Interview: Archäologie im Spiel (Sonstiges)

von Jörg Luibl



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Entwickler: 4Players
Publisher: 4Players
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4Players: Kann man diese Geschichts-Faszination der Spieler mit Ihrem beruflichen Interesse vergleichen?

Thorsten Michel: Mich persönlich treibt eher die reine Neugierde an, mich interessiert einfach, wie die Welt in früheren Epochen ausgesehen hat. Ich weiß natürlich, dass ich auch nie an die Wirklichkeit herankommen kann, aber ich versuche, das damalige Leben möglichst genau zu rekonstruieren und zu erklären.

4Players: Cheaten ist ja ein bekanntes Spiele-Phänomen. Aber in der deutschen Archäologenlandschaft gab es kürzlich eine hitzige Debatte um den Sensationsfund der Sternenscheibe von Nebra. Man spricht vom geschickt fingierten Schwindel. Was halten Sie davon? Ist das Schummeln auch ein Phänomen der Archäologie?

Thorsten Michel: Fälschungen haben in der Archäologie immer wieder eine Rolle gespielt. Ein im Fach relativ bekanntes Beispiel sind die so genannten Weser-Runenknochen. Der "Finder" hatte zunächst tatsächlich alte Knochen mit Einritzungen entdeckt. Als er merkte, dass er damit Geld machen kann, fing er bald an, zahllose Knochen anzubieten, die aus der Weser stammen sollten. Dank mikroskopischer Untersuchungen konnte man in diesem Fall die echten Stücke relativ leicht von den Fälschungen unterscheiden. Ob die Sternenscheibe von Nebra eine Fälschung ist, kann ich zur Zeit allerdings nicht sicher beantworten. Nach den naturwissenschaftlichen Untersuchungen ist zumindest sicher, dass sie wenigstens mehr als 100 Jahre alt sein muss. Außerdem entspricht die Zusammensetzung der Bronze der Scheibe dem Material der anderen Beifunde, mit denen die Scheibe etwa in das 17. Jahrhundert vor u. Z. datiert wird. Das bedeutet, dass die Raubgräber die Funde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Mittelberg entdeckt haben, und die Funde auch sehr wahrscheinlich wirklich aus der Bronzezeit stammen. Im übrigen handelt es sich zur Zeit weniger um ein archäologisches als vielmehr um ein juristisches Problem, schließlich könnte man die Schwarzmarkthändler bei einer Fälschung nicht wegen Hehlerei belangen. Inwieweit sie sich dann des Betrugs schuldig machten - immerhin haben sie die Scheibe wiederholt auch dem Landesmuseum als echtes Artefakt angeboten -, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Gegensatz zur Fälschung einzelner Funde ist das gezielte Fälschen von Forschungsergebnissen dagegen katastrophal. In diesem Zusammenhang sei der jüngst aufgeflogene Frankfurter Anthropologe Protsch von Ziethen genannt, der sämtliche "naturwissenschaftliche" Analysen erfunden und sich seinen zweiten Doktortitel offenbar erschlichen hat.

4Players: Spieler streiten sich gerne über Wertungen. Da wird gerne eingeworfen, dass Tests nicht objektiv sind oder es wird gleich an der Kompetenz gezweifelt. Gibt es solche hitzigen Debatten auch unter Wissenschaftlern? Sind ihre Ergebnisse immer objektiv?

Thorsten Michel: Natürlich sind die Ergebnisse von Wissenschaftlern bei weitem nicht so objektiv, wie sie es gerne vortäuschen. Das betrifft auch die Archäologie. Immer wieder stolpert man über zurecht gebogene Theorien, bei denen oft eher der Wunsch Vater des Gedanken war. Dazu gesellt sich eine kaum zufällig schlampige Bearbeitung ausgerechnet derjenigen Fragen, die das Theoriegebäude einstürzen ließen. Bei entsprechenden Schlampigkeiten findet allerdings leider kaum eine Diskussion statt, insbesondere keine hitzige Debatten. Wäre das so, wäre die Forschung in manchen Bereichen vielleicht weiter und müsste dafür an anderer Stelle sicherlich viele Lücken einräumen. Wie aber fast überall im Leben gelten auch hier Posten und Beziehungen meist mehr als gute Argumente. Kritik findet viel zu wenig statt und ist besonders nach oben üblicherweise unerwünscht. Daher verwundert ein Fall wie der Frankfurter Fälschungsskandal nicht wirklich.

4Players: Spiele werden in der Öffentlichkeit immer noch kontrovers diskutiert. Sie schreiben, dass das Spielen "eine besonders wichtige Form der unterschwelligen Aufnahme ist (...)". Manche behaupten, dass sich vor allem Shooter negativ auf das Sozialverhalten sowie die Gewaltbereitschaft auswirken. Was halten Sie von dieser These?

Thorsten Michel: Die Frage der Beziehung der Medien zu Verhaltensweisen ist schon sehr alt. Goethe beispielsweise wurde verrissen, als nach dem Erscheinen des Werther viele junge Männer nicht nur die typisch grelle Werther-Kluft anlegten, sondern sich auch aus geringsten Anlässen reihenweise das Leben nahmen. Besonders häufig finden sich solche Kritiken natürlich bei der Neueinführung von neuen Medien. Auch der Film ist von Beginn an für seinen schädlichen Einfluss beschimpft worden, da muss man nicht erst zum Pressespiegel zu "A Clockwork Orange" greifen. Und natürlich haben Medien einen gewissen Einfluss auf Wissen und Verhalten. Dieser Einfluss ist an der richtigen Stelle von der breiten Gesellschaft ja sogar erwünscht, sonst gäbe es schließlich keine Moralschriften, von denen sich der eine oder die andere auch leiten lässt. Anstatt aber blind auf die vorgeblich schädigenden Medien einzudreschen, wäre es allerdings angebracht, sich einmal um den Grad und die Ausrichtung zu streiten, die einzelne Bücher, Filme und Spiele auf Verhaltensweisen haben könnten: Bei einem Menschen mit sozialen Defiziten können selbstverständlich schlechte Verhaltensweisen verstärkt werden. Umgekehrt können aber von den Handlungen einer Identifikationsfigur genauso positive Schlüsse gezogen und vom Betrachter umgesetzt werden. Wenn ich mit meinem Clan erfolgreich Counterstrike bestreiten möchte, muss ich über ein entsprechendes Sozialverhalten verfügen, das ein Höchstmaß an Teamfähigkeit von mir verlangt. Als egomanischer Möchtegern-Rambo kommt man gerade in diesem vielfach zu Unrecht verrufenen Spiel nicht weit. Ferner übt es natürlich über die Reaktion hinaus auch taktisches und strategisches Denken, wie es bei ruhigen Brettspielen wie Schach oder Go nicht kritisiert wird, weil diese heute abstrakt erscheinen und im gesellschaftlichen Konsens eingebettet sind.

4Players: In Ihrem Gastbeitrag gehen sie mit der Wissensvermittlung in der Schule hart ins Gericht. Warum können Spiele darin dem normalen Unterricht voraus sein?

Thorsten Michel: Ich denke vor allem deswegen, weil sie mehr Spaß machen als der Durchschnittsunterricht. Durch das Spiel steigt die Konzentration ganz beiläufig an, die Wissensvermittlung fällt nicht auf und erfolgt somit unbewusst und weniger. Ein spielerisches Lernsystem impliziert allerdings, dass für den Lernenden nicht klar trennbar ist, welche Informationen korrekt sind, und welche Elemente nur wegen des Spielflusses vorhanden sind. Spiele können also eine Stütze oder eine Anregung sein, alleiniges Lernmittel sind sie (vorläufig) jedoch kaum, es sei denn, man greift direkt zu echter Lernsoftware. Man sollte Spiele also vor allem als Anregung betrachten und sich bei Gefallen auch andere Lernquellen mit einbeziehen.

4Players: Denken Sie, dass man Spiele wie Rome: Total War, Pirates! oder Age of Kings auch im Unterricht verwenden könnte?

Thorsten Michel: Manches Spiel könnte an der richtigen Stelle durchaus als begleitendes Lernmittel eingesetzt werden. Allerdings halte ich es unbedingt für notwendig, dass auch vorhandene Fehler herausgearbeitet werden müssen, dass also ein kritischer Begleitunterricht stattfindet. Das würde zugleich den heute kaum noch vorhandenen Skeptizismus stärken.

4Players: Gibt es Hollywood-Mythen, die Sie als Ur- und Frühgeschichtler besonders auf die Palme bringen?

Thorsten Michel: Hollywood-Mythen bringen mich kaum noch auf die Palme. Wesentlich mehr ärgert es mich, wenn solche Hirngespinste als Wahrheit verkauft werden, wie es das ZDF regelmäßig mit seinen geschichtlich inspirierten Unterhaltungsserien im Vorabendprogramm versucht. Ähnlich schlimm finde ich, wenn Fantasie mit offensichtlicher Faulheit begründet wird, wie es bei der Produktion des kurzweiligen Films "Gladiator". Hier erklärte die verantwortliche Expertin im offiziellen Making-Of die weitgehend ausgedachte, in Teilen auch anachronistische Ausstattung damit, dass man angeblich fast nichts über Gladiatoren wüsste. Das ist schlicht und ergreifend falsch. Ausgerechnet dieser Bereich der römischen Geschichte ist gut untersucht - man muss sich eben nur die Mühe machen und die entsprechenden Bücher finden.

4Players: Und wie sieht`s mit den gehörnten Wikingerhelmen aus, die auch in vielen Spielen ihr Unwesen treiben?

Thorsten Michel: Bei den "klassischen" Wikingerhelmen handelt es sich allerdings weniger um einen Hollywood-Mythos als um Unsinn aus dem 19. Jahrhundert, der vermutlich auf bronzezeitliche Menschendarstellungen aus Skandinavien zurückgeht und seither durch die bildende Kunst und Wagner-Opern breitgetreten wird.

4Players: Stimmt, seitdem geistert der stilisierte Germane durch die Klassik. Aber die Nordmänner gehören ja auch zu den Lieblingsfiguren der Spielewelt. Egal ob Rune, Age of Kings, Total War oder Dark Age of Camelot. Gibt es Titel, die die Welt der Wikinger einigermaßen historisch darstellen?

Thorsten Michel: Ich muss gestehen, dass ich aus dieser Reihe nur die Wikinger von Age of Kings aus eigener Anschauung kenne. Die sind abgesehen von der grundsätzlichen Detailoptik und wenigen Anklängen bei den Einheiten (Drachenboote und Berserker) eher am allgemeinen AoK-Outfit orientiert. Erfreulich realistisch ist in vielerlei Hinsicht das im Beitrag genannte Vinland.

4Players: Oh ja, für geneigte Altnordisten eine ahre Fundgrabe. Sie schreiben, dass 90% aller Archäologen ihres Bekanntenkreises Age of Empires in ihrer Spiele-Sammlung hätten. Ist es tatsächlich so authentisch oder einfach nur gut?

Thorsten Michel: Als es damals auf den Markt kam, glänzte es natürlich mit einer guten Kombination aus einem ausgefeilten Spielprinzip, großem Spielspaß und einem hohen Suchtfaktor. Einige Elemente kann man darüber hinaus auch durchaus als authentisch bezeichnen, die sich allerdings weniger im eigentlichen Spielbereich finden. Ich denke da beispielsweise an die Einführungstexte vor den Kampagnen oder dem Lexikon in AoK. Die Informationen sind zwar auch nicht alle für bare Münze zu nehmen, können aber durchaus mit manchem populärwissenschaftlichem Lexikonartikel mithalten.

4Players: Auf welche Spiele freuen Sie sich dieses Jahr ganz besonders?

Thorsten Michel: Eigentlich hatte ich mich auf Desperados 2: Cooper's Revenge gefreut, musste aber gerade feststellen, dass der Erscheinungstermin schon wieder einmal verschoben worden ist.

4Players: Eine typische Branchenkrankheit, die uns täglich mit News füttert. Noch eine kurze Umfrage in eigener Sache: Was gefällt Ihnen an 4Players gut, was weniger gut?

Thorsten Michel: Ich lese natürlich regelmäßig die Spielkultur-Ecke. Ansonsten frequentiere ich die Seite vor allem, wenn ich gehaltvolle Informationen zu PC-Spielen haben möchte. Dabei bevorzuge ich 4Players teils, weil mir die Printmedien weitgehend zu dumpf und pubertär geschrieben sind, teils aber auch, weil ich mir ohnehin nur bestimmte Spiele herauspicke, über die ich Informationen sammeln möchte. Da stört es mich dann schon, wenn ich im Prinzip mehr für irgendwelche selbstproduzierte Filmchen zahlen soll, als für einzelnen möglicherweise interessanten Test. Einen großen Bogen mache ich bei 4Players vor allem um die Konsolen-Ecke, allerdings schon aus dem einfachen Grund, das ich keine Konsole besitze.

4Players: Können Sie uns vielleicht noch verraten, woran Sie gerade arbeiten?

Thorsten Michel: Zur Zeit bereite ich mich auf eine Ausgrabung auf Rügen vor. Nach den Ergebnissen der Voruntersuchungen handelt es sich bei dem Fundplatz um eine bronzezeitliche Siedlung.

4Players: Vielen Dank für das Gespräch und fette Beute!

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