ich schon öfter über Kamisado gestoßen, aber ich wusste nie worum es hierbei geht. Danke dafür!
Mit Hive hatte ich im Urlaub auch schon wieder meinen Spaß. Ein paar schon gewonnen (oder verloren) geglaubte Spiele können sich urplötzlich drehen, wenn einem Spieler die Steine ausgehen oder Angriffsmöglichkeiten fehlen.
Achja, "Durch die Wüste" macht einen ganz ordentlichen Eindruck - leider hatte ich bisher noch nicht viele Möglichkeiten es in größeren Runden zu testen, das werde ich aber noch nachholen.
Schönes Wochenende!
schrieb am