Rätsel gegen die Zeit
Aber selbst wenn man so Lebenspunkte verliert und stirbt, ist der Tod (wenn er nicht gerade alle ereilt) nicht der wahre Feind des Teams. Jeder Agent steckt ja nur in einem Wirt und kann nach dem Ableben etwas später wieder in derselben Gestalt mitmachen. Der wahre Feind ist jedoch die Zeit, die zwar rundenweise, aber unbarmherzig auf einer Leiste gen null sinkt: Jede Bewegung innerhalb der Orte sowie jede Würfelprobe verbraucht etwas von dem Kontingent, das dem Team für einen Auftrag maximal zur Verfügung steht. Man sollte sich also gut überlegen, was man wo macht und wie man am effizientesten das Rätsel in der Vergangenheit löst - bei unserem ersten Durchlauf scheiterten wir in den Tiefen der Nervenheilanstalt, weil uns entweder Hinweise oder Objekte fehlten.
Wo sich die Gruppe befindet, wird auf einer Karte festgehalten - sehr schön: sie kann auch über Hinweise ergänzt werden!
Dann bekommt man einen kleinen Anschiss in der Zentrale der Agentur und darf einen zweiten Versuch starten, dabei vielleicht die Rollen bzw. Wirte wechseln - acht Charaktere stehen zur Auswahl. Allerdings darf man nicht alles, sondern nur die wenigen speziell markierten Gegenstände des letzten Ausflugs behalten - man muss also einiges nochmal suchen und bekannte Orte inspizieren. Auch diese Zweiteilung der Präsentation zwischen der Basis mit Zeitreisekapseln sowie historischen Orten erinnert an Videospiele und ganz besonders natürlich an Assassin's Creed, an dem Autor Manuel Rozoy beteiligt war.
Stimmungsvolles Artdesign
Auch das Artdesign des in Comics und Spielen erfahrenen Benjamin Carré (u.a. Star Wars, Mass Effect, Bladerunner) muss nochmal lobend erwähnt werden. Es gibt zwar einen stilistischen Bruch zwischen dem im Weiß strahlenden
Wie kann man die verschlossenen Türen öffnen? Die Gruppe muss Aufgaben lösen, um ihre Symbole freizuschalten.
futuristischen Hauptquartier und der Nervenheilanstalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aber die malerischen Illustrationen laden immer wieder zum Hinsehen ein und sorgen für gediegene Stimmung. Auch die vielen Objekte, Charaktere etc. sehen sehr gut aus.
Obwohl das Abenteuer ideal mit vier Leuten gespielt wird, kann man theoretisch übrigens auch zu zweit oder besser zu dritt loslegen - in ersterem Fall muss allerdings jeder zwei Wirte übernehmen; außerdem sinkt natürlich der individuelle Überraschungseffekt sowie das Diskussionspotenzial beim Umdrehen der Karten. Apropos Gespräche: Da bei jedem Ortswechsel der "Zeitcaptain" wechselt, ist auch jeder mal eine Art Anführer, der zum einen die Abzüge auf der Zeitleiste erwürfelt bzw. vornimmt, aber der zum anderen bei Uneinigkeit über die nächste Route oder Vorgehensweise endgültig bestimmen darf. Ein richtig vorbildliches Feature ist übrigens das Abspeichern: Ja, richtig gehört. Falls ihr mittendrin aufhören müsst, könnt ihr die aktuelle Spielsituation inkl. aller Karten & Co genau so in der dafür extra designten Box sortieren.
Was gefällt nicht so gut?
Vielleicht beim zweiten Versuch den Charakter wechseln?
T.I.M.E Stories inszeniert eine klasse Geschichte - aber eben nur eine. In der Basisbox befindet sich leider nur der (streng sortierte) Kartensatz für das Abenteuer mit der Nervenheilanstalt. Das ist recht wenig, wenn man bedenkt, dass man für eine Sitzung eine bis maximal zwei Stunden benötigt. Zwar wird man es vielleicht nicht auf Anhieb meistern und mehr als einen Versuch brauchen, aber spätestens danach gibt es keinerlei Wiederspielwert. Hätte man nicht zumindest eine andere Zeitachse implementieren können? Also muss man Erweiterungen kaufen (aktuell erhältlich: "Der Marcy-Fall" in der Gegenwart; "Die Drachen-Prophezeiung" im Mittelalter; "Hinter der Maske" im alten Ägypten), die nochmal mit knapp 25 Euro zu Buche schlagen.
Pandemic Legacy bietet da z.B. wesentlich mehr kooperative Spielzeit.
Rätselfreunde kommen nicht so kreativ auf ihre Kosten wie in
Villen des Wahnsinns, wo man z.B. wirklich aktiv Schalter und Leitungen auslegen musste, aber dafür findet man auch mal obskure Skizzen mit Codes, die es zu entschlüsseln gilt. Last but not least hätte man die Spannung vielleicht noch erhöhen können, wenn man eine Gegenorganisation zur Zeitreise-Agentur aufgebaut hätte, ähnlich wie...natürlich: bei den Templern und Assassinen im gleichnamigen Videospiel. So ist es bis auf den Zeitverlust relativ egal, ob man bei einem Einsatz stirbt. Man vermisst eine übergreifendere Dramaturgie oder einen Antagonisten, der auch mal von
Wer schaut sich in der Krankenstation was genauer an?
außen eingreift und die Agenten sowie ihre Ziele tatsächlich bedroht.
Fazit
Das ist mal eine stimmungsvolle Abwechslung! Ich mag kooperative Abenteuer sehr gerne und T.I.M.E Stories bereichert dieses Genre nicht nur mit seinem Zoomeffekt: Das simple Umdrehen einer Karte wirkt wie ein visuelles Hineinspazieren. Nachdem man in eine malerische Szene abtaucht, kann einem zudem alles Mögliche passieren - ein Fund, ein Gespräch, eine Aufgabe, ein Konflikt. Weil das auch noch gleichzeitig und individuell in einem mysteriösen Szenario geschieht, entsteht sehr viel lebendige Kommunikation am Tisch. Auch Rollenspieler alter Schule kommen auf ihre Kosten, denn man schlüpft in einen Charakter mit exklusiven Fähigkeiten, löst Rätsel, sammelt Gegenstände, kämpft und manchmal wird etwas vorgelesen. Neben dem offenen Storytelling mit seinen Andeutungen überzeugt auch die Spielmechanik. Es macht Spaß, Schlüssel und Wege für blockierte Türen zu finden; das Würfelsystem für die Proben ist simpel, aber angenehm frisch; das Kartensystem punktet mit dynamischen Änderungen durch Geheimräume; die ablaufende Zeit sorgt dafür, dass sich alle taktisch fokussieren müssen. Die Trennung zwischen futuristischer Basis und historischem Spielplatz erinnert natürlich sofort an Assassin's Creed, aber es steckt genug eigene Interpretation in diesem Zeitreise-Abenteuer. Dass der Funke der Begeisterung nicht so ganz überspringt wie bei Pandemic Legacy oder Villen des Wahnsinns liegt zum einen daran, dass man mit dem einen Szenario wirklich sehr schnell fertig ist. Zum anderen vermisst man eine übergeordnete Dramaturgie, die die Agenten spürbarer von außen in Gefahr bringt. Aber das sind wirklich Kleinigkeiten: Ein großes Lob an Manuel Rozoy für dieses kreativ designte und malerisch illustrierte Brettspiel.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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