Alien Artifacts09.11.2017, Jörg Luibl
Alien Artifacts

Special: 4X mit Karten

Wer sich für Kartentaktik am Tisch interessiert, dürfte bereits auf Portal Games aufmerksam geworden sein. Die Polen haben erst kürzlich mit der Neuauflage 51st State: Master Set spannende Duelle für bis zu vier Spieler in einer amerikanischen Endzeitwelt präsentiert. Jetzt geht es mit Alien Artifacts in den Weltraum, wo Marcin Ropka und Viola Kijowska alleine mit Karten für unterhaltsame 4X-Strategie sorgen wollen. Ob das klappt?

Die clevere Zweiteilung

Ich mag Spiele, die schon nach dem Aufbau eine klare Struktur zeigen, so dass sich vieles von selbst erklärt. Gerade Kartenspiele, die ohne Hexfelder oder anderes sichtbares Gelände auskommen müssen, können nach dem Ordnen der Stapel recht abstrakt wirken - und in Alien Artifacts hat man immerhin sieben Stapel mit knapp 240 Karten zur Verfügung. Einige davon werden in der Spielmitte zum Nachziehen verteilt. Aber es gibt auch eine ebenso einfache wie vorbildliche Zweiteilung über das Fraktionstableau, das wie ein ruhender Pol in der Mitte liegt. Und um dieses herum bauen bis zu vier Spieler für eine knappe Stunde ihr Imperium.

Der Spielaufbau in der Anleitung, die auf sechzehn Seiten alles sehr gut erklärt.
Auf dem Tableau selbst managt man schön übersichtlich sein Guthaben, mit dem man Karten kaufen kann; hat man zu wenig, verkauft man etwas aus der Hand. Außerdem erkennt man an den Seiten die farbliche Dreiteilung sowie die zusätlichen Aktionen für den Angriff (rot), die Forschung (blau) sowie die Rohstoffernte (grün). Das Vorbildliche ist, dass man auf der linken Seite zunächst alle Karten in drei Reihen andockt, die sich noch im Bau befinden. Sobald man für diese die nötigen Voraussetzungen in Form von Rohstoffen erfüllt hat, wandern sie nach rechts und gehören damit dem eigenen Imperium an. Dieses duale Prinzip taucht immer wieder im Spieldesign auf.

4X = eXplore, eXpand, eXploit, eXterminate

Alles ist visuell ordentlich sortiert nach Rot, Blau und Grün, also Raumschiff, Forschung und Planeten, also Exterminate (Vernichten), Explore (Erkunden), Expand (Ausbreiten). Und wo ist das vierte X namens Exploit (Ausbeuten)? Das wird durch den oben erwähnten Handel über das Guthaben in der Mitte repräsentiert. Hier gibt es einen Kniff, der zwar einen ordentlichen Technologiebaum für strategische Planung nicht ersetzen, aber das Glücksmoment beim Kauf neuer Karten zumindest abschwächen kann: Wer mehr als die obligatorischen fünf Credits zahlt, darf auch entsprechend mehr vom Stapel ziehen und hat damit mehr Auswahl. Sehr angenehm ist, dass trotz zehn möglicher Aktionen (Karten kaufen, Bau von Schiff/Technologie/Planet, Handeln, Rohstoffe andocken, Blockaden aufbrechen, Angreifen, Siegpunkte einheimsen, Ernten) ein flotter Spielrhythmus aus Auslegen und Nachziehen entsteht, weil man immer nur eine Aktion ausführt.

Alien Artifacts ist bisher nur auf Englisch bei Portal Games erschienen, aber wird noch dieses Jahr für knapp 35 Euro auf Deutsch veröffentlicht. Hier der Spielaufbau für zwei Personen.
Trotzdem entsteht eine angenehme Grübelei aufgrund der Auswahl. Denn das Besondere an der Spielmechanik ist, dass die Zweiteilung auch das Kartendesign betrifft: Egal ob Raumschiffe, Planeten oder Forschung - alle haben eine operative sowie logistische Seite. Erstere gewährt meist sofort einen praktischen Nutzen im Kampf, für Siegpunkte oder bei der Ernte, Letztere bietet eher langfristige Vorteile in der Entwicklung des Imperiums, die alles günstiger machen. Und weil man sich beim Bau für eine Variante entscheiden muss, sollte man gut abwägen. Dazu trägt auch bei, dass man ja alle auf der linken Seite im Bau befindlichen Projekte mit Rohstoffen bezahlen muss, damit sie fertig werden.

Nur darf man zu Beginn maximal zwei Karten aus der Hand dafür einsetzen, die zwischen einem und drei Einheiten anzeigen können. Dieses Ausspiellimit von zwei gilt für nahezu alle Aktionen, außerdem beschränkt es zunächst die Möglichkeiten des Aufbaus - es gehört also zu den entscheidenden Entwicklungen, dieses z.B. über Forschung auf drei zu erhöhen.

All zu schnelles Wachstum des Imperiums und ein Überfluss an Karten wird auch dadurch unterbunden, dass jeder neue Bau eine Rohstoffkarte mehr kostet - so kostet die erste Technologie fünf, die zweite sechs usw. Wie soll man da bloß einen Planeten erkunden oder ein Raumschiff bauen, das vielleicht acht oder neun Rohstoffe braucht? Man kann sie quasi an laufende Projekte andocken, um sie eine Runde später oder in mehreren Zügen zu errichten - auch das ist eine vollwertige Aktion. Schon nach wenigen Runden erkennt man bereits die Strukturen und Schwerpunkte am Tisch. Je nach Spielerzahl entscheidet das Aufbrauchen des Nachziehstapels über das Einläuten der letzten Runde.

Sechs Fraktionen

Je nachdem welche der sechs Fraktionen man spielt, ergeben sich nicht nur beim Aufbau, sondern auch hinsichtlich der Spezialfähigkeit sowie vor allem der Siegpunkte einige Unterschiede - und damit wichtige Hinweise auf die mögliche Taktik: Wer mit der "Community" beginnt, besitzt z.B. schon einen erkundeten Planeten, dessen Rohstoffe man ernten kann. Und weil man am Ende für jeden dieser Planeten sowie für jedes Ausbeutungssymbol einen Siegpunkt bekommt, sollte man sich auf diese Karten konzentrieren. Ganz anders sieht es bei der "Star Union" aus, die mit einem angriffsbereiten Raumschiff startet und in der Abrechnung für jedes dieser Art sowie für jede Vernichtungskarte ihre Siegpunkte einheimst.

Es gibt sechs Fraktionen mit unterschiedlichen Aufbauschwerpunkten: Star Union, Community, Bionics, Episcopacy, The League und Clone Clans.
Apropos Symbole: Es gibt vier davon, die das 4X nochmal betonen. Das ist nicht nur ein visuelles Leitmotiv, das auf jeder der Karten auftaucht, sondern es bringt je nach Spielsituation auch spezielle Boni. Bei der Ernte eines Planeten bekommt man z.B. dann extra Siegpunkte, wenn das Symbol des Planeten mit der zufällig gezogenen Erntekarte übereinstimmt; wer in der Wissenschaft sofort Siegpunkte einstreichen will, muss ebenfalls das passende Symbol ziehen.

Aliens und Blockaden

Und was hat es mit den namengebenden Alien-Artefakten auf sich? Dahinter verbergen sich mächtige Boni, die den sofortigen Bau, mehrere Aktionen, sehr viele Rohstoffe oder gar drei zusätzliche Züge zum Spielende ermöglichen. Man bekommt sie entweder, wenn man erfolgreich gegen die Aliens kämpft und dabei einen hohen Wert erzielt - oder wenn man seine Spezialfähigkeit einsetzt, die einem für eine bestimmte Zahl an Rohstoffen eines einbringt. Der Kampf selbst ist sehr einfach und für Taktiker unbefriedigend: Man addiert die Kampfkraft des Raumschiff mit dem Wert einer zufällig gezogenen Karten, der zwischen eins und vier liegen kann - mehr Zufall geht nicht.

Ist man siegreich gegen Aliens oder andere Spieler, entscheidet deren aktueller Verteidigungsplan, was bei welchem Wert passiert. Man kann direkt Siegpunkte oder Rohstoffe ergattern, feindliche Schiffe zerstören oder finanzielle Blockaden im feindlichen Imperium errichten, indem man

Auf der rechten Seite der "Star Union" wird das Imperium sichtbar: Oben die Raumschiffe in Rot, in der Mitte die Technologie in Blau, ganz unten die Planeten in Grün.
Plättchen auf ausgewählte Karten legt. Will der betroffene Spieler diese nutzen, muss er dafür bezahlen.

Was gefällt nicht so gut?

Schade ist, dass ein Aspekt der 4X-Strategie nur stiefmütterlich behandelt wird: Das Erobern - und der damit verbundene Kampf. Ja, man kann Planeten erforschen, sein Reich so vergrößern und auch seine Feinde angreifen. Aber es gibt quasi keinerlei territoriale Strategie im Raum, das Kampfsystem ist extrem simpel, es gibt weder spezielle Waffen noch Formationen und jeder kann quasi ohne größere Gefahr vor sich hinbauen. Es reicht letztlich, wenn man zwischenzeitlich mal die Aliens attackiert, die übrigens auch keine Bedrohung darstellen. Damit erübrigt sich auch der Vergleich mit klassischer offensiver 4X-Strategie à la Eclipse, in der der aktive Eroberer belohnt wird. Aber das ist letztlich auch egal, denn es entsteht ein sehr guter Spielfluss für Freunde des taktischen Kartenmanagements.

Fazit

Das hat richtig Spaß gemacht! Bis zu vier Leute wetteifern hier für ein kompetitives Stündchen um Siegpunkte. Zwar war ich als Fan von klassischer 4X-Strategie zunächst etwas skeptisch, und man muss hier einige geostrategische als auch kämpferische Abstriche machen - das ist nunmal kein Eclipse, denn vor allem der Aspekt des räumlichen Eroberns fehlt hier. Aber wer weniger aggressive und dafür eher gemütliche Aufbauspiele mit Karten mag, kommt hier voll auf seine Kosten. Zumal mir dieser Wettstreit im All aufgrund des kreativen Rohstoffprinzips sowie der übersichtlichen Zweiteilung von Geplantem und Gebautem etwas besser gefällt als das ebenfalls gut balancierte 51st State: Master Set. Das Artdesign ist ansehnlich, die Regeln klar und man kann sehr gut zu zweit loslegen. Schön ist zudem, dass jeder immer nur eine Aktion hat, so dass auch zu fünft ein schneller Rhythmus aus Nachziehen und Auslegen ohne all zu langes Warten entsteht.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

 
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