Sonic Mania Plus20.07.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Extra, extra!

Im September 2017 gab es einen Hoffnungsschimmer am blauen Horizont: Im Gespräch unter Fans wurde das klassische Jump-n-Run Sonic Mania beinahe schon zum Heiland stilisiert, der die von Gurken wie Sonic Boom geplagte Serie retten sollte. Hinter dem Spiel stecken schließlich einige Fan-Entwickler, die sich schon in früheren Projekten intensiv damit auseinandersetzten, was genau den mitreißenden Spielfluss älterer Sonic-Games auszeichnete. Die frisch veröffentlichte Plus-Version als Disc bzw. Modulkarte fügt Änderungen wie Remixes der Levels und Grafiken hinzu - eine runde Sache?

Rückkehr ins Zeitalter der Pixel

Ich bin bestimmt nicht der einzige Jump&Run-Freund, der mittlerweile von der Flut der Pixelplattformer übersättigt ist – und trotzdem konnte mich das Design von Sonics Retro-Projekt durchaus für sich gewinnen. Beim Start des Spiels fühle ich mich tatsächlich in die frühen Neunziger versetzt, als ich vorm Mega Drive meines Cousins durch die ersten Sonic-Spiele gehüpft bin. Die aus Fan-Projekten bekannten Entwickler Christian "Taxman" Whitehead, PagodaWest und Headcannon schließen nahtlos an die Titel des 16-Bit-Zeitalters an - ganz so, als hätte es die 3D-Nachfolger nie gegeben. Infos zu den Änderungen der neuen Plus-Fassung gibt es übrigens am Ende des Artikels. Auch spielerisch fühlte ich mich gleich heimisch: Sonic rennt und rollt genau so über die grünen Wiesen, wie man es erwartet und von früher kennt – was stark mit der gelungen umgesetzten Steuerung sowie der Physik zusammenhängt. Statt sich wie in modernen Teilen mit zielsuchenden Dashes von Gegner zu Gegner zu hangeln, hat man eher das Gefühl, mit dem passenden Schwung durch die Levels zu düsen.

Ein Blick auf den Inhalt der Plus-Version.
Im Handumdrehen kugelt man durch massenhaft aneinander gekettete Loops, schnellt danach hoch in den blauen Himmel, wird von Seilen zurückgeschleudert und düst auf vielerlei Weise durch die Levels. Vor allem zu Beginn entfaltet sich ein guter Rhythmus. Oft muss man einfach mal loslassen können, um sich durch die Gegend oder Röhren bugsieren zu lassen, dann im passenden Moment wieder einzusetzen und Sonics Projektilkurve den letzten Schliff zu geben, damit er auf einer versteckten Plattform landet oder von den Flipper-Bumpern in die gewünschte Richtung geschossen wird.

Fantasievoller Trip

Dabei beweisen die Entwickler viel Fantasie: Der rund fünf Stunden lange Expresstrip führt durch einen von Lianen überwucherten Urwald, in von Robotern verseuchte Industriezonen voller explosivem Öl und an zahlreiche weitere Schauplätze. Im wilden Westen hüpft man sogar über einen Zug und lässt sich von fetten Revolvern durchs Level schießen. Wer ein wenig auf Erkundungstour geht, stößt abseits der Hauptwege auf viele versteckte Areale voller Bonus-Container.

Neu dabei: Mighty the Armadillo und Ray the Flying Squirrel.
Schön auch, dass die Spezialfähigkeiten eine Randerscheinung bleiben: Extras wie ein Feuer-Dash oder die Stampf-Attacke in einer schützenden Blase kommen nur ab und zu zum Einsatz. Im Zentrum stehen Sonics Agilität und die zahlreichen in die Levels eingebauten Fallen und Beschleuniger. Viele Abschnitte kennt man aus älteren Spielen, z.B. in der berühmten Green Hill Zone. Die Entwickler haben den Arealen aber ähnlich wie in Generations einen Remix mit viel frisch gebastelter Architektur verpasst. Im Mania-Modus sind vier Levels komplett neu. Die Geschichte um den Phantom-Rubin und eine geheimnisvolle Energie knüpft an Sonic & Knuckles an, spielt aber nur eine untergeordnete Rolle. Im Wesentlichen geht es wieder darum, die fiese mechanische Armee von Dr. Eggman zu überwältigen, während die Helden ähnlich wie in Sonic Generations an verschiedene Orte in wechselnden Zeiten versetzt werden. Im Idealfall staubt man natürlich zusätzlich wieder die Chaos-Smaragde ab, die in versteckten Minispielen warten.

Was soll das denn?

Nachdem ich in der Originalfassung des Spiels einige Welten abgeschlossen hatte, begann meine gute Laune aber zu kippen: Immer wieder werden nervige Abschnitte auf Schienen eingestreut, in denen Sonic z.B. umständlich auf der winzigen Oberfläche von Tails Flugzeug umherspringen muss, mit hakeligen Bosskämpfen konfrontiert wird oder sich ein inkonsequent inszeniertes Wettrennen mit Metal Sonic liefert: Beim letztgenannten Beispiel signalisiert mein blecherner Rivale zu Beginn stets, dass meine Kugelattacke ihm nichts anhaben kann – bis zum Schluss, als ich ihn plötzlich doch auf diese Weise treffen soll. Noch mehr auf den Wecker ging mir das umständliche Köpfen einer schwer zu handhabenden Flipperkugel in seine Richtung: Dabei vermasselte mir gerne auch mal Tails die Tour, weil er in den Weg sprang. Vom polierten Level-Design eines Rayman Origins, Ori oder Donkey Kong Country: Tropical Freeze ist man trotz schöner Ansätze also weit entfernt. Eine Mitschuld daran trägt natürlich auch die hohe Spielgeschwindigkeit, durch die man zwangsläufig ab und zu ins Verderben rauscht.

Rays Gleiter-Steuerung ist zu Beginn etwas knifflig.
Ein weiterer Dämpfer sind die Bonus-Sequenzen in Pseudo-3D, in denen man z.B. auf einem kleinen Planeten Kugeln sammelt oder sich an einer Verfolgungsjagd mit schwammiger Steuerung versucht: Das Prinzip mit seinen Eigenheiten wie ruckartigen Drehungen ist deutlich schlechter gealtert als der 2D-Part und hat mir kaum Spaß bereitet. In diesem Punkt wäre es sinnvoll gewesen, sich stärker vom Vorbild zu lösen. In den gewöhnlichen Renn- und Hüpfpassagen war ich meist aber froh über die Liebe zu den Oldies. Der flotte Soundtrack mit seinen verspielten Synkopen-Stabs und kleinen Blechbläser-Einlagen weckt sofort Erinnerungen an Tokioter Eurodance-Clubs seiner Zeit wie das Maharaja.

 Tricks und Grafikspielereien

Auch grafisch bleiben die Entwickler den Vorbildern treu, reichern sie aber mit einigen neuen Feinheiten an: Wenn die Kulisse in Unmengen von Parallax-Ebenen am Igel vorbeirauscht und auch riesige Sandwürmer im Hintergrund umherspringen, werden dank üppiger Explosionen Erinnerungen an die technischen Meisterleistungen des Studios Treasure wach, das z.B. mit Dynamite Headdy die technischen Grenzen des 16-Bit-Zeitalters auslotete. Mitunter werden die Schauplätze zudem derart bunt, dass ich unweigerlich ans verspielte Design britischer Amiga-Plattformer wie Zool oder Superfrog denken musste. Lediglich die geringe Auflösung wirkt auf heutigen TV-Diagonalen bereits zu pixelig. Wer möchte, kann aber mit einigen Grafikfiltern wie Unschärfe oder Scanlines nachhelfen. Der ständige Begleiter Tails scheitert dank seiner grenzdebilen KI nach wie vor im Sekundentakt – was dank seiner Unsterblichkeit aber nur bedingt stört. Wer möchte, kann jederzeit als zweiter Spieler einsteigen, um die Kontrolle des Fuchses zu übernehmen.

Mightys Stampfer bringt Tempo in die Attacken aus der Luft und eröffnet versteckte Wege.
Aufgrund des rasanten Tempos landet man dabei allerdings ständig außerhalb des Bildes. Nur in langsameren Passagen wie Bosskämpfen wird die Kooperation sinnvoller. Zusätzlich wird ein Duell-Modus angeboten, in dem man neuerdings sogar zu viert statt nur zu zweit um die Wette durch einige Levels rast. Es gibt auch einen Time-Trial-Modus für Einzelspieler, in dem Knuckles und Tails von Anfang an freigeschaltet sind. Der technisch begabte Fuchs kann tauchen und per Propellerschwanz über weite Abgründe fliegen, Knuckles gleitet ein Stückchen und krallt sich mit seinen starken Pranken an Gebirgsvorsprüngen fest.

Gelungene Neuerungen in der Plus-Version

Mit der auf Disc bzw. Modul erhältlichen Plus-Fassung von Sonic Mania haben die Entwickler das Spiel mit einigen schönen Neuerungen aufgemotzt. Für PS4, Xbox One und Switch ist eine Retail-Fassung mit hübschem Wendecover im Mega-Drive-Stil erschienen. Auf dem PC muss man übrigens mit der Download-Erweiterung "Encore DLC" auskommen, die mit 4,99 Euro zu Buche schlägt und auch für die übrigen Umsetzungen erhältlich ist. Wer sie sich herunterlädt, bekommt vom physischen Klimbim wie einem netten Artbook abgesehen das gleiche Programm wie in der Plus-Version aus dem Handel. Im neuen Encore- bzw. Zugabe-Modus wurden die bekannten Levels einer Frischzellenkur unterzogen: Die pixeligen Kulissen präsentieren sich in leicht abgewandelten Farbpaletten und auch die Fallen, Gegner, Levelpassagen und Eingänge zu Secret-Stages wurden zum Teil ein wenig umplatziert, zumal es neuerdings ein Pinball-Minispiel anstelle der blauen Bonus-Planeten gibt. Eine der sinnvollsten Neuerungen ist allerdings, dass die Entwickler auch ein wenig an der Balance von Elementen wie den 3D-Rennen oder Bosskämpfen geschraubt haben, wodurch Gefechte gegen Widersacher wie Metal Sonic weniger an den Nerven zerren. Auch kleine Abschnitte und Anspielungen aus älteren Serien-Ablegern wurden eingebaut, die allerdings hauptsächlich eingefleischte Fans erkennen dürften.

Endlich kein gequetschtes Bild mehr: Der Wettkampfmodus unterstützt neuerdings vier lokale Spieler.
Gut gefällt mir im Encore-Modus auch die Einbindung der zwei neuen Figuren Ray the Flying Squirrel und den Mighty the Armadillo, der in Kugelform Stacheln widersteht und von Haus aus die Stampfattacke beherrscht, die man ursprünglich nur als Extra einsammeln konnte. Rays Gleitfähigkeit funktioniert ähnlich wie das Cape in Super Mario World. Zu Beginn ist es deutlich kniffliger als Tails Flugsteuerung. Nach einer Eingewöhnungsphase  hat man aber halbwegs den Bogen raus, während er in bogenförmigen Bahnen durch die Luft zischt. Ambesten gefällt mir, wie der Wechsel zwischen den Helden gelöst wurde. Statt Extraleben sammelt man quasi weitere Figuren ein. Zwischen zwei Exemplaren darf man per Knopfdruck wechseln, während der Rest als Backup mit Symbolen angezeigt wird. So lassen sich auch zuvor frustige Passagen unter Wasser oder mit sich wacklig verschiebenden Treppen entspannter überqueren, indem man etwa einfach zu Tails umschaltet und über die Gefahren hinwegschwimmt bzw. fliegt. Oder man erschließt sich mit den Fähigkeiten von Mighty oder Knuckles Zugang zu versteckten Bereichen. Alles in allem schöne Ergänzungen, mit denen sich dei Levels freier erforschen lassen. Auch das Spieldesign und die Balance des ursprüngliche Mania-Modus wurde in Details ein wenig poliert.

Endlich technisch sauber

Ein weiteres Extra ist der aufgemotzte Wettkampf-Modus, in dem neuerdings bis zu vier statt zwei Spieler im Splitscreen um die Wette rennen, zumal das Bild neuerdings nicht mehr auf hässliche Weise plattgequetscht wird. Schön auch, dass die zahlreichen Bugs auf der PS4 mittlerweile ausgemerzt wurden und auch die Switch-Fassung mittlerweile mit perfekt stabiler Framerate laufen zu scheint. Bislang sind uns auch auf der Xbox One keinerlei technischen Probleme untergekommen. Auf der Switch lassen sich neuerdings übrigens auch Video-Schnipsel aufzeichnen, allerdings nur mit 30 Bildern pro Sekunde.

Fazit

Schön, dass sich Sonic wieder gefangen hat: Mania schafft es deutlich besser, den Kern der Serie einzufangen als Segas letzte Versuche wie z.B. Sonic Boom. Es war eine gute Idee, einige respektierte Fan-Entwickler zu engagieren, die viel von der passenden Handhabung und dem richtigen Schwungverhalten verstehen - denn das ist schließlich die wichtigste Voraussetzung für den Flow in einem derart schnellen Jump&Run. Wenn man die Augen offen hält, flitzt man meist elegant durch die fantasievoll bunten und sehr abwechslungsreichen Welten. PagodaWest und Headcannon haben das audiovisuelle Flair der Vorbilder schön eingefangen. Im Laufe des Spiels übertreiben es die Areale nach wie vor ein wenig mit wilden Abzweigungen, nervigen Bosskämpfen oder Passagen „auf Schienen“. Gelegentlich fragt man sich, was zum Kuckuck die Entwickler jetzt schon wieder von einem wollen - oder warum Sonic gerade schon wieder in den Tod gestürzt ist. Neuerdings treten solche Momente aber seltener auf. Dank gelungener kleiner Neuerungen, Balance-Änderungen und dem frischen Encore-Modus flutscht die schnelle Plattform-Action mittlerweile eine ganze Ecke eleganter, zumal auch die neuen Figuren und das Umschalten zwischen den Helden eine klare Bereicherung sind. Unterm Strich also einen größtenteils gelungener Flashback in alte Zeiten, der auf liebgewonnenen Stärken aufbaut, aber immer noch ein paar Altlasten mit sich herumschleppt.

Pro

Sonics Handhabung und Schwungverhalten sehr angenehm
Entwickler beweisen meist gutes Gefühl für den Spielfluss
fantasievolle Ideen im Leveldesign
viel Abwechslung
cool designte Figuren und Gegner
Ohrwurm-Melodien nach alter Schule
gelungener Mix aus Altem und Neuem
ordentlicher Umfang mit rund fünf Stunden
coole Grafikspielereien mit vielen Parallax-Ebenen
viele gelungene Neuerungen in der Plus-Version

Kontra

mitunter übertrieben viele Abzweigungen
teils nervige Bosskämpfe und verwirrende Verfolgungsjagden
Retro-Kulisse wirkt auf heutigen Diagonalen arg pixelig
schlecht gealterte Minispiele
debile Partner-KI

Wertung

PlayStation4

Größtenteils gelungener Remix Sonics bester Jahre, der in der Plus-Version von vielen kleinen Neuerungen und ausgemerzten Bugs profitiert.

Switch

Größtenteils gelungener Remix Sonics bester Jahre, der in der Plus-Version von vielen kleinen Neuerungen und ausgemerzten Bugs profitiert.

XboxOne

Größtenteils gelungener Remix Sonics bester Jahre, der in der Plus-Version von vielen kleinen Neuerungen und ausgemerzten Bugs profitiert.

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