Cthulhu Wars20.10.2015, Jörg Luibl
Cthulhu Wars

Special: Die Großen Alten am Tisch

Cthulhu Wars wurde von 4.389 Unterstützern über Kickstarter finanziert. Kling nicht grandios, aber es gehört zu den schwarmfinanzierten Brettspielerfolgen: Spieldesigner, Lovecraft-Experte, Horrorfan und Filmproduzent Sandy Petersen konnte mit seiner Idee etwas über 1,4 Millionen Dollar sammeln. Damit wird Strategie auf einer Weltkarte für zwei bis vier Fraktionen inszeniert, die 64 Monster in die Schlacht schicken. Warum die Eroberungen gut unterhalten, klärt der Test.

Die Großen Alten in XXL

Ob Westafrika gleich mit einem großen Malmen in der Tischplatte versinkt? Am besten schonmal die Kaffetasse und die Kekse zur Seite stellen. Wenn man für einen Angriff siebzehn (!) schwarze Würfel in der Hand schüttelt, liegt jedenfalls der Tod in der Luft - und man kann sich ein böses Grinsen nicht verkneifen. Da versammeln sich gerade drei "Große Alte" samt Anhang, so dass man kaum noch Land sieht - der menschliche Kultist wirkt zwischen ihnen wie ein erbärmlicher Wurm. In diesen Momenten fängt das Spiel die Ohnmacht unserer Zivilisation gegenüber dem außerweltlichen Horror von H.P. Lovecraft ganz gut ein.

Cthulhu Wars ist nur auf Englisch erschienen und aktuell lediglich als Einzelexemplar in Brettspielshops, über Auktionen auf Ebay oder Boardgamegeek für 150 - 200 Dollar erhältlich.
Dieses Cthulhu Wars kleckert nicht, sondern klotzt und lässt das Auge regelrecht mitfressen. Die 64 Plastikfiguren sind mit ihren Tentakeln, Mäulern und Verformungen nicht nur genauso grotesk designt, wie man das von Lovecraft'schen Monstrositäten erwartet. Es gibt darunter froschartige, insektoide, untote, drachenähnliche, bestialische oder wurmartige Kreaturen und es macht Spaß, seinen Club der kuriosen Ungetüme aufzustellen. Zwar erreichen die Miniaturen en detail nicht die Klasse eines Gears of War, Dust Tactics oder gar die Brillanz des kommenden Journey: Wrath of Demons (Seite 2, ganz unten), aber sie sind ansehnlich designt.

Und einige sind verdammt groß: Ein außerirdischer Anführer wie der geflügelte "Cthulhu" erreicht ein Gardemaß von 18 cm - okay, er hockt auf einem Felsen,

In der schwarzen Box befinden sich 64 Plastikminiaturen, darunter vier übergroße Figuren der Großen Alten, die teilweise 17 cm erreichen. Auch wenn diese en detail nicht die Qualität erreichen wie etwa jene in Gears of War, sind Design und Verarbeitung ansehnlich. Überhaupt gibt es keinerlei billiges Material - auch die Zauberbücher und sonstige Marker bestehen aus dicker Pappe, die beim Ausstanzen nicht knickt oder franst
aber das ist schon eine halbe Statue. Auch die anderen "Großen Alten" wie der wandelnde Megaglatzkopf "Hastur" oder der grazile Krakengreifer "Nyarlathotep" sorgen bei der ersten Beschwörung am Tisch für einen gewissen Respekt beim Gegner - vor allem, wenn der bisher nur Kultisten und kleine Monster parat hat. Außerdem sieht die Weltkarte irgendwann einfach aus wie ein dämonisches Kolosseum - cool.

Eskorte statt Sturmangriff

Dabei ist Cthulhu Wars kein Blender, es geht in diesem Strategiespiel weder in erster Linie um Gebietsgewinne à la Risiko noch um Masse statt Klasse: Zwar besitzen die Großen Alten enorme Angriffskräfte, aber sie sterben genauso schnell wie normale Monster. Sie haben nämlich keine erhöhte Lebenskraft und eine Sechs reicht aus, um sie zumindest kurzfristig zu verbannen. Das Kampfsystem simuliert den gleichzeitigen Schlagabtausch und ist sehr einfach konzipiert, denn man würfelt pro Stärkepunkt der Armee im betreffenden Gebiet einen W6. Wobei eins, zwei und drei jeweils Patzer sind, vier und fünf lediglich Schmerzen (=Rückzug in Nachbargebiet) bereiten und erst die sechs als "Kill" zählt.

Das kann in der Praxis dazu führen, dass ein Großer Alter zwar seine geballte Angriffskraft von z.B. zehn Würfeln auf die Platte schmettern und bei mehreren Sechsen durchaus vielfachen Tod verbreiten kann, aber dass ihn dieser eine kleine "Flying Polyp" oder "Deep One" mit seiner mickrigen Angriffskraft von einem Würfel mit einer einzigen Sechs ebenfalls töten kann - autsch. Da immer der Betroffene die Opfer in den eigenen Reihen bestimmt, bedeutet das taktisch: Man sollte seine pompösen Riesen niemals alleine lassen, damit man andere opfern kann - wo wir übrigens wieder bei recht authentischem

Der Amerikaner Sandy Petersen hat Cthulhu Wars konzipiert, das Artdesign stammt von Richard Luong.
Cthulhu-Flair wären.

An dieser Stelle ein kurzes Portrait, denn das kommt nicht von ungefähr, dass gerade Sandy Petersen Cthulhu Wars konzipiert hat. Der Amerikaner ist mittlerweile Großvater und hat eine kunterbunte, höchst verspielte Vita vorzuweisen: Er war u.a. als Autor für das Pen&Paper-System RuneQuest aktiv und an der Entwicklung des Rollenspiels zu Ghostbusters (1986) beteiligt. Außerdem hat er viel Computerspielluft geschnuppert: Er hat kurze Zeit an Klassikern wie Pirates sowie Civilization mitgearbeitet, bevor er bei id Software (1993) und danach bei den Ensemble Studios (1997) anheuerte. Er hält Vorlesungen in Game Design, verlegt das Horrormagazin "Arcane: Penny Dreadfuls for the 21st Century" und hat den Film "A Whisperer in Darkness" (2011) als Hommage an Lovecraft mit produziert. Schließlich war er es, der im Rollenspiel "Call of Cthulhu" neben den Großen Alten die Äußeren Götter kategorisiert hat. Und jetzt zurück zum Brettspiel.

Wer die Macht hat, kann beschwören

Zumal die Beschwörung der Riesen teuer ist: Man kann nur etwas rekrutieren, wenn man genug Macht auf der Erde besitzt. Für jeden Kultisten bekommt man einen, für jedes Portal bekommt man zwei Punkte - zunächst hat jeder Spieler acht Macht, so dass niemand sofort einen Großen Alten für zehn beschwören kann, dafür allerdings schon eines der drei kleineren Monster. Selbst wenn man in der zweiten Runde genug Macht für einen "Hastur" hätte, sollte man sich angesichts der Verletzlichkeit oder der geostrategischen Lage gut überlegen, ob die Zeit für ihn reif ist.

Der farbig bedruckte Spielplan besteht aus zwei Teilen, die man wenden kann, um die Welt an die Teilnehmerzahl von zwei bis vier anzupassen.
Auf der Weltkarte sind alle Fraktionen zunächst darauf bedacht, von ihren Startländern aus mehr Portale zu errichten und sich gegenseitig die Kultisten wegzuschnappen, denn auch diese Geiseln bringen nach der Opferung mehr Macht - als Kidnapper sind die kleinen Monster bestens geeignet. Und auch hier gilt es taktisch an eine ebenso monströse Eskorte für die Menschen zu denken, damit das Stibitzen nicht so leicht fällt. Gleiches gilt für die Portale, die man tunlichst verteidigen sollte, denn nur durch sie kann man Monster und Große Alte beschwören.

Einzigartige Fraktion und Anführer

Vier Fraktionen kämpfen um die Macht, angeführt von Großen Alten: Der "Great Cthulhu" in Grün, das "Crawling Chaos" in Blau, der "Black Goat" in Rot und der "King in Yellow" zusammen mit "Hastur" in Gelb.
Man sieht schon: Mit Tank & Rush sowie reiner Masse ist hier nicht viel zu holen, zumal es keine Truppenboni für komplett eroberte Kontinente à la Risiko gibt, denn die Armee ist strikt limitiert - es geht also nicht nur um die territoriale Macht. Trotzdem ist Cthulhu Wars ein offensives Eroberungsspiel, das jeden Spieler von Anfang an dazu animiert, seine einzigartige Fähigkeit sowie die des Großen Alten zu nutzen und seine spezialisierte Strategie so effizient wie möglich einzusetzen. Die Unterschiede hören nämlich nicht bei den Farben und Formen der Monster auf.

Nur Blau darf fliegen und selbst Kultisten zwei Felder bewegen; nur Gelb hat zwei große Alte und bekommt extra Macht für ausgelegte Marker; nur Rot darf in einer Aktion mehrere Monster beschwören; nur Grün kann den Großen Alten nach seinem Tod für günstige vier Macht zurückholen und dafür Ältere Zeichen (=Siegpunkte) ziehen. Hinzu kommen die exklusiven Boni der Großen Alten wie z.B. die Fähigkeit "Verschlingen" von Blau, so dass man vor einem Kampf ein Monster seiner Wahl vernichten kann; oder das Teleportieren von Rot. Diese einzigartigen Fähigkeiten von Fraktion sowie Anführer bieten schon taktischen Spielraum, aber sind nur der Anfang.

Sechs freischaltbare Zauber

Cthulhu Wars gewinnt erst mit den Zaubern an Fahrt und Finesse. Jede Fraktion hat sechs einzigartige  arkane Fähigkeiten, die sie in beliebiger Reihenfolge aktivieren kann und die die Möglichkeiten in der Offensive noch weiter beeinflussen. Bevor man sie einsetzt, mus man sie aber erstmal "freischalten", indem man eine Voraussetzung erfüllt - hier scheint Sandy Petersens Computerspielhistorie (id Software, Ensemble Studios) Hallo zu sagen. Auf der Fraktionskarte kann man die Bedingungen für das Auslegen eines Zaubers ablesen wie z.B. zwei oder drei Monster töten, in sechs oder acht Gebieten anwesend sein, einen Großen Alten beschwören oder so und so viel Macht besitzen  - auch hier gilt: jede Fraktion muss etwas anderes leisten.

Die Fraktionsübersicht: Hier sieht man oben die eigene Macht, die Spezialfähigkeit, Funktionen der Großen Alten sowie die sechs Zauber.
Hat man das geschafft, sucht man einen von sechs Zaubern aus. Blau muss dann vielleicht seine Portale nicht mehr aktiv bewachen, weil "Seek and Destroy" dafür sorgt, dass man bei Gefahr sofort ein Monster dort beschwören kann. Rot kann über "Frenzy" vielleicht umgehend irgendwo auf der Weltkarte Schmerzen verursachen und so den Rückzug des dortigen Monsters erzwingen. Grün kann über "Dreams" einfach so einsame Kultisten töten und durch eigene ersetzen - fies. Und "Gelb" kann mit "Shriek of the Byakhee" quasi andere einsame Große Alte hinterhältig auflauern, weil nur er einen Leibwächter in den Kampf mitnimmt - würfelt der Gegner eine Sechs, ist es egal.

Ein Ziel, vier Wege

Zu Beginn hat jeder Spieler nur ein Portal und sechs Kultisten. Es gibt für zwei Spieler zwei Varianten im Regelwerk: die kurze und die epische.
Überhaupt hat "Gelb" die komplexesten Möglichkeiten, nicht nur weil zwei Große Alte dabei sind.  Letztlich unterscheidet sich die Spielweise aufgrund der einzigartigen Fähigkeit, dazu der exklusiven Attribute der Großen Alten und der sechs Zauber so stark, dass sich Gelb, Grün, Rot und Blau wirklich unterschiedlich spielen. Deshalb freut man sich über die Strategiehinweise im Handbuch, die nochmal auf die Stärken und Schwächen für jede Fraktion eingehen, die Tipps für die ersten Züge geben, für den großen Alten sowie Kombinationen.

Das Ziel bleibt zwar für alle gleich: Es gewinnt, wer als Erster alle sechs Zauber entwickelt und dann die meisten Punkte auf dem "Doom Track" hat. Aber der Weg dahin ist strategisch immer ein anderer, so dass der Fraktionswechsel richtig Spaß macht und der Wiederspielwert steigt. Das mag jetzt alles etwas konfus oder komplex klingen, aber das Beste ist: Cthulhu Wars spielt sich sehr flott, denn jeder Spieler kann in seinem Zug nach der Erntephase nur eine Aktion ausführen: Portal bauen, Monster bewegen, Kampf auslösen (vorher dürfen Monster aller Farben in einem Gebiet sein), Kultisten kidnappen, Kultisten rekrutieren, Monster oder Großen Alten beschwören.

Sehr schön: Das Handbuch enthält Strategiehinweise für jede der vier Fraktionen.
Hat man das einmal verinnerlicht, geht es also sehr schnell reihum, zumal Cthulhu Wars zu viert auch in etwas mehr als einer Stunde, zu Beginn vielleicht anderthalb Stunden beendet ist - es ist also kein extremer Zeitfresser. Einen Mechanismus, der den eigenen Sieg befördern und das Spiel weiter beschleunigen kann, habe ich noch nicht erläutert: das Ritual der Vernichtung. Man darf Macht ausgeben, um es durchzuführen und kann so nicht nur weitere Siegpunkte auf dem "Doom Track" sammeln, sondern auch die oben erwähnten "Älteren Zeichen", die man verdeckt zieht und hinter denen sich nochmal ein bis drei Siegpunkte verbergen können. Je früher man das macht, desto günstiger ist es; und wenn das letzte Feld erreicht ist, wird ebenfalls abgerechnet.

Fazit

Was für ein Kaventsmann von Brettspiel! Ich gebe zu, dass mich zuallererst diese halben Statuen von Figuren magisch angezogen haben - wenn die Weltkarte voll ist, sieht der Tisch aus wie ein dämonisches Kolosseum. Schaut man genauer hin, erreichen sie zwar nicht die Details eines Dust Tactics. Aber verdammt, das Auge kann hier quasi mitfressen, wenn der winzige Kultist unter dem Schatten des Großen Alten verschwindet! Cthulhu Wars ist kein Blender mit Monstern, die man mal schnell bestaunt und aufeinander hetzt. Auch wenn es hinsichtlich der strategischen Möglichkeiten nicht an "Der Ringkrieg" oder "Der Eiserne Thron" herankommt, besticht es durch seine vier markanten Fraktionen, die man immer weiter spezialisieren kann. Und wenn die ersten Zauber greifen, gewinnen die Eroberungen richtig Finesse. Wir haben in unseren Runden bisher viel Spaß gehabt, weil die Fraktionen komplett unterschiedliche Taktiken ermöglichen - und man braucht Zeit, um z.B. den "König in Gelb" und "Hastur" optimal einzusetzen. Natürlich ist der offizielle Preis von 200 Dollar ein Pfund, das man erstmal verdauen muss. Und wer auf Kulisse in Brettspielen keinen Wert legt, der kann dafür fünf komplexe Wargames kaufen. Aber die Ausstattung ist hochwertig, der Wiederspielwert ist auf jeden Fall da, zumal Erweiterungen folgen. Das Regelwerk sorgt für klare Kämpfe und schnelle Aktionswechsel, so dass kein verkopftes Grübeln, sondern ein guter Spielfluss entsteht. Auch wenn es Cthulhu Wars nicht in meine Top 20 schafft, gehört es zu den empfehlenswerten Brettspielen und zu den sehenswerten Neulingen in der Branche.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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