Dust Tactics30.03.2012, Jörg Luibl
Dust Tactics

Special: Military-Tabletop für Einsteiger

Was wäre passiert, wenn der Zweite Weltkrieg gar nicht beendet worden wäre? Wenn Hitler zwar gestürzt, aber die Wehrmacht das Kommando übernommen hätte? Ganz einfach: Noch mehr Krieg! Und zwar zwischen mächtigen Allianzen, die mit ihren gigantischen Rüstungsindustrien schon 1947 erste Mechs, Jetpacksoldaten und Superhelden aufmarschieren lassen. Um diesen fiktiven Konflikt geht es in Dust Tactics.

Tabletop für Einsteiger

Kennt ihr diese Leute mit den Koffern? Diese wortkargen Schwarzmäntel, die in Fantasyläden mit einem Klick ihre glänzenden Alutruhen öffnen und in feierlicher Andacht dutzende bemalte Orks, Soldaten oder Mechs auf einem dreidimensionalen Schlachtfeld platzieren, bevor sie akribisch wie Beamte über Reichweiten und Deckung debattieren? Das sind Tabletop-Freunde, die sich meist jahrelang der Pflege und Schlagkraft ihrer Armeen widmen. Und so überzogen dieses Klischee auch sein mag, so faszinierend ist sie doch, diese Welt der strategischen Sammler und Konfliktsimulierer.

Dust Tactics kostet knapp 50 Euro und ist im Februar 2012 auf Deutsch beim Heidelberger Spielverlag erschienen.
Wer einsteigen will, hat es nicht leicht, denn es gibt zig Marken und Regelwerke – ganz zu schweigen von all den Miniaturen. Welche und wie viele braucht man da überhaupt? Da kann es helfen, einfach mal mit einer Grundbox anzufangen, die alles Wesentliche enthält: Szenario, Regeln, Pläne, Geländematerial und genug Figuren für zwei Spieler. Natürlich ist bei der Entscheidung die thematische Vorliebe wichtig: Wer mit schweren Mechs und konventionellen, aber leicht durchgeknallten Militärszenarien (wo gibt es sonst Blutkreuz-Affen?) etwas anfangen kann, sollte dem kürzlich auf Deutsch erschienenen Dust Tactics eine Chance geben – sieht klasse aus, ist nicht zu komplex, aber inszeniert taktisch
Das andere Dust (2008):

Es gibt auch ein Brettspiel für zwei bis sechs Spieler mit dem Namen. Dort bewegt man Armeen im Stile von Risiko über eine Weltkarte, aber schon damals zeichnete Paolo Parente für das alternative Weltdesign verantwortlich. fordernde Gefechte zwischen Squads und spezialisierten Einheiten.

Das Auge kämpft mit

Die Stärke dieser fiktiven Spielwelt von Paolo Parente liegt zum einen in ihrer Präsentation: Die 28 in grauer (Achsenmächte) bzw. grüner Farbe (Alliierte) vorgrundierten Plastikfiguren sehen selbst unbemalt richtig gut aus und erreichen eine hervorragende Qualität – keine Grate, stabiler Stand und vor allem viele Details: Man erkennt kleine Scharniere, Nieten oder Schläuche an den Uniformen und alle Waffen wie MG, Flammenwerfer oder Panzerfaust, die später eingesetzt werden dürfen, sind ebenfalls am Mann sichtbar. Dass der schwere Aufklärerläufer der Wehrmacht „Hans“ und ihr Superheld „Lara Walter “ heißt, sorgt genauso für ein Schmunzeln wie der falsche Plural der „Sturmpionieren“. Egal, die Figuren sehen angenehm überzeichnet aus: Man kann

Enthalten sind 28 detaillierte Miniaturen für zwei Fraktionen: Alliierte und Achse.
Enthalten sind 28 detaillierte Miniaturen für zwei Fraktionen: Alliierte und Achse.
sogar etwas an ihnen herumspielen und die Hüften drehen oder die Granatwerfer gen Feind justieren.  

Die Infanterie hat eine Größe von 32 bis 35 mm, die beiden größeren Mechs „Blackhawk“ und „Hans“ kommen auf 48 mm.  Dass diese Figuren der Erwähnung wert sind, hat seinen Grund: Sie wurden von keinem Geringeren als Juan Navarro Perez modelliert. Der Spanier hat nicht nur bei vielen renommierten Rollenspiel- und Tabletopserien (Cadwallon; Confrontation von Rackham oder Anima Tactics) mitgearbeitet, sondern auch einige hervorragende Skulpturen (Kingdom Death) entworfen – der blonde Feldwebel „Lara Walter“ der Wehrmacht kann sich jedenfalls genauso sehen lassen wie die „Hell Boys“ der Alliierten. Ein Tipp: Wer die Figuren selbst bemalen will, sollte sie vorher etwas aufrauen. Und  noch ein Tipp: Gut lüften! Ich weiß nicht, was die Freunde in China da benutzen, aber nach der Öffnung der Box roch es wie in einer Chemiefabrik.

Das militärische Gelände

Ganz so euphorisch wie die markanten Miniaturen stimmt der Rest der Spielwelt zunächst nicht, zumal die Box selbst überraschend dünnwandig und damit wacklig anmutet: Es gibt lediglich zwei spärlich bedruckte doppelseitige Pläne. Darauf befinden sich neun mal sechs Felder große Gelände mit Brücken- und Gebäudethema. Auch wenn diese Poster nur sterilen Grundrisscharme versprühen, kann man sie immerhin dreidimensional aufwerten,  indem man die beiden Munitionskisten oder die beiden Panzersperren platziert – so wirkt das Gelände schon etwas plastischer.

Zwei Parteien kämpfen auf den großen Spielplänen inkl. Geländemarker wie Panzersperren oder Munitionskisten.
Außerdem gibt es neun doppelseitige Geländefelder für zusätzliche Hindernisse, die allerdings alle recht ähnlich aussehen.   

Hat man allerdings sowohl Truppen als auch Gelände für das erste von sechs kurz eingeleiteten Szenarien aufgebaut, sieht das auf dem Tisch schon richtig nach Tabletop aus. Und es geht schnell zur explosiven Sache. Man sollte sich von der Kampagne „Victory Bridge“ trotz historischer Einführung und kursiver Vorlesetexte nicht zu viel Stimmung erwarten - es geht um einen hart umkämpften Brückenkopf in England. Aber immerhin findet man dort  noch eine Weltkarte mit den drei Mächten (Allierte, Achse, Sinosovjetische Union aka Russland und China) sowie ein paar Truppen- und Charakterportraits.

In den Szenarien wird ganz simpel vorgegeben, wo Angreifer und wo Verteidiger das

Feldwebel Lara? Hört sich lustig an, teilt böse aus...
Feldwebel Lara? Hört sich lustig an, teilt böse aus...
Schlachtfeld betreten können, danach wird abwechselnd um die Initiative gewürfelt und gezogen: Eine aktivierte Einheit kann bis zu zwei Aktionen frei durchführen – darunter Bewegung, Angriff oder Fähigkeit. Meist wird pro Mission knapp eine Dreiviertelstunde über acht Runden oder um ein strategisches Ziel wie das Halten oder Erreichen eines Punktes gekämpft. Dabei bekommt man zudem eine Obergrenze für die Punktzahl (APs) seiner Truppen, so dass man auswählen muss, welche der fünf verfügbaren Einheiten man in die Schlacht schickt – so kann man später natürlich recht fix ganz eigene Gefechte aufsetzen.

Vom Flammenwerfer zur Panzerfaust

Diese fünf Einheiten unterscheiden sich markant hinsichtlich Anzahl, Rüstung, Bewaffnung, Deckungsmöglichkeiten sowie Spezialfähigkeiten: Normale Soldaten sind als Squads organisiert, treten also bis zu fünft auf einem Feld auf und

Die Schmuckstücke der Box: Die zweibeinigen Läufer mit beweglichen Waffenarmen - hier der Blackhawk.
verlieren im Gefecht bei einem Treffer auch einen Mann – falls die getötete Figur eine spezielle Waffe besaß wie z.B. die M9 Bazooka der „Death Dealers“, ist diese danach für das ganze Team nicht mehr verfügbar. Man muss sich also genau überlegen, welche Figur man vom Schlachtfeld nimmt! Hinzu kommt, dass manche Jetpacks besitzen und Hindernisse überspringen können, andere wiederum in der Bewegung agiler sind oder über Flammenwerfer verfügen, die Brandschaden verursachen.

Schön ist, dass die Balance stimmt: Zwar sehen die zweibeinigen Mechs zunächst übermächtig aus, zumal sie verheerenden Schaden mit teilweise zwei Waffensystemen anrichten können. Aber sie sind auch recht unbeweglich und als große Ziele aus der Distanz sehr leicht mit Panzerfäusten & Co verwundbar – es geht also darum, sie zu schützen und clever einzusetzen.

In unseren Gefechten kam es vor, dass eine letzte Panzerfaust mit einem Wurf einen Blackhawk fällte – herrlich! Außerdem kann sich nur die gewöhnliche Infanterie diagonal bewegen oder auf Feldern mit Munitionskisten verschanzen, die wiederum von Läufern zerstampft werden können. Es gibt viele Möglichkeiten für Aktion und Reaktion!

Zwischen Sichtlinie und Spezialfähigkeit

Leider kann das Grundspiel das taktische Potenzial lediglich anreißen, denn die beigefügten Figuren besitzen nur eine Hand voll der möglichen Fähigkeiten (kein Sniper, kein Artillerieschlag, kein Sturmangriff, kein Black-Ops etc.) und es gibt keine Befehls-Squad. Diese aus Offizier, Funker, Mechaniker, Sanitäter und Waffenoffizier bestehende Truppe würzt das Spielerlebnis nochmal mit weiteren Befehlen wie Artillerieschlag, Reparatur oder Heilung. Auf diese unterstützenden Fähigkeiten muss man im Grundspiel verzichten. Andererseits sorgt die Reduktion auf das Wesentliche natürlich dafür, dass man als Einsteiger nicht überfordert wird, denn es gibt auch so viel zu bedenken und

Das deutsche Regelwerk erklärt anschaulich Sichtlinien, reichweiten & Schadensermittlung.
Fähigkeiten wie „Berserker“ (Einheit darf Würfe wiederholen) oder „Scout Vehicle“ (zwei extra Felder bewegen) deuten schon mal an, was in der Welt von Dusk noch möglich ist.

Vor einem Schuss gilt es, die Reichweite der Waffe sowie die Sichtlinie zu bestimmen – beides wird von der Anleitung sehr schön anhand von vielen Beispielen erklärt. Sehr hilfreich sind zudem die Einheitenkarten, denn dort kann man nicht nur mit wasserlöslichem Filzer verschossene Munition oder verlorenes Leben markieren, man findet dort neben seiner Bewegung, Rüstung und Lebenskraft in tabellarischer Übersicht auch die Durchschlagskraft seiner Waffensysteme für jeden Gegnertyp. So braucht man

Ein Squad besteht aus drei bis füng Soldaten - die sichtbare Bewaffnung zählt im Kampf.
Ein Squad besteht aus drei bis fünf Soldaten - die sichtbare Bewaffnung zählt im Kampf.
nichts nachschlagen, sondern kann z.B. auf einen Blick erkennen, dass die „Hell Boys“ mit der Shotgun gegen eine Infanterie mit Rüstungswert 3 zwei Würfel pro Angreifer werfen dürfen – sollten alle Jungs noch leben, wären das also zehn Würfel! Wäre nur noch ein Soldat übrig, dürfte dieser immerhin noch zwei würfeln.

Feuer aus allen Rohren!

Das Problem der „Hell Boys“ zeigt sich, wenn sie Feldwebel Lara begegnen: Diese besitzt einen Rüstungswert für Fahrzeuge von 3, den sie mit der Shotgun nicht mehr durchschlagen können – ein Blick auf die Tabelle zeigt einen Strich. Gegen Lara müssten sie also zum Flammenwerfer wechseln, der allerdings nur aus nächster Nähe und von maximal zwei Soldaten mit je einem Schadenswürfel abgefeuert werden kann. Auf den sechs schwarzen Würfeln gibt es keine Zahlen, sondern lediglich Fadenkreuze, die umgehend einen Treffer markieren.  Nach dem

Auch Jetpack-Einheiten sind dabei.
Wurf wird aber nochmal gewürfelt, falls sich eine Einheit unter Beschuss in weicher oder harter Deckung befindet – so kann man noch einiges an Schaden abfangen.

Das Besondere an Squads mit mehreren Waffen: Man kann jede Waffe auf ein anderes oder alle auf ein Ziel schießen lassen! Die „Hell Boys“ haben z.B. neben den zwei Flammenwerfern noch die Shotgun sowie Granate und Messer im Repertoire – theoretisch können sie alles einsetzen. Das sorgt natürlich im Gefecht für eine angenehme taktische Auswahl. Innerhalb der beigefügten Fußtruppen gibt es noch weitere wichtige Merkmale: Auf jeder Seite befindet sich z.B. ein Held, der als einzige Einheit auch bereits besetzte Felder betreten und sich den dortigen Truppen anschließen kann. Der Vorteil ist zum einen, dass seine Lebenspunkte zu den vorhandenen addiert werden – normale Soldaten haben einen, Helden vier. So kommt ein Squad z.B. auf neun Punkte, wobei ein Treffer frei verteilt werden darf. Zum anderen können alle Mann von den Fähigkeiten des Helden profitieren: Sergeant Rhino kann als Berserker also auch die Würfe seiner angeschlossenen Truppe wiederholen lassen.

Fazit

Hey, zurück mit deinem Blackhawk hinter die Panzersperre, der hat keine Bewegung mehr übrig! Okay, aber er kann noch aus zwei schweren Raketenwerfern feuern und trifft deine miesen kleinen Sturmpioniere voll! Mooooment mal: Die sind in harter Deckung, also kann ich nochmal gegen deine Treffer würfeln! So in etwa hört es sich an, wenn sich Wehrmacht und Alliierte in Dust Tactics bekriegen – und das macht richtig Laune, weil es mit Reichweiten, Deckungswürfen und Spezialfähigkeiten taktisch umfangreich, aber nicht zu komplex zugeht. Das Regelwerk ist schnell verinnerlicht, die Illustrationen sind hilfreich. Wer einen Einstieg in die Welt der Tabletop-Spiele sucht und alternativen Kriegsszenarien etwas abgewinnen kann, sollte sich diese Gefechte auch deshalb näher ansehen, weil sie von wirklich sehr gut designten Miniaturen ausgetragen werden. Und wer tatsächlich auf den Geschmack von „Feldwebel Lara Walter“ oder „Sergeant William Springfield“ kommt, wird mittlerweile genug Nachschubpakete finden. Die sorgen nicht nur für mehr Truppenvielfalt, sondern bringen auch weitere taktische Finessen in die Welt.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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