Space Alert09.03.2012, Jörg Luibl
Space Alert

Special: Kooperation im Weltraum

Futuristische Echtzeit-Spannung am Tisch? Hektik, Dramatik und Chaos in einem Brettspiel? Ja, das gibt es. Und zwar in Space Alert, in dem bis zu fünf Weltraumforscher gemeinsam ums Überleben kämpfen – gegen die Zeit sowie gegen Aliens, Viren, Jäger und Zerstörer, die aus den Lautsprechern heran rauschen. Richtig gehört: Hier wird nicht stumm gelesen, hier spricht die Gefahr direkt aus den Boxen. Ziel ist es, zehn Minuten zu überleben!

Die gesprochene Gefahr

Es kommt selten vor, dass Brettspieler, die in der Regel zur gemütlichen Sorte des Homo ludens gehören, bei ihrem Vergnügen am Tisch nervös herum zappeln, hyperventilieren oder sich anschreien. Noch seltener beobachtet man sie dabei, wie sie angestrengt die Ohren spitzen und mit weit aufgerissenen Augen auf Lautsprecher starren, als würde gleich der schwarze Mann heraus kriechen. Warum diese Anspannung? Warum diese Angst? Weil das eigene

Space Alert erschien 2008 beim Heidelberger Spielverlag und kostet knapp 30 Euro. Es gibt eine Erweiterung namens "Unendliche Weiten".
Raumschiff in Gefahr ist. Weil die Feinde auf Terrorbahnen kommen, von der Stimme des Bordcomputers angekündigt:

Alarm. Feindaktivität geortet.

Zeit T+2. Interne Bedrohung.

Eingehende Daten.

Zeit T+3. Bedrohung in Zone Blau.

Kommunikation ausgefallen…

…Kommunikation wiederhergestellt.

Zeit T+6. Ernsthafte Bedrohung in Zone Weiß.

Futuristische Rollenverteilung

Das Besondere: Dem Spiel liegen zwei CDs mit der Stimme des Bordcomputers bei. Man kann Space Alert aber auch ohne spielen, dann liest man von Tafeln ab.
Das Besondere: Dem Spiel liegen zwei CDs mit der deutschen Stimme des Bordcomputers bei. Man kann Space Alert auch ohne spielen, dann liest man von Tafeln ab - und hat nur halb so viel Spaß.
Man muss sich vorstellen, dass die Crew an Bord nach jeder gesprochenen Zeile über die Reaktionen diskutieren kann. Bis zu fünf Spieler müssen clever als Team auf die Gefahren reagieren. Und wer macht wann was? Es gibt vor Beginn nur eine grobe Rollenverteilung für zwei Spieler: Einer mimt den Captain, der bei einem Streit über die nächsten Schritte das letzte Wort haben sollte. Ein weiterer ist Kommunikationsoffizier, der alle Ansagen des Computers genau verfolgt und entsprechende Plättchen auf dem Spielplan auslegt – aber das ist nur eine Empfehlung. Man kann auch noch einen Waffenmeister taufen oder auf alle Ränge verzichten.

Das Knifflige ist: Die Spieler dürfen mit ihren Plastikfiguren nicht einfach überall hingehen und alles machen, sondern müssen für jede der sieben Aktion eine von ihren begrenzten, zufällig gezogenen Befehlskarten auslegen, die z.B. die Richtung der Bewegung oder die Betätigung einer Waffe symbolisiert. Und getauscht werden darf nur, wenn aus den Lautsprechern die Ansage „Datenübertragung“ kommt – dafür hat man knapp fünf Sekunde Zeit! Aber wem gibt man welche Karte? Wer müsste nachher am ehesten einen Fahrstuhl benutzen? Selbst in diesen friedlichen Phasen ist die Spannung aufgrund des Zeitdrucks spürbar.

Schweiß auf der Stirn

Die Stimme des Bordcomputers spricht in jeder der 16 Missionen knapp zehn Minuten ohne Unterbrechung. Die Feinde können dabei auf bis zu vier so genannten Terrorbahnen erscheinen, wobei drei die Richtung der äußeren Bedrohung  durch Jäger, Zerstörer oder Impulswellen und eine die innere Bedrohung an Bord durch Enter-Kommandos, Viren oder Saboteure symbolisiert.  Für jeden Feind gibt es eine Karte mit Geschwindigkeit, Trefferpunkten, Schildpunkten und Spezialaktionen. Das Schöne ist: Er ist noch keine Gefahr, wenn er auftaucht, denn

In der edlen Box steckt viel an Material, aber man braucht keinen allzu großen Tisch.
er ist ganz oben auf der Terrorbahn quasi im Anflug. Das Blöde ist: Er kommt immer näher. Und er bringt meist böse Freunde mit.

Aber wer geht wohin? Im Raumschiff gibt es sechs Bereiche, die über Türen und Fahrstühle miteinander verbunden sind. Falls wie oben beschrieben ein Feind in Zone Blau erscheint heißt das, dass irgendjemand dorthin gehen und entweder den Schild oder die Kanone in der oberen Etage aktivieren muss – falls beide dafür Energie haben. Ist die Schildenergie z.B. verbraucht, muss jemand vor der Betätigung des Schalters dafür sorgen, dass ein anderer selbige aus der unteren Etage nach oben leitet. Wenn da auch kein Saft ist, muss jemand den mittleren Reaktor anschmeißen und für Nachschub sorgen. Es geht also um die koordinierte Planung von Bewegung, Nachschub und Aktion.

Im Angesicht des Lasers

Das Artdesign ist gelungen: Hier ein Blick auf die Bedrohungskarten potenzieller Feinde.
Das Artdesign ist gelungen: Hier ein Blick auf die Bedrohungskarten potenzieller Feinde.
Dass angesichts der zehn Minuten akustischer Echtzeit kein Chaos entsteht, liegt an der cleveren Zweiteilung des Spielablaufs: Es gibt erst eine hektische Aktionsrunde inklusive Hypersprung, laufendem Soundtrack und Auslegung der Befehlskarten. Danach folgt allerdings die entspannte Ausführungsrunde – das ist eine Art simulierter Rückblick der Geschehnisse. Hier werden die Aktionen der Spieler in aller Ruhe durchgeführt, evtl. falsch platzierte Feindpositionen korrigiert und schließlich Ergebnisse kalkuliert. Dafür bewegt man einen blauen Stein auf der Missionstafel und die Spielerfiguren im Raumschiff.

Hat die Energieversorgung wirklich funktioniert? Wird ein Feind getroffen? Falls man eine Kanone erfolgreich auf der passenden Terrorbahn abfeuert, wird die Reichweite überprüft und danach der Schaden aller Waffensysteme (es gibt auch Raketen und eine Pulskanone) berechnet, die das Ziel treffen. Leichte Kanonen machen zwei, schwere bis zu vier oder fünf Schadenspunkte und davon wird der Schildwert des Feindes abgezogen. Der Rest nagt z.B. an den acht Trefferpunkten eines interstellaren Oktopus. Erst wenn diese gen null gehen, wird der Feind besiegt. Der Oktopus greift übrigens bei einem Treffer automatisch alle Zonen des Raumschiffs an. Und da ist das Problem, denn jede Zone kann maximal sechs Schadenspunkte verkraften – ab einem Wert von sieben heißt es: Game Over. Manchmal kann es also ratsam sein, einen Feind zu ignorieren und sich um die Schildaktivierung sowie Reparatur einer anderen Zone zu kümmern.

Knackiges Abenteuer mit Wertung

Die Missionen sind knackig, reichen inklusive Aktions- und Ausführungsrunde von 20 bis 30 Minuten – allerdings erlebt man dort komprimierte Spannung und ist froh über die Pause. Falls man überlebt hat, kann man noch eine Wertung ausführen: Dabei bekommt man für alle überstandenen oder vernichteten Feinde deren Punktzahl. Der Oktopus bringt z.B. nur vier, wenn man ihn lediglich überlebt hat, aber satte acht, wenn man ihn auch vernichtet hat –

Übrigens: Space Alert stammt von Vlaada Chvatil, der auch das grandiose Galaxy Trucker konzipiert hat - mehr dazu in unserem Archiv. 2009 wurde Space Alert leider nicht Spiel des Jahres, hat aber den Sonderpreis „Neue Spielwelten“ gewonnen.
die Nebelkrabbe und der psionische Satellit bringen sogar zwölf, aber die wünscht man keiner Crew auf einer Terrorbahn.  Von der Gesamtzahl wird der Schaden aller Zonen sowie evtl. Bewusstlosigkeit einzelner Spieler oder ausgeschaltete Kampfroboter abgezogen. Ob man seine Team-Highscore knacken konnte?

Ich habe hier viele Einzelheiten nicht ansprechen können, weil das zu weit führen würde – Space Alert ist ein komplexes Spiel, das auch Fortgeschrittene fordert. Die Einführung in das Regelwerk ist jedoch vorbildlich: Die Anleitung ist angenehm anschaulich und sehr witzig geschrieben, es gibt reichlich grafische Beispiele und erste Simulationsflüge, die sich auf das Wesentliche beschränken und als Tutorial fungieren. Sehr behutsam werden weitere Elemente der komplexen Spielmechanik eingeführt. Selbst dann kann man den Schwierigkeitsgrad über die Zusammenstellung der Bedrohungskarten anpassen.

Das Spielmaterial ist hochwertig, was Druck und Ausstattung angeht. Es orientiert sich zwar künstlerisch an Galaxy Trucker, das ebenfalls von Vlaada Chvatil

Irgendwann kann man nicht nur Kanonen, sondern auch Raketen abfeuern. Ach ja: Es gibt auch eine Variante für einen Spieler - dann steuert man vier Androiden, denen man Befehle gibt.
stammt: Die grünen Schilde, die lila Kanonen und das Raumschiffdesign erinnern umgehend an den humorvollen Klassiker. Allerdings sorgt der realistischere Stil der Bedrohungskarten mit den markanten Zeichnungen für einen erwachseneren Anstrich – und der passt sehr gut zu den tödlichen Gefahren. Die meisten Spielsteine sind aus Holz, es gibt einige Raketen und Figuren aus Plastik sowie stabile, farbig bedruckte Plättchen.

Fazit

Es gibt kein Brettspiel, das in zehn Minuten diese Spannung auf den Tisch bringt! Wer wissen will, wie es sich auf der Brücke eines Raumschiffs anfühlt,wenn Kometen und Aliens heran rauschen, während feindliche Kommandos schon die unteren Decks entern, muss Space Alert spielen. Es geht um kooperative Planung im Team gegen die Zeit. Wer geht wohin, wer macht was? Wer regeneriert, wer feuert, wer behält den Überblick, wenn der Feind auf Terrorbahnen heran rauscht? Allerdings hängt der Spielspaß sehr stark von der Gruppe ab: Man muss sich ein wenig auf das Rollenspiel und die Kommunikation an Bord einlassen können – gemütlich ist anders. Und es sollte niemand dabei sein, der die Abläufe schon sehr gut kennt. Der Fluch der vorgefertigten 16 Missionen ist natürlich, dass man das Prinzip irgendwann durchschaut hat, aber dafür steigt der Anspruch mit jedem Hypersprung, denn sowohl die Möglichkeiten der Crew als auch die Attacken der Feinde entwickeln sich weiter. Wer die Hektik scheut, kann Space Alert übrigens auch ohne CDs ganz stumm und gemütlich spielen. Aber erst mit aktivierten Bordcomputer erlebt man eines der innovativsten und stimmungsvollsten Brettspiele der letzten Jahre. Ich wollte es schon lange vorstellen, aber habe mich erst kürzlich wieder in den Weltraum getraut,

weil schon so mancher späte Oktopus einen deftigen Familienkrach auslöste - hey, wer wollte sich um die rechte Flanke kümmern? Ein später Glückwunsch an Vlaada Chvatil!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

Weitere Brettspieltests im Archiv!

 
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