Adrift14.07.2016, Michael Krosta

Im Test: Alleine im Weltraum

Einmal als Astronaut im Weltraum sein – ein Traum, den leider nur wenige Menschen (er)leben dürfen. Mit Adr1ft bringt Three One Zero den Trip in die Schwerelosigkeit für Normalsterbliche zumindest ein kleines Stückchen näher: Vor allem in VR will das Studio eine packende Erfahrung bieten, wenn man sich nach einem fatalen Unfall im Raumanzug durch die Trümmer einer Raumstation schlägt. Erlebt man dramatische Situationen wie im Spielfilm Gravity?

Blick in die Unendlichkeit

Ja, das ist schon ein erhabenes Gefühl, wenn man seinen Blick durch die Linsen des Oculus Rift  in die Weiten des Alls oder auf den blauen Heimatplaneten schweifen lässt, der so nah und doch so fern ist. Es sind Augenblicke wie diese, in denen man all den Schrott der zerstörten Raumstation sowie die mehr oder weniger bedrohliche Situation für einen Moment lang ausblendet und einfach diese grandiose Aussicht genießt. In diesen Momenten wirkt Adr1ft am eindrucksvollsten. Setzt man sich dann noch mit den Schubdüsen in Bewegung und dreht sich um alle erdenklichen Rotationsachsen, macht sich das zwar stellenweise in der Magengegend bemerkbar, aber das nehme ich hier in Kauf und verbuche es als Teil einer authentischen Erfahrung. Wäre ich tatsächlich in der Schwerelosigkeit unterwegs, würde es mir wahrscheinlich ähnlich oder sogar noch deutlich schlimmer gehen. Allerdings wird versucht, möglicher Übelkeit in VR aktiv entgegenzuwirken: Will man sich z.B. auf Knopfdruck automatisch wieder gerade ausrichten, wird der Bildausschnitt bei der folgenden Rotation minimiert und man erkennt nur noch einen sehr kleinen Teil in der Mitte, während der Rest des Bildes schwarz bleibt. Das mag in diesen Momenten vielleicht etwas seltsam erscheinen, lässt fast sogar einen Anzeigefehler vermuten, dürfte aber maßgeblich dazu beitragen, das potenzielle Unwohlsein im Zaum zu halten. Cool auch, dass man das HUD beim Spielen in VR entsprechend angepasst hat: Hier muss man sich tatsächlich unter dem Helm umsehen, um auf wichtige Instrumente wie die Sauerstoffanzeige zu blicken. Man hat tatsächlich das Gefühl, in einem Raumanzug zu stecken – eine packende Erfahrung!

Einfallslose Aufgaben

In VR entfaltet sich beim Blick durch den Helm ein beeindruckendes Mittendrin-Gefühl.
Konzentriert man sich auf die inhaltlichen Aspekte, weicht die anfängliche Faszination über die tolle VR-Immersion schnell gähnender Langeweile: Um nach der Katastrophe die Kommunikation zur Erde wieder herzustellen und schließlich die Rettungskapsel startbereit zu machen, muss man als Astronautin mit Gedächtnisverlust ständig die gleichen Aufgaben erledigen. Tatsächlich beschränkt man sich lediglich darauf, Systeme in einer bestimmten Reihenfolge per Knopfdruck hochzufahren. Da sich die PC-Zugänge, Satelliten und Maschinen selbstverständlich nicht alle an einem zentralen Ort befinden, muss man oft weite Wege zwischen den verstreuten Wrackteilen der zerstörten Station zurücklegen. Aufgrund des extrem langsamen Bewegungstempos wird die Pendelei aber schnell zur Geduldsprobe, zumal auch das Navigationssystem oft frustriert. Denn zum einen fallen die Wegmarkierungspunkte häufig viel zu klein aus und sind selbst dann kaum zu erkennen, wenn man den Bildschirm in VR direkt vor der Nase hat oder ohne das Headset mit selbiger an ihm klebt. Zum anderen stellt auch der Kompass keine große Hilfe dar, sondern fördert mit verwirrenden Angaben mitunter sogar die Desorientierung. Als Folge dessen treibt man häufig durch die Schwerelosigkeit und hat gar keine Ahnung, wo man eigentlich hin soll.

Sauerstoff im Überfluss

In Kisten findet man mehr als genug Sauerstoffflaschen.
Für Spannung und Dramatik hätte das Element des Sauerstoffmangels mit einem drohenden Erstickungstod sorgen können. Tatsächlich geht der O2-Vorrat nicht nur bei jeder Bewegung und dem Einsatz der Schubdüsen, sondern auch nach jedem unvorsichtigen Anecken zur Neige, denn der Raumanzug wird nach Kollisionen schnell beschädigt. Leider scheitert der potenzielle Nervenkitzel schnell daran, dass man mit Sauerstoff regelrecht zugemüllt wird – sei es in Form von zahlreichen Nachfüllautomaten innerhalb der Station oder den gefühlt unendlichen Sauerstoffflaschen, die durch das All treiben. Mit anderen Worten: Atemprobleme bekommt man eigentlich nur dann, wenn einen das Navigationssystem mal wieder im Stich lässt und man orientierungslos durch das Weltall irrt. Ansonsten kommt man kaum ins Schwitzen, zumal schon mit der ersten von insgesamt vier Verbesserung der maximale Sauerstoff-Vorrat des Raumanzugs erweitert wird. Später gesellen sich u.a. noch leicht stärkere Schubdüsen und eine verbesserte Robustheit hinzu, wobei man Schäden unendlich oft an entsprechenden Stationen reparieren lassen darf.

Vorsicht: Starkstrom

Immerhin steigt der Anspruch nach zwei Stunden und damit etwa der Hälfte der mageren Gesamtspielzeit leicht an, weil man häufiger mit Weltraumschrott konfrontiert wird oder in engen Räumen vorsichtig zwischen Stromkabeln vorbei schweben muss. Das ist aber kein Vergleich dazu, was die arme Sandra Bullock im Kinostreifen Gravity alles durchmachen musste, der zwar thematisch ein nahezu identisches Szenario bietet, das alles aber in einer mitunter dramatischen Inszenierung und großartigen Bildern verpackt. Bei Adr1ft liegt der größte Reiz dagegen darin, den Kampf gegen die rasant ansteigende Müdigkeit zu verlieren. Nein, das liegt nicht daran, dass das VR-Erlebnis auf Dauer zu anstrengend für die Augen werden könnte, denn auch am normalen Monitor fielen sie mir oft genug fast zu.

Erzählen ohne Stil

Die Aufgaben und ihre Reihenfolge laufen ständig nach dem gleichen Muster ab.
Auf der Weltraum-Odyssee im Schneckentempo trifft man zwischendurch immer wieder auf Audiologs oder sammelt Schlüsselkarten ein, mit denen man sich Zugang zu den Quartieren der verstorbenen Crew-Mitglieder verschaffen kann, wo Computer mit E-Mail-Protokollen ebenfalls Licht ins Dunkel bringen, was genau zum fatalen Unfall an Bord der Station geführt hat. Ich fand die Texte und Sprachnachrichten mindestens genauso öde wie den restlichen Spielverlauf. Zum einen werden die üblichen Klischees abgeklappert, darunter der klassische Astronaut mit Heimweh zur Erde und seiner Familie. Und zum anderen fiel es mir schwer, überhaupt einen echten Bezug zu den Figuren zu entwickeln – einschließlich der gedächtnislosen Protagonistin, in deren Haut ich mich befand. Aber ich werde mich mit Text- und Audiologs als Stilmittel zum Erzählen von Geschichten vermutlich niemals anfreunden können. Zumal auch hier wieder die Gefahr besteht, dass man manche Dokumente oder Aufnahmen verpasst und daher keinen kompletten Überblick über die Geschehnisse bekommt. Aber zu Beruhigung: Obwohl man das Ende nur dann wirklich versteht, wenn man sich ein paar Hintergrundinfos angeeignet hat, verpasst man nicht viel, wenn man die Story auch einfach komplett ignoriert. Genauso langweilig wie der Spielablauf fällt übrigens der Soundtrack aus, der entweder völlig belanglos oder mit nervtötenden Loops vor sich hin plätschert und es damit nicht schafft, die Faszination für die Weltraum-Kulisse klanglich abzubilden. Ärgerlich: Während des Tests kam es immer wieder zu Abstürzen - vor allem nach einem Erstickungstod, wenn der letzte Rücksetzpunkt geladen werden muss, doch auch zwischendurch verabschiedete sich das Programm schon mal mit einer Fehlermeldung.

Verloren im Konsolen-Weltall

Auf der PS4 ist die Kulisse ebenfalls sehenswert, doch die Technik muss Federn lassen.
Mittlerweile ist auch die PS4-Umsetzung bei uns eingetrudelt. Inhaltlich ändert sich auf der Konsole nichts – es warten also die gleichen langweiligen und äußerst redundanten Weltraumspaziergänge rund um sowie durch die zerstörte Station wie am PC. Doch jetzt müssen auch noch in technischer Hinsicht kleine Abstriche in Kauf genommen werden: Die Kulisse sieht zwar immer noch mitunter atemberaubend aus (ein Eindruck, den die Spielfigur bei ihrer Suche nach Sauerstoff sicher ebenfalls teilen dürfte), doch zum einen springen das Kantenflimmern und die leichten Schluckauf-Anfälle bei der Bildrate ins Auge. Zum anderen fallen die Ladezeiten auf der Konsole deutlich höher auf als am PC – ein Glück, dass man durch die Überversorgung an O2 nicht oft in Gefahr läuft, den Bildschirmtod zu sterben.

Kein VR in Sicht

Schlechte Nachrichten gibt es für alle, die darauf gehofft haben, Adr1ft auch mit PlayStation VR erleben zu können. Zwar ist bezüglich einer VR-Unterstützung auf der PS4 sicher noch nichts in Stein gemeißelt, aber derzeit gibt es bei Three One Zero offenbar keine Ambitionen, auch auf der Konsole das Erlebnis mit Virtual Reality aufzuwerten. Angesichts der vorhandenen Darstellungsprobleme scheint es aktuell aber ohnehin zweifelhaft, dass Adr1ft auf der PS4 die technischen Voraussetzungen wie eine konstante Bildrate bei mindestens 60fps überhaupt erfüllen kann, um mit PlayStation VR zu funktionieren. Sollte das VR-Headset nach dem Start im Oktober doch noch überraschend unterstützt werden, wagen wir einen erneuten Ausflug und würden eine VR-Wertung für die PS4-Umsetzung nachreichen.

Fazit

Was für ein Ausblick, was für ein Gefühl! In den ersten Spielminuten scheint Adr1ft einen Kindheitstraum zu erfüllen: Dank der Unterstützung von Oculus Rift (Vive kommt später) werde ich zum begeisterten VR-Astronauten und genieße diesen Moment, in der Schwerelosigkeit zu treiben und aus dem Weltall die Erde zu betrachten. Die Immersion ist fantastisch und kein Vergleich zum Spielen an einem einfachen Monitor – man merkt, dass Adr1ft in erster Linie für VR konzipiert wurde! Doch schnell weicht die anfängliche Faszination einer gähnenden Langeweile: Im Schneckentempo und mit mieser Navigation irrt man zwischen den Wrackteilen umher, quält sich durch Text- sowie Audiologs und muss ständig die gleichen anspruchslosen Aufgaben erledigen. Dazu erstickt die Überversorgung an Sauerstoffvorräten jeden Ansatz von Spannung im Keim – kein Vergleich zu den gelungenen Tempowechseln und dramatischen Situationen im Film Gravity. Adr1ft hat nichts von all dem. Es liefert vor allem in VR nur eine sehenswerte Kulisse und vermittelt lediglich für einen Augenblick das Gefühl, ein Astronaut zu sein. Aber das alleine macht noch kein gutes Spiel. Three One Zero hat die Chance verpasst, diese immersive Weltraum-Erfahrung mit Spielelementen sowie Interaktionen zu bereichern, die mich längerfristig fesseln können. So bleibt nichts anderes übrig als eine imposante Tech-Demo für VR.

Pro

immersives Weltraum-Gefühl (vor allem in VR)
mitunter ansehnliche Kulisse
sinnvolle Anpassungen zur Verminderung von Übelkeit (VR)
HUD für VR gut angepasst

Kontra

gähnend langweiliger Spielverlauf
kaum Varianten innerhalb des Missionsdesigns
Sauerstoff im Überfluss
öde Geschichte voller Klischees
aufgesetzte Text
und Audiologs
redundanter, öder Soundtrack
Wegpunktanzeigen oft viel zu klein, dadurch vereinzelte Orientierungsprobleme
nur deutsche Texte, keine Sprachausgabe
vereinzelte Abstürze

Wertung

OculusRift

In VR profitiert Adr1ft von einer spürbar besseren Immersion. Der Spielablauf bleibt trotzdem langweilig.

PlayStation4

Mit langen Ladezeiten und Einbrüchen bei der Bildrate schwebt die PS4-Umsetzung dem PC-Vorbild leicht hinterher.

VirtualReality

In VR profitiert Adr1ft von einer spürbar besseren Immersion. Der Spielablauf bleibt trotzdem langweilig.

PC

Adr1ft ist ein bisschen wie eine spielbare Version des Films Gravity - nur leider ohne die Action und Dramatik.

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