Special: Der Klassiker der Fantasy-Brettspiele
Die süße Schadenfreude
Zwei bis sechs Spieler wollen genau dorthin, um die Krone der Herrschaft zu erringen. Aber damit hat man noch nicht gewonnen: Denn wer das vor Hitze gleißende Feld nach all den Strapazen mit wilden Teufeln und Werwölfen als Erster erreicht, darf den anderen Spielern bei jeder gewürfelten Vier, Fünf oder Sechs einen Lebenspunkt abziehen. Und zwar so lange, bis sie alle tot sind. Das kann ein schöner vampirischer Spaß sein, aber man sollte sich beeilen, sonst muss man gegen Nachzügler mit Rachegelüsten kämpfen – oder wird wie der Priester vorher abgefangen.
Der weite Weg zur Krone der Herrschaft
Aber bis dahin ist es ein weiter Weg voller Überraschungen – man kann nicht nur Gold und Ausrüstung gewinnen, sondern auch einiges verlieren: Man wird in der Taverne verprügelt, von Drachen verspeist oder einfach vom Würfelpech verfolgt. Ein Spiel in der Welt von Talisman kann sich über zwei oder mehr Stunden erstrecken, denn man startet als unerfahrener Charakter, der zufällig aus einem Pool von vierzehn Archetypen gezogen
Zwar haben Zwerge, Priester, Elfen,Ghule, Magier, Trolle, Diebe sowie die anderen Klassen einige interessante Spezialfähigkeiten, wie etwa die zwei Würfel im Kampf für den Krieger, das Stehlen des Diebes oder den Orientierungssinn des Zwerges, aber hinsichtlich der Lebens-, Talent- und Stärke-Punkte sowie Ausrüstung sind sie alle noch schwach auf der Brust. Also freut man sich über jedes kleine grüne, blaue oder rote Hütchen, das man als Symbol für einen gewonnenen Punkt neben seine Charakterkarte stellen kann. Auf diese freie Art kann ein Dieb also irgendwann locker den Krieger überholen, was z.B. die Stärke betrifft.
Auf der malerisch illustrierten, angenehm weitläufigen und stabilen Karte wird die Welt in drei Regionen dargestellt: Ganz außen locken noch Wiesen, Wälder und Schlösser in angenehm grüner Landschaft. Hier starten die Helden je nach Klasse auf unterschiedlichen Feldern und versuchen ihre Fähigkeiten zu verbessern, damit sie irgendwann den Sturmfluss zur mittleren Region überwinden können - das könnte man z.B. über ein Floß versuchen. Auf der anderen Seite wird es schon etwas gefährlicher mit lebensbedrohlichen Wüsten und kniffligen Fähigkeitenproben, bevor es dann in der inneren Region richtig zur Sache geht: Werwolfsbau, Höllenschlund und Tal des Feuers sprechen für sich – aber am Ende lockt ja diese Krone der Herrschaft.
Kämpfen und Karten ziehen
Das Besondere an Talisman sind die Begleiter: Man kann beliebig viele Gefährten aufnehmen, die die eigenen Schwächen mit nützlichen Spezialfähigkeiten ausgleichen. Wer einen ortskundigen Wanderer engagiert, verirrt sich nicht mehr in Hügeln und Labyrinthen. Wer ein Einhorn an seiner Seite weiß, darf Talent und Stärke um einen Punkt erhöhen! Ersteres ist wichtig im arkanen Magiekampf, Letzere im physischen Klingenkampf. Manche Klasse wie der Zauberer dürfen sich aussuchen, auf welche Art sie ihren Gegner bekämpfen – treffen sich Spieler auf einem Feld, kommt es zum Duell.
Würfelglück und Warteschleifen
Letztlich kommt es nur darauf an, vor allem Stärke und Talent so schnell wie möglich so weit wie möglich auszuweiten – man muss seinen Charakter in diesen beiden Bereichen zügig aufpumpen. Stirbt man, darf man sofort mit einem anderen Helden ran. Talisman ist weder taktisch anspruchsvoll in den Gefechten noch komplex genug für ein Rollenspiel, aber es bietet den Helden durchaus interessante Optionen: Man kann z.B. Schicksalsmarker einsetzen, um Würfel neu zu werfen – aber spart man sich die für schwere Zeiten auf oder setzt man sie sofort ein? Man kann auch ganz opportunistisch die Gesinnung von gut zu neutral oder böse wechseln, wenn es dafür irgendwo einen Vorteil
Fazit
Wie kann sich ein Spiel knapp 30 Jahre so gut halten? Vor allem eines, das weder den anspruchsvollen Rollenspieler noch den Kampftaktiker oder den reinen Gelegenheitsspieler direkt anspricht? Irgendwie sitzt Talisman zwischen allen Stühlen, aber dort grinst es einen mit unheimlicher Schadenfreude an: Es ist ein einfaches, aber gerade in dieser vierten Edition mit ihren Miniaturen stimmungsvoll präsentiertes Würfelspiel. Trotz seiner mitunter zähen Längen lebt es von der Lust an leichter Charakter-Entwicklung, zig Sammelreizen sowie dem Kampf zwischen den Helden. Das Pech der anderen und die eigene Gemeinheit können wunderbare Verbündete sein! Wer sich für klassische Fantasy begeistern kann und einfache Spiele à la Munchkin mag, kann mit diesem Klassiker nichts falsch machen. Aber vermutlich habt ihr ihn schon.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
Weitere Brettspieltests im Archiv!
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.