Lone Echo28.07.2017, Benjamin Schmädig

Im Test: Reise ins All

Die letzten Minuten von Lone Echo gehören zum Besten, was ich je beim Test eines Videospiels erlebt habe! Nicht, weil ich gerade einen spektakulären Showdown erlebt hätte. Aber weil Ready at Dawn (The Order: 1886) ein Abenteuer geschaffen hat, in dem ich zum ersten Mal durch eine "echte" Raumstation und das freie All geschwebt bin. Möglich machen das ein hervorragendes Bewegungssystem sowie die glaubwürdige Interaktion mit der Umgebung. Und überraschend gut geschriebene Charaktere.

Nicht normal

Ich weiß gar nicht, warum ich Lone Echo im Vorfeld ignoriert habe. Vielleicht deshalb, weil in den vergangenen Jahren dermaßen viele Abenteuer mit ach-so-geheimnisvollen Geschichten im Weltraum stattfanden, dass deren Kaffee längst eine der Umgebung entsprechende Temperatur angenommen hatte.

Lone Echo ist jedenfalls keins dieser Spiele. Ich will nichts vorwegnehmen, aber es mag auf dem Papier sehr gewöhnlich aussehen, wenn man als Künstliche Intelligenz im Körper eines Androiden gemeinsam mit Kapitänin Olivia „Liv“ Rhodes eine Anomalie in der Nähe des Saturn untersucht. Und tatsächlich passiert im Grunde recht wenig, das man nicht anderswo schon

Das Zusammenspiel mit Captain Olivia Rhodes inszeniert Ready at Dawn sehr glaubwürdig: Alle Charaktere wurden nicht nur gut geschrieben und gesprochen, in der Rolle von Jack klatscht man auch mit Liv ab oder fängt einen von ihr geworfenen Gegenstand.
gesehen hätte.

Allerdings wurden die Unterhaltungen zwischen Liv und der von ihr Jack genannten KI so glaubwürdig geschrieben und auch vorgetragen, dass sich die Charaktere wie reale Akteure anfühlen. Oft kann man sich sogar zwischen zwei Antworten entscheiden, was den Verlauf der Handlung nicht beeinflusst, aber das gerade in der virtuellen Realität wichtige Gefühl verstärkt, der Handelnde zu sein. Vergleichbar sind die Gespräche mit dem Tonfall vieler Science-Fiction-Filme, die ihre ruhige Erzählweise der stillen Schwerelosigkeit anpassen.

Völlig losgelöst

Und Letztere gehört immerhin auch zum spielerischen Konzept, da man sich ausschließlich im gravitationsfreien Raum bewegt. Das Besondere daran ist die Art und Weise, denn wie echte Astronauten hält man sich an Oberflächen fest, schiebt sich an ihnen voran oder stößt sich davon ab, um zum nächsten Punkt zu schweben. Nur sind diese Punkte eben keine festen, markierten Griffe! Stattdessen kann jedes im Spiel vorhandene Objekt als Haltepunkt dienen.

Die Hände werden beim Anziehen einer Festhalten-Taste außerdem nicht durch vorgefertigte Animationen angeklebt; sämtliche Finger schmiegen sich vielmehr dynamisch und entsprechend der Haltung der Hand um die jeweilige Oberfläche. Hebel umschließt man daher entweder von oben oder greift sie etwas lässiger mit dem nach unten zeigenden Handrücken. Mithilfe der Touch-Controller fasst man in einer virtuellen Welt also erstmals „wirklich“ zu. Das hat es technisch so noch nicht gegeben und bedeutet einen großen Fortschritt für Virtual Reality.

Anfassen erlaubt

Es betrifft ja nicht nur feste Objekte, sondern auch etliche Werkzeuge, Notizzettel und andere Gegenstände, die beim Anfassen nicht auf vorgefertigte Art an die Hände geklebt werden, sondern die man immer so hält, wie man sie tatsächlich greift. Dieses plastische Vorhandensein aller Objekte sowie die Tatsache, dass das Greifen, Ziehen und Schieben auch immer die Bewegung beeinflusst, sorgen für eine herausragende Verbindung zwischen dem Spieler und der künstlichen Umgebung. Für mich ist Lone Echo deshalb einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zu einer neuen Art des Spielens! Es gibt Momente, in denen das System nicht zuverlässig funktioniert, aber das ist in Anbetracht seiner Wirkung vernachlässigbar.

Für Kursänderungen beim Schweben zündet man außerdem schwache Düsen, die natürlich ebenfalls eine langsame Bewegung ermöglichen. Später erhält man zudem einen Raketenrucksack, mit dem Jack sehr flott vor allem im freien All vorankommt. Das Greifen steht dabei immer im Vordergrund, wenn der Android Schalter umlegt, Türen öffnet, Sicherungen wechselt oder andere Mechanismen bedient.

Wer Lone Echo kauft, kann auch das Multiplayer-Spiel Echo Arena starten.

Dabei handelt sich allerdings um ein komplett anderes Spiel, zumal Echo Arena auch kostenlos als separater Titel erhältlich ist. In unsere Wertung von Lone Echo fließen die eSport-Matches deshalb nicht ein. Cool sind Kleinigkeiten wie das Antippen des Headsets zum An- oder Abschalten der Leuchte am Helm, das Bedienen verschiedener Displays am Handgelenk sowie das Aktivieren holografischer Menüs. Klasse finde ich, wenn Jack mit Liv abklatscht oder einen von ihr geworfenen Gegenstand fängt.

Wahlweise und individuell

Das Schöne ist: Lone Echo wirkt nicht wie ein Selbstläufer für Gelegenheitsspieler, aber auch nie überladen. Es bewahrt bis zum Schluss eine Ruhe, dank der man keinen Druck verspürt, erst das Spiel verstehen zu müssen, bevor man dessen Aufgaben lösen kann. Das Hantieren in der künstlichen Umgebung bedeutet ja immer noch ein Umgewöhnen, funktioniert nicht ohne das Übersteigen von Kabeln in der wirklichen Welt usw.

Deshalb ist es gut, dass man stets alle Zeit der Welt hat, sich mit neuen Umgebungen und Herausforderungen vertraut zu machen. Wer will, sieht sich übrigens frei per Roomscale um, und wer das nicht kann, der dreht die Kamera wahlweise stückweise oder fließend. Über verschiedene Optionen legt man außerdem fest, ob sich Jack z.B. um die eigene Achse dreht oder relativ zu einer festen Horizontalen bewegt.

Weil die Hände sehr realistisch abgebildet werden, stellt Lone Echo eine enge Verbindung zwischen Spiel und Spieler her.

Durch die magere Mitte

Großen Anteil an dem vereinnahmenden Erlebnis hat nicht zuletzt die beeindruckende Kulisse, denn sowohl die virtuellen Darsteller als auch das Innere ihrer Raumstation sowie die Umgebung mit dem gewaltigen Saturn im Hintergrund befriedigen alle Astronauten-Gelüste. Während das Spiel auf höchsten Einstellungen dabei einen sehr schnellen Rechner mit leistungsstarker Grafikkarte fordert, kann man die Qualität der Darstellung über zahlreiche Einstellungen ändern, darunter das wichtige Supersampling.

Der einzige Wermutstropfen ist das zähe Durchkämmen und Aktivieren immer gleicher Korridore bzw. Schalter im Mittelteil des Abenteuers. Nach einem starken Einstieg, in dem Jack gemeinsam mit Liv Wartungsarbeiten ausführt und verschiedene Schäden behebt, zieht sich das Geschehen leider eine ganze Zeitlang auf deutlich weniger interessante Art hin – bis die Entwickler zum Glück aber ein sowohl spielerisch als auch erzählerisch bewegendes Finale inszenieren, das mich mit einem selten guten Gefühl in den Abspann entließ.

Fazit

Hoffentlich setzt Ready at Dawn die Geschichte um „Captain Jack“ fort, denn Lone Echo ist ein wichtiger Meilenstein für die Virtual Reality! Das gilt zum einen für seine ohne Pathos und mit einem Feingefühl für emotionale Bindungen erzählte Geschichte, vor allem aber für die ausgezeichnete Art, auf die man mit der Umgebung interagiert. Da ist zum einen das „echte“ Anfassen sämtlicher Gegenstände und Oberflächen, das auf vorgefertigte Animationen und feste Griffpositionen verzichtet – Worte können gar nicht beschreiben, wie plastisch die virtuelle Kulisse durch diese vermeintliche Kleinigkeit wirkt. Zum anderen dient das Anfassen auch zum Fortbewegen, denn so schiebt man sich durch Raumstation und offenes All, was auf umwerfende Art ein Gefühl für die Schwerelosigkeit vermittelt. Gebe es die spielerisch einfallslose Durststrecke in der Mitte des Abenteuers nicht und würde sich Lone Echo um etwas mehr drehen als das ständige Aktivieren von Hebeln und Wechseln von Akkus, hätte es der erste VR-Titel mit Platinauszeichnung sein können. Das derzeit beste exklusiv für Virtual Reality entwickelte Spiel ist es aber auch so!

Pro

intuitives, natürliches Bewegen in der Schwerelosigkeit
Hände greifen jeden Gegenstand so, wie man ihn anfasst...
sinnvolle Interaktionen mit Objekten und Personen
gut geschriebene Charaktere und glaubwürdige emotionale Bindungen
Spieler bestimmt Tempo selbst; keine stressigen, unübersichtlichen Momente
spannende Geschichte

Kontra

zäher Mittelteil mit langen Wegen durch immer gleich aussehende Schächte
... meistens jedenfalls
unlogisches Wiederbeleben nach Unfällen

Wertung

VirtualReality

Spielerisch und erzählerisch vereinnahmendes Abenteuer, das seine Spieler durch eine plastische Raumstation und das offene All schweben lässt.

OculusRift

Spielerisch und erzählerisch vereinnahmendes Abenteuer, das seine Spieler durch eine plastische Raumstation und das offene All schweben lässt.

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