Special: Terraforming, Gebäudebau & Expansion
Kein Herz für Halblinge
In den ersten Runden herrschte fast schon eine gemütliche Stimmung. Und das in einem kompetitiven Spiel, bei dem Völker gegeneinander um die Wette bauen. Man lächelte sich an, expandierte ein wenig und bewegte seine Marker fast beiläufig auf der Siegpunkteleiste vorwärts. Das war ein respektvolles, fast schon kooperativ anmutendes Miteinander von vier Fantasyvölkern. Kein Wunder: Schließlich bekommt der Nachbar hier ein wenig arkane Macht, wenn man an seinen Grenzen baut – je mehr seine Gebäude dort wert sind, desto mehr der lila Steinchen darf er
Aber mittlerweile herrscht ein wenig Unmut am Tisch. Plötzlich mag keiner mehr meine Halblinge. Dabei haben sie weder Ringe geklaut noch Orks angelockt – in Terra Mystica geht es ohne Soldaten und Kriege komplett friedlich zu. Trotzdem nuschelt der Spieler der Giganten was von Cheatervolk. Hallo? Dabei bekommen die Halblinge einfach nur einen zusätzlichen Punkt, wenn sie einen Spaten zum Umgraben einsetzen. So verwandeln sie z.B. eine Wüste oder das Gebirge in ihren Heimatuntergrund, in diesem Fall ist es die Ebene, um darauf bauen zu können. Dieses Terraforming ist eine interessante und gut ausbalancierte Spielmechanik, denn so kann man die bunte Hexfeldwelt an seine Farbe anpassen und stückweise expandieren. Die Umwandlung kostet je nach Geländetyp allerdings einen bis hin zu drei Spaten, so dass man nicht sofort jede Route einschlagen kann.Vielleicht liegt es daran, dass die Stimmung zunächst so gemütlich ist, denn man kommt sich erst später so richtig in die Quere...
Terraforming und territoriale Strategie
Und die Nomaden brauchen sich auch nicht beschweren, schließlich durften sie beim Start gleich drei Wohnhäuser platzieren – das hat zu Beginn geostrategische Vorteile, weil man von drei Gebieten aus expandieren und vorhandene besser verbinden kann! Vielleicht rührt der Unmut ganz einfach daher, dass die Halblinge mittlerweile die knappe Führung auf der Siegpunkteleiste übernommen haben. Sie haben wie wild einfach alles Mögliche umgegraben. Wenn ich schon die Spatenboni bekomme, dann konzentriere ich mich auch drauf! So sind sie wie Maulwürfe still und heimlich nach oben geschlichen.
Trotzdem muss ich aufpassen, denn am Ende bekommt man nicht für die Menge der Hexfelder oder Häuser eigener Farbe, sondern für das größte zusammenhängende Gebiet satte 18 Siegpunkte. Und hier kommen auch die Flüsse ins Spiel, die die hübsch illustrierte Welt teilen: Wer keine Brücken baut oder nicht in die Schifffahrt investiert, kann nur relativ kleine zusammen hängende Gebiete erschaffen. Diese territoriale Strategie wertet Terra Mystica auf, zumal man seine Kontrahenten auch blockieren bzw. übervorteilen kann, wenn man nur schnell genug baut – steht einmal irgendwo ein Haus, hat man das Gebiet quasi gesichert!
Die wichtige Gebäudekette
Aber die Halblinge haben bisher nur einfache Wohnhäuser gebaut. Das ging zwar schnell und bringt Arbeiter: Beim Bau eines Gebäudes schaltet man automatisch die darunter liegende Ressource (Arbeiter, Geld oder Macht) frei, die man ab der nächsten Runde erntet. Das angenehm anschauliche, weil auf den Völkertableaus direkt einsehbare System erinnert ein wenig an jenes aus dem historischen Strategiespiel Im Wandel der Zeiten. Da unter jedem Gebäudetyp andere Boni liegen, kann man mit der Errichtung direkt die Ernte der nächsten Runde beeinflussen: Wer Mana und Geld braucht, baut Handelshäuser. Wer Priester braucht, muss Tempel errichten! Und schließlich ist da
Aber den Halblingen fehlt es nicht nur an Geld und Macht, sondern auch an den wichtigen Gebäudepunkten: Erst ab einem Wert von sieben darf man nämlich eine Stadt gründen, die wiederum sofort bis zu neun Siegpunkte und andere Boni bringt. In der Gebäudekette ist ein Haus als erster Schritt nur einen Punkt wert. Erst wer dieses in ein Handelshaus,
Der Kreislauf der Macht
All das kann den eigenen Siegpunktemarker wieder nach vorne bringen. Und man erkennt schon: Wer viel Land hat, hat zwar die besten Chancen, aber man muss die territoriale Expansion mit anderen Taktiken flankieren. Nicht nur das Terraforming der sieben Landschaftstypen und die lineare Gebäudekette wurden clever integriert, auch die Macht als arkane Währung. Die lila Steinchen werden in einem Kreislauf zwischen drei Schalen bewegt. Dabei darf man nur jene einsetzen, die man in der dritten und aktiven Schale hat. Sobald man die Macht dort verbraucht, wandern diese wieder in die erste Schale, dann in die zweite und so weiter. Hier muss man über Priester oder Gebäude wie Handelshäuser dafür sorgen, dass der Vorrat in Schale III nicht so schnell versiegt – auch hier sieht es
Außerdem sollten sie zusehen, dass sie in der finalen Abrechnung der Kulte nicht außen vor stehen: Zwar bekommt der Führende dort nicht satte 18 Punkte wie beim größten zusammen hängenden Gebiet, aber immerhin acht Punkte. Schafft man das in zwei von vier Kulten, sind es immerhin schon sechszehn Punkte. Gerade eben rückt der Spieler der Giganten übrigens drei Plätze im Bereich Wind vorwärts, weil er einen Tempel gebaut und sich das entsprechende Gunstplättchen gesichert hat.
Und die Hexen bauen ihre erste Stadt, was ihnen sofort neun plus fünf (!) Siegpunkte beschert. Und siehe da: Damit haben sie wiederum meine Halblinge überholt, die sich jetzt etwas einfallen lassen müssen. Ich habe viel zu einseitig gespielt! Vielleicht kann ich meine beiden getrennten Gebiete ja noch über die Schifffahrt verbinden, dann könnte ich...
Hochwertige Präsentation
Bisher habe ich es nur angedeutet, aber Terra Mystica verdient nochmal die besondere Erwähnung der edlen Ausstattung. Schon die große Weltkarte sieht mit ihren kunterbunten Hexfeldern und Verzierungen einfach toll aus. Und nicht nur die vierzehn Fantasyvölker wurden klasse gezeichnet, die auf den jeweils doppelt bedruckten, angenehm massiven (!) Spielertableaus zu sehen sind – ich mag es überhaupt nicht, wenn sich solche Tafeln einfach
Was gefällt weniger gut? Terra Mystica bietet nicht viel an für Kritik, denn das Wesentliche greift gut ineinander und man entdeckt mit jedem Volk immer wieder neue Taktiken. Man kann darüber streiten, ob die Spezialeigenschaften gut ausbalanciert sind; Stichwort: Halblingcheater! Aber wir haben nach einem halben Dutzend Partien die Erfahrung gemacht, dass man mit jedem Volk gewinnen kann. Neben den Halblingen waren die Hexen und Schwarmlinge jedoch am beliebtesten, denn es gibt Völker mit
Was uns zu Beginn auffiel: Die Übersicht lässt zunächst etwas zu wünschen übrig. Man braucht etwas Zeit, um all die Boni pro Runde auch zu verinnerlichen. In den ersten Spielen haben wir mitunter übersehen, wer für welche Aktion die Siegpunkte bekommt. Denn zusätzlich zu der Kultleiste und den Gunstplättchen muss man auch jede Runde die sechs Wertungsplättchen sowie die Rundenbonuskarten im Auge behalten, die auch Boni bringen können. Es wird also nicht wie bei Agricola erst am Ende abgerechnet, sondern schon zwischendurch. Aber spätestens nach ein paar Spielen hat man seine Boni besser im Blick.
Terra Mystica ist auch kein komplexes Spiel à la Im Wandel der Zeiten oder gar Dominant Species. Wer gemütliche, aber anspruchsvolle Spiele wie Village mag, wird sich auch hier schnell zurechtfinden und eine sehr gute Alternative zu kriegerischen Fantasy-Eroberungen à la Mage Knight: Das Brettspiel finden. Die Anleitung verdient auch nochmal ein Lob, weil sie sehr verständlich mit illustrierten Beispielen in die Mechanismen einführt. Es gibt eigetlich keine offene Fragen.
Fazit
Terra Mystica ist ein sehr gutes, unheimlich stimmungsvolles Aufbauspiel! Trotz der vielen Völker, Plättchen und Steinchen ist die Besiedlung der kunterbunten Hexfeldwelt nicht verkopft. Im Gegenteil: Es entsteht ein angenehm gemütlicher Spielrhythmus, ein motivierender Kreislauf aus Terraforming, Gebietserweiterung, Gebäudebau und Rohstoffernte, wobei jedes der vierzehn Völker mit zwei exklusiven Fähigkeiten punkten kann. Obwohl das keine tief greifenden Auswirkungen hat, muss man seine Taktik doch ein wenig an das Volk anpassen. Vor allem die territoriale Expansion macht hier Spaß, denn man kann seinen Mitspielern auch ohne Krieg den Schneid abkaufen oder gar von der Nachbarschaft profitieren. Ich wurde schon neugierig auf das Spiel als es im Zusammenhang mit Uwe Rosenberg genannt wurde. Immerhin hat er mit Agricola eines der besten Brettspiele aller Zeiten entworfen, das auch bei uns auf dem ersten Platz thront. Hier war er als Verlagsgründer beratend tätig und hat das Regelwerk ausklamüsert. Realisiert haben das Ganze die Autoren Helge Ostertag und Jens Drögemüller. Glückwunsch an Feuerland Spiele für diese hochwertige Premiere!
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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