Special: Die Großen Alten am Tisch
Die Großen Alten in XXL
Ob Westafrika gleich mit einem großen Malmen in der Tischplatte versinkt? Am besten schonmal die Kaffetasse und die Kekse zur Seite stellen. Wenn man für einen Angriff siebzehn (!) schwarze Würfel in der Hand schüttelt, liegt jedenfalls der Tod in der Luft - und man kann sich ein böses Grinsen nicht verkneifen. Da versammeln sich gerade drei "Große Alte" samt Anhang, so dass man kaum noch Land sieht - der menschliche Kultist wirkt zwischen ihnen wie ein erbärmlicher Wurm. In diesen Momenten fängt das Spiel die Ohnmacht unserer Zivilisation gegenüber dem außerweltlichen Horror von H.P. Lovecraft ganz gut ein.
Und einige sind verdammt groß: Ein außerirdischer Anführer wie der geflügelte "Cthulhu" erreicht ein Gardemaß von 18 cm - okay, er hockt auf einem Felsen,
Eskorte statt Sturmangriff
Dabei ist Cthulhu Wars kein Blender, es geht in diesem Strategiespiel weder in erster Linie um Gebietsgewinne à la Risiko noch um Masse statt Klasse: Zwar besitzen die Großen Alten enorme Angriffskräfte, aber sie sterben genauso schnell wie normale Monster. Sie haben nämlich keine erhöhte Lebenskraft und eine Sechs reicht aus, um sie zumindest kurzfristig zu verbannen. Das Kampfsystem simuliert den gleichzeitigen Schlagabtausch und ist sehr einfach konzipiert, denn man würfelt pro Stärkepunkt der Armee im betreffenden Gebiet einen W6. Wobei eins, zwei und drei jeweils Patzer sind, vier und fünf lediglich Schmerzen (=Rückzug in Nachbargebiet) bereiten und erst die sechs als "Kill" zählt.
Das kann in der Praxis dazu führen, dass ein Großer Alter zwar seine geballte Angriffskraft von z.B. zehn Würfeln auf die Platte schmettern und bei mehreren Sechsen durchaus vielfachen Tod verbreiten kann, aber dass ihn dieser eine kleine "Flying Polyp" oder "Deep One" mit seiner mickrigen Angriffskraft von einem Würfel mit einer einzigen Sechs ebenfalls töten kann - autsch. Da immer der Betroffene die Opfer in den eigenen Reihen bestimmt, bedeutet das taktisch: Man sollte seine pompösen Riesen niemals alleine lassen, damit man andere opfern kann - wo wir übrigens wieder bei recht authentischem
An dieser Stelle ein kurzes Portrait, denn das kommt nicht von ungefähr, dass gerade Sandy Petersen Cthulhu Wars konzipiert hat. Der Amerikaner ist mittlerweile Großvater und hat eine kunterbunte, höchst verspielte Vita vorzuweisen: Er war u.a. als Autor für das Pen&Paper-System RuneQuest aktiv und an der Entwicklung des Rollenspiels zu Ghostbusters (1986) beteiligt. Außerdem hat er viel Computerspielluft geschnuppert: Er hat kurze Zeit an Klassikern wie Pirates sowie Civilization mitgearbeitet, bevor er bei id Software (1993) und danach bei den Ensemble Studios (1997) anheuerte. Er hält Vorlesungen in Game Design, verlegt das Horrormagazin "Arcane: Penny Dreadfuls for the 21st Century" und hat den Film "A Whisperer in Darkness" (2011) als Hommage an Lovecraft mit produziert. Schließlich war er es, der im Rollenspiel "Call of Cthulhu" neben den Großen Alten die Äußeren Götter kategorisiert hat. Und jetzt zurück zum Brettspiel.
Wer die Macht hat, kann beschwören
Zumal die Beschwörung der Riesen teuer ist: Man kann nur etwas rekrutieren, wenn man genug Macht auf der Erde besitzt. Für jeden Kultisten bekommt man einen, für jedes Portal bekommt man zwei Punkte - zunächst hat jeder Spieler acht Macht, so dass niemand sofort einen Großen Alten für zehn beschwören kann, dafür allerdings schon eines der drei kleineren Monster. Selbst wenn man in der zweiten Runde genug Macht für einen "Hastur" hätte, sollte man sich angesichts der Verletzlichkeit oder der geostrategischen Lage gut überlegen, ob die Zeit für ihn reif ist.
Einzigartige Fraktion und Anführer
Nur Blau darf fliegen und selbst Kultisten zwei Felder bewegen; nur Gelb hat zwei große Alte und bekommt extra Macht für ausgelegte Marker; nur Rot darf in einer Aktion mehrere Monster beschwören; nur Grün kann den Großen Alten nach seinem Tod für günstige vier Macht zurückholen und dafür Ältere Zeichen (=Siegpunkte) ziehen. Hinzu kommen die exklusiven Boni der Großen Alten wie z.B. die Fähigkeit "Verschlingen" von Blau, so dass man vor einem Kampf ein Monster seiner Wahl vernichten kann; oder das Teleportieren von Rot. Diese einzigartigen Fähigkeiten von Fraktion sowie Anführer bieten schon taktischen Spielraum, aber sind nur der Anfang.
Sechs freischaltbare Zauber
Cthulhu Wars gewinnt erst mit den Zaubern an Fahrt und Finesse. Jede Fraktion hat sechs einzigartige arkane Fähigkeiten, die sie in beliebiger Reihenfolge aktivieren kann und die die Möglichkeiten in der Offensive noch weiter beeinflussen. Bevor man sie einsetzt, mus man sie aber erstmal "freischalten", indem man eine Voraussetzung erfüllt - hier scheint Sandy Petersens Computerspielhistorie (id Software, Ensemble Studios) Hallo zu sagen. Auf der Fraktionskarte kann man die Bedingungen für das Auslegen eines Zaubers ablesen wie z.B. zwei oder drei Monster töten, in sechs oder acht Gebieten anwesend sein, einen Großen Alten beschwören oder so und so viel Macht besitzen - auch hier gilt: jede Fraktion muss etwas anderes leisten.
Ein Ziel, vier Wege
Das Ziel bleibt zwar für alle gleich: Es gewinnt, wer als Erster alle sechs Zauber entwickelt und dann die meisten Punkte auf dem "Doom Track" hat. Aber der Weg dahin ist strategisch immer ein anderer, so dass der Fraktionswechsel richtig Spaß macht und der Wiederspielwert steigt. Das mag jetzt alles etwas konfus oder komplex klingen, aber das Beste ist: Cthulhu Wars spielt sich sehr flott, denn jeder Spieler kann in seinem Zug nach der Erntephase nur eine Aktion ausführen: Portal bauen, Monster bewegen, Kampf auslösen (vorher dürfen Monster aller Farben in einem Gebiet sein), Kultisten kidnappen, Kultisten rekrutieren, Monster oder Großen Alten beschwören.
Fazit
Was für ein Kaventsmann von Brettspiel! Ich gebe zu, dass mich zuallererst diese halben Statuen von Figuren magisch angezogen haben - wenn die Weltkarte voll ist, sieht der Tisch aus wie ein dämonisches Kolosseum. Schaut man genauer hin, erreichen sie zwar nicht die Details eines Dust Tactics. Aber verdammt, das Auge kann hier quasi mitfressen, wenn der winzige Kultist unter dem Schatten des Großen Alten verschwindet! Cthulhu Wars ist kein Blender mit Monstern, die man mal schnell bestaunt und aufeinander hetzt. Auch wenn es hinsichtlich der strategischen Möglichkeiten nicht an "Der Ringkrieg" oder "Der Eiserne Thron" herankommt, besticht es durch seine vier markanten Fraktionen, die man immer weiter spezialisieren kann. Und wenn die ersten Zauber greifen, gewinnen die Eroberungen richtig Finesse. Wir haben in unseren Runden bisher viel Spaß gehabt, weil die Fraktionen komplett unterschiedliche Taktiken ermöglichen - und man braucht Zeit, um z.B. den "König in Gelb" und "Hastur" optimal einzusetzen. Natürlich ist der offizielle Preis von 200 Dollar ein Pfund, das man erstmal verdauen muss. Und wer auf Kulisse in Brettspielen keinen Wert legt, der kann dafür fünf komplexe Wargames kaufen. Aber die Ausstattung ist hochwertig, der Wiederspielwert ist auf jeden Fall da, zumal Erweiterungen folgen. Das Regelwerk sorgt für klare Kämpfe und schnelle Aktionswechsel, so dass kein verkopftes Grübeln, sondern ein guter Spielfluss entsteht. Auch wenn es Cthulhu Wars nicht in meine Top 20 schafft, gehört es zu den empfehlenswerten Brettspielen und zu den sehenswerten Neulingen in der Branche.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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