Nintendo Labo: Toy-Con 01: Multi-Kit27.04.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Bastelstunde mit der Switch

Endlich ein Editor in der realen Welt!

 

In ein paar Minuten - oder auch Stunden - hat man die vorgestanzten Elemente aus den Bögen getrennt, zusammengefaltet und kann auf dem mittleren Bildschirm-Teil der Konsole eines der Minispiele starten. Enthalten sind fünf Spiele plus etwas Kleinkram und Zubehör: Ein kleines ferngesteuertes „Auto“, ein Motorradrennen, ein Angelspiel, ein virtuelles Haustier, um das man sich in kurzen Reaktionstests kümmert sowie ein Piano nebst einfachem Musik-Editor. Hat man genug gespielt, lässt sich das Konstrukt natürlich auch mit schrägen Dekorationen vollkleistern. Nintendo bietet z.B. ein entsprechendes Deko-Kit voller Kulleraugen und anderer Sticker an. Im Set 01 stecken lediglich das Spielmodul sowie allerlei Pappbögen und Kleinkram wie Schnüre, Ösen und Gummibänder. Das Wort lediglich ist eine Untertreibung, denn wir haben schon teure Brettspiele erlebt, in denen deutlich weniger Material steckte. Obwohl die Pappbögen vor den eigenen Augen viel dünner wirken als auf Bildern oder in Videos, sind sie in gefalteter Form erfreulich robust.

Wie jetzt - man kann auch außerhalb von Editoren basteln?
Uns ist bislang auch nichts kaputtgegangen. Schlimmstenfalls hat sich mal eine Schnur verheddert oder eine Lasche ist herausgeflutscht. Selbst Knicke lassen sich nach einem Malheur schnell wieder zurechtbiegen – zumal es in der interaktiven Anleitung sogar eine Kategorie mit Tipps für die Rettung angeschlagener Toycons gibt.

 

Robust und ausführlich

 

Toycon heißen hier die einzelnen Pappspielchen, die sich dank der extrem ausführlichen Anleitung bestens zusammenbauen lassen. Jeder Schritt wird derart detailreich erläutert, dass es uns manchmal schon fast zu viel war. Nicht jeder hat Spaß daran, sich durch hunderte Seiten Chat mit Professor von Papp und seinen Schülern zu klicken, die wirklich jedes Detail mit einem albernen Spruch kommentieren müssen. Typisch Nintendo! Anderswo profitiert der Spieler aber von der ausführlichen Umsetzung und dem Qualitätsanspruch des Branchen-Oldies: Man kann die übersichtlichen Schritte im eigenen Tempo vor- oder zurückspulen.

4Players präsentiert den Mucker 3000!
Die dreidimensionalen Modelle lassen sich sogar frei drehen und zoomen. Übersichtlicher geht es nun wirklich nicht! Da jegliche Schritte genau befolgt werden müssen, ist der Aufbau natürlich kein sonderlich kreativer Prozess. Vor allem bei umfangreicheren Modellen wie dem Klavier fühlt man sich schon mal wie am Fließband, wenn nach zweieinhalb Stunden Korpus- und Tastenfertigung noch immer kein fertiges Instrument auf dem Tisch steht. Anders interpretiert bekommt man hier aber viel für sein Geld: Gut acht Stunden kann man die Kinder allein mit dem Basteln aller Modelle beschäftigen – wenn man die Pausen mitzählt noch länger. In vielen Momenten macht es sogar richtig Spaß, Schritt für Schritt vor den eigenen Augen zu sehen, wie sich bestimmte Kurbeln, Schlaufen und Gewichte für mechanische Tricks nutzen lassen. Sogar die Funktionsweise der kleinen Joycon-Controller wird en detail erläutert: Sie lassen sich nach der Vollendung eines Bauwerks schnell darin verstauen oder wieder entfernen.

Ein RC-Auto? Papperlapapp!

Am schnellsten gemacht ist das kleine ferngesteuerte Auto. Oder handelt es sich um einen Käfer? Wie dem auch sei: das seltsame Konstrukt gleitet dank der Vibrationsmotoren der seitlich eingesteckten Joycons wie ein Luftkissenboot vorwärts.  Ziemlich langsam zwar – und man muss die Frequenzen passend einstellen - aber für einen Vibrationsantrieb ist es trotzdem beachtlich. Ein lustiges Extra ist dabei die Infrarotkamera in der Front, dank der man im Dunkeln durch kleine Labyrinthe auf Tisch oder Boden gleitet, um in Bestzeit ans Ziel zu gelangen; inklusive Bildübertragung im Predator-Design. Das „autonome Fahren“ funktionierte bei uns allerdings ziemlich schlecht: Theoretisch klebt man Leuchtstreifen auf eine glatte Unterlage und dank der Kamera folgt das Fahrzeug der Straßenmarkierung. In der Praxis verirrte sich der störrische Vibro-Käfer aber meist schon nach wenigen Zentimetern, selbst nach Experimenten mit matteren Oberflächen und weniger Tageslicht.

Erfreulich robust: Das einzige Malheur war bei uns eine verhedderte Angelschnur, die sich schnell wieder befreien ließ.
Laut Nintendo sollen z.B. Spiegelungen auf glatten Schreibtischen dem System zu schaffen machen. Etwas besser funktionierte es, das Gefährt mit einem Leuchtpunkt auf der Fingerspitze vor sich her zu locken – fast wie mit der Karotte vorm Esel. Dazu gibt es sogar einen entsprechenden Stab, der sich an der Papp-Angel befestigen lässt. Gesellige Rennfahrer können auch das beiligende zweite Fahrzeug aufbauen, brauchen dazu allerdings zwei weitere Joycons. Danach teilt man einfach das Steuerfeld auf dem Konsolenbildschirm und liefert sich Zweikämpfe mit Stoppuhr. Da die Vehikel allerdings kaum schneller vorwärts brummen als eine Schildkröte, sind Wettrennen im Hellen hier nicht wirklich spannend.

Duell gegen andere Pappenheimer

Das haben offenbar auch die Entwickler bemerkt und diesen Toycons deshalb eine Art Sumo-Ringen spendiert, bei dem man den zweiten Spieler aus dem Ring drängt oder einfach sein filigranes Konstrukt umkippt, was hier deutlich häufiger passiert. Ebenfalls nicht allzu spannend, aber immerhin gibt es eine Mehrspielermöglichkeit. Achtet darauf, eure empfindlichen Autos nicht mit dekorativen Stickern vollzukleistern, damit sie nicht zu schwer für den Rumble-Antrieb werden!

Blick in die Mechanik gefällig?
Die meisten Minispiele wirken leider bestenfalls wie Snacks, die mechanischen und haptischen Besonderheiten machen sie aber immerhin kurzzeitig interessant:  Beim Angeln etwa spielt der Faden für die Steuerung eigentlich gar keine Rolle. Trotzdem ist es cool, wirklich an der Rute zerren zu können und dank der Federspule eine mechanische Rückmeldung zu spüren. Knabbert ein Fisch am Haken, meldet sich das HD-Rumble ebenfalls entsprechend. Vom Spiel erfasst werden allerdings nur der Lagesensor der Rute und die Rotation eines Joycons, das in der Kurbel steckt. Schön, dass der Grund so tief und die Wasserwelt so detailverliebt gestaltet ist. Vor allem die majestätisch kreisenden Rochen „flattern“ richtig flüssig durchs Wasser.

Gibt’s keine größeren Spiele?

Nach einigen Minuten bemerkt man allerdings, dass das zuerst knifflig wirkende Einholen der Fische nicht mit ernstzunehmenden Angelspielen konkurrieren kann. Manch dicker Brocken wehrt sich zwar beträchtlich, doch für das Anlocken und Anbeißen gibt es einen viel zu einfachen Trick, zumal nicht einmal Köder am Haken baumelt. Nach dem Fang landen die schuppigen Trophäen übrigens nicht auf dem Teller sondern in einem geräumigen Aquarium, das man wie einen Bildschirmschoner laufen lassen kann. PETA dürfte bei diesem Spiel also keinen Protestbedarf erkennen. Im kleinen Pappgebäude wohnt ein putzig animierter kugelförmiger Kopffüßer, um den man sich wie um ein Haustier kümmert. Dazu startet man allerlei kleine Rektionstests, lässt es in einem Laufrad rotieren, bietet Futter an oder flutet auch mal die komplette Behausung.

Ein Blick auf den "Offroad-Modus" des Motorrad-Spiels...
Die spielerisch anspruchsvollste Disziplin ist das Motorrad: Hat man sich den robusten Lenker mit analogem Gashebel gebastelt, düst man über Strecken mit großen Höhenunterschieden oder begibt sich im hügeligen Offroad-Stadion unter Zeitdruck auf Ballonjagd. Dabei muss man sich sogar mit dem Oberkörper in die Kurve legen! Einige Mechaniken wurden aus Mario Kart entlehnt, z.B. der Windschatten oder das gar nicht so einfache Driften mit folgendem Boost. Die einfach gestrickten Positionsrennen sowie die schlichte Kulisse mit ihren generischen Fahrern erinnern aber daran, dass man es auch hier eher mit einem Minispiel statt einem vollwertigen Fun-Racer zu tun hat.

Auf in die Werkstatt!

Als gelungenes Extra gibt es einen einfachen, aber gut funktionierenden Strecken-Editor. Darin zeichnet man den Kurs direkt mit dem Motorrad aufs Feld oder scannt mit der Infrarotkamera sogar Unebenheiten aus der realen Welt – z.B. die Visage vom genervten Büronachbarn! Schade, dass hier kein simultaner Multiplayer geboten wird und es auch bei anderen Toycons nur wenige Möglichkeiten für Duelle gibt.

...und die gewöhnlichen Positionsrennen mit je einer Runde, die in verschiedenen Leistungsklassen ablaufen.
Da keine Internet-Anbindung geboten wird, kann man sich nicht einmal mit Freunden in Bestenlisten vergleichen. Auch das Tauschen von Ergebnissen aus dem Editor wie in Super Mario Maker ist hier nicht möglich. Ein echtes Versäumnis, denn hinter der so genannten Toycon-Werkstatt steckt ein schönes Extra für Experimentierfreudige: Es handelt sich um einen intuitiv zu bedienender Editor. In ihm baut man zwar leider keine Spiel-Levels, kann dafür aber mit den Eigenheiten der Controller und Pappkonstrukte experimentieren. Da ich zwei weitere Joycons parat hatte, habe ich erst einmal eine „vernünftige“ Analogsteuerung für das ferngesteuerte Auto entwickelt, so dass man es feinfühliger mit den Sticks bedient. Alternativ kann man dazu auch den analogen Gashebel des Motorradlenkers nutzen.

Auf in die Werkstatt!

Oder man laboriert mit Leuchttafeln, der Infrarotkamera, der Bewegungssteuerung und anderen Feinheiten herum. Mit entsprechender Experimentierfreudigkeit lassen sich sogar andere Objekte wie Besenstile, Tennisschläger oder eigens gebastelte Pappobjekte einbinden. Ein herber Einschnitt ist allerdings, dass Nintendo dafür nur mickrige sieben Speicherplätze zur Verfügung stellt. Mit den gigantischen Möglichkeiten von LittleBigPlanet 3 und seinen verknüpfbaren Level-Welten kann man ohnehin nicht konkurrieren – im Gegenzug wird das Gebastel hier aber vor den eigenen Augen greifbar. Soll das Männchen sich drehen oder mit einem Knall umfallen, wen ich das Joycon in einem bestimmten Winkel halte? Wer das  Diagramm ein wenig mit den Fingern herauszoomt, kann mit einfachen Logik-Befehlen sogar Dutzende Knoten verknüpfen, die mehrere Voraussetzungen nötig machen.

 

In der Werkstatt lassen sich eigene Ideen mit den Motoren, Knöpfen, Sensoren und Sticks im Joycon umsetzen.
Nur wenn ein Joycon ruhig auf der Kante liegt und man eine bestimmte Knopfkombination drückt, startet anderswo die Vibration oder die (nicht sichtbare) Infrarotleuchte: Solche Kombinationen lassen sich hier für kurze Rätsel oder Geschicklichkeitstests austüfteln. Wer zu Beginn nicht so recht weiß, wie er in der Werkstatt loslegen soll, kann eine Hand voll Beispiel-Tutorials mit Professor von Papp starten. Spaß gemacht hat mir z.B., den kleinen Taktstock mit eingestecktem Joycon zu einer Art Theremin „umzuprogrammieren“. Einfach ein wenig neigen und schon verändert sich das zittrige Piepsen – beinahe so, wie man es aus frühen Horror- und Science-Fiction-Filmen kennt.

Ein echtes kleines Musik-Studio?

 

A propos Musik: Das aufwändigste Projekt im Bundle ist das Klavier: Während der drei Stunden Bauzeit fühlt man sich beinahe an die Elbphilharmonie erinnert. Andererseits ist es schon ein cooles Gefühl, ein „richtiges“ Instrument mit zurückfedernden Tasten gebastelt zu haben. Auch das Herumklimpern mit Piano-Sounds, albernen Katzen- oder Chor-Geräuschen macht Spaß – zumal auch fast alle Büronachbarn mit Flüchen über mein lautes Geklapper einstimmten.

Das Kompositions-Studio wirkt reichlich eingeschränkt. Lustig ist die Möglichkeit, mit Pappkarten eigene Sinus- und Sägezahnkurven-Sounds einzuscannen - oder sogar einfache Rhythmen mit der Hilfe von Lochkarten zu komponieren!
Als echtes Kompositions-Tool taugt das beiliegende Studio aber nicht. Man kann zwar das Tempo vorgeben, mehrere Spuren aufnehmen oder sogar mit zugeschnittenen Sinus- oder Sägezahn-Kärtchen eigene Sounds einscannen. Trotzdem sind die Möglichkeiten stark begrenzt, zumal manche Sounds auf einen der zwei Modi (Klavier oder Studio) begrenzt bleiben. Mit derart wenigen Tasten werden außerdem schon einfache Melodien zur Herausforderung; die Oktave wird dabei per Knopfdruck gewechselt. Selbst das relativ einfach gehaltene Kompositionsstudio SoundStage für VR-Headsets wirkt im Vergleich viel komplexer. Wer nur ein wenig herumklimpern, die Funktionsweise der Komponenten ergründen oder seine Mitmenschen ärgern möchte, kommt mit dem Pappklavier aber trotzdem auf seine Kosten.

Fazit

Unterm Strich hat Nintendo eine inspirierende Grundlage dafür geschaffen, die Möglichkeiten der Switch mit lehrreichen Bastel-Tricks zu erweitern. Die Anleitung ist sehr intuitiv und die fertigen Konstrukte halten bisher erstaunlich gut. Jetzt fehlen nur noch die passenden Spiele, denn bei den mitgelieferten Disziplinen handelt es sich größtenteils nur um passable Snacks, mit denen man sich selbst in einer klassischen Minispielsammlung nicht allzu lang beschäftigen würde. Warum z.B. hat man dem etwas komplexeren Motorradrennen nicht mehr Persönlichkeit verpasst? Dazu hätte man sich etwa bei Figuren oder Design-Elementen aus Mario Kart bedienen können. Für ein wenig Extra-Motivation sorgt allerdings die Toycon-Werkstatt: Dort können findige Tüftler die fein kalibrierbaren Sensoren und Rumble-Motoren der Joycons für lehrreiche Versuche nutzen. Auch dort setzen aber Nintendo-typische Beschränkungen wie die fehlende Internet-Anbindung oder die limitierten Speicherplätze unnötige Grenzen. Das Multi-Kit von Nintendo Labo bietet also ein kreatives Äußeres, das aber ein wenig mit seinen inneren spielerischen Werten enttäuscht.

 

Zusätzlich gibt es übrigens ein zweites Paket, das für 79,99 Euro erhältlich ist und das wir hier näher untersuchen. Mit dem „Robo-Set“ kann man sich einen Kampfroboter-Anzug basteln – inkl. langen Schnüren, klappernden Gewichten und einer Bewegungssteuerung, mit der man stampfend vorwärts läuft und in Richtung TV boxt. Auch Verwandlungen in einen Riesenroboter oder in ein Auto sind möglich. Dabei wird übrigens ein eigenes Spielmodul mitgeliefert; das Multi-Set ist für den Roboter also nicht nötig.

 

Pro

robuste Konstrukte
sehr ausführliche und intuitive Anleitung
auf dem Bildschirm drehbare Modelle mit lehrreichen Einsichten
unterhaltsame Bastelstunde und kreatives Dekorieren

Kontra

einfache Minispiele nur kurzfristig interessant
kein Tausch digitaler Werkstatt-Kreationen und unnötig stark limitierte Speicherplätze
wenige Mehrspielermöglichkeiten und fehlende Internet-Anbindung
massenhaft alberne Kommentare und langsames Freischalten von Texten sind etwas mühsam

Wertung

Switch

Das Basteln und Experimentieren mit robusten Papp-Spielzeugen erweist sich als faszinierendes Konzept, bei den Minispielen handelt es sich aber nur um passable Snacks.

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