Special: Klasse Strategie mit historischem Flair
Der Vater des Erfolgs
Man denkt immer, das virtuelle Spiel sei so alt. Vor allem, wenn Begriffe wie MS-DOS oder MicroProse fallen, fühlt sich das wie Steinzeit an. Aber schon ein Jahrzehnt bevor Civilization die Herzen digitaler Weltenbauer eroberte, gab es 1980 ein ähnlich konzipiertes Brettspiel bei Avalon Hill. Das hieß nicht nur genauso und genießt nicht nur bis heute einen sehr guten Ruf, sondern inspirierte Sid Meier zu seiner Rundenstrategie für PC, Amiga & Co. Eigentlich müssten die Autoren Francis Tresham und Mick Uhl immer in den Credits von Firaxis‘ Erfolgsserie auftauchen.
Historische Grübelei
Soll ich zuerst die Reiterei erforschen? Immerhin kann ich meine Scouts und Armeen dann drei, anstatt zwei Felder bewegen sowie frühzeitig die lukrativen Plätze auf der Karte blockieren! Und danach direkt die Eisenverarbeitung: Mit ihr erhält eine Einheit im Kampf drei zusätzliche Angriffspunkte, was angesichts der verflucht starken Barbaren gerade in der Antike ein Vorteil ist. Oder doch lieber die
Diese angenehme Grübelei sollte Computerspielern bekannt vorkommen. Wir haben jetzt knapp ein halbes Dutzend Spiele hinter uns und können sagen, dass dieses Brettspiel das Flair des virtuellen Vorbilds wunderbar einfängt – es macht taktisch Laune und es ist alles anders als ein Theoriebrocken. Wenn man einmal im Rundensog steckt, entwickeln sich spannende Wettläufe um Rohstoffe und Siegpunkte, die sowohl passiven Strategen als auch Raubrittern genug Möglichkeiten geben. Auch das Spiel zu zweit ist empfehlenswert, zumal die Partien hier in eineinhalb bis zwei Stunden vorbei sind – zu viert ist alles wesentlich spannender, weil Handel, Allianzen und Kriege entscheidender sind, aber dafür kann das auch mal einen Abend in Anspruch nehmen.
Gute Anleitung, edle Präsentation
Der Weg von der Antike in die Moderne verläuft zwar in einigen Bereichen ganz anders als auf dem PC, aber die Zeit vergeht trotzdem wie im Flug. Natürlich braucht man angesichts der Komplexität des Spiels mindestens ein, zwei Proberunden, bis es flutscht und man das Regelwerk verinnerlicht hat. Das ist aber überaus anschaulich und erklärt - bis auf wenige Ausnahmen im Kampfsystem - alles sehr gut: Auf knapp 32 großformatigen Seiten wird das Spielprinzip mit seinen fünf Runden von der Startphase über den Handel, die Städteverwaltung bis hin zur Bewegung und Forschung erläutert. In welcher Runde man was machen darf, steht auch auf einer kompakten Übersicht, die man neben sein Volk legt.
Die grafische Klasse stimmt ebenfalls: Die Artdesigner konnten sich in den Archiven von Firaxis bedienen und sorgen mit ihren Illustrationen für ein stimmungsvolles Ambiente. Vor allem die Zivilisationsbögen mit den Portraits der sechs wählbaren Herrscher (Russland, China, Deutschland, Amerika, Rom, Ägypten) und den damit verknüpften Zählscheiben für Handel und Wirtschaft können sich sehen lassen. Hinzu kommen die 20 Spielplanteile, auf denen die Landschaft aus der Vogelperspektive dargestellt wird – zwischen Gebirgen und Wald erkennt man vielleicht ein Barbarendorf, ein Naturwunder oder einen der seltenen Rohstoffe wie Seide oder Eisen. Wer sich für Civ begeistert, wird schon beim Aufbau seine Freude haben, auch wenn man statt echter berühmter Persönlichkeiten wie Napoleon & Co mit anonymen Feldherren, Forschern und Künstlern vorlieb nehmen muss.
Sechs Völker im Wettstreit
Wer den Kultursieg anstrebt, hat mit China die besten Karten, sollte natürlich jene Wunder und Gebäude errichten, die Kulturpunkte einbringen und sich in der Stadtverwaltung den Künsten widmen. Wer den Wirtschaftssieg sucht, ist mit Amerika gut bedient und sollte den Erwerb von Münzen priorisieren, die es u.a. nach gewonnenen Kämpfen, auf der Karte oder über Forschung geben kann. Wer den Technologiesieg inkl. Weltraumbesuch will, sollte es auf die Mehrung der Handelspunkte absehen, denn mit ihnen kann man sich schneller entwickeln. Und wer es kriegerisch mag, sollte natürlich von Beginn an die Staatsformen und Wunder erforschen, die der Armee zu Gute kommen – ein Anführer wie Bismarck kann auch nicht schaden, denn er startet mit zwei zusätzlichen Infanterietruppen.
Modulare Spielwelt
Schon beim Aufbau erkennt man ein wesentliches Merkmal: Die Welt ist modular aufgebaut. Es gibt keine riesige Karte, aber im Gegensatz zum geländefreien Im Wandel der Zeiten erkundet man eine teilweise unbekannte Welt aktiv mit seinem Scout, der auch weit entfernte Rohstoffe nach Hause schicken kann und eine Stadt gründet – so wie im Vorbild von Sid Meier gibt es also eine Frühphase mit einer Terra inkognita. Allerdings wird der Nebel der Zivilisation auf dem Tisch wesentlich schneller und friedlicher gelüftet, man muss keine Angst vor herum streunenden Barbaren haben, denn die verharren in ihren Lagern, bis man sie angreift. Es werden immer handgroße Spielplanteile aufgedeckt, die in einem Raster jeweils sechszehn Geländefelder mit speziellem Untergrund und Rohstoffausbeute anzeigen.
Die Macht der Metropolen
Die erste Stadt ist das wichtigste Element auf dem Spielplan, denn nur in ihrem direkten Umfeld von acht Feldern wird quasi „geerntet“ und nur dort darf man Gebäude errichten – diese bringen z.B. mehr Handelspunkte, Kulturpunkte, Münzen oder seltene Rohstoffe. Das sind alles direkte oder indirekte Mittel, um auf einer der vier Siegerstraßen voran zu schreiten. Eine Expansion von der kleinen zur riesigen Stadt wie im PC-Spiel ist allerdings nicht möglich, so dass man auf diesen Platz für seine Entwicklung beschränkt bleibt. Wer anderes Gelände bzw. Rohstoffe braucht, kann bis zu zwei weitere Städte gründen. Aber wo? Und kommt einem der Gegner zuvor? Wer schnell erkundet, kann nicht nur Luxusgüter nach Hause schicken, sondern auch clever blockieren. Denn dort, wo der eigene Scout steht, ist das Feld tabu für die anderen – es sei denn, sie riskieren ein Gefecht.
Die Technologie-Pyramide
Die clevere Forschung ist das zentrale Element für ein erfolgreiches Spiel, denn sie schaltet alles frei – egal ob Gebäude, Staatsformen, Bewegungsreichweite, Stadtanzahl oder Militärtechnologie. Da hat man von Beginn an reichlich Auswahl: Jeder Spieler darf aus einem Pool von 36 Karten in vier Stufen wählen. Und hier besticht Civilization mit seinem einfachen, aber gut strukturierten Pyramidenprinzip, das ähnlich wie auf dem PC zu einer schrittweisen, aber dennoch recht offenen Entwicklung mit Schwerpunktsetzung führt. Worauf konzentriert man sich?
Erst wer zwei Technologien der ersten Stufe nebeneinander auslegt, kann darüber eine der zweiten Stufe platzieren. Wer noch höher hinaus will, muss also erstmal ein Fundament von weiteren Technologien der ersten Stufe auslegen. Um einer zu schnellen Entwicklung hin zur finalen Raumfahrt mit Spielgewinn vorzubeugen, nutzt man ein einfaches Prinzip: Man darf pro Runde nur eine Technologie erforschen, sie werden mit jeder Stufe teurer und man verbraucht bei ihrer Aktivierung alle Handelspunkte – es gibt also keinen Rest. Dem kann man lediglich über bestimmte Entwicklungen oder die Münzsammlung entgegen wirken, damit wenigstens etwas übrig bleibt.
Der Kampf der Zivilisationen
Schön ist, dass das Spiel aggressiven Frühangreifern einen Riegel vorschiebt: Erstens sind die Barbaren zu Beginn sehr wehrhaft – ohne weitere militärische Aufrüstung kann man sie nur mit Glück besiegen, da ihr Heer gleich groß ist. Zweitens bekommen Verteidiger von Städten einen Bonus und vor allem China startet als defensives Bollwerk mit bereits errichteter Wehrmauer. Trotzdem kann man das Spiel auch militärisch gewinnen, wenn man die Hauptstadt eines Gegners einnimmt. Dafür sollte man sich allerdings gut vorbereiten und mehr als nur eine Armeefahne besitzen. Diese symbolisiert lediglich einen Teil des stehenden Heeres, das man in Form von verdeckt gezogenen Truppenkarten in vier Kampftypen (Infanterie, Artillerie, Kavallerie, Luftwaffe) mit der Zeit aufbaut. Es kann also sein, dass sich nach einigen Niederlagen hinter dem Fahnensymbol nur ein Häufchen Elend versteckt.
Schere, Stein, Papier
Man berechnet vor dem Kampf noch etwaige Boni durch Kasernen, Generäle oder eine Verteidigungssituation – dann bekommt ein Spieler eine Bonuskarte, die nach dem Kampf mit den überlebenden Truppen verrechnet wird. Danach geht es los: Jeder legt seine Truppenkarten abwechselnd auf den Tisch, wobei der Verteidiger beginnen muss, und dadurch einen kleinen Nachteil hat – was angesichts der Initiative jedoch okay ist. Denn im Zentrum steht das Schere-Stein-Papier: Infanterie schlägt Kavallerie, Kavallerie schlägt Artillerie und diese wiederum Infanterie.
Wenn der Verteidiger also eine Infanterie der Stärke 3 auslegt, sollte man als Angreifer mit einem Bogenschützen kontern. Aber diese Konfrontation führt nicht zum sofortigen Tod, sondern dazu, dass der Bevorteilte zuerst zuschlägt. Also: Diese 3er-Infanterie würde gegen einen 2er-Bogenschützen zwar zuerst zwei Schadenspunkte in Form von roten Markern nehmen, aber da sie mit einem knapp überlebt, darf sie mit ihren drei Schadenspunkten zurückschlagen und vernichtet den Bogenschützen. Trotzdem bleibt diese Infanterie als verletzte Truppe auf dem Tisch liegen und ist leichte Beute.
Unsichere Fronten und Beute
Lohnt sich denn das Gefecht? Die Armeefahne des Gegners wird vom Tisch genommen und als Beute winken u.a. Handelspunkte, Kulturmarker oder Rohstoffmarker. Falls es sich um eine Stadtbelagerung handelte, darf man eine Technologie des Feindes gratis erforschen, eine Kulturereigniskarte sowie bis zu zwei Rohstoffe stibitzen. Und wenn es die Hauptstadt war, ist man sogar der Sieger. Schön ist, dass man nicht nur über seine Truppen, sondern auch subtiler attackieren kann: Wer auf Feldern des Feindes steht, raubt damit die dortigen Rohstoffe. Man kann Wege oder Stadtgründungen mit seiner Anwesenheit blockieren oder Kulturereigniskarten nutzen, um Gebäude zu zerstören oder Katastrophen auszulösen.
Handel und Diplomatie laufen hier quasi in direkter Diskussion am Tisch ab, was erst ab drei Teilnehmern interessant wird. Es gibt also keine außenpolitischen Karten oder Botschafter, die etwas verhandeln, sondern lediglich eine Rundenphase, in der man ohne große Regeln Rohstoffe, Handelpunkte oder Kulturmarker tauschen oder militärische Abkommen schließen kann.
Unterschiede zum Computerspiel
So mancher digitale Civ-Veteran könnte sich etwas eingeengt fühlen, denn man kann keine riesigen Weltreiche bauen – obwohl das so aussieht, wenn man mit vier Teilnehmern den Rahmen jedes normalen Tisches sprengt. Man ist im Brettspiel naturgemäß beschränkter, was die räumliche Ausdehnung angeht: Es gibt maximal drei Städte und diese können ihre Einflusszone von acht Feldern nicht erweitern – es gibt also keine territoriale Expansion oder gar Integration anderer Städte. Auch das Mikromanagement fällt hier weg: Man muss sich weder um die Ernährung noch um Straßen oder Arbeiter kümmern.
Unterschiede zu „Im Wandel der Zeiten“
Das Auge isst natürlich auch auf dem Tisch mit und da wirkt Civilization deutlich edler, wertiger und ansehnlicher als der etwas mager illustrierte Imperienbau von Vlaada Chvatil. Außerdem fehlen dort die Erkundungsreize, da man kein Gelände aktiv erkundet, sondern lediglich sein Reich verwaltet, was zunächst etwas steril anmutet. Und für Gelegenheitsstrategen ist Chvatils ausgeklügelter, aber erst auf
Allerdings hat die Spielmechanik bei Im Wandel der Zeiten auch einige Vorteile, die hier fehlen: Zum einen ist das Mikromanagement dort interessanter, weil Ernährung und Produktivität des Reiches eine tragende Rolle spielen – da ist man näher an Civ als dieses offizielle Brettspiel. Zum anderen spürt man den Wechsel und das Voranschreiten der historischen Zeiten deutlicher, denn die Persönlichkeiten, Gebäude und Technologien befinden sich in Chvatils Ansatz in einem stetigen Fluss, so dass man wirklich das Gefühl von historischer Entwicklung bekommt. Im offiziellen Brettspiel zu Civilization wird das lediglich ein wenig über die Kulturleiste und die Wunder angedeutet, die in einem neuen Zeitalter wechseln.
Ausblick
Sieht sehr edel aus, ist strategisch tief, spielt sich überraschend knackig! Wer bisher Angst vor historischen Regelungeheuern hatte, könnte mit dieser Zeitreise eines Besseren belehrt werden – zumal sie auch zu zweit für taktische Spannung sorgt. Und vor allem digitale Civ-Veteranen sollten sich diese Tischvariante ansehen, denn das Flair und die Spielmechanik lassen schnell angenehme Erinnerungen aufkommen. Es ist zwar schade, dass nur maximal vier Spieler teilnehmen können und dass es etwas wenig Gebäude sowie keine Stadtexpansion gibt, aber dafür entschädigt das Brettspiel von Kevin Wilson mit seinen Stärken: Sechs unterschiedliche Völker, eine modular aufgebaute und immer etwas anders strukturierte Welt, Schere-Stein-Papier-Gefechte ohne Würfel, frühe Erkundungsreize durch Scouts und verdeckte Gebiete, ein durchdachtes Konzept der Forschung und vier Siegbedingungen, die jeweils eine andere Taktik verlangen. Wir haben aktuell viel Spaß mit diesem wunderbar illustrierten Spiel – auch wenn ich als Miniaturenfan lieber Plastikfiguren statt Armeekarten gesehen hätte. Aber Kevin Wilson hat nach dem überragenden Arkham Horror ein weiteres komplexes, aber unheimlich Zeit fressendes Schmuckstück von Brettspiel entwickelt. Civilization ist der hier besprochenen Konkurrenz zwar nicht in allen inhaltlichen Belangen überlegen, aber es gehört neben „Im Wandel der Zeiten“ derzeit zu den besten historischen Aufbauspielen.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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