Archäologie im Spiel08.04.2005,
Archäologie im Spiel

Special:

Fakten und Fantasie in Rome: Total War

Ein Gastbeitrag von Thorsten Michel

Ende der 50er Jahre erregte der amerikanische Soziologe James Vicary Aufsehen, als er von Experimenten mit unterschwelligen Botschaften während einer Kinovorführung in New Jersey berichtete. Obwohl sich inzwischen herumgesprochen hat, dass diese Experimente lediglich auf Vicarys Phantasie beruhten, ja sogar nicht einmal das im Experiment genannte Kino existierte, bleibt dennoch die Idee der unterschwelligen Botschaften bis zum heutigen Tag in unseren Köpfen haften.

Eine besonders wichtige Form der unterschwelligen Aufnahme ist mit Sicherheit das Spielen, gelangt die Konzentration bei spielenden Menschen und Tieren doch nachweislich in höchste Sphären. Spielen ist grundsätzlich lebensnotwendig. Es ermöglicht erst soziales Leben und trainiert außer Verhaltensweisen oft Reaktionsfähigkeit und Motorik. Letzteres trifft

Dieser Gastbeitrag ist ein Teil des Spielkulturthemas "Archäologie im Spiel ". Dazu empfehlen wir:

Porträt: Wer ist Thorsten Michel?

Interview: Archäologe im Gespräch

Bilderserie: Peitsche & Kriegselefant

Kolumne: Schatzjäger & Spaßsucher sicherlich nur noch in Maßen auf Computer- oder Videospiele zu, da sich das physische Training der allermeisten digitalen Spiele lediglich auf die Finger beschränkt. Andererseits dienen gerade diese Spiele besonders häufig als Reaktionstrainer oder bieten die Möglichkeit, unseren Grips auf Hochtouren zu bringen. Dabei werden nicht allein Aufgaben zum Tüfteln gelöst, sondern auch Wissensgebiete abgedeckt, mit denen man geistige Defizite abbauen kann. Wer über das Tüfteln hinaus etwas über Physik lernen möchte, sollte sich mit Crazy Machines beschäftigen - wesentlich mehr lehren die Physiklehrer in diesem Lande auch nicht, außer dass sie den Schülern noch formelhafte Gesetze aufdrängen, die im normalen Leben zu kennen kaum notwendig ist.

Richtiggehende Lernspiele seien an dieser Stelle gar nicht einmal angesprochen, aber Computerspiele ermöglichen beispielsweise auch geographisches Wissen aufzubauen. Hier erfährt man tatsächlich einmal etwas über die Lage der Länder oder ihre Städte und beschäftigt sich nicht mit dem Monatseinkommen nordkantonesischer Reisbauern oder der durchschnittlichen Mähdrescherleistung in den Südstaaten der USA. Zu empfehlen sind für das zwanglose <Erlernen> echt geographischer Kenntnisse besonders Strategiespiele und Simulationen mit realistischem Hintergrund - um diese zu bewältigen, muss man nämlich zwangläufig wissen, wo sich die jeweiligen Spiel-Ziele befinden: Sei es, dass man in Echtzeit mit dem Flight Simulator von Frankfurt nach N.Y.C. fliegt, um den Raum zu erfahren, sei es, dass man mit Pirates! in der Karibik auf Kaperfahrt geht.

Spiele wie Pirates!, Age of Empires, Die Eroberung Vinlands, Caesar I-III oder Rome: Total War können allerdings auch sehr viel Verständnis für Geschichte wecken. Immerhin täuschen sie doch einer bequemen Zeitmaschine gleich einen Blick durch's Fenster auf den Hof des Vergangenen vor. Umso wichtiger ist es in diesen Fällen hinsichtlich der Wissensvermittlung, dass sie einen korrekten Hintergrund in sich tragen. Aus diesem Grund sei einmal beispielhaft Rome: Total War auf seinen historischen Wahrheitsgehalt und somit auf seinen über die reine Spielfreude hinaus reichenden geistigen Nährwert abgeklopft.

Um es vorweg zu nehmen: ich kann den Echtzeit-Schlachten von Total War nur wenig abgewinnen. Strategische Winkelzüge sind bei Spielen wie Gettysburg! deutlich spannender umgesetzt, außerdem machen fußlose Fußtruppen zwangsläufig einen komischen Eindruck auf mich. Aus diesen und anderen Gründen seien nur wenige Worte zu diesem Spielbereich verloren: Die Truppenteile und Waffengattungen sind weitgehend authentisch, an den Haaren herbeigezogen sind und bleiben dagegen Fantasie-Einheiten wie die germanischen Axtkämpfer. Sie sollten, meine lieben Spielehersteller, in Zukunft da bleiben, wo sie hingehören: In den Orkus der verschmierten Hollywood-Mythen! Bei diesen Völkern hätte man sich dann freilich auf einfache Einheiten wie Schwert- und Lanzenkämpfer sowie Bogenschützen beschränken müssen. Mit einem gewissen Grad an Geschichtsklitterung wären meinethalben noch Berserker möglich gewesen.

Anstatt sich auf den genannten blühenden Unsinn zu stützen, wäre es für die Konzeptschreiber hingegen angeraten gewesen, sich eingehender mit den Seestreitkräften auseinanderzusetzen. Die stiefmütterliche Behandlung durch Activision geht nicht konform mit dem großen Wert, den die Seestreitkräfte in der Antike besaßen. Sicherlich waren ausgerechnet die dem Spiel den Namen verleihenden römischen Bauern alles andere als ein Seefahrervolk. Aber insbesondere ihrem Geschick, die zuvor das Mittelmeer beherrschenden Punier = Karthager vernichtend zu schlagen, verdanken wir die Segnungen und Herausforderungen des Imperium Romanum! Besonders in der Schifffahrt wird ein weiteres Manko besonders deutlich: Die starke Vereinheitlichung der Völker bzw. ihrer Entwicklungen. Briten und Gallier haben die antiken Meere eben nicht mit Bi- oder Triremen befahren, es sei denn, sie ruderten als Sklaven unter Deck. Die genannten und andere Völker mussten sich in der Seefahrt weitgehend mit eher einfachen Lederbooten begnügen oder mit flachen Nussschalen, die wir heute als Lastkähne bezeichneten. 

        

Es ist auch insgesamt nur wenig möglich, die Völker durch charakterliche Eigenarten oder einzelne Stärken zu unterscheiden, wie sie uns aus den Quellen entgegentreten. Der größte feststellbare Kontrast scheint bestenfalls darin zu liegen, dass die römischen Truppen ab einem bestimmten Zeitpunkt den anderen weit überlegen sind. Bis zu einem gewissen Grad ist diese Fähigkeit zweifellos korrekt, wenn sich die echten römischen Legionäre aber Schlachten mit den "Barbaren der germanischen Urwälder" liefern mussten, hatten sie doch ausweislich der schriftlichen Quellen eher die sprichwörtlichen Hosen voll. Nicht umsonst sind sie wiederholt auch auf eigenem Staatsgebiet überrannt worden, es seien für die fragliche Spiel-Zeit nur Hannibal oder die Kimbern und Teutonen erwähnt.

Gegen diese unwesentlichen, weil für ein Spiel zu vernachlässigen Makel ist der übergeordnete Strategieteil nicht nur atmosphärisch dichter und spannender, sondern zugleich ein treffende Darstellung der politischen Methode im klassischen Altertum. Betrachten wir zunächst den geographischen Hintergrund: Die in der damaligen Zeit bekannte Welt ist auf Basis moderner Karten und somit geographisch grundsätzlich korrekt wiedergegeben. Die Orte sind ebenfalls weitgehend richtig benannt und lokalisiert. Etwas einfallslos ist dagegen die wiederholte Ortsnamenbildung auf "-Lager", die sich zwar auf historische Quellen stützen kann, aber selbstverständlich keine dauerhaft und fest besiedelten Plätze der jeweils gleichnamigen wandernden Völker darstellten. Die Entwickler haben sich jedoch im Einzelfall auch die Mühe gemacht, solche Orte, deren Namen wir aus den Quellen nicht kennen, mit den archäologischen Fundstellen heutigen Namens zu bezeichnen (vgl. Bordesholm, dessen Benennung nicht nach dem mittelalterlichen Kloster erfolgte, sondern nach einem großen germanischen Urnengräberfeld. Allerdings begann die Belegung des Gräberfeldes erst am Ende der Spielzeit und vermutlich hätten sich die dort Bestatteten kaum als Sachsen bezeichnet). Es muss den Entwicklern also unbedingt unterstellt werden, sich in einem gewissen Rahmen mit der Archäologie beschäftigt zu haben.

Eine geschichtliche Entwicklung in einem größeren Rahmen fehlt. Daher finden sich einzelne Kombinationen zwischen Völkern und Orten, die nicht historisch sind. Die mit Karthago und Rom streitenden Ureinwohner Iberiens hießen eben nicht Spanier, sondern Keltiberer. Die Benennung einzelner Ortschaften des 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung nach zum Teil deutlich jüngeren Völkern ist ähnlich problematisch. Die Sachsen sind bereits angesprochen, es seien aber auch die Markomannen und Gothen genannt. Hier wird eine Gleichzeitigkeit von Völkerschaften vorgetäuscht, die sich in Wirklichkeit nie begegnet sind, ja sich in unserem Raum-Zeit-Gefüge nicht begegnen konnten. Allerdings ist von Spiele-Entwicklern kaum zu erwarten, dass sie die Entstehung neuer Völkerschaften nachvollziehen können, ist es doch in den allermeisten Fällen des betroffenden Zeitraumes auch den Fachleuten ein Rätsel, aus welcher dunklen Ecke sich mancher Bauernstamm erhob, um plötzlich ein Königreich zu begründen. Es wäre aber beispielsweise realistischer gewesen, weniger starre Provinzen festzulegen, wie wir sie im vorliegenden Spiel entweder vielfach vom tatsächlichen Imperium Romanum kennen oder aber sie von antiken Geographen tradiert sind. Hier wäre schon mit der Möglichkeit von Stadtgründungen, die sich ja namentlich weiterhin an den nächstliegenden echten Ortschaften hätten orientieren können, ein Quentchen bewegte Wirklichkeit in das Spiel eingeflossen.

Für den Fachmann äußerst befriedigend ist dagegen die Entwicklung der einzelnen Orte umgesetzt, wenn auch an dieser Stelle wieder die Vereinheitlichung zwischen den Städten der verschiedenen Völker historisch oft nur wenig treffend ist. Germanen haben eben keine Arenen gebaut, ja sie haben in der zu spielenden Zeit nicht einmal "Städte" gehabt! Das wäre wohl besser durch viele kleine Ortschaften oder Weiler gelöst worden.

Nun möchte ich aber zu meinem liebsten Pluspunkt des Spiels kommen: Die Familie. Nichts nämlich, und das zeigt sich noch heute in den Strukturen von der italienische Kleinfamilie mit dem 40jährigen Muttersöhnchen bis zu dem Familiensystem der Cosa Nostra, war dem Römer heiliger als die Familie. Dementsprechend kann ihre Rolle gar nicht zentral genug dargestellt werden. Und ausgerechnet diese Darstellung ist in Rome äußerst wohlgeraten. Das beginnt schon bei der Namenswahl der Figuren, die in den meisten Fällen historisch sind, bzw. in Einzelfällen zumindest historisch sorgsam rekonstruiert sind (übrigens ebenso bei Nichtrömern). Antike Geschichte ist aber auch bei dem Charakter der einzelnen Figuren, der Familienpolitik durch Heirat und Adoption, der Erwählung des Nachfolgers und der Bildung des Klientel äußerst gelungen wiedergegeben. Gerade hier ist die Historizität also besonders groß.

So bleibt also das Spiel(en) von Rome: Total War für den Fachmann höchst erfreulich und geradewegs befriedigend, weiß er doch um die Wichtigkeit der trefflichen Vermittlung der meist trockenen Forschungsergebnisse. Es sei allerdings insgesamt betont, dass man nicht alles im Spiel für bare Münze nehmen kann, es vermittelt eben nicht nur Reales, sondern auch Fantasie, die aber guter Ausgangspunkt für eine über das Spiel hinausgreifende Beschäftigung mit Büchern sein kann.

Dass der Historiker selber gerne spielerisch mit der Forschung in Kontakt tritt, ist übrigens ein häufig zu beobachtender Nebeneffekt. Eine Durchsicht der Spielesammlungen (junger) Archäologen hätte vor wenigen Jahren beispielsweise für ein Spiel wie Age of Empires fraglos eine Quote von nahezu 90% erbracht. Die Beschäftigung mit einem Spiel wie Caesar und dessen Derivaten (Pharao, Zeus, Der erste Kaiser) bringt zwangsläufig soviel korrektes Detailwissen über das Alltagsleben im Imperium Romanum (im alten Ägypten, Griechenland und China) mit sich, dass kein Geschichtsunterricht mithalten kann, weil die Hälfte der Schulzeit bereits mit der Französischen Revolution gefüllt ist. Ebenso erfüllt es sowohl jeden Fan von Wickie als auch die meisten Altskandinavisten mit höchstem Vergnügen, sieht er in der Eroberung Vinlands die Figuren, die er gleich klingend aus Sagas kennt, "leibhaftig" über den Bildschirm laufen.

   

 
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