Puerto Rico09.09.2011, Jörg Luibl
Puerto Rico

Special: Handel mit Kaffee & Co

Gerade eben ist eines der besten Brettspiele der letzten Jahre im AppStore erschienen und von uns empfohlen worden: Puerto Rico (ab 50,00€ bei kaufen). Grund genug für uns, die international gefeierte Strategie von Andreas Seyfarth endlich vorzustellen. Schließlich lieferte sich der komplexe Handel in der Karibik lange Zeit ein Rennen um Lobeshymnen und Bestnoten mit der Feldwirtschaft von Agricola. Was steckt hinter dem Phänomen aus dem Jahr 2002?

Der zweite Blick

Puerto Rico erschien 2002 bei Ravensburger und kostet aktuell knapp 30 Euro.
Puerto Rico erschien 2002 bei Ravensburger und kostet aktuell knapp 25 Euro. Es ist laut Anleitung für 3 bis 5 Spieler ausgelegt, aber es gibt auch eine offizielle Regel für zwei .

Bieder, spröde, unauffällig - auf den ersten Blick sieht Puerto Rico nicht gerade interessant aus. Es will kein karibisches Flair aufkommen, wenn man die Box öffnet und durch das eher zweckmäßige denn edle Material stöbert. Die braunen Kolonisten werden nicht figürlich, sondern als schnöde Steine dargestellt, die ausgestanzten Pappmarker wirken nicht besonders stabil und der Spielplan in der Mitte versprüht den Charme einer farbigen Tabelle. Das Beste am Artdesign ist noch die Illustration der eigenen Basis San Juan; da erkennt man immerhin einen gerodeten Dschungel am Meer, die Skizze des kleinen Hafens sowie die schön gezeichneten Rollen an der Seite.

Von diesem Ersteindruck sollte man sich nicht abschrecken lassen. Denn unter der Oberfläche steckt eines der durchdachtesten Brettspiele der letzten zehn Jahre. Eines, das den Aufbau einer kleinen Insel zu einer großartigen Spielerfahrung für Strategen macht. Warum? Weil Andreas Seyfarth die kleinen Räder für den wirtschaftlichen Erfolg unheimlich clever verzahnt hat: Aufbau und Handel greifen nicht nur ineinander, sondern ermöglichen auch individuelle Taktiken. Es dauert allerdings seine Zeit, bis man all die Möglichkeiten der Spezialisierung verinnerlicht hat – Puerto Rico ist kein Familienspiel für zwischendurch, eher ein Denkspiel für Erwachsene.

Aufschwung in der Karibik

Die Qual der Gebäudewahl: Hier stellt man die Weichen für den Erfolg.
Die Qual der Gebäudewahl: Hier stellt man die Weichen für den Erfolg.
Jeder der drei bis fünf Spieler beginnt als Gouverneur mit wenig Startkapital und etwas Landbesitz – zwölf gerodete Flächen Urwald und ein Hafen als Verbindung zum alten Europa stehen zur Verfügung. Was kann man tun? Das kommt darauf an, für welche Rolle man sich in einer Runde entscheidet. Und davon gibt es je nach Spielerzahl bis zu acht: Kapitän, Händler, Goldsucher, Siedler, Baumeister, Bürgermeister, Aufseher. Jede Wahl entspricht quasi einer Aktion. Wählt man den Siedler, darf man z.B. eine der ausliegenden Plantagen (Mais, Zucker, Tabak, Indigo, Kaffe) auf seiner Insel errichten.

Das Besondere ist, dass der jeweilige Startspieler bzw. Gouverneur nicht nur seinen nächsten Zug  mit der Rollenwahl festlegt, sondern auch alle anderen. Sprich: Nachdem er eine Plantage ausgelegt hat, müssen auch alle anderen in dieser Runde als Siedler aktiv werden und anpflanzen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Man bestimmt die Aktion, darf als Erster auswählen und erhält auch noch optional als Einziger ein Privileg. In diesem Fall dürfte der Siedler statt einer Plantage auch einen Steinbruch anlegen, der die Gebäudekosten senkt. Erst nachdem alle fertig sind, wechselt die Startspielerkarte zum Nachbarn.

Cleverer Rollenwechsel

Sechs der acht Rollenkarten: Hier wird die kommende Aktion für alle festgelegt.
Sechs der acht Rollenkarten: Hier wird die kommende Aktion für alle festgelegt.
Schon hier erkennt man, dass man seine Züge nicht alle sicher planen kann – vieles lässt sich in Puerto Rico eiskalt kalkulieren, man kann sich regelrechte Wirtschaftswege zurechtlegen, aber eben nicht alles am Reißbrett entwerfen. Denn wer ein Gebäude errichten will, muss entweder Glück haben, dass jemand den Bürgermeister als Rolle wählt oder das selbiger beim eigenen Zug noch zur Wahl steht. Trotzdem hat der Zufall im Laufe der knapp zwei Stunden Spielzeit wenig Einfluss; lediglich die vier verfügbaren Plantagen werden vom Stapel aufgedeckt. Dafür lockt das schnelle Geld: Auf alle Rollenkarten, die nicht gewählt wurden, kommt jeweils eine Dublone! Und sobald zwei, drei da liegen, schmeißt man seine eigentliche Planung vielleicht doch über den Haufen…

Es geht eher um die spannende Qual der Wahl, um die richtige Entscheidung und Effizienz. Welches Gebäude baut man bloß? Und welches danach? Es gibt über zwanzig Karten, mit denen man die zwölf freien Bauplätze bestücken kann. Sie haben alle Auswirkungen auf mögliche Ernten, Umsatz, Warensorten, Kolonisten, Plantagen oder Lagerkapazität. Man kann direkt in kleine Fabriken investieren oder sparen, um nicht nur einmal, sondern gleich dreimal Indigo zu ernten. Oder auf Sparflamme Mais anpflanzen? Dann braucht man gar kein Gebäude, nur Kolonisten! Hinzu kommen noch fünf große Gebäude wie Rathaus, Residenz oder Festung, die nach Spielende für alle angelegten Felder, aktive Kolonisten oder besetzte Gebäude zusätzliche Siegpunkte einbringen – sie können das Zünglein an der Waage sein.

Knallhartes Mikromanagement

Viel wurde noch nicht angepflanzt, aber dafür arbeiten Kolonisten (braune Steine) fleißig!
Viel wurde noch nicht angepflanzt, aber dafür arbeiten Kolonisten (braune Steine) fleißig!
Man braucht Zeit, um Puerto Rico komplett zu verinnerlichen, denn es ist nicht nur aufgrund seines Artdesigns abstrakter als Agricola. Auch die Abläufe aus Bau, Ernte, Besiedlung und Rohstoffgewinnung sind komplexer, der Spielablauf wirkt insgesamt wirtschaftlicher. Das Schöne ist aber, dass man irgendwann das Gefühl hat, dass alles ineinander greift: Es wird erst geerntet oder produziert, wenn Kolonisten dort platziert werden. Diese müssen also zuvor angesiedelt werden. Ihre Waren müssen erstmal gelagert und können dann verschifft werden. Und für alles sind unterschiedliche Rollen nötig.

Das wichtigste Spielelement sind die vielen Gebäude, denn ihre Zahl ist begrenzt! Das heißt, dass man im schlimmsten Fall auch mal seine Strategie umwerfen muss – statt Tabak wird dann eben auf Zucker gesetzt. Wie intelligent das Spiel konzipiert ist, bemerkt man auch daran, dass auf die Vielfalt der Rohstoffe bei der Ausfuhr nach Europa geachtet wird. Man kann die Schiffe nicht einfach wild beladen, sondern muss die Regeln beachten: Immer nur eine Warensorte pro Schiff! Wenn es voll ist, hat man Pech gehabt! Auch da kann es sich lohnen, nicht nur die Plantagen der Konkurrenz, sondern auch ihre Lager im Auge zu behalten.

Ausblick

Jörg Luibl (44)  Puerto Rico ist eines der intelligentesten Brettspiele für Strategen. Obwohl man als Gouverneur eine Karibikinsel managt, kann es auf den ersten Blick nicht gerade mit seiner Aufmachung punkten – edel ist anders. Und man braucht Zeit, mindestens drei Spiele, um all die Möglichkeiten und Abhängigkeiten zu erfassen. Aber dafür überzeugt es auf den zweiten Blick mit seinen clever verzahnten Wirtschaftsmechanismen: Nirgends greifen Planung, Aufbau und Erlös so gut ineinander. Es gibt fast kein Zufallselement, aber trotzdem entsteht Spannung aufgrund der Qual der Wahl exklusiver Rollen und begrenzt vorhandener Gebäude. Man muss zudem dynamisch auf seine Mitspieler reagieren, um am Ende siegreich zu sein. Mir gefällt das bereits vorgestellte Agricola zwar noch einen Tick besser, weil es die Spannung noch besser mit seinem Zyklus komprimiert. Aber das Spiel von Andreas Seyfarth ist hinsichtlich Investition sowie Ertrag noch gnadenloser und gehört zu Recht zu den international gefeierten genialen Klassikern, die man einfach in der Sammlung haben muss - jetzt auch auf dem iPad!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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