Overload04.06.2018, Benjamin Schmädig

Im Test: Und keinen Tag älter...

Hölle noch mal! Wie aus dem Nichts ächzt ein Gegner aus seinem Versteck auf mich zu. Panisch schiebe ich meinen Flieger rückwärts, während ich mit Schnellfeuer-Raketen sowie der mehrstrahligen Hauptfeuerwaffe aufs Cockpit des Angreifers ziele – bis ich endlich einen Knick erreiche, hinter dem ich abbiegen kann. Eine halbe Sekunde lang ist es totenstill. Dann donnert ein sich auflösendes Wrack wie ein Feuerball hinterher und kracht in die gegenüberliegende Wand. Oder um es kurz zu machen: Overload ist ein Shooter der Extraklasse!

Von Showdown zu Showdown

Ich hätte nicht mal den kurzen spielerischen Höhepunkt zitieren müssen. Es hätten auch die Minuten davor sein können, als ich mich vorsichtig durch die Höhlen des Saturn-Mondes schob, meine Leuchtfeuer wie Glühwürmchen durch stockfinstere Stollen rasten und ich minutenlang gerätselt habe, wie ich einen Schalter finde, der die Tür zu einem mächtigen Extra öffnet.

Es hätte die Verfolgungsjagd sein können, die ich mir mit einem Roboter geleistet habe, der zwar mächtige Raketen verschießt, sich aber ständig zurückzieht. Wie schnell traut man sich an einen Gegner heran, wenn man nicht weiß, was hinter der nächsten Ecke lauert? Lässt man ihn lieber ziehen, auf dass er einem vielleicht irgendwann in den Rücken fällt?

Und es hätte natürlich auch jeder andere Showdown sein können, in dem grelle Laserstrahlen etwa einen großen Reaktorraum erleuchten, bevor mehrere Explosionen das Finale des spektakulären Feuerwerks markieren.

Lasst euch von Namen nicht täuschen: Overload ist der einzige echte Descent-Nachfolger!

Urgesteine

Kein anderes Spiel seiner Art, also kein anderer „Six Degrees of Freedom Shooter“ (6DoF Shooter) fängt die Taktik und die Wucht schwereloser Grabenkämpfe so überzeugend ein. Kein anderes motiviert so intensiv zum Durchsuchen der teils meisterhaft designten Umgebungen sowie zum Entschlüsseln ihrer kleinen Rätsel. Kein anderer 6DoF Shooter klingt so knackig und sieht so verdammt gut aus!

Kein Wunder, denn am Steuer sitzen die Entwickler, die vor mehr als 20 Jahren den Ersten seiner Art erschufen: Descent. Und auch wenn die offizielle Fortsetzung bei einem anderen Studio entsteht, sieht nur Overload aus wie seine geistigen Vorgänger, klingt genau danach und spielt sich auch so.

Zehn Mann & ein Ziel

Dass die unter Revival Productions firmierenden Spielemacher ihr Handwerk verstehen, sieht man ihrem per Kickstarter finanzierten Projekt an allen Ecken und Enden an. Overload ist nämlich nicht nur eine Neuauflage von allem, was Descent mal gut gemacht hat. Es ist auch so, wie ein 6DoF Shooter sein muss, wenn er heute mitspielen möchte. Man denke sich eine Markierung zwischen Ion Maiden und Doom, die beide den Gedanken der alten Schule ähnlich zielsicher weiterführen.

Overload ist ja keine AAA-Produktion; gerade mal zehn Mann arbeiten daran und inhaltlich ist ihr Spiel überschaubar. Im Kern ist das Fliegen durch die in Monde gebauten Anlagen seinem ehrwürdigen Vorbild zum Verwechseln ähnlich und daran ändert sich bis zum Schluss auch nichts. Extrem große Räume gibt es z.B. nicht und die Flucht aus einer explodierenden Station wird wie früher als Filmszene inszeniert; spielbar ist das knappe Entkommen mit dem Feuerball im Rücken nicht. Durch sinnvolle Neuerungen bringt Revival aber einen Schwung in das bekannte Prinzip, der

Overload ist auch mit Vive und Rift spielbar. Das funktioniert und verstärkt die Immersion, schwache Mägen sollten allerdings vorsichtig sein: Weil ständig Wände und Gegenstände unmittelbar vor dem Cockpit schnell vorbeiziehen, verursacht die Action eher Übelkeit als z.B. Weltraum-Simulationen.

Abgesehen davon braucht man einen sehr schnellen Rechner, um die in VR notwendigen hohen Bildraten zu erhalten. Gut optimiert ist das Spiel leider nicht für die Virtual Realilty - deshalb der Punkteabzug in der Wertung. sich gewaschen hat.

Ein wohlvertrautes Schmatzen

Da sind neben satten Explosionen etwa moderne Licht- und Schattenspiele die den teils imposanten, teils klaustrophobisch engen Schauplätzen einen Charakter verleihen, den ich so von keinem anderen Spiel kenne. Sie unterstreichen das Gefühl in einem riesigen Komplex gefangen zu sein – eine Präsenz der Umgebung, die man am ehesten gutem Horror zuschreiben würde.

Immerhin könnte hinter jeder Ecke ein Gegner lauern, was denn auch oft genug der Fall ist. Dabei ächzen die Roboter laut auf, sobald sie einen aufs Korn nehmen. Dieses Knarzen, das Kreischen der Raketen, das wohlvertraute Schmatzen beim Auflesen von Schildenergie sowie das Schleifen sich öffnender Türen unterstreichen die dichte Atmosphäre. Erinnert ihr euch an Alien: Isolation, wo man

Extras entdecken ist die eine Sache - einen Weg zu ihnen zu finden, einen ganz andere!
nie genau wusste, ob gerade ein Lüftungsschacht aufging oder das Alien geschnauft hat? Overload erzeugt keinen Grusel – aber vergleichbar spannende Momente.

Mehr als „+1“

Diese Intensität verdankt es nicht zuletzt den hervorragend designten Levels. Tatsächlich habe ich selten derart geschickt verschachtelte und aneinandergereihte Tunnel gesehen; weder in den drei Spielen der Descent-Reihe noch in der enttäuschenden Early-Access-Version deren offiziellen Nachfolgers oder der prozedural erzeugten Gleichförmigkeit eines Sublevel Zero. Kaum ein Raum besteht aus lediglich sechs Wänden plus einem Winkel zum Verstecken. Stattdessen führen oft mehrere Ecken jeweils in weitere Flure, sind Geheimtüren in Decken und Wänden versteckt, liegt eine zusätzliche Etage unter der aktuellen oder entdeckt man hinter einem Gitter eine versteckte Waffe.

Wie man an die ran kommt, ist dann die große Frage, denn viele Türen oder Schalter sind clever versteckt. Ich habe nach dem Säubern eines Abschnitts oft etliche Minuten mit dem Aufspüren aller Extras verbracht und trotzdem nicht alle gefunden. Nicht nur deshalb habe ich mitunter länger als eine Stunde in den 15 großen Levels verbracht. Immerhin lohnt sich das aufmerksame Erkunden. Die Entwickler verstecken nämlich keinen schnöden Sammelplunder, sondern ausschließlich große Munitionspakete, Upgrade-Punkte, kurzzeitige Unverwundbarkeit – wertvolle Gegenstände statt Zahlenspiele der Marke „Nummer fünf von achtzehn“. So müssen Geheimnisse funktionieren!

Richtungsweisend

Und sie spielen besser als ihre Kollegen mit der Tiefe des Raums: Es ist immer interessant zu entdecken, wohin eine Tür in der Decke führt, welche Schächte sich teilweise in die Tiefe erstrecken oder wohin die vielen Löcher in einem Stollen führen. Man fliegt nicht durch die Gänge eines Ego-Shooters; Overload nutzt die Freiheit der Schwerelosigkeit tatsächlich aus. Oft muss

Eine Dekonstruktion in drei Akten: Hier schlägt eine Rakete direkt neben einem bereits angeschlagenen Gegner ein...
man mit der Nase voraus in Richtung Decke fliegen, weil es in dieser Richtung eben weiter geht. Dann ist Oben plötzlich das neue Vorne; Aha-Erlebnisse dieser Art fühlen sich klasse an!

Keine Sorge: Über kleine Lampen, Schilder und andere Hinweise erkennt man an vielen Stellen, was normalerweise Decke und Boden wäre. Eine übersichtliche Karte erleichtert zudem die Orientierung. Und wer will, schaltet eine Navigations-Boje ein, die auf Kommando den Weg zu verschiedenen Zielen vorgibt. Die steuert zwar keine manuell gesetzten Markierungen an, ist aber spätestens dann eine große Hilfe, wenn man binnen 40 Sekunden den Ausgang erreichen muss, bevor der explodierende Reaktor die Station in den Untergang reißt.

... krachend zerreißt es das Metall...

Was geschieht beim Saturn?

Doch was ist eigentlich mit den Bewohnern der Anlagen? Immerhin haben sich die Roboter, die eigentlich der Sicherheit und Forschung dienen, scheinbar verselbstständigt, die Lebensversorgung wurde abgeschaltet und zu allem Überfluss droht der Leiter der Saturn-Kolonie seinem Arbeitgeber mit einem Computer-Virus. Der schickt deshalb unsereins auf den Weg, um die Komplexe kurzerhand auszulöschen.

Viele Hintergründe erfährt man dabei über kurze und somit nicht den Spielfluss störende Sprachnachrichten, die man mal aus den Resten eines geschrotteten Gegners angelt, mal in einem Versteck aufgabelt. Die Überlebenden der ursprünglichen

... bevor sich die Reste des armen Schluckers in den Weiten der Raumstation verflüchtigen. Der Nächste bitte!
Bewohner findet man hingegen in Kühlkammern und teleportiert sie von dort aus in Sicherheit...

Aufstand der Maschinen

... während die neuen „Bewohner“ zu den Stärken des Spiels zählen. Die Blechkisten haben nämlich mächtig was auf dem Kasten. Sie patrouillieren ja nicht nur oder jagen dem Eindringling hinterher.  Die bissigen Fieslinge zwingen einen durch prägnante Verhaltensmuster auch zu riskanten Aktionen.

Neben den Artillerie-Robotern, die sich ständig zurückziehen, so dass man in noch nicht erkundete Räume hineinmuss, gibt es z.B. flinke Nahkämpfer, die mit Hochgeschwindigkeit auf Zahnfühlung gehen. Nicht zu vergessen auch Minenleger, die ihre explosive Ladung direkt in den Raum werfen, von dem aus man in aller Ruhe die Feinde von nebenan beharken wollte. Oder Gegner, deren Laser von Wänden abprallen, wodurch an einer sicher geglaubten Position im Handumdrehen Chaos ausbrechen kann.

Derartige Variationen gibt es in anderen Shootern natürlich auch. Overload zwingt allerdings stärker dazu in Bewegung zu bleiben. Man kann nicht nur mit Waffengewalt und einem kurzen Deckungswechsel reagieren, sondern muss oft schnell relativ weite Distanzen überbrücken. In Verbindung mit den in alle Richtungen führenden Tunneln, die teilweise sogar innerhalb eines Areals den Wechsel der Oben/Unten-Ausrichtung erfordern, erlebt man daher einzigartige, ausgesprochen packende Positionskämpfe.

Mechaniker ans Werk!

Wer nach der Kampagne nicht genug hat, kann sich im Challenge-Modus austoben, wo man gegen immer stärkere Feinde um Punkte und Plätze in weltweiten Ranglisten spielt.

Zusätzlich gibt es die Möglichkeit zu acht online oder im LAN Jeder-gegen-jeden oder in einem von zwei Teams zu kämpfen.

Auch Freunde der Kampagne kommen nach Abschluss der Mission auf ihre Kosten, denn im NewGame+ behalten sie nicht nur alle Upgrades, sondern finden auch einige neue Herausforderungen in den bekannten Levels.

Und falls ihr noch immer unsicher seid: Die auf Steam erhältliche Demo vermittelt einen hervorragenden Eindruck vom Spiel!

Interessant, dass die mechanischen Wächter dabei dieselben Waffen nutzen, die einem selbst zur Verfügung stehen. Mächtige Raketen feuert man etwa ebenso ab wie die von Wänden abprallenden Laser. Sogar den Nahkampf-Schubser setzt man ein. Und man kann jede Waffe verbessern – mit den erwähnten Upgrade-Punkten.

Zwei Arten der Punkte gibt es: die häufiger vorkommenden verstärken lediglich die Leistung der Waffen- und Schiffssysteme, während die schwerer auffindbaren auch eine Entscheidung fordern: Verpasst man der Waffe eine höhere Schussfrequenz oder eine größere Streuung? Jede Waffe bietet ihre eigenen zwei Spezialisierungen.

Bequem durchs All

Und noch eine Art der Individualisierung muss ich unbedingt erwähnen, denn Overload ermöglicht eine Vielzahl an Einstellungen, von der sich fast alle Spiele eine dicke Scheibe abschneiden sollten. Ob man mit Gamepad, Joystick oder Maus und Tastatur kämpft: Viel zu selten lässt sich besonders das Umsehen und Bewegen so präzise den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen anpassen wie hier.

Praktisch: Der von Wänden abprallende Reflex-Laser.

Die Entwickler wissen natürlich, dass das freie Bewegen eine andere Herausforderung darstellt als normales Laufen, sprich sie haben mehr Gründe als andere, die Orientierung so bequem wie möglich zu gestalten. Dennoch ist sowohl die Anzahl als auch die Art der Optionen lobenswert. Nicht nur die Empfindlichkeit der Analogsticks ist z.B. variabel, je nach Einstellung zieht man das Cockpit auch unterschiedlich stark in bestimmte Richtungen, kann die Beschleunigung beim Umdrehen erhöhen, die Geschwindigkeit des Umsehens generell begrenzen usw.

Ganz allgemein gilt einfach: Die Sorgfalt, mit der Revival diesen Shooter erschaffen hat, darf gerne Schule machen!

Fazit

Nun hätte ich keine vier Seiten tippen müssen, um Overload angemessen zu beschreiben. „Es ist Descent, so wie es die Erinnerung verklärt: todschick, einzigartig, hervorragend spielbar“ – mehr muss man eigentlich nicht wissen. Aber ich bin schlicht begeistert davon, wie durchdacht jeder Baustein dieses für mich einzig echten Nachfolgers ausgearbeitet ist. Wie deutlich die intensiven Licht- und Schattenspiele den engen Schächten und weiten Räumen Charakter verleihen. Wie sinnvoll die Areale verschachtelt und aneinandergebaut wurden. Wie clever Geheimnisse versteckt sind, während man sie schon vor Augen hat. Wie geschickt die bissigen Gegner zu überlegten, aber auch risikoreichen Positionswechseln zwingen. Und wie dadurch eine Dynamik entsteht, die von Bewegung und Taktik sowie kraftvollen Explosionen lebt. Sicherlich ist Overload im Kern nichts Neues und bietet über die Dauer der Kampagne keine echten Überraschungen. Es ist aber ein auf den Punkt konstruierter, schnörkelloser Shooter – perfekt in dem, was er macht!

Pro

hervorragendes Leveldesign mit geschickt verschachtelten Gängen
sehr unterschiedliche Gegner, die zu verschiedenen Taktiken zwingen
großartige Licht- und Schattenspiele sowie satte Explosionen
mitreißender altmodischer Soundtrack und packende Geräuschkulisse
viele gute Verstecke mit wichtigen Munitionspaketen, Upgrade-Punkten und mehr
kurzer Vorwärtsschub als Waffe gegen nahe Roboter
motivierendes Verbessern des Schiffs einschließlich Spezialisierungen
vorbildlich: etliche Möglichkeiten, die Steuerung genau an ganz unterschiedliche Vorlieben anzupassen
Navigations-Boje, die verschiedene, selbst wählbare Ziele ansteuert
knackige, meist kurze Sprachnachrichten rollen erzählerischen Hintergrund auf
NewGame mit neuen Herausforderungen
fordernde Punktejagd im unterhaltsamen Challenge-Modus und
Online-Gefechte Jeder-gegen-jeden oder im Team

Kontra

wenig Variation im grundlegenden Ablauf
schwache audiovisuelle Meldungen, wenn Schiff kurz vor Zerstörung steht
Navigations-Boje steuert keine manuell gesetzten Markierungen an

Wertung

VirtualReality

Auch in VR klasse - wenn auch nur auf sehr schnellen Rechnern mit der notwendigen hohen Bildrate.

HTCVive

Auch in VR klasse - wenn auch nur auf sehr schnellen Rechnern mit der notwendigen hohen Bildrate.

PC

Ein auf den Punkt konstruierter, schnörkelloser Shooter. Perfekt in dem, was er macht!

OculusRift

Auch in VR klasse - wenn auch nur auf sehr schnellen Rechnern mit der notwendigen hohen Bildrate.

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