Die Glasstraße19.11.2013, Jörg Luibl
Die Glasstraße

Special: Brandrodung und Gebäudebau

Erst vor zwei Jahren gegründet, steht Feuerland Spiele von Frank Heeren und Uwe Rosenberg (Agricola, Le Havre) bereits für hochwertige Produktionsqualität und anspruchsvolles Spieldesign: Für Terra Mystica hat man international sehr gute Kritiken erhalten – auch wir haben den kreativen Mix aus Terraforming, Gebäudebau und Rohstoffernte bereits empfohlen. Jetzt legt man mit Die Glasstraße nach. Kann auch das zweite Brettspiel aus Eppstein überzeugen?

Jagd auf Gebäude

Die Glasstraße ist für knapp 30 Euro komplett auf Deutsch bei Feuerland Spiele erschienen. Man kann es alleine oder mit bis zu vier Leuten spielen. Es ist auch zu zweit empfehlenswert.
Die Glasstraße ist für knapp 40 Euro komplett auf Deutsch bei Feuerland Spiele erschienen. Man kann es alleine oder mit bis zu vier Leuten spielen. Es ist auch zu zweit empfehlenswert.
Darf das wahr sein? Erst hat sie mir die Glaserei weggeschnappt, die mir am Ende für jedes verbaute Glas einen Punkt gebracht hätte. Und jetzt hat sie mir doch tatsächlich noch den Fischhof geklaut! Wofür habe ich denn schon vier Teiche zusammen angelegt? Oder war das etwa zu offensichtlich? Jedenfalls hätte ich am Ende vier Siegpunkte dafür bekommen. Unsere Beziehung wird im Spiel zu zweit gerade auf eine harte Probe gestellt – aber noch ist Zeit. Und schmollen bringt nichts, ich brauche einfach eine bessere Strategie. Schließlich werden in jeder der vier Bauperioden auch die zwölf möglichen aus einem Pool von 93 Gebäuden aufgefrischt.

Also pfeife ich auf diese eine Glaserei – da kommt sicher noch etwas Wertvolles! Es gibt ja drei Arten von Gebäuden: Mit den blauen kann ich quasi jederzeit Rohstoffe oder Land umwandeln, um z.B. aus einem Holz zwei Holzkohle oder aus einem Teich zwei Nahrung plus Holz machen. Sie sind ideal, um sein Spiel frühzeitig dynamisch anzupassen sowie Engpässe zu vermeiden. Mit den beigen kann ich einmalig etwas bekommen, z.B. sofort sieben Lehm oder Gehölze – gerade in der Anfangsphase kann das helfen. Und die braunen verleihen mir schließlich am Ende wertvolle Punkte, z.B. pro Wald, pro Teich oder pro Mulde. Selbst Sets aus Landschaften werden belohnt!

Verdeckte Kartentaktik

Hier ein Spielaufbau für zwei Personen. Jeder startet mit derselben Anordnung der Landschaft.
Hier ein Spielaufbau für zwei Personen. Jeder startet mit derselben Anordnung der Landschaft.
Aber bevor man etwas baut, muss man zunächst die Rohstoffe dafür haben. Für die Ernte nutzt man eine eigene Landschaft, auf der zwanzig Felder abgebildet sind. Dort kann man dann frei schalten und walten! Worauf will man sich spezialisieren? Oder geht man auf Vielfalt? Zu Beginn sind nur Wälder, Teiche, Mulden und Gehölze zu sehen. Lediglich am linken Rand befinden sich drei Startgebäude, die man später aufwerten kann. Wer etwas ernten will, spielt dafür eine von fünf Handkarten aus, die einen von fünfzehn Berufen darstellen: Wer den Brandroder auslegt, darf z.B. einen Wald entfernen und entweder zwei Holzkohle oder zwei Nahrung dafür einsammeln. Oder gar beides!

Und hier kommt der Kniff der Karten-Exklusivität ins Spiel: Hat nämlich keiner der anderen Spieler den Brandroder, darf man beides ernten – das sorgt im Vorfeld für Spannung, zumal jeder seine Aktionskarte zunächst verdeckt ausspielt. Und wenn man Glück hat, macht man fette Beute! Hat jemand anderes aber im Moment des Aufdeckens auch den Brandroder auf der Hand, darf er diesen umgehend selbst spielen und beide ernten jeweils nur einen der abgebildeten Rohstoffe. Da man vor jeder Bauperiode nur fünf von fünfzehn Berufen wählt, gewinnen die Karten auch eine taktische Bedeutung.

Vom Zimmermann zum Lehnsherren

Jeder Spieler hat fünfzehn Karten, die jeweils andere Berufe darstellen. Man wählt vor jeder Runde fünf aus und kann dann Aktionen wie Ernte oder Bau einleiten.
Jeder Spieler hat fünfzehn Karten, die jeweils andere Berufe darstellen. Man wählt vor jeder Runde fünf aus und kann dann Aktionen wie Ernte oder Bau einleiten.
Und mit ihnen kann man mehr als nur ernten: Wer z.B. den Lehnsherren ausspielt, darf drei Gebäudekarten ziehen und in seine Auslage legen – die kann dann keiner mehr stibitzen! So schafft man sich zudem einen Pool aus Gebäude-Jokern, falls auf der offiziellen Tafel mal nichts Lukratives liegt. Und das Beste ist: Man kann selbst die Nieten in der Auslage noch in Rohstoffe verwandeln, wenn man die Amtsstube oder das Dachziegelwerk baut. Alles ist also miteinander verzahnt, wobei das Ausspielen des richtigen Berufs zur richtigen Zeit eine wichtige Rolle spielt.

Wann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich exklusiv und damit doppelt ernten kann? Und welchen Beruf spart man sich für wann auf? Es bringt ja nichts den Baumeister auszulegen, wenn man keine Rohstoffe hat, damit er loshämmern kann! Und was soll der Holzfäller, wenn man schon alles gerodet hat? Man muss also darauf achten, wie man in seinem Bereich das Verhältnis von Gebäuden und Landschaften (Teiche, Mulden, Gehölze und Wälder) gestaltet. Es kann sich z.B. lohnen, sich auf Mulden und den dort erhältlichen Sand zu spezialisieren. Oder auf Teiche und Wasser. Oder auf Sets.

Das Rad der Rohstoffe

Oben die Glashütte, in der das grüne Plättchen die Anzahl an Glas repräsentiert - zu Beginn null. Darunter die Ziegelei.
Oben die Glashütte, in der das grüne Plättchen ganz links die Anzahl an Glas repräsentiert - zu Beginn null. Darunter die Ziegelei: Wer die roten Ziegel herstellen will, braucht Kohle (schwarz), Lehm (orange) und Nahrung (grau).
Richtig Salz kommt aber erst durch die beiden Produktionsräder in die Aufbausuppe: Das eine symbolisiert die Herstellung von Glas, wofür man Sand, Nahrung, Kohle, Wasser und Holz braucht. Das andere zeigt die Ziegel an, für die man Kohle, Lehm und Nahrung benötigt. Vor allem die wertvolleren Gebäude verlangen nach Glas und/oder Ziegeln – die Dorfkirche gibt am Ende vier Punkte plus einen pro freies Feld um sie herum, aber sie verschlingt auch acht Rohstoffe. Will man sie errichten, muss man also gezielt ernten.

Und dabei hilft der clevere Mechanismus der beiden Räder, denn dort sieht man auf einen Blick, was man in welcher Anzahl hat und was man noch braucht, um Glas oder Ziegel herzustellen. Man sammelt also keine Plättchen von Holz, Kohle & Co wie in LeHavre, sondern verschiebt einfach den runden Rohstoffmarker für Wasser von zwei auf vier, wenn einem z.B. der Wasserträger zwei Eimer voll erntet. Und sobald irgendwo eine Lücke zwischen Glas oder Ziegeln sowie den normalen Rohstoffen entsteht, schiebt man den Anzeiger weiter im Uhrzeigersinn – stellt also gerade etwas her.

Was gibt es zu meckern?

Sehr, sehr wenig. Das Spielmaterial ist ähnlich wie in Terra Mystica liebevoll illustriert – wer genau hinschaut, erkennt auf den Landschaften kleine Details, so dass sich nicht jeder Wald gleicht. Die Plättchen lassen sich gut ausstanzen, sind angenehm dick und stabil. Lediglich beim Zusammenbauen der beiden Räder gab es mitunter Probleme mit den Plastiksteckern, die nicht auf Anhieb passen wollten. Aber das sind Peanuts, denn Ausstattung und Präsentation erreichen ein hochwertiges Niveau, zumal man in der 20-seitigen Anleitung auch Hintergrundmaterial zur historischen Glasstraße findet.

Innerhalb des Spiels ergeben sich in der finalen Phase manchmal Leerläufe, in denen man Karten ohne Wirkung ausspielen muss: Wenn man z.B. alle Wälder gerodet hat, verlieren drei Berufe ihre Aktionen – Zimmermann, Brandroder und Holzfäller. Wälder kann man im Gegensatz zu den drei anderen Landschaften ja nicht mehr nachlegen; ist ja auch logisch. Vielleicht wäre es aber eine Überlegung wert gewesen, den Pool an Berufen von

Im Laufe des Spiels verändert sich die eigene Landschaft: Wälder werden gerodet, Gebäude gebaut.
Im Laufe des Spiels verändert sich die eigene Landschaft: Wälder werden gerodet, Gebäude gebaut. Wer hat am Ende von vier Bauperioden die beste Mischung gefunden?
fünfzehn auf zwanzig aufzustocken, damit man bis zum Schluss mehr Kartenauswahl hat.

Fazit

Produktionsräder und Uwe Rosenberg? Ich war zunächst skeptisch, denn "Ora et Labora" ist das einzige Brettspiel des Agricola-Erfinders, das mir bisher nicht gefallen hat. Aber Die Glasstraße hat mich schnell eines Besseren belehrt, denn es ist wesentlich klarer, dynamischer und für Aufbaufans empfehlenswerter. Je öfter man es spielt, desto deutlicher wird die clevere Verzahnung von Ernte und Bau, die vielfältige Wege zum Sieg anbietet – hier steckt viel Erfahrung im Spieldesign. Drei Elemente muss man besonders loben: Zum einen die Produktionsräder, die ohne Plättchenwust übersichtlich ordnen und auf einen Blick planen lassen. Zum anderen die Aktionen über ausgewählte Karten, denn aufgrund des verdeckten Auslegens und der  Exklusivität entsteht immer eine gewisse Spannung. Und schließlich die drei Gebäudetypen, die mit Umwandlungen, sofortigen sowie finalen Boni nochmal Spezialisierungen ermöglichen. Die Glasstraße spielt sich übrigens stringenter als das etwas komplexere Terra Mystica. Wer Ernte- & Bautaktik wie Le Havre mag, wird hier voll auf seine Kosten kommen.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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