Die Schlachten von Westeros14.01.2011, Jörg Luibl
Die Schlachten von Westeros

Special: Tabletop in der Welt von George R.R. Martin

Strategen und Fantasyfans aufgemerkt: Die "Schlachten von Westeros" entführt zwei Spieler in die epische Welt von George R. R. Martin - allerdings nur aus militärischer Sicht. Denn in diesem Tabletop geht es um knackige Gefechte zwischen den verfeindeten Häusern Lannister und Stark. Wer kann seine Truppen cleverer führen? Wer nutzt Gelände, Kommandos und Spezialfähigkeiten besser aus?

Ein Hauch von Feuer und Eis

"Dummköpfe! Wenn wir nur stark genug anstürmen, werden ein paar Männer durchbrechen, um Ser Jaime Lannister unserer Situation zu schildern, und dann werden sich diese Halunken aus dem Norden in einer Schlacht wiederfinden, die sie nicht gewinnen können."

Das ist der letzte Teil der Einleitung zur zweiten der zehn vorgefertigten Schlachten, die man nacheinander spielen kann. Man kann natürlich auch frei ein Gelände aufbauen, sich zwischen den beiden Parteien Lannister (rot) und Stark (weiß) entscheiden sowie nach Belieben Truppen verteilen - es gibt für diese Scharmützel auch eine optionale Regel,

"Die Schlachten von Westeros" ist ein Strategiespiel für zwei Personen. Es ist im Dezember 2010 beim Heidelberger Spielverlag für etwa 60 Euro erschienen.
damit die Spielbalance gewahrt wird. Aber es lohnt sich, die mitgelieferten Szenarien nacheinander zu spielen, denn so kann man sich besser auf die Welt einstimmen und das Regelwerk dabei Schritt für Schritt erlernen.

Wer das Lied von Feuer und Eis gelesen hat, wird nicht nur in diesen Beschreibungen wehmütig seufzen, wenn Terrance Crakehall oder Ser Arthur Mallery über die Kingsroad oder Harrenhal sprechen. Er wird sich auch über das edle Artdesign freuen, das auf all den Befehls- und Kommandokarten für mittelalterliche Stimmung sorgt - die Illustrationen können sich sehen lassen. Aber noch wichtiger ist natürlich auf'm Platz, also für Feldherren im Gelände. In diesem Fall lautet das Spielziel des zweiten Szenarios: Es gewinnt, wer nach fünf Runden die meisten relevanten Punkte hält.

Wacklige Truppenparade

138 Plastikfiguren der beiden verfeindeten Häuser "Lannister" und "Stark" sind enthalten: Man muss sie vor dem Spiel in die grünen Basen stecken - was nicht immer auf Anhieb hält.
Zunächst baut man das Gelände genau so auf, wie es angezeigt wird: Der große Spielplan zeigt Hexfelder an, auf die entsprechende Module für Straßen, Flüsse, Dörfer, Wälder, Hügel gelegt werden; hinzu kommen Furten, evtl. Zielmarker, Zelte, Belagerungstürme sowie Holz- oder Steinbrücken. Schließlich werden die Truppen sowie die Kommandeure platziert, die man ins Feld führt: Dazu gehören prominente Herrschaften wie Jaime Lannister, Gregor Clegane, Robb Stark, oder Rickard Karstark - alle mit eigenen Spezialfähigkeiten: Addam Marbrand darf als "Vorreiter" z.B. alle Bewegungsbeschränkungen ignorieren und selbst unpassierbares Gelände durchqueren.

Trotzdem flucht man vor dem ersten Spiel nicht selten: Denn das Zusammenstecken der 138 Soldaten, darunter Bogenschützen, Ritter, Reiter und Hundeführer, ist etwas fummelig. Man muss die Plastiksoldaten nämlich auf die kleinen Sockel stecken, was nicht immer einwandfrei funktioniert - ich empfehle von Beginn an einen Tropfen Sekundenkleber, damit Figur und Basis auch vernünftig halten. Falls es schief gedrückte Figuren geben sollte, am besten kurz in heißes Wasser tauchen und gerade biegen, damit nichts bricht.

Grüne, blaue und rote Flaggen

Man muss also zunächst etwas Arbeit investieren, bevor es richtig losgehen kann. Danach geht es allerdings recht schnell ins modular aufgebaute Gelände, denn das Regelwerk ist nicht so komplex wie etwa in Runewars oder StarCraft - Das Brettspiel . Das Spielsystem beruht auf BattleLore, das vor einigen Jahren bei Days of Wonder mit einem High-Fantasy-Hintergrund inklusive Zwerge, Trolle und Drachen erschien: Man bewegt also kleine Verbände mit bis zu vier Einheiten, die je nach Truppentyp (Soldaten, Schützen, Reiter) und Flaggenfarbe (grün, blau, rot) unterschiedlich stark und agil sind.

Viel Material verlangt nach viel Platz: Der Spielplan ist beidseitig bedruckt und wird mit Geländemodulen bestückt.
Die "Ritter von Casterly Rock" bewegen sich in der schweren roten Variante z.B. drei Felder weit und schlagen mit vier Angriffswürfeln zu - in der leichten grünen Variante kommen sie zwar ein Feld weiter, haben jedoch nur zwei Würfel in der Attacke. Die "Schützen der Nordmannen" dürfen sich genauso wie die "Schützen der Westlande" unter roter Flagge nur ein Feld bewegen und bis zu vier Felder weit feuern. Zwar unterscheiden sich die Armeen etwas, nur die Starks haben Hundeführer, aber die Truppentypen der beiden Kontrahenten sind ansonsten ausgeglichen.

Clevere Taktik im Feld

Tabletop-Freunde werden hier allerdings etwas mehr Militärtaktik finden als im

Die sehr gute Anleitung veranschaulicht Situationen und Kampftaktiken: Hier die Ermittlung der Sichtlinie.
Vorbild BattleLore; und ganz im Stile der Low-Fantasy-Saga auch keine Magie. Robert Kouba und sein Team haben für diese Auskopplung vor allem die konventionelle Kampfmechanik erweitert. Dreh- und Angelpunkt sind die oben erwähnten Kommandeure: Nur in einem Radius von zwei Hexfeldern wirken ihre Befehle. Man kann natürlich auch einzelne oder versprengte Truppen bewegen, aber besonders schlagfertig ist man dann, wenn man die speziellen Eigenschaften dieser Anführer einsetzt.

Für einfache Bewegungen einer einzelnen Einheit nutzt man Befehlsmarker, die man zufällig pro Runde erwürfelt oder Kommandokarten für mehrere, von denen es zehn konventionelle à la "Befehlige zwei Einheiten", aber je nach Anführer eben noch fünf spezielle mit Taktiken à la "Wenn die Moral von Lannister grün oder besser ist, erhalten Einheiten +1 Angriff" gibt - das geht dann nur im Radius eines Kommandeurs. Diese Karten werden für eine Schlacht in ein Deck gemischt, so dass man je nach Anführer auch immer andere Möglichkeiten hat.

Würfelglück und Flaggenfarbe

Etwas Glück ist also auch im Spiel, zumal ein Kampf ausgewürfelt wird: Wer auf einen Feind trifft, würfelt mit bis zu vier achtseitigen Würfeln und sollte möglichst die Symbole der feindlichen Flagge treffen - grün, blau oder rot. Wenn die schwere Kavallerie der Lannisters also vier grüne Schilde gegen die leichten Bogenschützen der Starks mit ihrem

Ein Blick auf eine Auswahl von Karten des Hauses Stark: Je nach Kommandeur hat man andere Taktiken zur Verfügung.
grünen Banner wirft, werden sie komplett vernichtet. Man kann auch schwarze Flaggen werfen, dann muss sich der Feind zurückziehen oder Fausthandschuhe werfen, die immer als Treffer zählen. Bis hierher hört sich das vielleicht nach Risiko mit Flaggen an, aber es steckt wesentlich mehr Taktik dahinter.

Abgesehen davon, dass unkontrollierter Rückzug bestraft wird, können Truppen auch nachsetzen und nochmal attackieren oder so in die Enge getrieben werden, dass sie aufgerieben werden - etwa mit einem Fluss im Rücken. Außerdem spielt die Rückendeckung ähnlich wie in Total War eine Rolle: Wenn eine Einheit "mutig" ist, weil sie z.B. an zwei eigene Einheiten angrenzt, darf sie sofort zum Gegenschlag ansetzen.

Wer sich defensiv clever postiert, kann selbst schwere Kavallerie aufhalten. Das Flankieren lohnt sich auch im Angriff: Wer den Feind von zwei Seiten bedrängt, darf sich beim zweiten Schlag ein Symbol aussuchen und z.B. drei Patzer einfach erneut würfeln - sehr nützlich. 

Dynamische Gefechte im Gelände

All das sowie der Drang zur optimalen Postierung und Unterstützung sorgt zum einen für eine angenehme Dynamik auf dem Schlachtfeld, bei der es auch mal überraschend hin und her geht oder eine scheinbare Übermacht dezimiert wird. Und auch das Gelände spielt eine Rolle: Zum einen kann es die Sichtlinien oder ganze Bewegungen blockieren, so dass Schützen nicht über Wälder schießen und Reiter nicht einfach durch Flüsse galoppieren können - man muss sich Furten oder Brücken suchen. Zum anderen sorgen Hügel für mehr Reichweite, Wälder für einen gewissen Schutz und Straßen für beschleunigte Bewegung.

Hinzu kommen spezielle Gebäude, Palisaden, Belagerungstürme und Brücken aus Holz, die man übrigens auch

Neben dem Regelbuch gibt es ein Szenarienbuch: Hier werden nach einer stimmungsvollen Einleitung die Siegbedingungen und Grundaufstellungen erklärt.
verbrennen kann, was schon mal ein paar Runden dauert. Je nach Missionsziel spielen diese Zusätze eine Rolle: Im sechsten Szenario muss man z.B. Lager nieder brennen und Verschanzungen zerstören bzw. Katapulte aufbauen, wofür es genauso wie für besiegte Einheiten Punkte gibt - nach vier Runden wird abgerechnet. Es kann auch dazu kommen, dass man Lords wie Edmure gefangen nehmen muss, wobei der Spieler zwei mögliche Orte auf dem Schlachtfeld markiert; allerdings verbirgtsich nur unter einem der Marker der Lord der Tullys. Die zehn Szenarien sind also sehr abwechslungsreich gestaltet und bieten weit mehr als den Aufruf zur totalen Vernichtung.

Das Einzige, was für meinen Geschmack nicht ganz überzeugend integriert wurde, ist die Moralanzeige. Die Idee ist ja nicht schlecht: Sobald man eine grüne, blaue oder rote Einheit des Gegners vernichtet, steigt die eigene Moral um einen, zwei bzw. drei Punkte - dabei wandert ein Marker auf einer Leiste aus der Perspektive des Siegers nach oben, so dass der Verlierer den Marker auf sich zukommen sieht:

Die Hundeführer der Starks lauern an der Furt: Sie können ihre Meute aus sicherer Distanz auf die Feinde hetzen.
Die Moral ist also eine ebenso dynamische wie universelle Komponente. Erreicht der Anzeiger den untersten Bereich, kann das Spiel sofort vorbei sein. Aber: Das System wird nicht spürbar genug umgesetzt, da man seine Moral erstens immer viel zu schnell retten kann und es zweitens keine direkten Auswirkungen der Leiste auf die Truppen gibt. Lediglich einige Kommandokarten verlangen für ihre Befehle einen bestimmten Moralwert.

Fazit

Winterfell und Harrenhal, Lord Karstark und Gregor Clegane - na, wer hört bereits die Wölfe heulen und Lanzen brechen? Egal ob Namen, Wappen, Truppen oder Schauplätze: Dieses Strategiespiel für zwei Feldherren schlägt natürlich ganz bewusst eine Kerbe in das Herz all jener, die der Fantasy-Welt von George R. R. Martin verfallen sind. Und ich gebe zu, dass ich es auch blind gekauft hätte. Aber das hätte ich nicht bereut, denn in der prächtigen Box mit ihren hunderten Plättchen, Karten und Figuren steckt alles andere als eine lieblose Lizenzausschlachtung. Zwar ist die Figurenaufstellung etwas fummelig, aber danach kann man sich im modular aufgebauten Gelände austoben. Aufgrund der leicht verständlichen Regeln und der sinnvollen Feinheiten wie Kommandobereiche, Flankierung, Furten oder Brandschatzung eignet sich dieses Spiel sowohl für Neulinge als auch Veteranen - und hier steckt trotz des Glücksfaktors etwas mehr Militärtaktik drin als in BattleLore: Die Einflussgebiete mächtiger Anführer sind eine sinnvolle Verbesserung. Zwar hat man die Auswirkungen der Moral für meinen Geschmack nicht konsequent genug integriert, aber dafür bieten die Szenarien sehr abwechslungsreiche Ziele und es kommt ohne viel Leerlauf immer zu einem dynamischen Schlagabtausch.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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