Abyss20.10.2014, Jörg Luibl
Abyss

Special: Der König der Tiefsee

Auch bei Brettspielen isst das Auge mit. Und manchmal wird man alleine aufgrund des Artdesigns so neugierig gemacht, dass man sofort reinspielen will. So ging es mir mit Abyss: Diese tiefblaue Box mit dieser böse blickenden Kreatur hat mich einfach angelockt. Die wichtige Frage ist natürlich nicht nur, ob auch das Artdesign, sondern vor allem das Spiel in der Box der Vorfreude gerecht wird - mehr dazu im Test!

Prächtige Unterwasserwelt

„Hey, die Karten sind ja cool!“; „Das sieht ja fast aus wie Star Wars unter Wasser!“; „Gibt es dazu ein Rollenspiel?“  Das sind einige spontane Kommentare zum außergewöhnlichen Artdesign von Abyss. Auch Brettspiele können bekanntlich sehr dröge aussehen, aber der belgische Künstler Xavier Collette hat diesem Spiel mit seinen düsteren Meeresfarben und fantasievollen Figuren sehr viel Leben eingehaucht.

Abyss ist komplett auf Deutsch für knapp 40 Euro bei Asmodee erschienen. Es ist für zwei bis vier Spieler ausgelegt.
Egal ob Monster, Edle oder Orte: Es macht einfach Spaß, sich die Karten anzuschauen. Die Illustrationen regen die Fantasie an und man kann sich Kreaturen wie „Der Meister der Magie“ oder „Der Verräter“ auch als Miniaturen in einem Unterwasser-Abenteuer vorstellen. Auf der SPIEL'14 in Essen konnte ich mit Bruno Cathala, einem der französischen Autoren sprechen, der bereits andeutete, dass es zu Abyss in Zukunft mehr geben wird - vielleicht sogar ein Tabletop. Aber nicht nur die Zeichnungen, auch die Plättchen der Schlüssel sowie die weißen Perlen in ihren Muschelbechern sorgen dafür, dass das voll aufgebaute Abyss auf dem Tisch eine klasse Figur macht.

Wer wird der König der Tiefsee?

Aber worum geht es spielerisch? Um einen taktischen Wettlauf nach Macht zwischen zwei bis vier Thronanwärtern – mit einigen feinen Ideen, die Trading-Card-Mechanismen mit taktischem Spielaufbau verknüpfen. Ziel ist es, zum König der Tiefsee aufzusteigen, indem man clever Monster als Verbündete sammelt, Edle um sich schart und über geschickte Züge die Orte mit ihren Boni freischaltet, um am Ende die meisten Einflusspunkte vorzuweisen. Auf dem Weg dahin, hat man zwar viele Möglichkeiten, aber man darf sich auch nicht allzu lange Zeit lassen, denn sobald jemand seinen siebten Edlen auslegt, beginnt die letzte Runde.

Es geht also nicht um direkte Kämpfe gegeneinander oder territorialen Gewinn, sondern um einen spannenden Wettlauf, bei dem das effiziente Horten und Einsetzen von Karten sowie Perlen und Schlüsseln im Vordergrund steht. Die Regeln sind wirklich leicht verständlich und kaum hat man eine erste Probesitzung

Tolles Artdesign, schneller Aufbau - hier für vier Mitspieler.
hinter sich, flutschen die Spiele in null Komma nichts dahin – die Zeit der Grübler mal abgezogen. Nicht nur weil sich dabei Sammel-, Kombinations- und auch Glücksspielreize ergänzen, entsteht ein ebenso flotter wie abwechslungsreicher Spielfluss.  Hinzu kommen auch Spezialfähigkeiten über das Anwerben der Edlen in ihren sechs Kategorien (Soldaten, Bauern, Politiker, Magier, Händler, Botschafter) sowie der 20 Orte, die ebenfalls Einflussboni gewähren.

Sammeln und Anwerben

Um einen Edlen anzuwerben, muss man seinen Wert mit Monsterkarten bezahlen – dabei kann es sein, dass man eine bestimmte Kombination aus lila, roten, gelben, grünen oder blauen Monstern braucht. Die bekommt man wiederum zu Beginn seines Zuges, indem man z.B. die Tiefsee erkundet. Sprich: Man zieht vom verdeckten Monsterstapel so lange, bis man die passende und möglichst hochwertige Kreatur bekommen hat.

Motivierend sind bei der Erkundung drei Dinge: Zum einen darf man maximal fünf Karten aufdecken, dann muss man die letzte, selbst wenn sie vielleicht Murks ist, auch nehmen und bekommt zum Trost eine Perle dazu – Glückskekse stauben hier natürliches hochwertiges Monster plus Perle ab. Zum anderen muss man jede Karte vor dem eigenen Kauf den Mitspielern anbieten, die also Erstkaufrecht haben. Und schließlich kann man auch auf Moränen treffen, die man zum Kampf bittet, den man automatisch gewinnt, um die Beute auf der Bedrohungsleiste einzuheimsen.

Risiko in der Tiefsee

Die ist in Form von Perlen, Schlüsseln oder verdeckten Siegpunkten umso fetter, je weiter der Marker dort nach unten gewandert ist. Und das tut er immer dann, wenn sich ein Spieler beim Ziehen der Monsterkarten gegen den Moränenkampf entscheidet – man kann also damit spekulieren, dass man in seinem Zug zwei Kämpfe ignoriert, um dann vielleicht bei der dritten Moräne eine bessere Belohnung zu bekommen. Aber Vorsicht: Wenn man sich dabei verzockt, profitiert der nächste Spieler von der lukrativen Position des Bedrohungsmarkers!

Oben die Monsterauslage zur Erkundung, in der Mitte der Rat zum Abstauben abgelegter Karten und ganz unten die verfügbaren Edlen.
Man kann die wertvollen Monster aber noch viel leichter und in Masse bekommen, wenn man in seinem Zug nicht erkundet, sondern Unterstützung vom Rat erbittet. Das heißt, dass man sich einfach alle abgelegten Karten einer Farbe aus der Mitte nehmen darf! Und damit steigen natürlich die Chancen, auch den Edlen genau dieser Farbe anzuheuern. Hat man genug Monster, darf man in seinem Zug eine dieser mächtigen Figuren vom Plan anwerben. Reicht es nicht ganz, darf man die Differenz auch mit Perlen bezahlen.

Schnell und billig oder später wertvoll?

Schön für die Balance: Die billigen Edlen, die man schon mit einer Farbe bekommt, haben meist keine Spezialfähigkeiten oder keinen der wichtigen Schlüssel. Die

Um Orte auszulegen, muss man drei Schlüssel vorweisen - die Edlen werden dahinter positioniert.
besitzen nur die teuren, für die man teilweise auch drei oder mehr Monstertypen braucht. Je nach Situation kann es sehr nützlich sein, genau auf diesen einen Edlen zu sammeln, der vielleicht einen tollen Nebeneffekt wie diesen hat: „Du kannst einen deiner freien Edlen abwerfen und ihn durch einen Edlen vom Hof ersetzen“ – das ist quasi wie ein Joker, mit dem man billig gegen wertvoll tauschen kann.

Die erwähnten Schlüssel, die man entweder über den Kampf gegen Moränen oder beim Anwerben der eher teuren Edlen bekommt, sind deshalb wichtig, weil drei von ihnen zwingend einen Ort mit weiteren Nebeneffekten freischalten. Dann darf man sich aus der Auslage für einen wie „Das Parlament“ oder „Der Abgrund“ entscheiden – wer als Erster wählt, hat auch mehr Auswahl, denn er darf bis zu vier Orte zusätzlich aufdecken. Und auch da sollte man genau hinsehen, denn man kann sich über die richtige Wahl gezielt verstärken. „Das Heiligtum“ sorgt z.B. dafür, dass man für jeden Verbündeten (=Monster) der Quallen drei Einflusspunkte bekommt. Aber hat man überhaupt welche?

Die Macht der Orte

Die Perlen dienen als alternatives Zahlungsmittel - hilfreich, wenn man nicht die passenden Monster beisammen hat.
Ein weiterer kleiner, aber für die Balance wichtiger Nebeneffekt: Sobald man einen Ort mit Edlen baut, wird dieser über ihre Spezialfähigkeiten gelegt, die dann nicht mehr wirksam sind. Blöd für einen selbst, aber gerade bei den dauerhaften destruktiven Fähigkeiten der „Krieger“ kann das für die Mitspieler wieder eine kleine Hilfe sein: Denn der „Armeekommandant“ sorgt z.B. dafür, dass alle anderen Spieler am Ende ihres Zuges nur sechs Monster aka Verbündete auf der Hand haben dürfen.

Sobald jemand sieben Edle ausliegen hat, beginnt die letzte Runde – und wir haben uns gewundert, wie schnell das geht. Zu viert ist man mit geübten Spielern nach einer halben bis Dreiviertelstunde so weit. Und die Endabrechnung ist natürlich spannend: Dann werden auf einem beiliegenden Block alle gesammelten Einflusspunkte von Orten, Edlen, dazu die des stärksten Verbündeten (Monsters) jeder Farbe bzw. Art sowie die verdeckt gesammelten Plättchen addiert. Bei einem Gleichstand zählen die meisten Perlen.

Fazit

Hey, das sieht ja aus wie Star Wars unter Wasser! Okay, darüber kann man streiten, aber fest steht: Diese mythischen Kreaturen und Orte regen aufgrund der tollen Illustrationen von Xavier Collette die Fantasie an. Aber nicht nur das Artdesign von Abyss ist reizvoll, auch die fein balancierte kompetitive Spielmechanik des erfahrenen  Autoren Bruno Cathala (u.a. Das Halsband der Königin) weiß zu überzeugen. Hier treffen Sammel- und Kombinationsreize auf etwas Aufbautaktik und Pokerflair. Zwar kommt Abyss nicht an die taktische Vielfalt eines 7 Wonders oder die eines reinen Trading-Card-Gefechtes à la Android: Netrunner heran, aber der abwechslungsreiche Wettlauf um Einfluss über all die Monster, Edlen und Orte macht für eine Partie zwischendurch Laune. Es geht nicht um direkte Kämpfe gegeneinander oder territorialen Gewinn, sondern um das effiziente Horten und Einsetzen von Karten sowie Perlen und Schlüsseln. In einer eingespielten Runde kann man innerhalb von dreißig bis fünfundvierzig Minuten den König der Tiefsee küren.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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