Brettspiel-Test: Through the Ages (Aufbaustrategie)

von Jörg Luibl



Through the Ages (Brettspiel) von Heidelberger Spieleverlag
Große Strategie für Genießer
Entwickler:
Release:
05.04.2016
Spielinfo Bilder  
Ihr mögt historischen Wettbewerb à la Civilization auch am Tisch? Dann aufgemerkt: Eines der besten Aufbaustrategiespiele wurde gerade neu aufgelegt. Seit sechs Jahren konnte sich "Im Wandel der Zeiten" nicht nur in unserer Top 20 behaupten. Trotzdem gab es hier und da Verbesserungspotenzial. Vlaada Chvátil und sein Team haben auf das Feedback der Fans gehört und präsentieren ein Remake namens "Through the Ages", das den gefeierten Klassiker grafisch und inhaltlich aufwertet.


Der Kultursieg geht...

...nach drei Abenden mit Ghandi, Napoleon & Co an meine Frau. Mit knapp zehn Punkten Vorsprung. Das ist auch gar nicht das Problem, aber die Art und Weise wurmt mich immer noch. Deshalb sitze ich grübelnd da wie nach einem schlechten Pokalfinale und versuche, den Ablauf zu analysieren. Das war fast ein schleichender Verfall: Im ersten Zeitalter lag meine Zivilisation vorne, was Kultur und Forschung betraf. Im zweiten Zeitalter sah es relativ gut aus, zumal die Konkurrenz mit unzufriedenen Arbeitern zu kämpfen hatte, während ich fleißig kolonisierte. Aber hier konnte ich weder meine Minen noch die Felder modernisieren. Die daraus resultierenden Engpässe an Erz und Nahrung schlugen dann im dritten Zeitalter voll durch, als meine Zivilisation auf ihrem Kulturniveau stagnierte, während es auf der anderen Tischseite
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"Through the Ages: Eine neue Geschichte der Zivilisation" ist für etwa 40 Euro komplett auf Deutsch beim Heidelberger Spieleverlag erschienen. Es ist für zwei bis vier Spieler ab 14 Jahren ausgelegt.
nahezu explodierte. Und weil drüben auch das Militär mit Panzern sowie Flugzeugen florierte, konnte ich noch froh sein, dass es am Ende keinen Krieg gab.

Auf jeden Fall waren das sehr unterhaltsame sechs Stunden, die nochmal deutlich gemacht haben, warum dieses Spiel auch heute noch so stark ist: weil es Zeit für Entwicklung lässt. Natürlich muss man etwas abstrakter herangehen, denn die eigene Zivilisation besteht lediglich aus Karten, Steinen und Tafeln. Aber sie symbolisieren zwei Reiche, die sich über Anführer, Technologien und Wunder aus dem Despotismus heraus gemausert haben. Es entsteht eine konzentrierte, aber nicht all zu verkopfte Atmosphäre am Tisch, die durch einige Zufälle beim Nachziehen sowie die Kartentaktik immer wieder aufgelockert wird. Auch das, was man auf der Hand hat, kann direkte Vorteile bringen! Wer eine kürzere Partie oder eine ohne Militär bevorzugt, findet entsprechende Varianten im Regelwerk.

Neuauflage im frischen Design

Das
Der Tisch ist rappelvoll: Jeder Spieler sucht sich eine von vier Farben aus und startet mit seinem Volk in der Antike. Ziel ist es, spätestens am Ende von vier Zeitaltern die meisten Kulturpunkte zu besitzen.
Falls ihr ein komplexes Brettspiel für zwei bis vier Spieler sucht, das euch den Aufbau einer Zivilisation leiten lässt, kommt ihr an diesem "Through the Ages" einfach nicht vorbei. Die Neuauflage von "Im Wandel der Zeiten" überzeugt schon auf den ersten Blick mit ihrem frischen Artdesign. Egal ob Anleitung, Kultur-, Militär- und Wirtschaftstafel oder all die Karten - alles wirkt klarer, prägnanter und kräftiger in der Farbwahl als noch anno 2006. Hat man das Spiel komplett aufgebaut, entsteht edles historisches Flair mit modernen Akzenten. Selbst die Struktur der Box ist durchdacht: Man kann all die Karten, Steine und Marker später komfortabel in in den vielen Nischen aufbewahren. was die Produktionsqualität betrifft, ist das auf jeden Fall ein Fortschritt.

Was hat sich inhaltlich verändert? Keine Bange: Die grundsätzliche Struktur ist identisch, so dass Kenner des Originals nur wenig dazulernen müssen. Im Gegensatz zum klassischen "Civilization" wählt ihr hier also kein Volk mit Eigenheiten, sondern prominente Anführer und später Staatsformen wie Monarchie & Co, die über drei Zeitalter wechseln. Außerdem gibt es kein Territorium, das ein Siedler erkundet, also keine sichtbare Expansion über Hexfelder. Aber was die Entwicklung sowie den Bau und die Kartentaktik betrifft, gibt es viele interessante Facetten, die das Original von Sid Meier übertreffen - als kleine Hommage an den Meister gibt es ihn übrigens auch als Anführer.

Zwischen Produktion und Aktion

Für eine ausführliche Analyse verweise
Vor allem das Militär wurde in der Neuauflage angepasst.
Vor allem das Militär wurde in der Neuauflage angepasst.
ich auf meinen Brettspiel-Test des Originals, das ich hinsichtlich der Spielmechanik übrigens deutlich vor dem offiziellen Civilization: Das Brettspiel sehe. Nur so viel: Im Zentrum steht das Management der gelben und blauen Würfel, die Bevölkerung und Rohstoffe repräsentieren. Hier muss man eine Balance aus Wachstum und Verbrauch finden, damit es nicht zu Unruhen oder Engpässen kommt. Gerade zu Beginn sollte man sich richtig schön Zeit lassen, um die Wechselwirkungen zu verinnerlichen. Hakt es mal, helfen die Übersichtskarten oder die vorbildliche Anleitung weiter. Außerdem bekommt man je nach Staatsform weiße Würfel für zivile und rote Würfel für militärische Züge. So werden Produktion und Aktion sehr gut verteilt.

Aber jetzt zu den Neuerungen: Abgesehen von einzelnen Kartenfunktionen oder Bonusänderungen wurden vor allem der Spielrhythmus und das Militär angepasst. Ersterer profitiert nicht nur davon, dass es keinerlei Obergrenze mehr für Kultur, Wissenschaft oder Stärke gibt. Auch die Maßnahmen am Ende eines Zuges sind sinnvoller, denn sie regulieren besser, was Karten und Verluste an Rohstoffen betrifft, die jetzt auch häufiger auftreten, was wiederum die Spannung erhöht.

So sieht eine Zivilisation aus: Wunder, Technologien, Gebäude, Kolonien und Anführer.
So sieht eine Zivilisation aus: Wunder, Technologien, Gebäude, Kolonien und Anführer.
Dazu tragen auch die flotteren und klarer strukturierten Gefechte bei, die man in Form von Überfällen oder Kriegen führen kann. Erstens darf man jetzt keine Opfer mehr bringen, zweitens wurden die Verteidiger etwas gestärkt, denn sie können auch über Kartenabwurf dem Angreifer trotzen. Entscheidend sind jetzt zudem die Taktiken, die schnell Allgemeinwissen werden - dahinter verbergen sich Formationen, die bei einem entsprechenden Mix aus Soldat, Artillerie und Kavallerie entscheidende Stärkevorteile bringen. Der Clou: Man besitzt sie nur eine Runde exklusiv, danach kann der Gegner sie kopieren.

Fazit

Eigentlich bin ich kein Freund von Neuauflagen, aber manchmal wird ein ohnehin sehr gutes Brettspiel auf diese Art veredelt. Selbst als Besitzer von "Im Wandel der Zeiten" würde ich diese 40 Euro nochmal in "Through the Ages" investieren. Nicht nur das Artdesign übertrumpft den Klassiker aus dem Jahr 2006, auch das Spieldesign wurde sinnvoll ergänzt. Dabei geht es natürlich nicht um das geniale Fundament von Aufbau, Entwicklung und Forschung, sondern um feine Regeländerungen z.B. am Ende eines Spielzuges oder den Ablauf von militärischen Auseinandersetzungen. Zwar ist das ein komplexes und zeitaufwändiges Spiel mit vielen Abhängigkeiten und Möglichkeiten, das konzentrierte Züge und Geduld verlangt. Aber Einsteiger werden wunderbar über ein voll dokumentiertes Probespiel sowie übersichtliche Karten eingeführt. Auch diese Neuauflage ist letztlich eine wunderbare Hommage an Civilization, die man als Freund von historischen Aufbauspielen auf Jahre schätzen wird.


Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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Kommentare

mutzelenis_extremis schrieb am
Ah, dann ist es zwar nicht so gut skalierbar wie das Alte (mit Anfänger-, Fortgeschrittenen- und Expertenversion), aber als Spielhase klingt es trotzdem verlockend.
Jörg Luibl schrieb am
Es gibt lediglich "Varianten". So kannst du z.B. ein kürzeres oder ein komplett friedliches Spiel aufbauen. Aber neben der Anleitung gibt es auch ein sehr ausführliches Probespiel, das man Schritt für Schritt durchgehen kann - das ist sehr gut gemacht und weiht in alle Spielmechaniken ein. Trau dich, lohnt sich!
mutzelenis_extremis schrieb am
@Jörg:
Hat man in der Neuauflage auch wieder die 3 unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade?
Ich besitze Im Wandel der Zeiten und Nations - letzteres habe ich allerdings noch nicht gespielt. Die Neuauflage würde mich sehr stark interessieren, wenn man die Komplexität anpassen kann. Denn damit lockt man auch Neueinsteiger an den Tisch.
Henni79 schrieb am
Zugegeben ist "ersetzt" vermutlich das falsche Wort. Aber ich kenne nicht wenige, die Im Wandel der Zeit nach dem Erscheinen von Nations nicht mehr gespielt haben. Die Mechanismen sind runder, es gibt weniger unbalancierte Karten, und die Spieldauer ist deutlich kürzer. Für meinen Geschmack kann IWdZ einfach zu wenig, um dafür so viel Zeit aufzuwenden.
Jörg, Nations solltest du dir mal anschauen, es ist ein sehr rundes Spiel, allerdings tatsächlich mehr Eurogame als IWdZ. Es ist bei uns das meistgespielte Spiel der letzten 3 Jahre.
Makake schrieb am
Henni79 hat geschrieben:Ein wesentlich zugänglicheres Remake haben die Finnen von Lautapelit schon vor einigen Jahren mit Nations abgeliefert.
Das Spiel hat das "alte" Im Wandel der Zeiten im Prinzip ersetzt.
"Ersetzt" ist ein großes Wort. Verschiedene Spiele, verschiedene Zielgruppen. Nations ist wie ich gehört habe abstrakter, indirekter und ohne Faktoren wie Zufriedenheit, Hunger, Korruption, etc., dafür schneller, friedlicher und eventuell runder.
Mich hat bei TtA allerdings gerade diese Mischung aus Euro-Komplexität mit gleichzeitiger direkter Interaktion in Form von Pakten, Überfällen und Kriegen (Ein No-Go bei Eurogames) extrem mitgerissen. Nachdem ich fast mein Leben lang Eurogames gespielt habe und was das Genre angeht tatsächlich ein wenig müde geworden bin, hat das Spiel geradezu auf mich gewartet.
Eclipse ist wenn man so will auch ein zugänglicheres Twilight Imperium (der Vergleich passt glaube ich ganz gut). Ersetzen tut es das Spiel aber deswegen noch lange nicht.
schrieb am