Musik im Spiel09.05.2005, Thomas Böcker
Musik im Spiel

Special:

Spielemusik und der Respekt

Ein Gastbeitrag von Thomas Böcker

Dieses Interview ist nur ein Teil des Themas "Musik im Spiel ".

Dort findet ihr u.a. ein Interview mit und das Porträt von Thomas Böcker sowie ausgewählte Soundtrack-Klassiker zum Download.Frisch vorgestellt auf der Games Developer Conference 2005, wurde eine neue Funktion der Xbox 2 von J. Allard kräftig als Innovation gefeiert. So soll der stolze Besitzer die Möglichkeit haben, in Zukunft seine persönliche Lieblingsmusik in alle Spiele einzubinden - bisher war das nur in speziellen Titeln möglich. Will heißen: über eine spezielle Option der Microsoft-Konsole wird es machbar sein, den Soundtrack mehr oder minder anzupassen und die eigene virtuelle Jukebox mit Musik zu füttern.

Keine Frage, besonders in den Reihen der Spielekomponisten ist eine heiße Debatte über den Sinn und Unsinn dieser Neuerung entbrannt. Denn es scheint deren Schaffen, die speziell abgestimmte Soundkulisse für die Spiele, überflüssig zu machen - oder zumindest herabzuwürdigen. Die Diskussionen führten schließlich zu den Kernfragen ihrer Branche: Bekommt Spielemusik heute überhaupt die Aufmerksamkeit, die sie verdient? Und den Respekt gleich dazu?

Besonders in der positiven Wahrnehmung von außen hat sich in unseren Breitengraden für Spielemusik in den letzten Jahren viel getan. Gemeint sind hier speziell Konsumenten und Medien, die für dieses Thema sensibilisiert wurden. Es war ein langer Weg - von den ersten Automatenklängen bis zu den heutigen Soundtracks gab es enorme Veränderungen, die essentiell für die allgemeine Akzeptanz der Soundtracks waren.

Sicher: positive Wahrnehmung ist nicht mit Respekt gleichzusetzen, ist aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Für diese Entwicklung musste ein Vorbild herangezogen werden - und wie bei Spielen allgemein der Film gern als großer Bruder benannt wird, ist es kein Wunder, dass sich Spielemusik qualitativ mit Filmmusik vergleichen wollte und mittlerweile auch kann. Die Musik wird heute mit anerkannten Orchestern und Chören überall auf der Welt aufgenommen, bekannte Sänger und Sängerinnen werden engagiert - alles eben in der Tradition alter und neuer Hollywoodstudios.

Auch wenn so mancher den Klängen von Commodore 64 & Co. Hinterher trauert, und auch wenn diese Musik ohne Zweifel eine eigene Qualität vorzuweisen hatte, es wird keiner bestreiten, dass niemals zuvor Spiele-Soundtracks eine derartig große Chance hatten, von vielen Menschen angehört zu werden. Eben dieses Faktum führte zu einer Berichterstattung in der Presse, die sich nicht ausschließlich dem Thema Spiele verschrieben hat. Artikel sind in diesen Tagen auch in Blättern wie der Leipziger Volkszeitung, der Zeit, im Bayerischen Rundfunk, der BBC, der New York Times oder der französischen Liberation zu finden. Das Thema hat demnach den Status erreicht, als diskussionswürdig betrachtet zu werden.

Zu einem großen Teil ist diese Entwicklung den symphonischen Konzerten in Leipzig, in den USA und natürlich noch immer in Japan zu verdanken. Denn was ist wirksamer und beeindruckender als ausverkaufte Konzerthäuser mit 2.000, 3.000 oder gar 4.000 Besuchern? In Zeiten des allgemeinen Orchestersterbens muss es erstaunlich anmuten, wenn Konzerthäuser plötzlich gefüllt werden, vorrangig von jungen Menschen. Und auch wenn sich Spielemusik nicht einzig und allein auf orchestrale Kompositionen beschränkt, so adelten die Aufführungen im Leipziger Gewandhaus, der Disney Hall in Los Angeles oder der Bunkamura Orchard Hall in Tokio die Stücke ohne Zweifel. Das kam der gesamten Branche zugute und rückte sie ins Blickfeld, ohne lediglich eine weitere Gewaltdiskussion zu initiieren. Kurz: Spielemusik hat ihren Kopf aus der einstigen Nische herausgestreckt - und wird außerhalb von Fans wahrgenommen.

Doch wie lässt sich diese Entwicklung noch ausweiten? Und wie lässt sich das neue Feature der Xbox 2 dann erklären? Die Wahrscheinlichkeit, dass Spielemusik in den Bereich des Mainstreams aufgenommen werden wird, kann nicht klar beantwortet werden. Wie auch in der Filmmusik wird es Vertreter des Genres geben, die besonders beim Publikum ankommen sowie andere, die in der Beliebtheit hinterher hinken. Auch die Filmmusik hat mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen, weniger jedoch als Spielemusik.

Wenn die Xbox 2 nun mit oben genanntem Feature daherkommt, hängt dies nicht zwingend mit mangelndem Respekt zusammen. Vielmehr ist es ein Fehler auf Entwickler- oder Publisherseite. Die eigentliche Integration der Musik ins Spiel ist es, woran es in vielen Fällen noch krankt. Denn: Die schönste Musik erzielt nicht den gewünschten Effekt, wenn sie nicht sinnvoll in das Geschehen eingebaut wurde. 

Die Komponisten müssen verstärkt die Chance bekommen, am Designprozess beteiligt zu werden. Was oft besprochen und was längst als natürlich eingestuft wird, ist leider in keiner Weise Realität in allen Studios. Allein zu dem Wunsch, die Xbox 2 mit eigener Musik zu speisen, sollte der Spieler also nie kommen dürfen. Er muss von der Klangwelt des Spiels gefangen genommen werden. Es ist mit Sicherheit kein mangelnder Respekt Microsofts, dem Käufer die Möglichkeit der Jukebox mitzugeben, es liegt schlicht Marktforschung zugrunde - offenbar besteht Nachfrage. Es sollte als Warnsignal für die Branche verstanden werden, weiter in Musik und SFX zu investieren. Vorwerfen kann man der Spieleindustrie heute kaum noch, die Akustik finanziell zu vernachlässigen, jeder ernstzunehmende Entwickler oder Publisher stellt die nötigen Ressourcen für die Erstellung der Musik zur Verfügung. Hier sollte man ansetzen und auch die Integration dieser Arbeit bedenken.

Allerdings neigt man bei den Verantwortlichen dazu, Besonderheiten der eigenen Produkte zu ignorieren. Im Falle der Musik ist es z. B. die Interaktivität. Es ist geradezu tragisch zu sehen (und zu hören), welches Potential verschenkt wird - zumal Interaktivität in der Spielemusik etwas ist, das sich klar von Filmmusik abhebt und etwas Eigenes darstellt. Der jetzige qualitative Standard ist gut - nun gilt es, darauf aufzubauen und etwas Eigenes zu erschaffen, das man in keinem anderen Medium kennt. Das setzt Komponisten voraus, die sich seit Jahren mit Spielen beschäftigen und entsprechende Erfahrung mitbringen. Während z. B. ein Komponist für die Leinwand linear seine Melodien schreibt, d. h. klar festgelegt, hat sein Kollege in der Spielebranche andere Voraussetzungen. Er weiß nämlich nicht genau, was der Spieler zu welcher Zeit machen wird - er muss darauf achten, dass die Akustik in bestimmten Abschnitten nicht zu langweilen beginnt usw. Spielemusik ist nicht nur der kleine Bruder der Filmmusik, doch das gilt es zu zeigen. Natürlich, es wurde schon experimentiert - Systeme wie iMuse oder Direct Music stehen für einen interessanten Anfang, sind aber unbedingt ausbaufähig. Mit ihnen ist es möglich, interaktive Musik zu kreieren, d. h. Musik, die sich den gegeben Umständen im Spiel anpassen kann - und sie erst zu einem Erlebnis werden lässt.

Ich sehe die Neuerung der Xbox 2 also als eine Chance für die Spieleindustrie an, den Wert und die Macht gut integrierter Spielemusik zu beweisen. Denn: ein passender, dramatischer Soundtrack ist durch nichts zu ersetzen.            

 
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