BioShock Infinite27.05.2014, Jörg Luibl

Special: Kartentaktik & Risiko in Columbia

Ein Brettspiel zu einem Shooter wie Bioshock? Das klingt vielleicht ungewöhnlich, kann aber zu einem faszinierenden Ergebnis führen. Kevin Wilson hat mit Doom z.B. das gnadenlose Flair der id-Ballerei auf den Tisch übertragen. Aber Plaid Hat Games (Maus & Mystik) lässt euch nicht mit Elizabeth und Booker durch düstere Korridore kämpfen, sondern inszeniert einen farbenfrohen Krieg der Fraktionen - es geht nicht um Action, sondern Strategie. Warum sich der Kampf in "Bioshock Infinite (ab 14,90€ bei kaufen): The Siege of Columbia" lohnt, klärt der Test.

Die Dramaturgie der Ereignisse

Das Besondere an diesem Brettspiel ist die Symbiose aus territorialer Eroberung, Kartentaktik  und einem Drehbuch mit Zufallsereignissen, das sich an Bioshock Infinite orientiert. Auch auf dem Tisch spürt man also die Story des Shooters, so dass Kenner nicht nur mit alten Bekannten wie Comstock, der Flucht aus dem Turm oder Elizabeths zerstörerischer Kraft einige Déjà-vus erleben, sondern auch mit der Zuspitzung der Ereignisse. Plaid Hat Games verbindet damit zwei Erlebnisse am Tisch: Das strategische Duell und das erzählerische Drama.

"Bioshock Infinite: The Siege of Columbia" ist bisher nur auf Englisch bei Plaid Hat Games erschienen.
Das gelingt, weil die Spieler jeweils eine Fraktion (Founder oder Vox Populi) anführen, während Elizabeth und Booker quasi als Nichtspielercharaktere und unberechenbare bzw. feindliche dritte Fraktion immer wieder Einfluss nehmen – und es kann richtig weh tun, wenn ein aggressiver Booker im eigenen Gebiet alles und jeden angreift, weil er sein Mädchen befreien will. Wann die beiden Videospielhelden was tun, wird zum einen vom zufällig gemischten Kartenstapel und zum anderen von der festgelegten Zeitleiste mit ihrer chronologischen Abfolge von der Befreiung Elizabeths bis zur finalen Flucht aus Columbia bestimmt.

Aber muss euch das Schicksal der beiden stören? Muss man die Geschichte kennen? Nö! Ihr könnt dieses explosive Duo aber auf euren Gegner hetzen und auf das Wesentliche konzentrieren: Die Eroberung Columbias.

Komplexes Risiko in malerischer Präsentation

Auf den ersten Blick wird eine Art komplexes Risiko inszeniert, bei dem zwei Armeen auf einer wunderschön designten Weltkarte um Gebiete kämpfen – die 52 Miniaturen inklusive Luftschiff und Songbird sind zwar recht klein für eine Bemalung, aber dafür ausreichend fein ausgearbeitet. Spätestens mit Maus und Mystik haben die Brettspielmacher von Plaid Hat Games demonstriert, dass sie ein Händchen für Artdesign und wertige Ausstattung haben. Auch dieses Bioshock

Man braucht viel Platz für Weltkarte, Einheiten und die vielen Marker, Karten sowie Tableaus.
besticht mit malerischen Illustrationen. So macht es schon Spaß, sich durch die Karten zu wühlen und das Ganze aufzubauen. Jeder Spieler startet mit vorgegebenen Truppen von festgelegten Plätzen und fünf zufällig gezogenen Handkarten.

Ziel ist es, als Erster zehn Siegpunkte zu erreichen, indem man entweder komplette Gebiete erobert, die aus verschiedenen Orten bestehen oder indem man für alle sichtbare Zusatzaufträge erledigt wie z.B. "Besitze drei Gebiete mit Alarm" oder "Besitze eine Einheit in jedem Gebiet."

Dabei gibt es viele qualitative Unterschiede zum Klassiker Risiko:  Man kann z.B. sechs Truppentypen vom „Handyman“ bis zum „Sky Rider“ separat aufrüsten, indem man ihre Spezialfähigkeiten aktiviert und ihre Stärke, ihren Einfluss sowie ihren Geldwert anhebt.

Festgehalten wird das auf einem separaten Tableau über goldfarbene Schlüssel- und Zahlenmarker. So kann man seine Armee gezielt modifizieren und an seinen Spielstil anpassen - man kann z.B. über mehr Einnahmen auf Masse oder über freigeschaltete Fähigkeiten auf Klasse gehen. In jedem Zug darf man dann so lange Einheiten oder Gebäude bauen, bis der Vorrat an Silberadlern aufgebraucht ist. Mehr Geld bekommt man nicht regelmäßig oder über Produktion, sondern fast nur über ausgespielte Handkarten - alle haben einen unterschiedlichen Gegenwert.

Ein General sorgt für permanente Boni.
Aber man hat ja nur fünf und braucht sie auch im Kampf...

Apropos: Das Kampfsystem ist denkbar einfach, denn die höhere summierte Zahl gewinnt letztlich das Gefecht um ein Gebiet. Aber es bietet einige taktische Optionen: Je nach Truppenarten in der Armee würfelt man mit einer unterschiedlichen Zusammensetzung der drei Würfel (rot, blau, weiß) – ein Anführer kann mit Rot maximal eine Acht erreichen, eine Spezialeinheit mit Blau eine Sechs und gewöhnliche Soldaten mit Weiß nur eine Vier.

Dazu zählt man den Kampfwert sowie den Bonuseffekt ausgespielter Handkarten: Der „Handyman“ bringt z.B. drei Punkte, aber wird er allein ausgelegt, erhöht sich das auf sechs. Der „Flak Man“ reduziert alle Würfe des Gegners um einen Punkt, wenn er verteidigt. Und wenn man den „Sharp Shooter“ abwirft, darf man irgendwo eine gewöhnliche Einheit vernichten.

Gefahr aus Nachbarschaft und der Luft

Da man in seinem Zug nur vier Einheiten bewegen darf, sollte man sich die Zusammensetzung und Angriffsziele gut überlegen sowie die Nachbarschaft einbeziehen. Hinzu kommen nämlich unterstützende Würfel durch militärische Gebäude in der Nähe: Eine Festung im Kampfgebiet gewährt einen roten, ein Geschütz einen blauen in allen angrenzenden Gebieten und ein Alarm einen weißen Würfel zusätzlich. Schließlich sorgen auch Generäle für permanente Boni: Wer Comstock vor sich liegen hat, darf in jedem Kampf als Angreifer z.B. zwei Punkte hinzuzählen; wer Jeremiah Fink besitzt, zahlt zwei Silber weniger für Gebäude. An dieser Stelle wird deutlich: Man muss sich viel an Modifikationen merken und addieren! Daher empfiehlt es sich, die ersten Runden sehr langsam zu spielen.

Das Artdesign der Karten ist klasse.
Sehr gut gelungen ist die Integration der Vertikalen, die ja für den Shooter so kennzeichnend war und für Tempo gesorgt hat. Das Brettspiel simuliert das zumindest im Ansatz: Denn manche Gebiete wie „Monument Island“ sind nur über die Skyline zu erreichen, die sich mit ihren Stationen über die ganze Weltkarte erstreckt. Aber die Reise damit birgt ein Risiko. Wer keinen Daumen nach oben mit seinen drei beigen Würfeln erzielt, muss entweder Karten abwerfen oder Einheiten in Höhe der Ziffern vernichten – autsch! So kann manche Invasion in einem regelrechten Desaster enden. Überhaupt ist es die Unberechenbarkeit, die das Spielerlebnis gegenüber klassischen  Wargames wie Julius Caesar dramaturgisch aufwertet. Man kann zwar auch clever planen, umzingeln und aufrüsten, aber es gibt eben auch plötzliche Verluste und universelle Ereignisse.

Ereignispoker mit verdeckten Karten

Ob sie stattfinden, liegt dabei immer in der Hand der Spieler: Nachdem man sie aufgedeckt und vorgelesen hat, darf man verdeckt Karten ablegen, um über deren Einflusswert zu bestimmen, ob etwas ausgelöst wird. Hier entsteht eine angenehme Qual der Wahl, denn man hat (meist) nur fünf Karten auf der Hand, die

Die Miniaturen sind recht klein, aber fein modelliert.
für alle Aktionen im eigenen Zug wichtig sind – auch für den Kauf von Truppen sowie den Kampf: Will man also ein Ereignis mit zwei,  drei oder vier Karten erzwingen, ist man danach vielleicht blank und ohne Zusatzkraft im Gefecht. Hier muss man abwägen, was einem wichtiger ist.

Manche Ereignisse wirken sich nicht nur direkt auf das Kräfteverhältnis der Fraktionen aus, man spielt quasi parallel zur tatsächlichen Geschichte  – so dass sich die Lage mit der Zeit immer mehr zuspitzt. Zwar gibt es auch banale Boni: Je nachdem, wer Elizabeth kontrolliert, bekommt derjenige z.B. zehn Silberadler. Aber es gibt auch fatalere Folgen: Elizabeth reißt z.B. Lücken auf und kann dabei so scheitern, dass ganze Gebiete zerstört werden.  Luftschiff und Songbird tauchen nach speziellen Ereignissen auf und Booker wird gegen Ende aggressiver. Für erhöhten Wiederspielwert sorgen drei Zeitlinien mit leicht unterschiedlichen Auswirkungen, von denen jeweils eine für das Spiel ausgesucht wird.

Zwei Fraktionen, bis zu vier Spieler

Aufbau und Regelwerk werden nur leicht modifiziert, wenn man zu viert spielt. Es bleibt auch bei den beiden Fraktionen, die man dann allerdings kooperativ als Team spielt. Aufgrund der hellen und dunklen Varianten der

Hier wertet man seine Truppen auf und schaltet deren Spezialeigenschaften frei.
Truppen und Karten kann man sie auch so gut unterscheiden. Außerdem gelten Aufrüstungen eines Typs sowie Siegpunkte immer für beide Spieler. Man gewinnt also, wenn beide addiert die zehn Punkte erreichen. Etwas Würze kommt durch die Zusatzregel ins Spiel, die besagt, dass eine Teilfraktion ohne Einheiten oder Gebäude auf der Karte komplett eliminiert wird  – es lohnt sich also, sich auf einen der beiden Gegner zu konzentrieren.

Was gefällt nicht so gut?

Es gibt mal wieder wenig auszusetzen an diesem Spiel von Plaid Hat Games. Einsteiger werden sich aufgrund der vielen Modifikationen und kleinen Faktoren vielleicht etwas überfordert fühlen und erst langsam in einen Spielfluss kommen und reine Wargamer dürfte der Zufallsfaktor stören. Aber mein einziger Kritikpunkt ist, dass an einer Stelle vielleicht die Klarheit im Regelwerk fehlt. Die Anleitung lässt bei den Weltereignissen z.B. mehrere Deutungen zu: Bewegt man Booker grundsätzlich oder nur, wenn sein Konterfei auf der Karte ganz unten abgebildet wird? Wir haben ihn schließlich immer bewegt, abhängig von der Position Elizabeths. Und falls man die Ereigniskarte über einen negativen Wert abwehrt, also nicht geschehen lässt – werden Booker und Elizabeth dann überhaupt

Je ein Gebäude kann pro Gebiet errichtet werden.
bewegt? Abgesehen von diesen Kleinigkeiten gibt es nichts zu meckern.

Fazit

Das ist mal Steampunk-Flair am Tisch! Schon das Aufbauen von Bioshock Infinite: The Siege of Columbia macht aufgrund des markanten Artdesigns und der Qualität des Materials richtig Spaß. Und das Beste ist: Unter der schicken Oberfläche steckt angenehme Spieltiefe für Eroberer plus genug Déjà-vu für Kenner des Shooters. Das Besondere an diesem Brettspiel ist die Symbiose aus territorialer Eroberung, Kartentaktik  und einem Drehbuch mit Zufallsereignissen, das sich an Bioshock Infinite orientiert. Es wäre vielleicht einfacher für Plaid Hat Games gewesen, wenn man à la Doom einen Dungeon-Crawler mit Elizabeth und Booker in den Hauptrollen inszeniert hätte. Aber sie haben sich entschieden, die Perspektive für das Brettspiel zu wechseln: Man kämpft in einer komplexen Risikovariante mit seinen Truppen um Gebiete und Territorien. Und das macht richtig Laune! Ob es eine deutsche Version geben wird, steht noch nicht fest.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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