3.2. Multiplayer-Spiele
Multi-player-Spiele können als Medien betrachtet werden, die neue Formen der Interaktion zwischen Spielern ermöglichen. Die spielerische Kommunikation ist eine Form der Meta-Kommunikation über den Spielprozess selbst. Der amerikanische Anthropologe Gregory Bateson hat diese fundamentale Eigenschaft des Spiels in seinem Artikel "A Theory of Play and Fantasy" beschrieben, in dem er von seinen Beobachtungen spielender Affen im Zoo berichtet:
I saw two monkeys playing, i.e., engaged in an interactive sequence of which the unit actions or signals were similar to but not the same as those of combat. It was evident, even to the human observer, that the sequence as a whole was not combat, and evident to the human observer that to the participant monkeys this was 'not combat'.
Daraus schließt Bateson: "play [...] could only occur if the participant organisms were capable of some degree of meta-communication, i.e., of exchanging signals which would carry the message 'this is play'". Das bedeutet, dass die Spielregeln selbst zum Spielobjekt werden können: "Breaking the rules seems to be part of playing games" (Salen and Zimmerman). Die Gemeinsamkeit dieser Verhaltensweisen besteht in ihrem sozialen Wesen - eine Änderung der Spielregeln erfordert die Zustimmung aller beteiligten Spieler.
Dies scheint auch für Computerspiele zuzutreffen. "In playing a computer or video game players must decide what constitutes proper game behavior, navigating the space of possible rule violations." (Salen and Zimmerman). Dies wird in Multiplayer-Spielen besonders deutlich, in denen so genannte 'power gamers' oft in den Verdacht geraten zu mogeln.
Power gamers often push systems to their limit by trying to 'break' them or find points at which the game architecture is internally contradictory or malleable. In many ways it is these kinds of behaviors that get seen by the broader game community (and quite often by the administrators) as looking far too similar to cheating. (Taylor)
Was einen Regelverstoß darstellt, wird also meist von der Spielergemeinde selbst entschieden. Wenn man davon ausgeht, dass Singleplayer-Abenteuerspiele einen narrativen Raum schaffen, den der Spieler erforschen kann, schaffen Multiplayer-Spiele einen sozialen Raum, dessen Integrität zu gleichen Teilen auf dem Konsens der Spieler und der Spielarchitektur beruht. Ob ein Spieler als 'power gamer' oder als Cheater betrachtet wird, hängt also meist mehr vom Kontext ab als von objektiven Kriterien.
Innerhalb verschiedener Spielkulturen müssen wallhacks, aimbots und andere 'illegale' Manipulationen als formative kulturelle Praktiken angesehen werden - genauso wie Clans oder Mods. Während einige dieser Praktiken von den Publishern als Teil der Wertschöpfungskette begrüßt werden (man denke nur an den phänomenalen Erfolg von Counterstrike), werden andere als potenzielle Störfaktoren innerhalb der Spielgemeinschaft betrachtet. Diese schizophrene Einstellung gegenüber der unkontrollierbaren Kreativität der Spieler scheint darauf hinzuweisen, dass die durch Spiele geschaffenen sozialen Räume umstrittenes Territorium sind. Tatsächlich ist die Vehemenz der Anti-Cheating-Maßnahmen seitens der Industrie eine sehr reale Manifestation eines Paradigmenwechsels von einem autorzentrischen Weltbild hin zu einem flexibleren Modell der Medienproduktion, -distribution und -rezeption.
3.3. Massively multi-player online games
Die soziale Ästhetik von Spielen ist wohl am deutlichsten in Massively Multiplayer Online Games (MMOGs) ausgeprägt. Gleichzeitig tritt das Problem des Mogelns hier am schärfsten zu Tage - sowohl auf Spieler- als auch auf Provider-Seite. Während das Mogeln in Singleplayer-Spielen bei einzelnen Spielern zu inneren Konflikten führen mag und Cheats in Multiplayer-Spielen Spannungen im sozialen Gefüge des Spiels verursachen, sind die Implikationen von Cheats in MMOGs viel weit reichender. Dieses enorme Störpotenzial ist darin begründet, dass MMOGs danach streben, persistente Welten zu schaffen, die von allen ihren 'Einwohnern' mitgestaltet werden.
Eines der eindruckvollsten Beispiele dafür ist Diablo. Bereits 1997 veröffentlicht, kam es MMOGs wie Asheron's Call und EverQuest um Jahre zuvor und daher waren die Entwickler völlig unvorbereitet auf die Invasion der Cheater, die der Veröffentlichung folgte. In einem Interview mit einem Sprecher von Blizzard gab dieser zu, dass das Unternehmen über das Ausmaß der Mogelei in Diablo überrascht war und dass die Cheater eindeutig "in der Überzahl" waren (Greenhill). Was dann passierte, hat Andy Kuo in seinem Artikel "A (very) brief history of cheating" beschrieben:
Then the cheaters came. As a social construct, despite being virtual, the online world of Diablo was just as susceptible to cheaters as the real world. Imagine yourself as a player, having spent countless hours laboriously developing your character to a very high level, possessing powerful equipment. Then one day, you encounter a ridiculously high level character, possessing unimaginably powerful equipment, asking questions like 'How do I attack a monster?' Such obviously new players had found ways of illegitimately altering their characters. Using a technique called 'duping', they could duplicate any item they owned, or even fabricate them out of thin air.
In Diablo wurde der Albtraum einer jeden kapitalistischen Gesellschaft Wirklichkeit: die Massen bemächtigten sich der Produktionsmittel und diese benutzten sie dazu, die sorgfältig austarierte Ökonomie der Spielwelt aus dem Gleichgewicht zu bringen. "[W]hatever the reason, it's indisputable that every item or weapon created from thin air, will lend a hand to completely depreciating the value of it." (Greenhill).
Andere Cheats, insbesondere die berüchtigten 'townkill'- und 'autokill'-Cheats, beschädigten darüber hinaus das soziale Gefüge von Diablo. Da es im Originalspiel nicht möglich war, andere Spielercharaktere innerhalb einer Stadt anzugreifen, suchten neue und unerfahrene Spieler dort oft Zuflucht. Sobald jedoch der 'townkill'-Cheat in das Spiel eingeführt wurde, wurden neue Spielercharaktere so häufig getötet, dass ihnen nichts anderes übrig blieb als selbst zu mogeln. Aber 'player-killing' sollte deshalb nicht verteufelt werden. Elizabeth Reid hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass die Gefahr von einem anderen Spieler getötet zu werden die Identifikation mit dem Spielcharakter erhöhen kann:
On some adventure MUDs users' characters are able to kill one another. [...] For some users, the possibility of playerkilling adds depth and spice to the virtual world. The addition of greater threat and greater danger to the virtual universe enables users to identify more strongly with their virtual persona. (123)
MMOGs sollten als komplexe kybernetische Systeme betrachtet werden, in dem die Änderung einer Konstituente alle anderen Teile des Spiels beeinflusst. Das ökonomische Modell und verschiedene soziale Systeme in der Spielwelt können als Subsysteme des Spielsystems betrachtet werden. Um einen Begriff der Systemtheorie zu verwenden: Cheating ist eine Form des Re-entry, bei dem die basale Differenz des Systems, mit der es sich von seiner Umwelt unterscheidet, wieder in das System eingeschrieben wird. Bei Spielen ist dies die Differenz zwischen dem Spielen nach den Regeln und dem Spielen mit den Regeln, oder noch einfacher: zwischen Spiel (game) und Spielen (play).
Im realen Leben müssen wir uns ständig den Regeln der sozialen Interaktion mit anderen anpassen, je nach dem jeweiligen Kontext, und dies erhöht die Kontingenz in Situationen, die nicht als Standardsituationen empfunden werden. Im Gegensatz dazu errichten Spiele einen Rahmen für die regelbasierte Interaktion mit anderen, der nicht viel Raum für Kontingenz lässt. Dadurch schaffen sie einen 'sicheren' sozialen Raum:
"[T]here is a special kind of lucidity and intelligibility about games. 'Real life' is full of ambiguities and partially known information […] In ordinary life it is rare to inhabit a context with such a high degree of artificial clarity." (Salen and Zimmerman)
Indem Cheater die Möglichkeit, mit den Regeln zu spielen, wieder in das Spiel einführen, öffnen sie den Spielraum gleichzeitig für die Kontingenz des realen Lebens. Dies erklärt, warum regeltreue Spieler so empört über Cheater sind. Vor dem Hintergrund dieser Konzeptualisierung erscheint es geradezu ironisch, dass Cheats in dem oben stehenden Zitat als Mittel angepriesen werden, Spielern 'göttliche' Macht einzuräumen. Schließlich ist eine Welt, die von eigenwilligen Göttern regiert wird, eine sehr passende Metapher für ein kontingentes Universum, in dem alles passieren kann.