Special: Gemeinsam gegen die Großen Alten
Der Alptraum im Jahr 1926
Es herrscht betretenes Schweigen am Tisch. Vier Spieler stöbern stumm in ihren Charakterkarten, inspizieren Waffen und Zauber, verschieben ihren Fokus zu mehr Kampf anstatt Wille oder mehr Geschwindigkeit statt Schleichen. Aber ob dieses taktische Feintuning der Fähigkeiten noch hilft? Da hat man sich über viele Stunden und Runden so tapfer gehalten und jetzt droht das Aus - alle Zeichen stehen auf Untergang: Die Stadt Arkham könnte schon bald von der
Er ist nicht das Problem: Auch wenn er in einer fremden Sprache "Ia! Ia! Fthagn! Ph'nglui mglw'nfah Cthulhu!" faucht, würden die Helden ihn in null Komma nichts mit Blei durchsieben - so wie viele andere Kreaturen zuvor, die als Trophäen neben ihnen liegen; nach mehr als drei Stunden Spielzeit sammelt sich so einiges an. Das Problem ist jedoch der Große Alte namens Yig, der in dem Moment erscheinen wird, in dem sich das siebte Dimensionstor öffnet. Vor Beginn eines Abenteuers wird zufällig bestimmt oder entschieden, welcher der acht großen Dämonen die Welt zu verschlingen droht. Die Spieler müssen das unbedingt verhindern, wenn sie nicht in den finalen Kampf verwickelt werden wollen - und da hätten sie momentan kaum Chancen und alles wäre umsonst.
Vier Helden vor dem Untergang
Der Detektiv Joe Diamond ist nämlich fast wahnsinnig, weil seine geistige Gesundheit auf 1 liegt, der aufmunternde Whiskey verbraucht ist und im heilenden
Bis vor wenigen Runden hätte das schlagfertige Quartett noch für seine letzten Dollars fleißig einkaufen können, aber die ersten Menschen haben die Stadt bereits in Angst verlassen und sowohl das Warenhaus als auch der Raritätenladen haben geschlossen - im Brettspieldeutsch: Der Terror-Level ist auf 6 gestiegen. Jetzt gibt es nur noch den offenen Magieladen, in dessen Nähe sich allerdings Vampire und auch ein Sternengezücht herum treibt: Das hat nicht nur drei Lebenspunkte, sondern zieht bei einem Treffer auch jeweils drei Gesundheit bzw. Ausdauer haben. Hier sollte man also nur so siegessicher auftauchen wie es die vier Helden gerade nicht sind.
Die Tore müssen weg!
Was tun, um das Unheil abzuwenden? Mindestens ein Dimensionstor schließen, danach möglichst versiegeln und damit Zeit gewinnen! Daher ist es Glück im Unglück, dass sich Magier Drake gerade in den fernen Traumlanden befindet - eine von acht Parallelwelten aus H.P. Lovecrafts düsterem Universum, das auf der riesigen Stadtkarte so wunderbar illustriert wird. Nur über den Weg durch diese Höllen und zwei erfolgreichen Begegnungen in ihnen, wo es
"Vor den südlichen Toren von Thran wirst du von einem, in rote Roben gehüllten Wächter aufgehalten, der dich passieren lässt, wenn du ihm drei unglaubliche Träume erzählst. Bestehe eine Glücksprobe (-1), damit du einen Rundgang durch die goldenen Türme machen darfst, und dabei zwei Hinweismarker findest. Im anderen Falle bleibe in der nächsten Runde hier."
Fast ein Pen&Paper-Rollenspiel
Wer diese Situation bei Kerzenschein mit leidenschaftlichen Rollenspielern erlebt, die natürlich entsprechende Musik im Hintergrund laufen lassen, darf sich jetzt auf die Träume des Magiers freuen, bevor es an das Würfeln geht. Allerdings darfman sich von dieser kleinen optionalen Quest nicht täuschen lassen: Es dominieren auf lange Sicht eher Kampf, Sammelei und Würfelei. Und wenn Drake da auch noch Glück hat, kann er das Dimensionstor vielleicht nicht nur schließen, sondern auch mit fünf Hinweismarkern versiegeln (falls er denn noch drei besitzt) - das würde das Nahen des Großen Alten immerhin etwas verzögern, einige Kreaturen bannen und eine erneute Öffnung verhindern.
An dieser Stelle verlasse ich das Abenteuer, das hier in die dramatische Phase ging: Leben oder Tod? Viele Partien
Das besondere Art- und Textdesign
Arkham Horror kann ein ganz besonderes Erlebnis sein, wenn man die hervorragende Präsentation des Spielmaterials auf sich wirken lässt: Zum einen sind da die fantasievollen Illustrationen, die sowohl das Flair der 20er-Jahre als auch diedüsteren Visionen des H.P. Lovecraft tragen. Egal ob Stadtviertel, Heldenbogen, Zauber oder Ereignis - die knapp 400 Karten und Marker sind alle Hingucker allererster Qualität, die im Brettspielbereich ihresgleichen suchen. Zwar gibt es nur Pappfiguren auf Plastikhaltern und keine Miniaturen, aber die vielen hochwertigen Zeichnungen von Dämonen und Tränken, von Waffen und Orten sorgen für eine klasse Kulisse.
Dass es darüber hinaus zu einer knisternden Atmosphäre kommen kann, die an gute Pen&Paper-Sitzungen erinnert, liegt auch an den sehr guten und überaus stimmungsvollen Texten. Ein Beispiel habe ich oben gegeben, aber es gibt viele weitere, die vor allem die Ereignisse in den Parallelwelten sowie die Entwicklungen in Arkham veranschaulichen. Natürlich gibt es auch schnöde Anweisungen à la "Bestehe eine Kampfprobe (-2)", aber wer sich mit dem Cthulhu-Mythos etwas auskennt, wird auch viele (unangenehme) Déjà-vus erleben und sich in dieser Welt einigermaßen (un)heimlich fühlen - die Brettspielumsetzung einer literarischen Horrorwelt ist nahezu vorbildlich.
Die Stärke des Charakters
Das Besondere an diesem Spiel ist auch das Charaktersystem, denn es ist ebenso vielfältig wie clever strukturiert: Man hat zu Beginn die Wahl unter 15 (!) Helden mit eigener Biografie und individuellen Werten. Rollenspieler können
Sie verfügt zu Spielbeginn über sieben Dollar, einen Hinweismarker sowie zwei besondere und einfache Gegenstände und eine Fertigkeit, die zufällig gezogen werden. Außerdem hat sie das individuelle Talent, die geistige Gesundheit ihrer Partner zu heilen. Zwar besitzen alle Helden die sechs Werte Geschwindigkeit und Schleichen, Kampf und Wille sowie Wissen und Glück, aber je nach Charakter hat man ein anderes Spektrum der Leistungsfähigkeit: Während die Psychologin im Kampf höchstens einen Grundwert von vier haben kann, besitzt der Gangster McGlen z.B. ein Maximum von sechs. Trotzdem unterscheiden sich die Helden für meinen Geschmack letztlich nicht stark genug, was ihre Spielweise angeht, da es zu wenig individuelle Boni und Beschränkungen gibt.
Die dynamischen Talente
Clever ist an dem System allerdings die Dynamik: Man steigt nicht über Erfahrungspunkte auf und wird immer stärker, sondern kann vor jeder neuen Phase seinen Fokus in einem gewissen Rahmen (1 bis 3 Stufen) verändern, um z.B. eher schnell als leise, eher stark als konzentriert oder eher schlau als glücklich zu sein. Dazu verschiebt man die drei Marker auf seiner Karte, die jeweils zwei Talente umfassen, die einander bedingen. Wenn sich Carolyn z.B. drei Felder weit bewegen will, kann sie eben nicht mehr so leicht Monstern ausweichen. Im Brettspieldeutsch: Geschwindigkeit 3, Schleichen 0.
Natürlich kann man diese Grundwerte noch mit Ausrüstung wie einem dunklen Mantel zum besseren Ausweichen
Die Macht der Würfel
Eine Stärke ist wiederum das klare Kampf- bzw. Würfelsystem bei Proben gegen das Glück, den Willen oder Ähnliches: Man hat immer dann Erfolg, wenn man auf einem Sechserwürfel eine 5 oder 6 erzielt. Und man würfelt mit so vielen Würfeln wie es dem eigenen Talentwert inklusive aller Mali und Boni entspricht. Würde Carolyn mit ihrer oben beschriebenen Ausrüstung, also einem Kampfwert von 7 auf einen Kultisten treffen, zieht er ihr nochmal drei mögliche Würfel ab, bleiben also vier für den erfolgreichen Wurf - da der Kultist nur einen Lebenspunkt hat, reicht eine 5 und er stirbt.
Vor jedem Kampf wird allerdings noch eine Horrorprobe gemacht: Diese symbolisiert die psychische Stabilität im Angesicht der Kreaturen und verlangt einen Würfelwurf in Höhe des momentanen Willens. Wer hier versagt, kann zwar kämpfen, kommt dem Wahnsinn aber ein Stück näher, denn er verliert eine geistige Gesundheit. Auf die verheerende Wirkung von Flüchen oder die Funktion von Bankeinleihen, auf fliegende Monster am Nachthimmel, auf Hinterhalte und Immunitäten gehe ich jetzt ebenso wenig ein wie auf die Verbündeten, die man anheuern kann, sonst würde das den Rahmen sprengen, der in einer großformatigen 24-seitigen Anleitung abgesteckt wird.
Ohne Fleiß kein Preis
Arkham Horror ist jedenfalls das anspruchsvollste Brettspiel, das ich bisher vorgestellt habe - selbst StarCraft erreicht nicht diese Komplexität im Detail. Das mag auf er einen Seite eine Hürde sein, denn man muss viel Zeit in die Lektüre der Anleitung investieren und gerade die ersten Spiele werden immer wieder unterbrochen, weil man nachschlagen muss, was genau jetzt eigentlich passiert. Da es keinen Computer im Hintergrund gibt, muss jemand alles manuell einleiten und überwachen, was um einen herum passiert. Hier empfiehlt sich doch die Ernennung eines erfahrenen Spielleiters, der sich um alle Werte und das Fortschreiten auf den wichtigen Leisten kümmert.
Hinzu kommt, dass die riesige Stadtkarte zwar unheimlich edel illustriert wurde, aber dass man von Symbolen und Texten in den einzelnen Vierteln zunächst überwältigt wird. Zu Beginn kann man sich darauf verlieren, weil man eineStruktur der klaren Aktionen vermisst. Es ist zunächst diffus, was die kleinen Hinweise wie Dollarzeichen, Herzen,
Verhältnis von Glück und Taktik
Wenn man sich erst einmal durchgebissen hat, weiß man das nicht immer perfekte, aber durchdachte Regelwerk zu schätzen, denn es sorgt für eine angenehme Simulation der düsteren Spielwelt. Allerdings kann diese auch Leerlaufphasen beinhalten, in denen man das Drama vermisst, weil sich einfach nichts Entscheidendes tut - hier hätte man die Spannungskurve evtl. über einige
Ersterer repräsentiert das Nahen des Großen Alten, Letzterer den Zustand der Bevölkerung. Die Helden müssen versuchen, beides möglichst niedrig zu halten. Schade ist allerdings, dass es hier kaum auf kooperative Aktionen ankommt, die taktische Vorteile bringen. Natürlich spielt man zusammen und kann sich am Tisch jederzeit absprechen, wer welches Monster attackiert und wer zum nächsten Dimensionstor geht. Aber es gibt keine gezielten Manöver, in denen zwei oder drei Helden ihre Kräfte bündeln oder sich clever ergänzen könnten - jeder kämpft für sich. Auch die Missionen enthalten keine kooperativen Ziele, die das Zusammenarbeiten wirklich fordern und belohnen, sondern meist
Hinzu kommt, dass die Spielbalance nicht nur je nach den gezogenen Karten, sondern auch je nach Zusammensetzung der Gruppe stark schwanken kann. Obwohl je nach Anzahl der Spieler die Monster und das Nahen des Alten nach oben oder unten angepasst werden, sollte man Arkham nicht zu zweit besuchen: Da hat man eigentlich keine Chance und man fühlt sich auf der riesigen Karte irgendwie verloren - hier sollte man höchstens so spielen, dass jeder gleich zwei Figuren steuert. Und man sollte auch nicht mit mehr als fünf Leuten losziehen, denn dann wird es wiederum zu einfach, weil die Monster quasi direkt nach dem Auftauchen fallen. Optimal ist eine Gruppe mit vier bis fünf Leuten.
Fazit
Ich schätze H.P. Lovecraft, ich mag kooperative Spielkonzepte sowie umfangreiche Brettspiele in edler Präsentation - und Arkham Horror ist eines der stimmungsvollsten seiner Art! Die Ausstattung ist mit all den Illustrationen im 20er-Jahre-Stil einmalig und das Charaktersystem ist ebenso clever wie die Auswahl an Helden und Monstern üppig ist. Wer die Box das erste Mal auspackt, wird erst Wow und danach Woooow sagen. Aber Kevin Wilsons düsteres Rollenspiel rutscht nur knapp in meine Empfehlungen, weil es letztlich fantastischer aussieht als es sich spielt. Keine Bange: Es ist kein Blender, sondern eher ein zeitintensives Monster von einem Abenteuer, das zwischen grandiosen Momenten und zähen Phasen schwanken kann wie ein Dreimaster auf hoher See - und das bis zu vier Stunden in einer Sitzung. Manchmal hat man Glück und die Zufallskarten sorgen für eine gelungene Dramaturgie, manchmal jagt man ohne große Ereignisse einfach Monstern hinterher. Etwas mehr kreative Missionen und kooperative Taktiken sowie Straffung durch vorgegebene Großereignisse hätte dem Leerlauf vorbeugen können - zumal das Teamplay wird in anderen kooperativen Brettspielen besser inszeniert wird. Trotzdem gehört Arkham Horror zu den interessantesten Brett-Rollenspielhybriden. Und das Erlebnis dieses Spiels kann ein unheimlich intensives sein, wenn man sich in seine Charaktere hinein steigert und dazu noch die passende Musik laufen lässt. Dann entfaltet dieses Abenteuer gnadenlose Reize, die für ein paar Stunden fesseln können.
(Mittlerweile sind zahlreiche Erweiterungen erschienen, die das Spielerlebnis noch verbessern und die Dramaturgie etwas fokussieren können - vgl. Wikipedia . Anm. d. Red.)
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
Weitere Brettspieltests im Archiv: Galaxy Trucker, StarCraft - Das Brettspiel, Agricola, Hive, Doom - Das Brettspiel.
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