Special: Machtkampf zwischen Athen und Sparta
Gnadenloses Urteil des Scherbengerichts
Da kann man noch so viel zetern und fluchen: Das Spiel ist aus für Athen! Am Ende der zweiten Runde besitzen sie schon kein Prestige mehr auf ihrer Leiste. Und weil das eine Schande ist, verlieren sie sofort – Sparta gewinnt
Okay, der Athener hatte auch etwas Pech bei den Belagerungen. Gleich zwei davon scheiterten am Würfelergebnis. Schließlich muss man für die Eroberungen großer Stadtstaaten wie Korinth oder Argos auf einem Viererwürfel eine drei oder vier würfeln. Hätten die Athener das geschafft, hätten sie auch drei oder vier Prestige hinzu gewonnen. Hätte, hätte, Poliskette! Wer zu schnell expandiert, kann sich in diesem historisch inspirierten Spiel von Franz Diaz die Finger verbrennen. Denn neben dem Ruhm muss man auch auf Weizen für die Bevölkerung achten.
Historisches Strategiespiel für Planer
Trotz des martialischen Helms auf dem Cover geht es nicht um Kampftaktik im Gelände, sondern um komplexe Strategie für zwei Personen. Je nachdem ob man mit Sparta oder Athen beginnt, hat man etwas andere Voraussetzungen auf der hübsch illustrierten Karte: Neben drei anderen Stadtstaaten (Poleis) sowie Handelsplätzen besitzen die Spartaner z.B. kein Weizen, aber dafür vier Silber; bei den Athenern ist das umgekehrt. So gibt es andere geostrategische sowie wirtschaftliche Bedingungen, die sich im Laufe des Spiels natürlich
Ziel des Duells ist es, nach vier Runden die meisten Siegpunkte vorzuweisen. Und hier wird es interessant, denn diese setzen sich aus der Bevölkerungszahl sowie dem Prestige zusammen. Jetzt könnte man meinen, dass man eben einfach alle neutralen Siedlungen um die Wette erobert. Aber darum geht es nicht in erster Linie – man kann z.B. nie die gegnerische Hauptstadt schleifen.
Es geht auch nicht um die totale Vernichtung, sondern um eine balancierte Expansion. Zumal das Halten von annektierten Poleis in der frühen Phase nicht so leicht ist, denn man muss seine Bevölkerung ja mit Weizen ernähren. Hat man entsprechend vorgesorgt? Wer nicht genügend Nahrung zur Verfügung hat, muss bereits eroberte Siedlungen wieder aus seinem Reich entlassen.
Angebot und Nachfrage
Nur wer über Tribute in kontrollierten Regionen (eine Poleis besitzen und mehr Hopliten als der Gegner stationiert haben) sowie mit seinen Schiffen genug Nahrung herbei schafft, kann den Bedarf an Weizen decken. Dabei greift ein
Auf den ersten Blick bietet sich für den maritim zunächst überlegenen Athener (drei statt zwei Galeeren) der Handel über das Meer an, für den Spartaner eher die Eroberung von Sizilien. Denn nur dort bekommt man neben Messenien für Tributforderungen bis zu sechs Weizen. Aber dafür muss man seine Hopliten über das Ionische Meer schicken und Syrakus oder Gela belagern lassen. Ersteres hat einen Wert von vier, Letzteres von drei – knifflig, aber machbar. Nur wenn der Würfel nicht richtig fällt, verliert man sofort eine Armee. Diese rekrutiert man wiederum nur in eigenen Poleis direkt aus der Bevölkerung.
Exklusive Bauprojekte
Hier erkennt man schon, wie clever die Mechanismen ineinander greifen. Zumal man auch gezielt auf einen Überschuss von Silber hin arbeiten kann, um damit z.B. den Gesandten (Proxenos) auf Bestechungstour zu schicken – man kann Poleis auch erobern, indem man das doppelte ihres Wertes bezahlt.
Auch das Bausystem ist durchdacht, weil es je nach Partei und Polis für exklusive Entwicklungen sorgt: In Athen kann ich Theater, Künstler oder Philosophen, in Sparta Tempel, Feste oder Statuen „bauen“. Hinzu kommen eroberte Siedlungen mit anderen Möglichkeiten, die meine Defizite ausgleichen. Jede Runde werden zufällig drei von vierzehn historischen Projekten wie „Sokrates“ oder „Fest des Dionysos“ ausgelegt.
Bezahle ich die Kosten aus Holz, Eisen oder Silber, bekomme ich dafür direkt und/oder am Ende des Spiels wertvolles Prestige. Für noch mehr authentisches Flair sorgen bis zu vier zufällige Ereignisse, die sich auf historische Begebenheiten des 4. bzw. 5. Jh. v.u.Z. beziehen und mal Athen oder Sparta etwas bevorteilen. Wer schickt wie viele seiner Hopliten gegen die Perser ins Feld?
Zwei Szenarien für mehr Dramatik
Und was ist ansonsten mit dem Kampf? Gibt es gar keine Schlachten zwischen Athen und Sparta? Doch, aber nur in sehr einfacher Form über ein Kartenspiel. Außerdem sollte man bedenken, dass es im Grundszenario, also mit der
Militärtaktiker werden mit diesem Spiel auch dort nicht verzückt. Sie wird vielleicht schon wurmen, dass man in der ersten Runde gar nicht kämpfen kann, denn es gibt pro Runde eine festgelegte Maximalzahl an Hopliten bzw. Galeeren pro Region. Erst ab acht Klötzchen gleichzeitig in einem Feld wird auch eine Schlacht zwischen den Spielern ausgetragen. Vorher entscheidet quasi die Mehrheit nur darüber, wer die Kontrolle hat – das kann zumindest für die Bewegungen über die Karte sowie den Handel geostrategisch interessant sein.
Schlachten im Kartenduett
Kann man allerdings keine Phalanx auslegen, obwohl eine liegt, verliert man eine Armee und darf im nächsten Schritt eine Karte weniger nachziehen. Bei zwei Verlusten sogar zwei weniger; das ist ein ganz netter Mechanismus. Dieser symbolische Kartenkampf ist auch ganz flott, aber angesichts der Thematik doch etwas unbefriedigend, weil zu glückslastig. Schade ist, dass man sich weder über Bauprojekte noch den Zukauf militärisch entwickeln kann, um sich z.B. die Belagerungen zu erleichtern oder eben diesen Land- bzw. Seekampf. Der Vorteil ist natürlich, dass Athen und Sparta in diesem Punkt immer komplett
Fazit
Polis ist ein sehr gelungenes Strategiespiel, das ich unbedingt noch dieses Jahr empfehlen wollte. Vorsicht, weil es vielleicht aufgrund der Box danach aussieht: Das ist kein Risiko in der Antike, kein flottes Eroberungsspiel und nichts für Militärtaktiker. Es ist vielmehr ein anspruchsvolles wirtschaftliches und geostrategisches Kräftemessen zwischen Athen und Sparta. Man kann zwar auch in vereinfachter Kartenform kämpfen, aber im Vordergrund stehen die Entwicklung der Stadtstaaten sowie die effiziente Expansion. Nur wer überlegt mit Prestige, Silber und Weizen haushaltet, wer Tribut und Handel richtig einsetzt, kann am Ende die Nase vorn haben. Fühlt man sich in den ersten Partien aufgrund der Verzahnung der Aktionsmöglichkeiten und Verluste noch etwas überfordert, lernt man die auf Balance und Blockaden ausgerichtete Spielmechanik später immer mehr zu schätzen. Wer komplexere historische Spiele à la Im Wandel der Zeiten, A Few Acres of Snow oder Gleichgewicht des Schreckens mag, wird hier bestens unterhalten. Auch die Illustration von Karte und Material erreicht gehobenes Niveau.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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