Legend of the Five Rings29.11.2017, Jörg Luibl
Legend of the Five Rings

Special: Ehre, Ruhm & Schicksal

In den 90er Jahren sorgten Sammelkartenspiele im Zuge des bis heute anhaltenden Erfolges von Magic: The Gathering für Euphorie. Es folgten zig "Collectible Card Games" wie etwa Spellfire ab 1994 oder Legend of the Five Rings ab 1995. Während Ersteres mit seinem D&D-Hintergrund auch hierzulande populär war, kennt wohl kaum einer Letzteres mit seinem japanischen Szenario. Dabei konnte es einige Awards einheimsen, sich in Übersee lange Zeit auf Turnieren halten und 1997 auch als Pen&Paper-Rollenspiel überzeugen. Das soll sich dieses Jahr ändern, denn Asmodee veröffentlich den Klassiker erstmals auf Deutsch - im frischen Design sowie mit neuen Regeln als "Living Card Game". Wie spielt sich The Legend of the Five Rings?

Strategische Geduld

Wenn man sich in Legend of the Five Rings duelliert, sollte man es sich mit einem grünen Tee gemütlich machen. Und seinem Kontrahenten höflich im Sinne der sieben Tugenden der Bushi begegnen. Nicht nur weil der Titel vom gleichnamigen Buch „Gorin no Sho“ des legendären Samurai Miyamoto Musashi (1584 - 1645) stammt, sondern auch, weil man hier viel Zeit ebenso grübelnd wie ringend miteinander verbringen wird, bevor ein Sieger feststeht. Man kommt sich fast vor wie in einem Dojo für Strategen. Dabei fallen auch immer wieder Begriffe wie Ruhm, Ehre oder Aufrichtigkeit vor. Dieses Spiel nimmt seinen thematischen Kontext angenehm ernst - kein Wunder, dass 1997 auch ein sehr gutes Rollenspiel dazu veröffentlich wurde wurde.

Legend of the Five Rings ist komplett auf Deutsch bei Asmodee erschienen. Man spielt zu zweit gegeneinander. Die Grundbox kostet etwa 35 Euro.
Aber in dieser Neuauflage geht es nur um Kartentaktik. Es entsteht dabei jedoch kein schneller Schlagabtausch à la Magic: The Gathering oder gar Gwent, sondern ein strategischer Konflikt zwischen zwei Fürsten, der an die zwei Stunden dauern kann. Je nachdem, welchen der sieben Klans man anführt, ergeben sich etwas andere Möglichkeiten dank exklusiver Karten. Während z.B. die Kraniche eher diplomatische Stärken haben, setzen die Löwen auf militärische Schlagkraft. Hinzu kommen Krabbe , Drache , Phönix , Skorpion sowie Einhorn , die man mit der Grundbox ausprobieren kann.

Für alle gilt: Man kann einzelne Schlachten und sogar mehr Provinzen seines Reiches verlieren als der Gegner, aber trotzdem mit Geduld und Voraussicht den Krieg für sich entscheiden. Denn neben der Eroberung der feindlichen Festung kann auch der Gewinn oder Verlust von Ehre über den Sieg entscheiden - man hat also immer drei mögliche Ziele vor Augen. Es passt natürlich sehr gut zum Hintergrund dieses "Living Card Games", dass Ehre nicht nur ein Wort auf einer Karte, sondern tatsächlich ein wichtiger Teil des Spieldesigns ist: Man kann seine Samurai, Weisen und Gesandten ehren, damit sie stärker werden, und Feinde entehren, damit sie schwächer werden. Noch wichtiger ist die eigene Ehre in Form der roten Sechsecke, die wie ein Vorrat an Lebenspunkten vor einem ausliegen, der ständig in Bewegung ist: Man startet mit etwa einem Dutzend, verliert bei null und gewinnt bei 25.

Das Pokern um Ehre

Das dynamische Ehresystem ist angenehm vielschichtig mit Kampf, Ausrüstung sowie Zusatzaktionen verzahnt. Selbst das Aufbrauchen eines der beiden Nachziehstapel kostet fünf Ehre! Sprich:

Zwei Spieler wählen aus sieben Klans, um sich vor dem Hintergrund eines fiktiven japanischen Reiches zu duellieren. Man kann auf drei Arten gewinnen, wobei die Ehre sehr wichtig ist.
Zu viel Aktionismus kann einem letztlich schaden. Und genau das ist auch Teil eines kleinen Pokerspiels in der Nachziehphase. Hier bekommt nicht jeder pro Runde gleich viele Karten, sondern man stellt verdeckt auf einer Scheibe ein, ob man eine, zwei, drei, vier oder fünf ziehen will. Diese Konfliktkarten können einem natürlich in den nächsten Kämpfen enorm helfen, weil sie Waffen, Ereignisse etc. enthalten, mit denen man seine Helden stärken kann.

Das Interessante ist aber, dass der Höchstbietende die Differenz in Form von Ehre an seinen Gegner abgeben muss - hier kann sich also im Idealfall bei 1 zu 5 ergeben, dass man mit seiner Zurückhaltung vier Ehre gewinnt, während der andere mit seiner Gier vier verliert.

Aber es ist natürlich nicht so, dass diese Passivität der Königsweg ist! Auch Mut gehört bekanntlich zu den sieben Tugenden des Samurai und wird entsprechend belohnt: Man muss zur richtigen Zeit effektiv und mit aller Macht zuschlagen, um Provinzen zu erobern.

Allerdings reicht dafür nicht der einfache Sieg im Kampf, sondern es gilt abzüglich der Verteidiger den doppelten Wert der Provinzstärke zu erreichen, um das Land zu unterwerfen - dann wird es um 180 Grad gedreht, außerdem kann der Besiegte die Spezialfähigkeit des Landes nicht mehr nutzen. Erst wenn man drei von vier Provinzen unterworfen hat, darf man die Festung und damit die fünfte Provinz des feindlichen Klans attackieren, um das Spiel für sich zu entscheiden. Aber wie greift man überhaupt an? Auf zwei Arten und mit fünf Elementen, die jeweils andere Konsequenzen nach sich ziehen.

Duales Kampfsystem mit fünf Elementen

Wer eine Provinz angreift, muss sich zunächst entscheiden, ob er das militärisch oder politisch versucht: Jede Figur hat unterschiedliche Stärkewerte, die rot und blau markiert sind. Während Bushi wie Krieger, Samurai und Ronin meist hohe rote Schlagkraft haben, verfügen Höflinge eher über blaues diplomatisches Geschick - all das kann man natürlich über Ausrüstung, Aktionen und Zauber im Laufe eines Gefechts modifizieren. Hinzu kommt aber, dass man sich als Angreifer für eines von fünf Elementen entscheiden muss, die sich unterschiedlich nach einem Sieg auswirken. Man muss also vorher festlegen: Welche Beute, welche Vorteile will ich überhaupt erringen?

Wer mit der Luft gewinnt, kann seinem Gegner später Ehre stibitzen oder sich zwei nehmen; wer mit dem Feuer gewinnt, kann Charaktere ehren oder entehren, was für den nächsten Konflikt sehr hilfreich sein kann, da sich das ja direkt auf die Stärkewerte auswirkt. All das wird komfortabel über die fünf doppelseitigen Ringmarker dargestellt, die ein Element zeigen und die man entweder mit der blauen oder roten Seite auf die angegriffene Provinz legt, damit die Art des Konfliktes klar als politisch oder militärisch erkennbar ist. Je nachdem, was man erreichen will, muss man sich also für ein sinnvolles Element entscheiden: Erde schwächt die Handkarten des Feindes, Wasser kann Charaktere aus dem Spiel nehmen oder welche hinzufügen und die Leere kann ihnen Schicksal rauben. Moment, Schicksal?

Die Macht des Schicksals

Die lila Schicksalsmarker auf den Helden zeigen ihre Lebenszeit in Runden an. Weil Kakita Asami zu den stärkeren Charakteren gehört, will ich sie länger im Spiel halten.
Ja, neben der roten Ehre wird es über einen lila Markervorrat symbolisiert. Und es ist ein weiteres cleveres Element innerhalb der Spielmechanik, denn es wirkt gleichzeitig wie eine Energie für eigene Aktionen sowie eine Ausdauer für die eigenen Helden - vergleichbar mit dem Mana in Magic. Allerdings wirkt es sich hier wesentlich taktischer aus: Mit Schicksal bezahlt man nämlich nicht nur all das, was man während des Kampfes auslegt, sondern bestimmt beim Ausspielen eines Charakters auch, wie lange er im Spiel bleiben darf! Lege ich zwei lila Schicksalsmarker auf meinen Samurai, bleibt er zwei Runden länger für mich aktiv. Denn egal ob man Kämpfe gewinnt oder verliert: Nur Karten mit Marker werden zu Beginn der Schicksalsphase nicht abgelegt. Wer seinen stärksten Helden also nicht in weiser Voraussicht auflädt, wird nur eine Runde etwas von ihm haben...

Damit gewinnen die Auseinandersetzungen eine weitere taktische Perspektive neben der Ehre. Man muss gut mit seinen Markern haushalten: Welchen Helden will man möglichst lange einsetzen? Wie verträgt er sich mit den Handkarten oder den Aktionen der Provinzen? Hier gerät man in ein angenehmes Grübeln. Dazu trägt auch das Kampfsystem bei, denn pro Konfliktphase, also bevor irgendetwas an Schicksal oder Handkarten aufgefrischt wird, darf jeder zwei mal angreifen, wobei man sich abwechselt. Das klingt banal, aber so muss man noch besser darauf achten, mit welchen Charakteren man wann und was macht - man kann den ersten Angriff als Finte nutzen, um danach voll zuzuschlagen; man kann komplett defensiv bleiben, um Marker zu sparen. Hier gibt es viel mehr Spielraum als in Magic!

Taktisches Mikromanagmenent

Während eines Kampfes kann man auf eine Vielzahl an Modifikationen zurückgreifen, um ihn für sich zu entscheiden - wobei ein Unentschieden für den Angreifer wie ein Sieg gewertet wird. Die Stärkewerte der in den Kampf geschickten Helden bilden den Grundwert, der von ihrer angelegten Ausrüstung erhöht wird. Danach darf man abwechselnd Aktionen, Gegenstände oder Ereignisse aus der Hand spielen. Auch die eigene Festung hat eine Spezialfähigkeit; ebenso wie die vier weiteren Provinzen, die man über ihren wichtigen Verteidigungswert hinaus stärken kann. Dabei spielt das Ehren und Entehren der Beteiligten auch immer eine wichtige Rolle, denn so gewinnen oder verlieren sie an Stärke in Höhe ihres Ruhmwertes.

Die linke Provinz ist noch nicht erobert, aber die rechte hat der Feind unterworfen - deshalb steht sie auf dem Kopf.
Sehr entscheidend können auch die kleinen Konsequenzen sein: Wenn man sich für eines der fünf Elemente entscheidet, kann es in diesem Zug auch nicht mehr vom Gegner genutzt werden - so kann man ihn z.B. daran hindern, die Vorteile der Luft zu nutzen und einem Ehre zu klauen! Apropos: Verlässt ein geehrter Held das Spiel, weil er z.B. keinen Schicksalsmarker mehr hat, gewinnt sein Fürst auch einen Punkt an Ehre. Gerade im letzten Drittel der Auseinandersetzungen, wenn jemand vielleicht schon über zwanzig oder vielleicht nur noch ganz wenig Ehre besitzt, werden diese Dinge immer wichtiger. Dazu gehört auch die kaiserliche Gunst: Wer am Ende einer Konfliktphase die meisten Ringe plus Ruhm vorweisen kann, bekommt die komplette nächste Runde einen Bonus wie etwa plus eins auf jeden diplomatischen oder militärischen Kampf. All das klingt vielleicht kompliziert, aber das Regelwerk ist schneller verinnerlicht als im etwas undurchsichtigeren Android: Netrunner. Man braucht nur ein Probespiel, um das Wesentliche zu verstehen.

Was gefällt nicht so gut?

Man muss allerdings stets Werte addieren und nach einem Konter wieder subtrahieren - Kopfrechnen ist ein ständiger Begleiter; ab und zu haben wir uns fast eine Schiebetafel oder Ähnliches für die Konflikte gewünscht. Das fernöstliche Szenario wird von sehr gut illustrierten Karten getragen, dürfte aber nicht jedermanns Sache sein, zumal sich die sieben Fraktionen visuell sowie figürlich nicht so stark unterscheiden wie z.B. komplette Völker oder Fraktionen in Magic. Sie alle bilden ja jeweils einen humanoiden Klan innerhalb des fiktiven Reiches Rokugan. Es gibt zwar diverse Formen der Magie, aber mir fehlen die vielen Dämonen und Kreaturen der japanischen Mythologie, so dass es mit Ronin, Samurai, Botschaftern & Co eher historische gediegen zugeht. Immerhin werden die Klans in der Grundbox sehr ausführlich mit ihren eigenen Legenden sowie Strategietipps vorgestellt, so dass man zumindest hinsichtlich des Deckbaus einige Unterschiede festmachen kann.

Unten hat der Klan des Kranich sein Reich mit fünf Provinzen errichtet, oben bereitet sich der Klan des Löwen vor.
Da sind wir schon bei einem bekannten Problem  dieser Grundboxen von Fantasy Flight Games, das ambitionierte Profispieler nicht erst seit Android: Netrunner kennen: Der eingeschränkte Deckbau. Dieser fällt bei kooperativen und eher storybasierten Spielen wie Arkham Horror: Das Kartenspiel nicht so ins Gewicht, hat aber in einem kompetitiven Living Card Game, das vom Hersteller auch gezielt auf Turniere hin beworben wird, natürlich einen ganz anderen Stellenwert. Zwar kann man mit den 200 Karten einer Grundbox jeweils reduzierte Einsteigerdecks für zwei Spieler mit etwas über 50 Karten erstellen und sich aufgrund der enthaltenen sieben Klans auch sehr vielfältig duellieren, um ein Gefühl für die Stärken und Schwächen der Fraktionen zu bekommen - und das über viele Stunden!

Doch die Anleitung empfiehlt für "sanktionierte Turniere" neben den fünf Provinzen und der Festung eigentlich 40 bis 45 Karten im Dynastie- sowie 40 - 45 Karten im Konfliktdeck, so dass man mit etwas unter 100 Karten auf ein fast doppelt so starkes offizielles Deck kommen würde. Die Crux dabei ist, dass ein einzelner Spieler aus einer Grundbox lediglich Einsteigersets mit jeweils 30 Karten im Dynastie- sowie Konfliktdeck erstellen kann. Immerhin sind einige neutrale Karten wie "Höfling der Otomo", "Wandernder Ronin" oder "Gardist der Seppun" bereits dreifach enthalten, außerdem kann man sein Konfliktdeck je nach Einfluss mit einigen weiteren Karten fremder Klans mischen. Aber letztlich muss man entweder noch zwei Grundboxen oder Erweiterungspakete (sie enthalten je 20 Karten in dreifachen Kopien auf alle Klans verteilt) hinzu kaufen, um auf ein offizielles Turnierdeck für fortgeschrittene Wettbewerbe zu kommen, die seit Mitte November stattfinden. Da hätte man der Vertriebspolitik von Fantasy Flight Games gerade bei der Neuauflage eines Klassikers auch ein paar der Tugenden gewünscht, die das sonst so gute Spieldesign kennzeichnen. Zum Beispiel hätte man die knapp 15 Euro teuren Erweiterungen zumindest auf einzelne Klans abstimmen können, damit man sich nach dem Kauf der Grundbox gezielt spezialisieren kann.

Fazit

Legend of the Five Rings bietet einige verdammt interessante Verzahnungen, die vor allem geduldige Strategen schätzen werden. Nicht nur weil man auf drei Arten gewinnen kann, entsteht eine angenehme Grübelei: Statt des sonst eher schnellen Schlagabtausches à la Magic, Hearthstone oder Gwent kommt es hier über bis zu zwei Stunden zu einem Duell mit subtilen Manövern und Modifikationen. Man hat das angenehme Gefühl, dass man auch mit etwas Zurückhaltung und Planung, Finten und verlorenen Schlachten doch noch den Krieg für sich entscheiden kann. Vor allem das vielfältig verwobene Prinzip der Ehre hat mir sehr gut gefallen, weil es auch thematisch wunderbar zum japanischen Hintergrund passt. Hinzu kommt das wichtige Management des Schicksals als Energiequelle, das Charaktere über mehrere Runden am Leben hält, sowie die Effekte der fünf namengebenden Elemente. Die Freude über diese kompetitive Spieltiefe wird allerdings mal wieder durch die Veröffentlichungspolitik dieser "Living Card Games" getrübt. Für Einsteiger und Gelegenheitsspieler mag das nicht so relevant sein, aber wer sich auf Turnieren beweisen will, muss weiter Geld investieren. Trotzdem kann ich eine Empfehlung aussprechen, denn das Spieldesign hebt sich angenehm von anderen LCG ab, gehört zum Interessantesten, was ich seit Android: Netrunner im Bereich der Kartentaktik gespielt habe und sorgt auch mit der Grundbox für viele spannende Stunden.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet. Mehr Brettspiel-Tests und eine Top 20 findet ihr hier.

 
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