Brettspiel-Test: T.I.M.E Stories (Rollenspiel (Koop-Abenteuer))

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Space Cowboys
Release:
10.10.2015
Spielinfo Bilder Videos
Rätsel gegen die Zeit

Aber selbst wenn man so Lebenspunkte verliert und stirbt, ist der Tod (wenn er nicht gerade alle ereilt) nicht der wahre Feind des Teams. Jeder Agent steckt ja nur in einem Wirt und kann nach dem Ableben etwas später wieder in derselben Gestalt mitmachen. Der wahre Feind ist jedoch die Zeit, die zwar rundenweise, aber unbarmherzig auf einer Leiste gen null sinkt: Jede Bewegung innerhalb der Orte sowie jede Würfelprobe verbraucht etwas von dem Kontingent, das dem Team für einen Auftrag maximal zur Verfügung steht. Man sollte sich also gut überlegen, was man wo macht und wie man am effizientesten das Rätsel in der Vergangenheit löst - bei unserem ersten Durchlauf scheiterten wir in den Tiefen der Nervenheilanstalt, weil uns entweder Hinweise oder Objekte fehlten.

Wo sich die Gruppe befindet, wird auf einer Karte festgehalten - und die kann auch über Hinweise ergänzt werden!
Wo sich die Gruppe befindet, wird auf einer Karte festgehalten - sehr schön: sie kann auch über Hinweise ergänzt werden!
Dann bekommt man einen kleinen Anschiss in der Zentrale der Agentur und darf einen zweiten Versuch starten, dabei vielleicht die Rollen bzw. Wirte wechseln - acht Charaktere stehen zur Auswahl. Allerdings darf man nicht alles, sondern nur die wenigen speziell markierten Gegenstände des letzten Ausflugs behalten - man muss also einiges nochmal suchen und bekannte Orte inspizieren. Auch diese Zweiteilung der Präsentation zwischen der Basis mit Zeitreisekapseln sowie historischen Orten erinnert an Videospiele und ganz besonders natürlich an Assassin's Creed, an dem Autor Manuel Rozoy beteiligt war.

Stimmungsvolles Artdesign

Auch das Artdesign des in Comics und Spielen erfahrenen Benjamin Carré (u.a. Star Wars, Mass Effect, Bladerunner) muss nochmal lobend erwähnt werden. Es gibt zwar einen stilistischen Bruch zwischen dem im Weiß strahlenden
Wie kann man die verschlossenen Türen öffnen? Die Gruppe muss Aufgaben lösen, um ihre Symbole freizuschalten.
Wie kann man die verschlossenen Türen öffnen? Die Gruppe muss Aufgaben lösen, um ihre Symbole freizuschalten.
futuristischen Hauptquartier und der Nervenheilanstalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aber die malerischen Illustrationen  laden immer wieder zum Hinsehen ein und sorgen für gediegene Stimmung. Auch die vielen Objekte, Charaktere etc. sehen sehr gut aus.

Obwohl das Abenteuer ideal mit vier Leuten gespielt wird, kann man theoretisch übrigens auch zu zweit oder besser zu dritt loslegen - in ersterem Fall muss allerdings jeder zwei Wirte übernehmen; außerdem sinkt natürlich der individuelle Überraschungseffekt sowie das Diskussionspotenzial beim Umdrehen der Karten. Apropos Gespräche: Da bei jedem Ortswechsel der "Zeitcaptain" wechselt, ist auch jeder mal eine Art Anführer, der zum einen die Abzüge auf der Zeitleiste erwürfelt bzw. vornimmt, aber der zum anderen bei Uneinigkeit über die nächste Route oder Vorgehensweise endgültig bestimmen darf. Ein richtig vorbildliches Feature ist übrigens das Abspeichern: Ja, richtig gehört. Falls ihr mittendrin aufhören müsst, könnt ihr die aktuelle Spielsituation inkl. aller Karten & Co genau so in der dafür extra designten Box sortieren.

Was gefällt nicht so gut?

Vielleicht beim zweiten Versuch den Charakter wechseln? Acht Wirte mit stehen zur Auswahl.
Vielleicht beim zweiten Versuch den Charakter wechseln?
T.I.M.E Stories inszeniert eine klasse Geschichte - aber eben nur eine. In der Basisbox befindet sich leider nur der (streng sortierte) Kartensatz für das Abenteuer mit der Nervenheilanstalt. Das ist recht wenig, wenn man bedenkt, dass man für eine Sitzung eine bis maximal zwei Stunden benötigt. Zwar wird man es vielleicht nicht auf Anhieb meistern und mehr als einen Versuch brauchen, aber spätestens danach gibt es keinerlei Wiederspielwert. Hätte man nicht zumindest eine andere Zeitachse implementieren können? Also muss man Erweiterungen kaufen (aktuell erhältlich: "Der Marcy-Fall" in der Gegenwart; "Die Drachen-Prophezeiung" im Mittelalter; "Hinter der Maske" im alten Ägypten), die nochmal mit knapp 25 Euro zu Buche schlagen. Pandemic Legacy bietet da z.B. wesentlich mehr kooperative Spielzeit.

Rätselfreunde kommen nicht so kreativ auf ihre Kosten wie in Villen des Wahnsinns, wo man z.B. wirklich aktiv Schalter und Leitungen auslegen musste, aber dafür findet man auch mal obskure Skizzen mit Codes, die es zu entschlüsseln gilt. Last but not least hätte man die Spannung vielleicht noch erhöhen können, wenn man eine Gegenorganisation zur Zeitreise-Agentur aufgebaut hätte, ähnlich wie...natürlich: bei den Templern und Assassinen im gleichnamigen Videospiel. So ist es bis auf den Zeitverlust relativ egal, ob man bei einem Einsatz stirbt. Man vermisst eine übergreifendere Dramaturgie oder einen Antagonisten, der auch mal von
Wer schaut sich in der Krankenstation was genauer an?
Wer schaut sich in der Krankenstation was genauer an?
außen eingreift und die Agenten sowie ihre Ziele tatsächlich bedroht.

Fazit

Das ist mal eine stimmungsvolle Abwechslung! Ich mag kooperative Abenteuer sehr gerne und T.I.M.E Stories bereichert dieses Genre nicht nur mit seinem Zoomeffekt: Das simple Umdrehen einer Karte wirkt wie ein visuelles Hineinspazieren. Nachdem man in eine malerische Szene abtaucht, kann einem zudem alles Mögliche passieren - ein Fund, ein Gespräch, eine Aufgabe, ein Konflikt. Weil das auch noch gleichzeitig und individuell in einem mysteriösen Szenario geschieht, entsteht sehr viel lebendige Kommunikation am Tisch. Auch Rollenspieler alter Schule kommen auf ihre Kosten, denn man schlüpft in einen Charakter mit exklusiven Fähigkeiten, löst Rätsel, sammelt Gegenstände, kämpft und manchmal wird etwas vorgelesen. Neben dem offenen Storytelling mit seinen Andeutungen überzeugt auch die Spielmechanik. Es macht Spaß, Schlüssel und Wege für blockierte Türen zu finden; das Würfelsystem für die Proben ist simpel, aber angenehm frisch; das Kartensystem punktet mit dynamischen Änderungen durch Geheimräume; die ablaufende Zeit sorgt dafür, dass sich alle taktisch fokussieren müssen. Die Trennung zwischen futuristischer Basis und historischem Spielplatz erinnert natürlich sofort an Assassin's Creed, aber es steckt genug eigene Interpretation in diesem Zeitreise-Abenteuer. Dass der Funke der Begeisterung nicht so ganz überspringt wie bei Pandemic Legacy oder Villen des Wahnsinns liegt zum einen daran, dass man mit dem einen Szenario wirklich sehr schnell fertig ist. Zum anderen vermisst man eine übergeordnete Dramaturgie, die die Agenten spürbarer von außen in Gefahr bringt. Aber das sind wirklich Kleinigkeiten: Ein großes Lob an Manuel Rozoy für dieses kreativ designte und malerisch illustrierte Brettspiel.


Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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Kommentare

Mayam schrieb am
Hat hier jemand Hinter der Maske ergattern können und möchte sie nach dem Spielen nicht behalten sondern weiter verkaufen? :wink:
Oshikai schrieb am
Haben das Hauptspiel letzten Monat durchgespielt und bin leicht zwiegespalten.
Erst einmal ist TIME Stories ein einmaliges Konzept, was die ersten 'Stunden' sehr viel Spaß machen kann !
Man wird immer tiefer in die mysteriöse Storie hineingeführt (manchmal doch schon zu mysteriös !) und fiebert richtig mit den Geschenissen mit. Es weiß die Spieler mit seinen vielen verschiedenen Räumen gut zu unterhalten !
Allerdings ist das Spiel beim 1. Anlauf quasi unschaffbar ! Motiviert der 1. Neustart allerdings noch (man weiß evtl. welche Fehler man zuvor gemacht hat) wirds irgendwann beim 2. Neustart doch schon lästig, erneut alles durchzuspielen nur um dann in ner totalen Sackgasse zu landen.. :o
Wir haben irgendwann angefangen den Zeitmarker zu ignorieren (waren schon weit im Minus) um doch endlich das Mysterium aufzudecken !
Wie erwähnt, die ersten Stunden waren einmalig und haben viel Spaß bereitet, aber irgendwann kam zumindest bei uns der Punkt wo die Stimmung umschwank.
In allem hats uns dennoch überzeugt und grübeln noch ob wir das Hauptspiel ein zweites erfolgereichers mal angehen, oder gleich mit einer Erweiterung anfangen.
M_Coaster schrieb am
Für mich das beste Brettspiel seit Ewigkeiten!
Villen des Wahnsinns ist auch wunderbar, aber für mich kein Vergleich. Time Stories ist ein Point-Click Adventuure, mit ein wenig Kampf aufgepeppt für den Tisch. Das ist so in seiner Form und seiner Darstellung absolut einmalig.
Oshikai schrieb am
Habe das Spiel letzte Woche von meiner Freundin erhalten und traue mich gar nicht den Test durchzlesen aus Angst Dinge zu erfahren, die ich noch gar nicht wissen möchte..
Aber das Regelwerk klingt auf jeden Fall schon sehr interessant ! Ein Point & Click Adventure alter Schule und dann noch kooperativ - das konnte bisher nur Clever & Smart - A Movie Adventure.
Freue mich schon auf die erste Runde und wenn der Spaß hält was er verspricht, bin ich auch bereit mehrmals jährlich mir die kleinen Erweiterungsboxen zu kaufen (okay, 2 von 3 hab ich bereits..^^).
Da hier das Setting sich jedesmal verändert: Fantasy, Agypten, (ferne Zukunft ?) hat das Spiel meiner Meinung nach auch enorm großes Potential !
Bin gespannt wann der Spieleabend startet, vllt. schaff ich es eine kurze Pause in unserer derzeitigen Maus & Mystik Kampagne einzuführen.
Die Kritik bzgl. Villen des Wahnsinns kann ich pers. nicht nachvollziehen.
Meiner bescheidenen Meinung nach eines der besten Spiele auf den Markt und besitze sämtliche Erweiterungen sowie PODs. Mit der richtigen Sounduntermalung jedesmal ein positiver Graus ! :)
Dass die Ermittler ziemlich in der Kacke sitzen trifft wahrlich zu, aber das ist halt H.P. Lovecraft..
(Arkham Horror gewinnt man doch auch nicht !? :lol: )
MisterL_1979 schrieb am
Das Spiel hat meiner Spielrunde schon viele Stunde einer ganz besonderen Erfahrung in Sachen Brettspiele bereitet und das bei Spielern, die schon 15 - 20 Jahre Brettspiele aller Art spielen.
Zuerst war ich sogar ein bisschen skeptisch ob des Systems und dem Spiel selber, aber diese Skepsis legte sich unheimlich schnell. Wenige Minuten in das erst Abenteuer eingetaucht, war jeder von uns ganz gefesselt dabei und jede neue Erweiterung wird mit großer Spannung erwartet.
Bisher haben wir das Grundspiel und die ersten beiden Erweiterungen durchgespielt. Mein Favorit ist bisher die Drachen-Prophezeiung.
Mir ist durchaus bewusst, dass der Test positiv ausfällt, dennoch möchte ich gerne zu den Kritikpunkten etwas los werden.
Der Kritik an dem Geschäftsmodell kann ich nicht zustimmen, auch wenn es mich zu Beginn auch stutzig machte, was aber primär wohl daran lag, dass es so etwas bisher noch nicht in dieser Form in der Brettspielewelt gab. Wenn man mit vier Erwachsenen ins Kino geht, bezahlt man bei vier Erwachsenen für ca. 2h Unterhaltung deutlich mehr, als die 25? pro Modul und dazu ist man auch noch länger damit beschäftigt. Abhängig davon, welches Modul man spielt und wie zielorientiert die Gruppe agiert beträgt die Spieldauer 3-6h. Für mich stimmt das Preis-/Leistungsverhältnis, aber das muss jeder natürlich für sich entscheiden.
Das der Wiederspielwert einzelner Module nahe Null liegt sehe ich ähnlich, aber das ist für mich kein Problem. Bei einem Eurogame ist der Wiederspielwert natürlich ein wichtiger Faktor, aber bei diesem Spiel geht dieses Kriterium am eigentlichen Konzept komplett vorbei, was eine Bewertung in dieser Hinsicht wenig Sinn macht.
Das hier die übergeordnete Dramaturgie bemängelt wird oder Gegenspieler bzw. -organisionen fehlen kann ich nicht ganz nachvollziehen. Klar in der ersten Story gibt es nur sehr spärlich gestreute Hinweise, dass es um mehr als nur dieses Teil geht, aber sie sind da. Das zweite Modul ist in dieser Hinsicht auch noch sehr vage,...
schrieb am