Tzolk'in: Der Maya-Kalender14.02.2013, Jörg Luibl
Tzolk'in: Der Maya-Kalender

Special: Wer den Mais hat, hat die Macht...

Wie bitte? Nein, nicht Tolkien, sondern Tzolkin. Das heißt so viel wie „Zählung der Tage“. So nannten die Maya einen Teil ihres Kalenders. Und das passt sehr gut zu einem Brettspiel, bei dem es darauf ankommt, ein Hand voll Arbeiter jeden Tag so effizient wie möglich zwischen Feldern, Pyramiden und Tempeln einzusetzen. Es gewinnt, wer nach zwei Jahren die meisten Siegpunkte hat.

Wer den Mais hat, hat die Macht...

...bis es auf den Festen kracht: Zu Beginn des Spiels war ich noch reich. Ich durfte mir all das aus dem Vorrat nehmen, was auf meinen zwei zufällig gezogenen Startplättchen zu sehen war; satte sieben Mais, zwei Steine, ein Gold und ich konnte sogar eine technologische Stufe aufsteigen! Und jetzt? Verflixt, es ist bald so weit. Gleich gibt es das dritte von vier Erntefesten. Noch einmal am zentralen Kalender in der Tischmitte drehen und die Maya wollen feiern.

Tzolk'in: Der Maya-Kalender ist für zwei bis vier Spieler geeignet und für knapp 35 Euro auf Deutsch beim Heidelberger Spielverlag erschienen. Übrigens auch zu zweit sehr gut spielbar - dann werden einige Zahnradpositionen mit neutralen Arbeitern besetzt.
Eigentlich sollte das ein Grund zur Freude sein, aber ich starre mürrisch auf meinen mickrigen Vorrat von einem Mais. Denn ich muss dafür sorgen, dass alle Arbeiter meines Stammes ordentlich zu futtern haben – und zwar zwei Mais für jeden. Schaffe ich das nicht, erzürnt das (mal wieder) die Götter und ich verliere drei Siegpunkte pro Hungerhaken. Wenn ich diese knappe Partie gewinnen will, darf ich mir bei der Versorgung keine Fehler leisten.

Es gibt zwar auch Holz, Stein und Gold als Rohstoffe, aber die gelben Kolben sind auch deshalb so wichtig, weil man sie nicht nur für die vier Erntefeste braucht, sondern auch für die Aktionen an den fünf Orten: Einen Arbeiter zum Ernten nach Palenque zu schicken, kostet noch nichts, falls er auf der niedrigsten Stufe des Zahnrades steht – die hoffentlich kein anderer Spieler besetzt. Der zweite kostet schon einen, der dritte dann zwei etc. und ein möglicher sechster Arbeiter gar fünf Mais zusätzlich (also kumulativ), was unglaubliche 15 Mais unterm Strich bedeuten würde. Gut, dass die Übersichtstafel gleich Gesamt- sowie Zusatzkosten auflistet, so dass man nicht lange rechnen muss.

Versorgungszwang & Entwicklungsdrang

Das zentrale Zahnrad in der Mitte bewegt die äußeren fünf Orte: Dort platziert man seine Arbeiter, wenn man Aktionen wie Bau, Ernte oder Handel ausführen möchte.
Das zentrale Zahnrad in der Mitte (wo all der Mais liegt) bewegt die äußeren fünf Orte: Dort platziert man seine Arbeiter, wenn man Aktionen wie Bau, Ernte oder Handel ausführen möchte. Hier opfert man Kristallschädel für Siegpunkte.
15 Mais? Das ist eine Summe, die nach den ersten Spielen Tzolk’in utopisch erscheint. Man hat ja schon Mühe drei Arbeiter satt zu kriegen, wie soll man da sechs durchfüttern? Zumal man sie nicht frei und gratis auf den Zahnrädern platzieren darf, um mit ihnen Aktionen wie Ernte, Götterhuldigung, Rohstoffabbau oder Tauschhandel durchzuführen. Nein, man muss quasi von unten nach oben platzieren und die höheren Positionen kosten auch immer mehr Mais – wer zu spät kommt, zahlt also auch mehr. Im Vergleich zu LeHavre oder Agricola ist der Versorgungszwang hier kniffliger zu lösen.

Das hemmt zwar zunächst die Entwicklung des eigenen Stammes, der kaum technologisch, architektonisch oder religiös aufsteigen kann, weil man fast alle Arbeiter zur Ernte in den Dschungel schickt. Aber diese Grübelei ist auch Ansporn: Wie soll ich bloß vorwärts kommen? Wie kann ich möglichst schnell so viel Mais horten, dass ich mich um Tempel, Kristallschädel und Gebäude kümmern kann, die wertvolle Siegpunkte bringen? Das ist eine der zentralen Fragen in Tzolk’in. Und diese zu beantworten, macht irgendwann verflixt viel Spaß, weil sich nicht nur mit einer, sondern vielen Taktiken erfolgreiche Fortschritte machen lassen.

Licht am Ende des Kalenders

Die Ernährung lässt sich auf mehrere Arten sichern: Da wären z.B. die Farmen, denn diese Gebäude kosten wenig Holz und versorgen Arbeiter direkt – man muss natürlich Glück haben, dass sie bereits ausliegen oder gezogen werden; vor allem in der zweiten Gebäudephase gibt es welche, die drei Arbeiter auf einmal versorgen! Hinzu kommt der Fortschritt über die Technologie, denn dann erntet man mehr Mais. Außerdem sollte man immer ein Auge auf den Kalender werfen, denn jeden Tag wird dort ein Mais abgelegt, so dass sich eine stolze Menge ansammelt – wer zuerst

Was soll man nur bauen? Und was kann man überhaupt bauen, weil man genug Holz, Stein und Gold hat? Oben die mächtigen Monumente, unten die Gebäude.
zugreift, um den Startspielermarker zu ergattern, bekommt auch alles Mais! Derjenige muss allerdings mit bitterbösen Blicken rechnen, wenn anderswo am Tisch mal wieder der Hunger ausbricht.

Noch wichtiger ist es, dass man irgendwann einen effizienten Rhythmus findet, bei dem man Arbeiter nicht zu schnell für billige Aktionen einsetzt, sondern sie quasi an den Orten reifen lässt – dann kosten sie nur zur Ernte Mais. Man sollte also irgendwann einige  Arbeiter lange auf den Kalender-Rädern belassen, damit sie dort weiter hoch gedreht werden, um spätere und damit wertigere Aktionen auszuführen. Denn erst, wenn man einen Mann von einem Ort zurücknimmt, wird geernet, gerodet, getauscht, gebaut oder gesammelt. Damit nicht jeder Spieler einfach Däumchen dreht, ist man in seinem Zug dazu verpflichtet, entweder Arbeiter an Orte zu schicken (was meist Mais kostet) oder sie von Orten zurückzuholen (was Aktionen einleitet, gratis ist und manchmal Mais bringt) – man darf also nicht passen. Das sorgt dafür, dass das Management der eigenen Züge ähnlich wie in Agricola weise Voraussicht verlangt.

Die optimale Planung

Wie entwickelt man sich technologisch? Vier Bereiche stehen zur Verfügung - alles bringt kleine Vorteile. In Verbindung mit Gebäuden kann man diese noch potenzieren.
Wie entwickelt man sich technologisch? Vier Bereiche stehen zur Verfügung - alles bringt kleine Vorteile. In Verbindung mit Gebäuden kann man diese noch potenzieren.
Dadurch wird Tzolk’in auch zu einem spannenden Geduldsspiel: Wer z.B. die lukrativen Kristallschädel in Yaxchilan ernten will, die sehr viele Siegpunkte einbringen, muss mit einem Arbeiter auf dem dortigen Kalender auch vier Tage verharren. Schafft man es, die Versorgung sowie die Einteilung der anderen Arbeiter so zu koordinieren, dass er dort so lange bleiben kann? Und hat man auf einem anderen Rad dafür gesorgt, dass ein Arbeiter diesen Kristallschädel auch möglichst lukrativ den Göttern opfern kann? Denn dort gibt es zwischen vier und dreizehn Siegpunkten plus Rohstoffboni und Tempelfortschritt, wenn man optimal steht!

Gerade die Taktik der Kristallschädel scheint zunächst sehr mächtig zu sein, weil man viele Siegpunkte bekommt. Und wer das Ganze noch verstärkt, indem er sich auch religiös und technologisch so entwickelt, dass er zusätzliche Schädel erntet, kann richtig Punkte abstauben. Aber es gibt auch andere Wege, das Spiel nach vier Erntefesten für sich zu entscheiden: Die clevere Kombination aus Gebäuden, Technologie, Religion und Monumenten. Vor allem Letztere kosten zwar viele Rohstoffe, aber verleihen entscheidende Boni wie etwa vier Siegpunkte pro Gebäude-Art, ein Vielfaches für jeden Arbeiter oder gar 33, wenn man in mind. drei von vier Technologien die höchste Stufe erreicht. Außerdem bekommt man reichlich Siegpunkte, wenn man den Göttern huldigt und in den drei Tempeln aufsteigt. Man kann Tzolk’in also ähnlich wie Village über geschickte Spezialisierung oder eine Mischung gewinnen.

Erstklassige Ausstattung

Nicht nur die Arbeiter, auch das Auge isst hier mit: Illustrationen und Grafikdesign sind klasse, die Plättchen sind solide, die Schädel hübsch anzusehen. Der große Spielplan lockt in einer Draufsicht mit kunterbunten Pyramiden, kleinen Feldern, Brunnen und natürlich viel Dschungel. Zwar braucht man einige Zeit, um alle Aktionen zu verstehen, aber dann helfen einem die markanten Symbole auf dem Spielplan, so dass man kaum noch in die Anleitung schauen

Kampf um Positionen: Der grüne Spieler dürfte sich den Kristallschädel nehmen, indem er seinen Arbeiter entfernt - dafür musste er auch vier Runden dort ausharren.
muss. Die ist übrigens weitgehend vorbildlich, nur dass man dem „ausführlichen Beispiel“ am Ende weitere Aktionen hätte hinzufügen können, damit es auch später keine Missverständnisse gibt. Man kann nahezu alles auflösen, muss aber hin und her blättern.

Verstärkt werden die strahlenden Farben noch vom Folienüberzug der Karte, der auch späteres Ausbleichen verhindert. Überall erkennt man feine Zeichnungen von Göttern, Schriftzeichen und Artefakten; selbst auf den Rückseiten der Plättchen und den großen Rädern sind Zeichen der Maya eingraviert. Die Designer haben nicht nur das mythische Thema sehr gut eingefangen, sondern auch den Kalender klasse in den Spielplan integriert: Ein großes zentrales Zahnrad, mit dem die fünf Orte verbunden sind, lässt sich sehr leicht weiter drehen, so dass sich alle dort platzierten Arbeiter gleichzeitig vorwärts bewegen – da klemmt nichts und selbst nach mehrmaligem Spielen wirkt das Ganze grundsolide. Das liegt auch daran, dass man die einmal zusammen gestanzten Räder nicht mehr auseinander

Wer das Glück hat und Farmen bauen kann (die drei gelben Gebäude), muss bei Erntefesten weniger Arbeiter versorgen.
Wer das Glück hat und Farmen bauen kann (die drei gelben Gebäude), muss bei Erntefesten weniger Arbeiter versorgen.
bauen muss.

Fazit

Ich mag anspruchsvolle Brettspiele, die man nicht auf den ersten Blick durchschaut. Natürlich nicht wenn das Regelwerk diffus ist, sondern wenn man die vielen Wege zum Ziel erst freilegen muss, indem man Sitzung für Sitzung neue Taktiken entdeckt. Tzolk’in lässt einen zunächst hungern, aber macht dann immer satter, entfaltet immer mehr Spaß. Es entsteht eine angenehme Grübelei zwischen Versorgungszwang und Entwicklungsdrang, zumal man sich entweder spezialisieren oder über eine gemischte Taktik erfolgreich sein kann. Das Kalenderthema wurde spielmechanisch mit den beweglichen Zahnrädern sehr kreativ verknüpft. Hinzu kommt die hochwertige Aufmachung, was Illustrationen und Grafikdesign angeht. Obwohl ich auf der SPIEL in Essen noch skeptisch war, weil das Anspielen verwirrte, hat mich Tzolk’in mittlerweile als Workerplacement-Variante überzeugt. Es kommt zwar nicht an Agricola heran, aber ich sehe es auf einem Niveau mit Village und LeHavre. Und das sorgt dafür, dass es bei uns regelmäßig auf den Tisch kommt!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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