Villen des Wahnsinns26.08.2011, Jörg Luibl
Villen des Wahnsinns

Special: Horrorerlebnis à la Lovecraft

Sie beobachten das Kloster vom Waldrand aus, während eisige Winde durch ihre Mäntel fahren. Ob die verschollene Professorin Marie Leblanc dort von Kultisten ermordet wurde? Aber wo sind die bloß die Wachen? Noch bevor die Ermittler weiter spekulieren können, betreten Gestalten in schwarzen Roben die Kapelle durch ein großes Eichenportal. Zwei bis fünf Spieler können ihnen folgen und den Fall aufklären – wenn sie sich trauen.

Lovecraft lässt grüßen

Villen das Wahnsinns (Mansions of Madness) ist für knapp 50 Euro beim Heidelberger Spielverlag erschienen.
Villen das Wahnsinns (Mansions of Madness) ist komplett auf Deutsch für knapp 60 Euro beim Heidelberger Spielverlag erschienen.
Die Inspiration für dieses Brettspiel sammelte Corey Konieczka in der Welt von H.P. Lovecraft: Man soll dem Schrecklichen, dem Fremdartigen und vor allem dem Wahnsinn begegnen. Daher hat der fleißige Autor (Battlestar Galactica, StarCraft, Runewars, Tide of Iron) einen erzählerischen Rahmen um das komplexe Regelwerk gespannt, der an Pen & Paper-Rollenspiele erinnert – dazu gehören auch vorgelesene Texte. Man soll nicht nur einen Zug nach dem anderen machen, sondern eine Reise ins Unheimliche antreten. Ist ein subtiles Horrorerlebnis am Tisch überhaupt möglich?

Ja, aber nur wenn man Vorbereitungen trifft. Man sollte die clevere Spielmechanik exakt beherrschen, sonst zerbricht die Story, denn das ist kein Dungeon-Crawler à la Doom - Das Brettspiel. Man sollte zudem bei Dunkelheit spielen und evtl. im Hintergrund unheimliche Klänge laufen lassen. Hört sich kitschig an, hilft aber. Und ein Abtauchen gelingt noch besser, wenn man die fünf vorbereiteten Geschichten in einer Gruppe spielt, die den Cthulhu-Mythos zwar nicht kennen muss, aber dessen spezielles Flair außerweltlichen Schreckens und schleichenden Wahnsinns mögen sollte. 

Aber wenn man vorbereitet ist und sich auf die Geschichten einlässt, entwickelt Villen des Wahnsinns eine spannende Sogwirkung, die einen für ein paar Stunden verschlucken kann. Dazu tragen die vorbildliche offene Struktur, die Rätsel, die Fertigkeitsproben, die Schockauswirkungen, die stimmungsvollen Texte und das edle Material bei.

Prall gefüllte Horrorbox

Man braucht viel Platz für den Spielaufbau - die Box ist prall gefüllt mit edel illustriertem Material. Man kann sehr gut zu zweit und maximal zu fünft loslegen.
Man braucht viel Platz für den Spielaufbau - die Box ist prall gefüllt mit edel illustriertem Material. Man kann sehr gut zu zweit und maximal zu fünft loslegen.
Der Preis von knapp 60 Euro ist angesichts des Inhalts gerechtfertigt: Schon das Auspacken macht Spaß, denn man findet von der Türschlosskarte über die Rätselplättchen bis hin zu den 15 beidseitig bedruckten Spielplanteilen erstklassig designte Motive. Das Artdesign erreicht eine Qualität, die man sonst nur von Arkham Horror kennt.

Die knapp 350 (!) farbigen Karten laden mit ihren Zeichnungen und Texten schon vor dem ersten Abenteuer zum Stöbern ein. Es kommt umgehend Herrenhausflair auf, wenn man große Teile wie das "Foyer" auslegt, auf denen man von oben auf schwarzweiße Mosaikfliesen und den Treppenaufgang schaut. Der Spielplan wird modular zusammen gestellt, so dass zig Gebäudekombinationen möglich sind - inkl. Keller, Höhlen und Außenareale wie der Garten.

Das Highlight sind die Figuren: Acht Ermittler und 24 Monster, darunter Kultisten, Hexen, Zombies, Chtonier und Shoggothen warten auf ihren Einsatz und können später optimal bemalt werden - keine Grate, stabile Formen.

Sehr nützlich: Sie werden auf Basen gestellt, in die man auch ihre Monsterkarten schiebt, so dass man ihre Aufmerksamkeits- und Horrorwerte immer im Blick hat. Denn sobald ein Spieler auf diese Wesen trifft, muss er vor irgendeinem Kampf erstmal seine Angst besiegen und eine Probe gegen seine Willenskraft ablegen, indem er einen Zehnerwürfel wirft. Scheitert er, wird seine geistige Stabilität um einen Punkt verringert. Wie viele Lebenspunkte und welche Spezialangriffe die Monster haben, erfährt man erst, wenn man sie umdreht - das dürfen Ermittler allerdings erst dann, wenn sie Schaden verursacht haben.

Heldenerschaffung in Varianten

Welcher Held soll es sein?
Welcher Held soll es sein?
Es dauert einen Abend, bis man die prall gefüllte Box mit ihren neun Stanzbögen geleert, den grundlegenden Aufbau  mit allen Plättchen vorbereitet sowie die Spielmechanik in Grundzügen verinnerlicht hat. Aufgrund des stimmungsvoll bebilderten Materials bekommt man in dieser Phase schon richtig Lust auf die erste Geschichte "Der Fall des Hauses Lynch". Und spätestens wenn man durch die beiden großformatigen Hefte „Bewahrerhandbuch“ und „Ermittlerhandbuch“ blättert, kommt Rollenspielflair auf.

Immerhin gibt es auch eine Art Charaktererschaffung, wobei man für jede Figur nochmal anders kombinieren kann. Sprich: Wer mit Jenny Barnes, Joe Diamond oder einem anderen der acht Helden liebäugelt, kann zwischen unterschiedlichen Anfangswerten (je zwei Sets für Intelligenz, Willenskraft, Wissen, Glück sowie für Stärke, Treffsicherheit, Geschicklichkeit) und Ausrüstungen  wählen. Je nach Kombination startet man mal mit einer Maschinenpistole, mal mit einer Lupe oder einem Mikroskop. So lassen sich eher kämpferische oder investigative Charakterzüge betonen.

Bewahrer gegen Ermittler

Das Horrorkabinett: Von einfachen Kultisten bis hin zu großen Monstern, die auf großen Basen stehen.
Das Horrorkabinett: Von einfachen Kultisten bis hin zu großen Monstern, die auf großen Basen stehen.
Zwei Parteien spielen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ein nicht lineares Abenteuer  – und das ist sehr reizvoll. Auf der einen Seite stehen die „guten“ Ermittler, die als Team antreten: Bis zu vier Männer und Frauen vom cleveren Professor bis zum schießwütigen Haudegen stellen sich in fünf Geschichten unterschiedlichen Mysterien.

Sehr schön ist, dass sie sich gemeinsam die einleitende Story (z.B. den Brief eines Verschollenen oder seltsame Tagebucheinträge, die ganz im Stile von H.P. Lovecraft's Geschichten eine spätere Nachforschung einleiten) durchlesen, die schon wertvolle Hinweise enthalten kann. Außerdem bauen sie den nackten Spielpan ohne Gegenstände auf, während der „böse“ Bewahrer seine Entscheidungen im Hintergrund trifft.

Und die haben es in sich: Denn auf der anderen Seite kann der Bewahrer im Vorfeld den kompletten Verlauf einer Geschichte ändern, indem er sich teilweise bis zu sechs (!) Mal für eine von zwei bis drei Varianten entscheidet. Was ist der Grund für den Wahnsinn von Walter Lynch? Wo wurde seine Frau bestattet? Was ist sein Lieblingsversteck?

Die Antworten darauf werden mit Markern festgelegt und  bestimmen nicht nur, wie der Plot ausfällt, sondern auch wo welche Gegenstände und vor allem Hinweiskarten versteckt werden – wer da einen Fehler macht, zerstört die Logik der Story. Denn die Ermittler sind auf die korrekten erzählerischen Tipps angewiesen, um das Mysterium zu lösen. Und spätestens hier erkennt man den Wiederspielwert: Fünf Geschichten hört sich nicht umfangreich an, aber man kann sie alle auf ganz andere Art, mit anderen Motiven, Morden und Monstern erleben.

Wettlauf gegen die Zeit

Unten erkennt man zwei Rätsel: Türschloss und elektrische Schaltung.
Unten erkennt man zwei Rätsel: Türschloss und elektrische Schaltung.
Das schnellst mögliche Auffinden der drei Hinweiskarten ist das große Ziel der Ermittler, die lange Zeit im Dunkeln tappen – erst wenn sie den letzten Hinweis finden, wissen sie ganz genau, wie sie das Spiel überhaupt gewinnen können.

Dabei dürfen sie nicht trödeln, denn der Bewahrer bekommt ähnlich wie in Descent - Die Reise ins Dunkel jede Runde eine Anzahl von Drohmarkern, mit denen er Monster beschwören, Unglück verursachen und Wahnsinn verbreiten kann; von plötzlicher Dunkelheit bis hin zur kompletten Übernahme eines Ermittlers. Aber wo sind sie bloß?

Die Helden bekommen in der Vorgeschichte sowie den Hinweisen selbst kleine  Andeutungen auf den jeweiligen Aufenthaltsort. In ihren Zügen (Bewegungsphase, Aktionsphase) untersuchen sie dann das verwinkelte Gebäude, in dem sie Gegenstände finden, Rätsel lösen, Würfelproben bestehen und Monster bekämpfen müssen.

Zur Spannung trägt bei, dass sich jeder Ermittler für eine Aktion pro Zug entscheiden muss - Laufen, Durchsuchen, Angreifen, Fähigkeit einsetzen oder Gegenstand fallen lassen? Sehr interessant ist auch die Interaktion mit dem Interieur: Ab und zu kann man die Umgebung nutzen, um sich in Kisten zu verstecken, eine Tür zu blockieren

Die sehr gute Anleitung erklärt die Rätselmechanik.
Die sehr gute Anleitung erklärt die Rätselmechanik.
oder eine Abkürzung über Geheimgänge zu wählen. Das ist taktisch nützlich, wenn der Bewahrer plötzlich mehrere Monster an einem Altar beschwört, die alleine bei ihrem Anblick an der geistigen Stabilität nagen.

Bevor man etwas Nützliches findet, gilt es allerdings Türen zu öffnen – die meisten davon sind verschlossen. Die Neugier auf den Raum dahinter wird von den verdeckten Kartenstapeln geschürt, die dort liegen. Manchmal muss man in einem anderen Raum einfach einen Schlüssel oder Schalter finden, manchmal muss man aber auch Fallen bewältigen oder kleine Rätsel lösen, um sich Zugang zu einem bestimmten Zimmer oder einer Truhe zu verschaffen. Und das wird in Villen des Wahnsinns über aktives Knobeln mit modularen Plättchen sehr gut gelöst: Mal soll man einen Stromkreislauf herstellen, mal Runen, Gemäldeteile oder Zeichen so ordnen, dass sie passen. Je nach Intelligenz und Spezialfähigkeiten des gewählten Charakters hat man dabei mehr oder weniger Züge für das Drehen, Tauschen oder Nachziehen der Teile zur Verfügung. Eine tolle Idee, denn hier kommt Adventure-Flair auf!

Kampf gegen Humanoide, Bestien & Mythoswesen

Kampf gegen die Bestie? Erst muss man ihren Anblick in einer Horrorprobe ertragen...
Kampf gegen die Bestie? Erst muss man ihren Anblick in einer Horrorprobe ertragen, bevor man schießen kann...
Die Balance zwischen Erkundung, Knobelei und Action ist gut gelungen.  Der Kampf wird ungewöhnlich ausgetragen: Der Bewahrer zieht je nach Monstertyp (humanoide, bestiale, mythische) von einem der drei Stapel so lange Karten, bis ein Text für die entsprechende Waffe des Angreifers dabei ist. Dadurch wird das Gefecht erstmal verzögert, was zu Beginn etwas irritiert. Außerdem hat man keinen direkten Einfluss auf die Art der Auseinandersetzung, weil Waffe und Glück die konkrete Situation bestimmen.

Das kann Nahkampf, scharfer Nahkampf, stumpfer Nahkampf, Fernkampf oder waffenlos sein. Auf dieser Karte stehen wiederum kurze Texte, die das Gefecht stimmungsvoll beschreiben und evtl. eine Fertigkeitsprobe verlangen, bevor der Schaden verteilt oder eine Waffe fallen gelassen wird: "Du zielst auf den Körper der Alptraumgestalt. Lege eine Stärkeprobe ab." Bei einem Erfolg heißt es: "Die Abscheulichkeit knickt seitlich ein. Du verursachst 2 Schaden." Bei einem Misserfolg: "Eine sonderbare Erschütterung geht durch deinen Waffenarm. Du erleidest 1 Schaden." Dabei spielen ab und zu auch Reichweite und Sichtlinie eine Rolle.

Schrecken und Trauma nach einem Treffer

Die über 300 Karten bestechen mit edlem Design und stimmungsvollen Texten.
Die über 300 Karten bestechen mit edlem Design und stimmungsvollen Texten.
Diese Gefechte sind auch für den Bewahrer motivierend, weil sie Folgeschäden nach sich ziehen. Wie schwer er zuschlagen kann, richtet sich nach der körperlichen und geistigen Gesundheit der Ermittler. Sprich: Die mächtigsten und tödlichsten Traumakarten kann er erst ausspielen, wenn er die Gruppe zermürbt hat. Und zwar immer in dem Moment, wo er Schaden verursacht hat. Die Lebenspunkte von Joe Diamond gehen nach einem Biss auf sechs runter? Jetzt darf der Bewahrer den "Gebrochenen Arm" spielen, der dem Helden zwei Minuspunkte auf künftige Atrributspunkte beschert. Die geistige Stabilität sinkt auf vier? Jetzt darf er "Klaustrophobie" spielen, die dem Helden in engen Räumen einen Horrorpunkt beschert. Und wenn einer der Werte gen null sinkt, kann der Bewahrer sogar mit einer Karte tödlich zuschlagen.

Allerdings ist er genau so wie die Ermittler auch vom Kartenmanagement und vom Zugglück abhängig: Er muss die besten Karten nicht nur mit Drohmarkern bezahlen, er muss sie auch erstmal auf der Hand haben! Und während er Traumakarten in seinem Zug spielen darf, darf er Mythoskarten nur im Zug der Entwickler spielen, quasi wie plötzliche Ereignisse. Auch hier muss sich der Bewahrer an Regeln halten: Die "Unheilige Präsenz", die einen Kultisten beschwört, setzt z.B. voraus, dass sich die Ermittler in der Krypta, auf dem Friedhof oder ähnlichen Orten befinden. Erst dann darf er vorlesen: "Der Raum stinkt nach Blut und unheiligen Ritualen. Du spürst die Präsenz eines uralten Bösen. Eine Gestalt erhebt sich aus den Schatten..."

Ausblick

Jörg Luibl (44)  Ich habe noch so viel vergessen! Aber wichtig ist: Villen des Wahnsinns ist eines der stimmungsvollsten und erzählerisch interessantesten Spiele der letzten Jahre. Es hat zwar seine Tücken, weil man das Regelwerk perfekt beherrschen muss, es kann auch mal Widersprüche innerhalb eines Plots geben, aber dafür verfügt es über eine nicht-lineare Struktur und ein Tempo mit Sogwirkung: Es gibt keinen Leerlauf, weil der Bewahrer nach jeder Aktion einen Zeitmarker auf die verdeckten fünf Ereigniskarten legt. Wenn diese eine bestimmte Zahl erreichen, wird laut vorgelesen, was im Haus passiert – die Erde kann plötzlich beben, Gestalten können auftauchen und so gewinnt die Story schrittweise an Dramatik. Mit dem letzten aufgedeckten Ereignis gipfelt das Abenteuer meist in einem Showdown. Das komplexe Spielkonzept besticht mit seiner Mischung aus Erkundung, Knobelei und Kampf, wobei die aktiven Rätsel und das Rollenspielflair über vorgelesene Texte und Attributsproben besonders gefallen. Wer den subtilen Horror von H.P. Lovecraft mag, der mit vagen Andeutungen beginnt und sich ins Wahnsinnige steigert, liegt hier genau richtig - auch zu zweit empfehlenswert!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

Weitere Brettspieltests im Archiv!

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.