Im Test: Ein Traum wird (virtuelle) Realität
Ein langer Weg
Vier Jahre nach dem Start seiner Kickstarter-Kampagne ist Palmer Luckeys Traum endlich wahr geworden: Damals galt der Begriff Virtual Reality für viele bestenfalls als Lachnummer aus den Neunzigern und wurde mit klobigen Misserfolgen wie dem Virtual Boy assoziiert. Nachdem die Kampagne zur Erfolgsgeschichte wurde, ist der Rest Geschichte: Facebook kaufte das Startup Oculus, massenhaft Mitbewerber wie HTC Vive und PlayStation VR sprossen aus dem Boden und mittlerweile ist auch Luckeys Baby erhältlich, wenn auch mit massiven Start-Schwierigkeiten. Bei den technischen Daten unterscheiden sich die beiden großen Konkurrenten nur in Details: Die Oculus Rift besitzt wie HTC Vive zwei OLED-Displays mit einer Auflösung von 1080 x 1200 Bildpunkten pro Auge. Beide nutzen eine Refresh-Rate von 90 Bildern pro Sekunde (zum Vergleich: bei Samsungs Gear VR sind es nur 60). Die Spiel-Entwickler sollten diese hohe Bildwiederholrate möglichst penibel einhalten, damit alles flüssig bleibt, statt den Spieler bei schnellen Bewegungen aus der Illusion zu reißen oder ihn über die Kloschüssel zu schicken.
Endlich kein Fliegengitter mehr?
Wenn man bei Cryteks Rift-exklusivem Kletterausflug The Climb den Blick schweifen lässt, wirken entfernte Felsmassive trotz der eigentlich hübschen CryEngine-Kulisse recht unscharf. Trotzdem ist die gestiegene Auflösung in Vergleich zu älteren Entwickler-Kits ein deutlicher Fortschritt. Mehr dürfte in diesem Bereich in näherer Zukunft nur StarVR bieten, dessen überbreites Bild aber auch schneller Übelkeit verursachen könnte. Obwohl das Sichtfeld wie beim Vive mit 110 Grad angegeben wird, wirkt es ein wenig kleiner. Vermutlich liegt es daran, dass man den Bildschirm bei der Konkurrenz mittels Stellschraube näher an die Augen bewegen kann. Das Technik-Magazin Tom's Hardware sprach bei seinen Messungen z.B. von rund 93 (horizontal) bzw. 94 Grad (vertikal) .
OLED-Display: 2160 x 1200
Pixel Refresh Rate: 90 Hertz
Sichtfeld: 110 Grad
Tracking-Bereich: ca. 1,5 x 3,3m
Sensoren: Beschleunigung, Lage Erdmagnetfeld, Positionserfassung in 360 Grad (Infrarot-LEDs)
Anschlüsse: HDMI, USB 3.0
Preis: 699 Euro Außerdem wirkt Oculus' Bild eine ganze Ecke dunkler und weniger leuchtstark. Während des Spiels fällt das nicht negativ auf, beim direkten Vergleich wird der Unterschied aber deutlich. Bei den Linsen hat Oculus die Nase vorn: Der eigens entwickelte Hybrid-Typ mit asymmetrischer Form und leichten Fresnel-Kanten hinterlässt kaum noch sichtbare Ringe an den Bildrändern. Stattdessen sorgen helle Details nur noch für leichte Schlieren an den Rändern. Ihr Aussehen erinnert ein wenig an kleine Fettflecken auf einem Fenster. Auch das wirkt natürlich nicht hübsch, lenkt aber nicht so stark ab wie die Ringe klassischer Fresnel-Linsen.
Einfache Einrichtung
Ein klarer Vorteil der Rift ist der schnelle Aufbau: Zwar müssen zwingend zwei USB 3.0-Anschlüsse reserviert werden (einer davon für den Sensor) - sobald die beiden Stecker eingestöpselt sind, ist die Einrichtung aber kinderleicht. Einfach den Sensor neben dem Monitor auf den Schreibtisch stellen, kurz die Firmware aktualisieren, einige Details kalibrieren und schon kann es losgehen. Eine aufwändige Wandmontage, ständige Neukalibrierungen des Raums oder ähnliches Gefrickel sind hier nicht nötig. Beim Einstellen des Pupillen-Abstands gibt es hier sogar ein praktisches Testbild, so dass man sich nicht extra mit dem Zollstock vor den Spiegel stellen muss. Ein Nachteil ist, dass die beiden Stecker des Headsets für HDMI und USB so nah aneinander befestigt sind: Wer an der PC-Rückseite zu wenige USB3.0-Ports frei hat, kann also zumindest beim Headset nicht einfach auf andere an der Front ausweichen.
Kein Herz für Stupsnasen
Der vertikale Winkel der Brille lässt sich ebenfalls vor dem Gesicht in die gewünschte Position kippen, damit das Schaumstoff-Polster kein Licht durchlässt. Ganz so gut abgeschottet wie in der Vive ist man trotzdem nicht, denn Oculus hat am Steg über der Nase keine abdunkelnde Gummilippe befestigt. Rund um den Riechkolben fällt also meist etwas Licht ins Gerät, was ein wenig die Immersion stört. Vor allem Personen mit kleinen Nasen wie Dieter ging das auf die Nerven. Ein netter Nebeneffekt ist, dass man durchs „Guckloch“ zur Not auf den Schreibtisch vor sich linsen kann, um z.B. den One-Controller aufzuheben. In der Rift ist schließlich keine Frontkamera eingebaut, mit der man zwischendurch abchecken könnte, wer gerade neben einem im Zimmer herumwuselt. Trotz des kleinen Luftlochs wird es unter dem Headset übrigens recht schnell warm. Gerade bei längeren Spiel-Sessions im Sommer kommt man also schnell ins Schwitzen. Hinterher muss man zudem oft minutenlang mit einem Abdruck im Gesicht leben.
Roomscale? Fehlanzeige!
Während der größte PC-Konkurrent Valve sein Headset mit Raum füllenden Roomscale-Spielen bewirbt, baut Palmer Luckeys Headset auf klassischere Titel, die meist im Sitzen oder Stehen vor dem Schreibtisch gespielt werden. Die noch nicht erhältlichen Bewegungs-Controller Oculus Touch sollen zwar ebenfalls Bewegungen im Raum und sogar feinfühlige Fingergesten ermöglichen, vorerst sind Käufer aber auf klassische Eingabegeräte wie den Xbox-One-Controller oder die die simpel gehaltene, kleine Oculus-Fernbedienung mit Touchpad angewiesen (beide sind im Lieferumfang enthalten). Außerdem beschränkt die räumliche Erfassung des mitgelieferten Infrarot-Sensors die Möglichkeiten: Dreht man den Kopf komplett nach hinten, kann die Position nicht mehr so akkurat erfasst werden. Des Weiteren erfasst die beschränkte Auflösung den Spieler ab einer gewissen Entfernung nicht mehr so präzise. Das könnte in Zukunft z.B. darin resultieren, dass in der Hand gehaltene Objekte ein wenig ungenauer und ruckartiger durch die Luft wackeln (wie man es z.B. in der experimentellen Rift-Demo zu Fantastic Contraption sieht).
Ideal für Simulationen?
Wer sich momentan die Rift zulegt, kommt also vor allem mit Spielen vor dem Schreibtisch auf seine Kosten, bei denen man seinen Körper nur leicht bewegt. Dazu zählen natürlich Cockpit-Titel wie Eve: Valkyrie, Elite Dangerous oder die Rennsimulation Assetto Corsa. Die Ränder der Kanzel können einem Sicherheit gegen die Simulationskrankheit geben. Trotzdem sollte sich jeder Interessierte darüber im Klaren sein, dass sich die Welt in vielen Titeln um den Spieler herum bewegt und somit immer ein gewisses Potenzial für Übelkeit besteht. Im Vive dagegen kann man sich zwischendurch in ein paar beruhigenden Runden mit Roomscale-Knobelspielen entspannen, was hier nur sehr bedingt möglich ist. Überraschend war übrigens, welch große individuelle Unterschiede es beim Brechreiz-Risiko gibt: Ich musste schon nach wenigen Sekunden Eve: Valkyrie abbrechen und kann es bis heute nicht spielen. Mathias hat dagegen keine Probleme in den Raumschiffen. Ihm wird dagegen bei Lucky's Tale mit seiner seitlichen Kamerabewegung flau im Magen, welches mir wiederum nichts ausmacht.
Beeindruckende Immersion?
Trotz Einschnitten bei den Roomscale-Möglichkeiten ist die Immersion aber auch in der Rift beeindruckend. Schon in Third-Person-Titeln fühlt man sich wie mitten in der Welt, in der man sich immerhin mit seinen Kopfbewegungen frei umschauen kann. Noch intensiver wird das Erlebnis in Simulationen wie Assetto Corsa oder Microsofts modifiziertem Flight Simulator. Wie immer bei VR lässt sich der Effekt nur schwer beschreiben: Es fühlt sich schlicht und einfach viel intensiver an, sobald man sich praktisch persönlich im Cockpit befindet, statt nur auf einen klassischen Monitor zu starren. Mit Tricks wie der App ReVive lassen sich die Rift-Highlights nach momentanem Stand übrigens auch auf der Vive spielen – falls Oculus nicht erneut sein DRM ändern sollte. Umgekehrt sind auch viele auf Steam erhältliche VR-Titel mit Facebooks Headset kompatibel.
Oculus Home
Auch im gewöhnlichen Betrieb in der Nutzerumgebung Oculus Home kam es manchmal zu Abstürzen des Dashboards oder von Spielen wie Lucky's Tale. Wenn die Technik nicht dazwischenfunkt, geht die Navigation aber einfach von der Hand: Während man in einem Programm steckt, darf man jederzeit schnell und unkompliziert in ein übergelagertes Einstellungsmenü wechseln: Darin justiert man z.B. die Lautstärke oder überblickt andere Kleinigkeiten wie Benachrichtigungen von Freunden und abgeschlossenen Downloads. Das luftig eingerichtete Wohnzimmer-Loft mit knisterndem Kamin schafft eine beruhigenden Kontrast zu intensiven Spielen. Hier kann man ein wenig durchatmen, den Blick schweifen lassen und im übersichtlichen Store blättern. Die dort erworbenen Apps lassen sich nur mit der Rift nutzen.
Erfahrungen abseits von Spielen
Wer noch besser auf die Hardware abgestimmte Unterhaltung sucht, findet mittlerweile auch ein paar erzählerische „Erfahrungen“, die wie bei Spielen in einer Grafik-Engine ablaufen – entweder automatisch oder mit leichten Interaktionsmöglichkeiten. Henry von den Oculus Studios oder The Rose and I erinnern an Animations-Kurzfilme, Abe VR von Hammerhead VR erzählt die Horror-Geschichte von einem nach Liebe suchenden Roboter. Im Startpaket der Rift enthalten ist außerdem die Demo-Sammlung Oculus Dream Deck. Ihre nur Sekunden kurze Schnipsel versetzen den Spieler direkt nach der Installation in eine Reihe typischer VR-Situationen: Über die Dächer einer Großstadt, unter den Rumpf eines herbei stampfenden T-Rex und mehr. Ein nettes kleines Extra - mehr aber nicht. Deutlich länger beschäftigen kann man sich mit dem ebenfalls mitgelieferten Farlands: Dabei handelt es sich um eine Art Entdeckungsspiel auf einem fremden Planeten, in dem man allerlei fremde Spezies entdeckt, katalogisiert und sich mit ihnen anfreundet.
Kopfhörer und Überwachung eingebaut?
Für Bedenken bei Datenschützern sorgte die EULA, welche man zu Beginn der Einrichtung abnicken muss, um das Headset nutzen zu können. Ein im Hintergrund laufender Prozess sendet fleißig Informationen zu Facebook. Seine Hauptaufgabe sei zwar, zu erkennen, wann das Gerät ein- oder ausgeschaltet ist, um die Nutzeroberfläche Oculus Home zu starten. Einige Paragraphen der Datenschutzrichtlinie deuteten aber darauf hin, dass auch allerlei andere Erhebungen über den Nutzer "nach Hause gefunkt" werden (mehr dazu hier). Zusätzlich besteht natürlich die Gefahr, dass der nicht gerade für Datenschutz berühmte Konzern das Betriebssystem nach und nach enger mit seinem sozialen Netzwerk verknüpft.
CPU: Intel i5-4590 o. vergleichbar
Grafik: NVIDIA GTX 970/AMD R9 290 Arbeitsspeicher: 8GB Im Gegensatz zu den austauschbaren In-Ear-Stöpseln der HTC Vive sind die mitgelieferten Kopfhörer gleich am Gehäuse befestigt. Trotz ihres etwas billigen Aussehens bieten sie einen erstaunlich satten, ausgewogenen Klang mit genügend Bass und liegen so nur einen Deut hinter der Klangqualität der HTC-Hörer. Sind die Spiele entsprechend abgemischt, ist der Eindruck trotz nur zwei Lautsprechern erfreulich räumlich. Schön auch, dass sich Position und Winkel passend aufs Ohr abstimmen lassen. Wer sie trotzdem nicht mag, kann sie auch mittels einer flachen Schraube von der Schiene entfernen und dann eigene Kopfhörer benutzen, nachdem die Soundausgabe per Windows umgestellt wurde.
Fazit
Wenn man schon einmal in die vereinnahmenden Roomscale-Spiele der HTC Vive abgetaucht ist, wirkt der Test des Oculus Rift nicht mehr ganz so beeindruckend. Schade, dass Oculus seine vielversprechenden Bewegungscontroller „Touch“ nicht von Anfang an mit dem Gerät ausliefert. Trotzdem sorgt auch das Spielen vorm Schreibtisch für eine schöne Immersion. Vor allem Simulationen profitieren vom intensiven Mittendrin-Gefühl – und überraschenderweise auch Spiele mit Third-Person-Sicht wie Insomniacs Edge of Nowhere oder Lucky's Tale. Dank ihrer leichten Bauweise ist die Rift bei klassischen Spielen sogar klar zu meiner ersten Wahl geworden. Mit ihrem gut ausbalancierten Gewicht gestalten sich lange Sessions deutlich bequemer als mit der Vive. Technisch bewegt sich das Headset auf ähnlich hohem Niveau – die Unterschiede beschränken sich auf Details wie ein etwas kleineres und dunkleres Bild, weniger sichtbare Pixel (Fliegengitter- oder Screendoor-Effekt) oder angebaute Kopfhörer. Wer in erster Linie gemütlich in eher bekannte Spielkonzepte abtauchen will, wird dank größerem Komfort und dem etwas niedrigeren Preis mit der Rift ein wenig besser bedient – zumal Oculus sich auch einige Exklusivtitel mit etwas höherem Budget gesichert hat. Trotzdem bleibt natürlich eine große Ernüchterung, dass Oculus die Möglichkeiten der Bewegungssteuerung sowie raumfüllender Spielkonzepte bisher nur ankratzt.
Einschätzung: befriedigend
Wertung
OculusRift
Leider kratzt die Oculus Rift die Möglichkeiten der Virtuellen Realität nur an - wer hauptsächlich am Schreibtisch spielt, bekommt aber das momentan bequemste Headset, das auch technisch überzeugen kann.
VirtualReality
Leider kratzt die Oculus Rift die Möglichkeiten der Virtuellen Realität nur an - wer hauptsächlich am Schreibtisch spielt, bekommt aber das momentan bequemste Headset, das auch technisch überzeugen kann.
PC
Leider kratzt die Oculus Rift die Möglichkeiten der Virtuellen Realität nur an - wer hauptsächlich am Schreibtisch spielt, bekommt aber das momentan bequemste Headset, das auch technisch überzeugen kann.
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