Von Geeks für GeeksIm Shooter "Hero's Duty" hat die knallharte Sgt. Calhoun das Sagen.
Um Ralph Reichts wirklich von vorn bis hinten genießen zu können, sollte man wenigstens 30 Jahre alt und mit Atari 2600, C-64 & Co. aufgewachsen sein. Der Film ist, zumindest in der ersten Hälfte, eine Liebeserklärung an alle Geeks, an Fans von großen Pixeln und wenigen Farben. Etliche 8- und 16-Bit-Helden sind drin: Sonic, Dr. Eggman, M. Bison, Zangief, Q*Bert, Pitfall Harry, der Nashorn-Endgegner aus Altered Beast, Ryu (großartiger Kurzauftritt!), Root Beer Tapper, Dance Dance Revolution, Pac-Man, Kano, Chun-Li, Paperboy, Frogger, Dig Dug, Pong und viele, viele mehr (auch wenn man das Mario-Universum schmerzlich vermisst, von Bowser und dem Millisekunden-Auftritt von Prinzessin Daisy mal abgesehen).
Vanellope von Schweetz ist ein glitchender Kindskopf mit großem Herz. Und noch größerer Klappe.
Ralph selbst ist eine Art Kreuzung aus Donkey Kong und Shrek, Fix-it Felix Jr. dagegen ein Strahleheld wie der Schnauzbartklempner. Ich freue mich tierisch darauf, auf der irgendwann mal kommenden Blu-ray immer wieder die Pause-Taste zu benutzen und die Bilder nach Insiderwitzen abzusuchen, die man im schnellen Kinoalltag bestenfalls am Rande mitbekommt - allein die „Game Central Station“, der große Dreh- und Angelpunkt aller Helden der Spielhalle, ist eine Fundgrube für Retro-Fans. Später wird’s auch modern, denn „Hero’s Duty“ ist ein stereotypischer Testosteron-Shooter sehr callofdutiger Bauart, der allerdings von einer schwer gepanzerten Kurzhaarschnitt-Amazone geleitet wird: Sgt. Tamora Jean Calhoun weckt nicht ohne Grund Erinnerungen an Samus Aran oder Nova aus
StarCraft: Ghost. Kurz gesagt: Die Designer haben nicht einfach nur Videospielprospekte durchwühlt - sie sind offenkundig durch und durch Geeks!
Gesungen wird hier nicht, trotzdem wird aus dem Retro-Abenteuer mit zunehmender Länge ein typischer Disney-Familienfilm. Egal: Er macht tierisch viel Spaß! Und es gibt ein actionreiches Rennen durch eine Zahnschmerz verursachende Zuckerwelt.
Allerdings muss man nicht zwangsläufig lange Haare und Hornbrille haben, um an dem nicht ganz zwei Stunden langen Streifen Spaß zu haben - er funktioniert auch als normale Animationskomödie für die ganze Familie. Tatsächlich sogar ein bisschen zu gut, denn gerade im letzten Drittel haben es die Autoren Phil Johnston und Jennifer Lee mit der Schmalzigkeit ein bisschen zu gut gemeint: Held muss sich finden, wer ist der wahre Bösewicht, Welt muss gerettet werden, komplett berechenbares Mega-Happy-End. Okay, die unheilige Kombination aus Cola Light und Mentos spielt eine tragende Rolle, außerdem sind die Dialoge zum Teil wunderbar pointiert, aber dennoch hätte es für meinen Geschmack ein bisschen weniger Disney auch getan. Für alle, die den Film schon gesehen haben: Prinzessinnen-Kleid? Wirklich? Hommage an frühere Disney-Tage oder akute Schmalz-Verblendung? Ich bin mir nicht sicher.
Worin ich mir hingegen sicher bin ist, dass die deutsche Fassung mit der englischen nicht wird mithalten können. Die Riege der Originalsprecher um Reilly und Silverman leistet einfach einen zu guten Dienst, außerdem habe ich die akute Befürchtung, dass man tief im Englischen verwurzelte Jokes wie den „Nesquick Sand“ oder das Gegackere um die Doppeldeutigkeit von „Hero’s Duty“ einfach nicht brauchbar ins Deutsche übertragen kann.
In der Spiele-Realität:
Die offiziellen Activision-Spiele zu Ralph Reichts kann man getrost unter “Lizenzmüll“ abhaken. Weitaus interessanter sind da schon die Promotionsspiele:
Unter dieser URL kann man sich im Browser bei kleineren Minispielen austoben. Cooler sind allerdings die ebenfalls kostenlosen iOS- und Android-Games, in denen man u.a. den „Original“-Automaten „Fix-It Felix Jr.“ spielen kann.
Technisch ist Ralph Reichts kein zweites Avatar, aber für einen Animationsfilm dennoch sehr beeindruckend: Der Retro-Fan erfreut sich an den herrlich zuckeligen Animationen der Bewohner von Niceland, der Technikfreak an den wahnwitzigen Cybug-Massen, der Zahnarzt an der Karies-verbreitenden Knuddelwuddeligkeit von Sugar Rush, der Spieleredakteur an den abwechslungsreichen Szenarien, alle anderen an den makellos designten Figuren und dem subtilen 3D-Effekt. Außerdem lohnt sich das Geld allein schon für den vor Ralph Reichts laufenden Kurzfilm „Paperman“ - in dem eine wunderschöne, das Herz berührende Geschichte im 2D-Stil, in wenigen Farben und ganz ohne Worte, aber mit umso mehr Gefühl erzählt wird. Muss ich noch anmerken, dass der Soundtrack aus der Feder von Henry Jackman (Monsters vs. Aliens, X-Men: First Class) mit Gastbeiträgen von Rhianna und Skrillex verdammt gut zu den Bildern passt? Nee! Genug der Worte: Ralph Reichts ist für mich eine der besten Komödien der letzten Jahre. Und das nicht nur, weil ich Retro-Fan bin.