Magister Navis15.10.2010, Jörg Luibl
Magister Navis

Special:

Abgenutzte Riemen, ein Dreimaster als Emblem und eine Reihe vergilbter Landkarten - das sieht aus wie eine Ledertasche aus dem 18. Jahrhundert. Sehr edel, sehr schick und weckt gleich den Entdecker in mir! Kennt ihr das? Da wird man neugierig auf ein Spiel, nur weil man die Box so ansprechend findet. Sehr oft stecken darin dann genau die Brettspiele, die sich als Langweiler entpuppen. Magister Navis ist jedoch kein Blender, sondern ein echter Geheimtipp!

Wettstreit im 18. Jahrhundert

Magister Navis ist im Oktober 2009 bei Lookout Games erschienen und für knapp 30 Euro erhältlich.
Drei bis fünf Spieler kämpfen in Magister Navis um Ruhm - wer am Ende die meisten Punkte hat, gewinnt den strategischen Wettstreit. Jeder schlüpft mit einer Farbe in die Rolle eines europäischen Herrschers, der sich zum einen um die Wirtschaft, Forschung und Bevölkerung seiner Heimat und zum anderen um Kolonien in Übersee sowie Kriege kümmern muss. Alle haben allerdings nur sieben Runden Zeit, um Märkte, Docks und Universitäten zu bauen, Städte zu erobern oder neue Länder von Afrika bis zur Karibik zu besetzen. Ähnlich wie in Agricola muss man sich also spezialisieren und seinen Machtbereich clever ausbauen.

Zunächst haben alle Spieler lediglich Zugriff auf Europa, wo man Städte besetzen und Handelsstraßen dominieren kann; außerdem kann man Sklavereikarten ziehen, um sich Vorteile zu verschaffen. Aber Vorsicht: Man darf es damit nicht übertreiben, denn es kann im Laufe des Spiels auch zur Abschaffung des Menschenhandels kommen und dann zählen am Ende keine Boni, die man damit bekommen hat. Die Karibik, Afrika, Nord- und Südamerika sowie der Ferne Osten und Indien müssen erst über Schiffe angesteuert und als Kolonien besetzt werden.

Wer wird Gouverneur?

Drei bis fünf Spieler kämpfen mit ihren Kolonialreichen um Ruhmpunkte. Man kann allerdings auch zu zweit loslegen, dann leitet man zwei Reiche parallel.
Der exotische Reichtum dieser Länder wird über Kartenstapel symbolisiert: Wer als Erster ein fernes Land erreicht, bekommt z.B. die ganz oben liegende Gouverneurskarte, die direkt Ruhmpunkte und andere Boni einbringt - sehr nützlich, wenn man früh irgendwo landet. Danach kann diese Kolonie aber auch von anderen Spielern angesteuert und ausgebeutet werden, sobald man ein eigenes Schiff dorthin segeln lässt.

Was kann man auf der edlen Weltkarte alles tun? Zunächst sieht sie aus wie ein bunter Flickenteppich: Überall liegen kleine Plättchen für die Bereiche Industrie, Kultur, Finanzen und Politik - jeder kann also sehen, wo es was zu holen gibt, so dass kein Glück beim Ziehen von Karten die Entwicklung beeinflusst. Sobald man einen seiner Bevölkerungssteine platziert, kann man sein Reich in diesem Gebiet ausbauen. Dann wandert ein Marker z.B. in der Reihe "Kultur" weiter. Und das kann sofort zu einem Bonus im Wachstum führen. Wandert er in der "Politik" weiter, darf man vielleicht mehr Karten auf der Hand haben. Und wer vornehmlich Industrieplättchen ergattert, wird Gebäude höherer Stufe bauen dürfen - man hat die freie Wahl der Entwicklung.          

Industrie, Kultur, Krieg oder Finanzen?

Die Gebäude sind in den sieben Runden sehr wichtig: Konzentriert man sich auf Wirtschaft, Expansion, Krieg oder Bevölkerung?
Die Gebäude sind in fünf Stufen erhältlich und sehr wichtig, weil mit ihnen auch Aktionen möglich sind: Denn erst die "Werft" erlaubt die Schifffahrt, mit der "Kaserne" lassen sich Eroberungen durchführen, die "Warenbörse" hilft lediglich den Finanzen und das "Theater" sorgt direkt für zwei Kulturboni. Da man nur sieben Gebäude bauen kann, sollte man sich gut überlegen, in welche Richtung man das eigene Reich entwickeln möchte. Neben den direkten Bonusplättchen gibt es auch reine Aktionsplättchen: Mit ihnen kann man Schifffahrt, Besiedlung, Ausbeutung, Zahlung oder Handel sowie Kombinationen von allem ausführen. Aber was ist gerade am Sinnvollsten für das eigene Reich? Soll man um der Vielfalt Willen nach Indien noch die Karibik ansteuern? Oder soll man sich auf die Ausbeutung einer Kolonie konzentrieren?

Fragen über Fragen, die zum taktischen Grübeln führen. Das Besondere an Magister Navis ist auch die Bevölkerung, deren Management ein wenig an Civilization erinnert: Denn nur mit einem Überschuss kann man expandieren oder angreifen. Man muss sich um die Kultur bemühen, wenn man schnell wachsen will, denn nur dann kann man mehr Aktionen ausführen. Aber kann man das auch bezahlen? Nur die Arbeiter, die man auch entlohnen kann, wandern zurück in den Pool der freien Bevölkerung - symbolisiert durch den Hafen am rechten unteren Rand der Spielerkarte. Es kann also dazu kommen, dass man eine Stadt erobern will und einem die Soldaten fehlen. Wer kann das Gleichgewicht der Expansion am besten managen?

Krieg ohne Würfelglück

Weiß dominiert in der Karibik! Aber Rot bekommt den Industriebonus, da man die Handelsroute flankiert.
Apropos: Der Krieg ist hier auch keine Glückssache wie in Risiko - es wird ähnlich wie in Löwenherz nicht gewürfelt! Wer die Aktion "Angriff" ausspielt, weil er das entsprechende Plättchen besitzt oder Gebäude gebaut hat, kann jede fremde Stadt erobern, indem er einfach zwei Bevölkerungssteine einsetzt. Einer wird für den symbolischen Kampf geopfert, der andere ersetzt sofort den feindlichen - durch diese Gewichtung wird all zu schneller Eroberung aber ein Riegel vorgeschoben. Und es gibt eine Voraussetzung für den Krieg: Die eigene Farbe muss schon in der Region präsent sein - wer kein Schiff nach Indien schickt, kann da auch keine Stadt erobern!

Aber auch abseits des Krieges gibt es einen spannenden Wettlauf. Zum einen kommt eine geostrategische Komponente durch die Handelsstraßen ins Spiel, denn derjenige bekommt das Bonusplättchen, der die Städte um sie herum besitzt. Außerdem muss man auf die kluge Verteilung seiner Farbe in den Kolonien achten, denn es geht nicht nur um die Schnelligkeit der eigenen Schiff für den frühen Gouverneursposten, sondern auch um die Dominanz in einer Region- am Ende bekommt derjenige am meisten Ruhm, der z.B. die meisten Schiffe nach Afrika geschickt hat; das erinnert angenehm an das Runenrennen in Keltis.

Fazit

 Magister Navis hat mich positiv überrascht! Ich mag nicht nur das edle Box- und Kartendesign, das bei mir sofort die Lust auf Entdeckungen geweckt hat, sondern vor allem das kompakte, überaus gut strukturierte Spieldesign. Auch wenn diese Strategie von Carl de Visser und Jarrat Gray bei weitem nicht so komplex ist wie etwa "Im Wandel der Zeit", kommt ein angenehmer Hauch von Civilization beim Erforschen neuer Gebäude und dem Kolonisieren neuer Kontinente auf. Was ich sehr mag, ist ähnlich wie in "Agricola" die Festlegung auf eine Rundenzahl: Man muss in sieben Zügen das Beste aus Wirtschaft und Militär herausholen! Das sorgt für einen spannenden Fokus, zumal es in den Besiedlungen und Kämpfen keinen Glücksfaktor gibt. So muss man eine spezialisierte Strategie entwickeln, um am Ende die meisten Ruhmespunkte zu haben. Sehr unterhaltsam und sehr empfehlenswert für alle, die komplexe Strategie ohne riesiges Regelwerk suchen - die knackige Anleitung liest man einmal, dann kann es losgehen!  

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

Weitere Brettspieltests im Archiv!   

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.