Detention02.03.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Fernöstlicher Abstecher in die Finsternis

Das Horror-Adventure Detention wagt eine düstere Exkursion ins Taiwan der sechziger Jahre: Finstere Flure, gesellschaftlicher Horror und keuchende Geister prägen das Abenteuer, in dem der Spieler in immer wilderen und blutigeren Visionen versinkt. Eine gelungene Interpretation von Silent Hill & Co?

Gedankenspiel

Stellt euch ein Paralleluniversum vor: Eines, in dem die DDR im noch geteilten Deutschland einen Bürgerkrieg gewonnen hat. Die politische Führung der BRD zog sich danach auf die Ostseeinsel Fehmarn zurück, um dort einen drakonischen Einparteienstaat aufzubauen, das Kriegsrecht auszurufen und gegen den sozialistischen Klassenfeind zu wettern, der seitdem über das deutsche Festland herrscht. Das Beispiel klingt natürlich reichlich bescheuert und unrealistisch. Es eignet sich aber immerhin dazu, zu veranschaulichen, in welchem bedrückenden politischen Klima sich das fernöstliche Horror-Adventure Detention abspielt: Die Handlung versetzt den Spieler auf die Insel Taiwan, auf die sich die ehemalige Regierung, die Eliten und Streitkräfte der Republik China zurückzogen, nachdem die verfeindeten Kommunisten auf dem Festland die Volksrepublik China ausriefen.

Sind es wirklich nur chemische Abfälle, die den Fluss plötzlich blutrot färben?
Experten mögen mir die arg verkürzte Darstellung verzeihen; ich wusste vor diesem Test nur wenig über den Taiwan-Konflikt. Das Spiel Detention hat es allerdings geschafft, mein Interesse zu wecken, so dass ich mich gestern Abend noch ein wenig in Artikeln über die Hintergründe geschmökert habe. Für die Beteiligten dürfte der von 1949 bis 1987 andauernde Ausnahmezustand vermutlich weniger angenehm gewesen sein. Es wurden schließlich Grundrechte wie die Pressefreiheit, das Postgeheimnis oder der Schutz der Wohnung eingeschränkt. Die entsprechende Grundstimmung wird auch während der Geschichte von Detention deutlich, die in den sechziger Jahren spielt. Überall finden sich Hinweise auf Militärgewalt, Misstrauen und Bespitzelung in der Zivilgesellschaft.

Wann kommt der Sturm?

Als Ray eines Tages in ihrer Schule aufwacht, ist das Gebäude bereits evakuiert und teils mit Brettern zugenagelt – als Schutzmaßnahme vor einem heraufziehenden Sturm. Nur noch sie und ihr Mitschüler Wei streifen durch die deprimierend grauen Flure - zwischen geschundenen Holztischchen, Filmprojektoren und einem ehemaligen Puppenspielwagen, der von einigen Schul-Rowdies in ein Wrack verwandelt wurde. All das sorgt in Kombination mit dem heraufziehenden Sturm bereits für ein ungutes Gefühl. Noch gruseliger wird es allerdings, sobald Rays Visionen Überhand nehmen. Nach und nach finden sich immer mehr Blutflecken, Folterinstrumente und sogar Kerker mit entstellten Puppen in der Schule, deren Ausgänge plötzlich von Baumwurzeln oder surreal aufgetürmten Holzstuhltrümmern versperrt werden.

Eine deutsche Vertonung gibt es nicht - stattdessen kann man sich zwischen Englisch, Chinesisch und Japanisch entscheiden.
Auch in Rays Familie scheint der Haussegen gewaltig schief zu hängen, denn immer wieder versetzen Visionen sie in traumatische Erinnerungen, in denen sich die Eltern endlos streiten. Wenn ich aus der seitlichen Sicht durch die Gänge der Schule schreite, erinnert die Stimmung ein wenig an Titel wie Silent Hill. Da es sich um ein Adventure handelt, wird allerdings nicht gekämpft. Stattdessen treffe ich nur ab und zu auf durch die Gänge schlurfende Geister, die sich röchelnd mit ihren Laternen oder anderen altertümlich anmutenden Werkzeugen über die Protagonistin beugen. Sie lassen sich meist mit recht einfachen Schleichmanövern austricksen. So halte ich beim Vorbeigehen z.B. die Luft an, platziere eine duftende Reisschale als Ablenkung oder beherzige andere kleine Tricks, die mir auf Schriftstücken über alte Geistermythen verraten werden.

Klassisches Adventure?

Im Mittelpunkt stehen hier die Rätsel. Der Touchscreen kommt auch im mobilen Modus nicht zum Einsatz, stattdessen steuere ich stets mit dem Controller. Sobald auf meinen Erkundungstouren ein entsprechendes Hotspot-Symbol aufleuchtet, untersuche ich das entsprechende Objekt per Knopfdruck. Schade, dass es keine wirklich kniffligen Puzzles gibt und innerhalb des Inventars kein Kombinieren möglich ist. Komplexere Basteleien werden also von vornherein ausgeschlossen. Stattdessen geht es meist darum, gefundene Gegenstände zu den passenden Opferstellen zu bringen, was sich aufgrund des exotischen Themas aber trotzdem als unterhaltsam entpuppt. Sobald ich ein altertümliches Schwert zu einer Statue gebracht oder ein paar Geldscheine im Ofen geopfert habe, entfesselt sich auch schon die nächste bizarr präsentierte Erinnerung.

Manchmal werden wichtige Details der Umgebung herangezoomt. Komplexere ausgelagerte Minispiele gibt es aber nicht.
Diese Artefakte und das Abdriften in immer surrealere Szenarien erzeugen eine angenehme Grundspannung, auch wenn es nie richtig gruselig wird und es kaum zu Schockmomenten kommt. Je länger ich spielte, desto gespannter war ich auf weitere Hintergründe der Mythologie, des Regimes und die dunklen privaten Geschichten an der Schule. Die Rätsel verknüpfen dabei die Erinnerungsfäden und schrecken auch nicht vor expliziter Gewalt zurück. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber wenn man ein Messer gefunden hat, kann es passieren, dass damit nicht nur Seile, sondern auch Kehlen durchtrennt werden. Das mit einer Schale aufgefangene Blut hilft einem aber immerhin dabei weiter, anderswo eine eingeritzte Nachricht sichtbar zu machen. Gelegentlich müssen auch einsteigerfreundliche Zahlenschloss-Rätsel geknackt werden. Die Hinweise auf die passende Kombination sind meist in der näheren Umgebung versteckt.

Sperrige Umsetzung

Die Schleichpassagen wirken oft wie Lückenfüller. Manchmal muss man aber auch seine Taktik ändern, um den Geistern zu entgehen.
Zu Beginn schreckte mich die schlichte Präsentation des Spiels ab: Manche Gänge und Klassenräume ähneln sich stark, die Animationen der Figuren wirken reichlich hölzern und langen Ladezeiten bei Raumwechseln strapazieren die Geduld. Und trotz gezeichneter Grafik mit nur wenig räumlicher Tiefe muss man in der Switch-Umsetzung mit leichtem aber dauerhaftem Ruckeln leben. Als ich mich erst einmal an die Mankos der schroffen Präsentation gewöhnt hatte, zog mich das exotische Szenario aber immer stärker ins Spiel. Die Ruinen der ehemaligen japanischen Besatzer etwa haben auf Anhieb meine Neugier geweckt. Auch der Klangteppich trägt viel zur Atmosphäre bei. Dabei handelt es sich nur selten um klar definierbare Melodien, sondern eher um ein experimentelles Zusammenspiel aus tiefen, unheilvollen Noten, die von metallisch kreischenden Spitzen und Foltergeräuschen durchschnitten werden. Schade ist allerdings, dass der Erkundungstrip schon nach gut drei Stunden vorbei ist und zum Schluss immer weniger Puzzles bietet.

Fazit

Trotz der technisch holprigen Umsetzung ist dem taiwanesischen Entwickler-Neuling Red Candle Games ein schönes Grusel-Adventure mit angenehm eigenständiger Stimmung gelungen. Sicher, zu Beginn fallen in Detention vor allem Mankos wie hölzerne Animationen, ständige Ladepausen oder das unnötige Ruckeln ins Auge. Doch als ich mich an die sperrige Umsetzung gewöhnt hatte, zogen mich die gelungene Erzählweise und die schön mit der Geschichte verknüpften Rätsel an mystischen Opferstellen immer stärker in ihren Bann. Zunächst sind es nur zwei Schüler, die rechtzeitig aus der evakuierten Schule fliehen wollen. Doch sobald die Visionen immer wilder werden und keuchende Geister durch die Gänge schlurfen, bemerkt man schnell, dass im Hintergrund noch größere persönliche und gesellschaftliche Katastrophen lauern. Ein kurzer, aber angenehm exotischer Adventure-Geheimtipp!

Pro

unverbrauchter Schauplatz
unheimliche Ruinen wecken Erkundungsdrang
toll inszenierte, immer wilder werdende Visionen
interessant präsentierte Geschichte
schön mit der Erzählung verknüpfte Puzzles
fiese mystische Opferstellen und Folterinstrumente
Szenario weckt Interesse an realer Geschichte des Landes

Kontra

keine komplexeren oder wirklich kniffligen Rätsel
leichtes Dauerruckeln
hölzerne Animationen
häufige, lange Ladepausen strapazieren die Nerven
nur gut drei Stunden kurz
kahle Gänge ähneln sich zu stark, so dass man sich gelegentlich verläuft
simple Schleichsequenzen wirken aufgesetzt

Wertung

Switch

Es mangelt ein wenig an technischem Feinschliff und Rätselanspruch, was aber von der spannenden Geschichte und dem angenehm exotischen Schauplatz wettgemacht wird.

Echtgeldtransaktionen

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