Racket Fury: Table Tennis VR06.12.2017, Benjamin Schmädig

Im Test: Kleiner Ball, großes Spiel?

Wer es nicht ausprobiert hat, kann das vermutlich kaum nachvollziehen, aber Tischtennis gehört zum Überzeugendsten, was die virtuelle Realität zu bieten hat. Entsprechend gespannt war ich auf Racket Fury: Table Tennis VR, das zwar schon eine ganze Zeit lang im Early Access entwickelt, aber erst vor einem Monat als fertiges Spiel veröffentlicht wurde. Doch im Test wurde meine Vorfreude mächtig getrübt – was mit der eigentlichen Simulation allerdings nichts zu tun hat.

Aufstützen verboten!

Warum ausgerechnet beim Tischtennis die Immersion so groß ist? Ich vermute, es liegt an verschiedenen Faktoren. Zunächst einmal vermitteln sowohl Oculus Touch als auch die Vive- und Move-Controller teils sehr überzeugend das Gefühl, eine Kelle in der Hand zu halten. Und auch das Schlagen eines sehr leichten Balls täuschen sie dem Kopf mit ein wenig Rumble mühelos vor.

Ein ganz wichtiger Punkt ist vermutlich auch, dass man beim Tischtennis zwar nicht am Platz steht, sich über weite Strecken aber auf einer überschaubaren Fläche bewegt – genau wie mit einem VR-Headset. Realität und Simulation gleichen sich also stark, weshalb man sich schnell in die künstliche Welt hineindenkt. Kleiner Tipp: Lehnt euch nicht auf die Platte! Ich hab’s in Eleven: Table Tennis VR versucht, instinktiv natürlich, ohne nachzudenken. Wär‘ beinahe schiefgegangen.

Schwer beeindruckend

Keine Sorge: Im Modus Simulation werden die Ballspuren nicht markiert.

Lange Rede, kurzer Sinn: Auch in Racket Fury funktioniert virtuelles Tischtennis ganz ausgezeichnet. Und das liegt nicht nur an den Grundvoraussetzungen, sondern auch an einer großartigen Physik. Man schlägt hier nämlich einen Ball, der über so viel Eigengewicht verfügt, dass man ihn zum Schmettern mit ordentlich Schmackes treffen muss und er sich anschließend glaubhaft schnell gen Boden bzw. Platte senkt.

VR Ping Pong für PlayStation 4 habe ich nie gespielt, doch in Eleven fühlen sich die Bälle leider viel zu leicht an, während sie außerdem den Schwung des Schlägers nahezu ungebremst übernehmen. In Racket Fury muss ich mich hingegen mit derselben Körperspannung in einen Schmetterball legen wie im realen Sport – klasse, dass Entwickler 10Ants Hill das so hinbekommen hat!

Den Dreh nicht ganz raus

Ähnlich wie in Eleven stellt man dabei Höhe, Richtung sowie Position der Platte frei ein und dreht auch den Schläger so in der Hand, dass man ihn annähernd wie eine reale Kelle hält. Es gibt Situationen, in denen mir ein leichtes Umgreifen z.B. vor angeschnittenen Bällen fehlt, aber das liegt allein an der Hardware. Man stellt außerdem ein, wie viel Drall die Bälle grundsätzlich aufnehmen und wie schnell sie von der Kelle abprallen. Damit passt man das Spiel hauptsächlich den eigenen Vorlieben an, leichter oder schwerer wird es dadurch kaum.

Ärgerlich finde ich nur, dass Racket Fury ganz allgemein nur hauchzart angeschnittene Bälle kennt. So gut es die Flugbahn grundsätzlich simuliert, so sehr fehlt ihr leider der Spin, den ihr manche Spieler verleihen.

Kabel vs. Tischtennis

Und eins muss man als halbwegs ambitionierter Tischtennis-Crack übrigens wissen: Den richtigen Sport erlebt man hier nicht. Das liegt sowohl an der Länge des Kabels zwischen Computer und Headset als auch an der Größe eines halbwegs normalen Zimmers. Dank dieser Einschränkungen kann man sich nämlich nur ansatzweise so bewegen wie vor einer Tischtennis-Platte.

So fällt es schon schwer, sich vollständig um die Platte herum zu bewegen, um etwa schräge Bälle zu spielen oder sehr kurze anzunehmen. Gänzlich unmöglich ist es sogar, dass man sich mehr als einen halben Meter hinter der Platte positioniert; einer oder gar zwei Meter kommen erst recht nicht in Frage. Die ganz starken Schmetterduelle erlebt man hier also nicht. Für diese Hardware-Einschränkungen kann Racket Fury freilich nichts, aber das wichtige i-Tüpfelchen fehlt eben.

Ob das mit einer Vive anders aussieht? Deren Kabel ist immerhin doppelt so lang wie das des Rift und entsprechende Verlängerungen der Oculus-Anschlüsse machen tatsächlich vieles besser. Für den Test betrachten wir aber die Hardware in ihrem Normalzustand und aktuell habe ich auch nur das Oculus-Headset zur Verfügung, werde mir die Vive-Version allerdings in der kommenden Woche ansehen. Eine dazugehörige Wertung tragen wir dann nach.

So gut die Simulation funktioniert, so rudimentär agieren die Gegner.

Keine Sternstunde

Die eigentliche Simulation ist also ein Highlight, auch im VR-Bereich. Doch zwei Dinge sorgen dafür, dass Racket Fury trotz seiner hervorragenden Anlage kein gutes Spiel ist. Das erste und kleinere Problem sind die Inhalte, denn für Solisten gibt es lediglich eine Reihe von immer stärker werdenden Gegnern – das war’s. Man darf zwar versuchen bereits besiegte Kontrahenten so niederzukämpfen, dass man statt einem oder zwei Sternen drei davon erhält, aber das ist für mich kaum ein Anreiz.

Warum gibt es keine Turniere oder zumindest Minispiele wie in Eleven? Die Duelle gegen die KI machen zwar Spaß, aber irgendwann hängt man tagelang an einem fest, weil er einfach so stark ist, dass es dort kein Weiterkommen gibt. Diese Erfahrung mache ja nicht nur ich, das geht laut Einträgen im Steam-Forum mehreren Spielern so.

Mech statt Mensch

Hinzu kommt, dass die Gegner längst nicht so gut simuliert werden wie die Physik. Sie beherrschen durch die Bank weg nämlich nur eine Art Aufschlag und verzichten auf nahezu alle Finessen, die über das gerade Schmettern der Bälle hinausgehen. Zu allem Überfluss spielt man ausschließlich gegen starre Roboter, was eigentlich kein Stolperstein sein muss. Nur kann man aus den spröden Animationen der Kunststoff-Kontrahenten nicht ablesen, wohin sie sich als nächstes bewegen werden – man kann sie sich also kaum zurechtlegen, einen Ball etwa genau auf den „Mann“ schmettern oder in die Richtung entgegen seines Bewegungsmoments spielen.

Die starren Widersacher holen ohnehin scheinbar mühelos jeden Ball. Es macht daher überhaupt keinen Spaß, sie von einer Ecke in die nächste zu jagen, und ist spielerisch auch nicht effektiv, da fast ausschließlich die Geschwindigkeit der geschlagenen Bälle zählt. Ärgerlich, dass sie sich zu guter Letzt partout nicht zu einem Ball hinbewegen, der gerade so die Platte verfehlt. Was spielerisch selbstverständlich keinen Unterschied macht, hätte den Ballwechseln wenigstens eine etwas glaubwürdigere Dynamik verliehen.

Die Verbindungsqualität des Online-Modus' ist leider katastrophal schlecht.

Trotz der Schwächen ist es durchaus spaßig und auch angenehm fordernd, sich mit der KI die Bälle um die Ohren zu schmettern. Es kommen spannende, schnelle Ballwechsel zustande, die sowohl erfahrene Tischtennis-Spieler als auch Einsteiger fordern. Letztere aktivieren ohnehin den Arcade-Modus, in dem eine Zielhilfe eigene Bälle mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf die andere Seite der Platte lenkt.

Offline

Insgesamt sind diese Duelle also immer wieder für eine Runde gut – ganz im Gegensatz zum zweiten und mit Abstand größten Problem des Spiels, den Online-Partien. Dass man lediglich schnelle Matches startet, also weder Dauer der Sätze einstellt noch Turniere startet: geschenkt. Eine Katastrophe ist jedoch die Verbindungsqualität. Bei allem Verständnis für die beschränkten Kapazitäten eines Independent-Studios ist dieser Netzcode eine Zumutung!

Bei jedem einzelnen Ballwechsel, den ich gespielt habe, wurden weder die Hand-Bewegungen meiner Gegner übertragen noch habe ich auch nur ansatzweise erkennen können, wohin ihr Ball eigentlich fliegen wird. Der wird nämlich frühestens ab dem Netz überhaupt erst dargestellt, was bedeutet, dass man nicht einmal die Hälfte der Information erhält, die man für einen brauchbaren Return benötigt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein derart brüchiges Onlinespiel erlebt zu haben! Dabei hätten gerade gute Online-Matches die Halbwertszeit von Racket Fury deutlich nach oben schrauben können. So stört es nicht einmal, dass man keine Freunde einladen kann – wer will ihnen das hier schon antun?

Fazit

Der Online-Modus ist schlicht und ergreifend kaputt – anders kann man die katastrophale Verbindungsqualität nicht beschreiben. Und so stellt sich schnell Langeweile ein, falls man nicht das immer gleiche Duell austragen möchte gegen den einen KI-Kontrahenten, an dem man momentan verzweifelt. Die Computer-Gegner sind zwar auch für geübte Spieler eine anspruchsvolle Herausforderung, verzichten aber auf viele taktische Finessen. Vor allem kann man den Robotern nicht ablesen, wohin sie sich bewegen werden und in welche Richtung sie ausholen. Schade, dass aufgrund dieser teils eklatanten, teils verzeihbaren Schwächen unterm Strich nur ein befriedigendes Erlebnis steht – die eigentliche Simulation ist nämlich hervorragend! Viel fehlt dank der großartigen Ballphysik jedenfalls nicht zum realen Tischtennis: Man bewegt sich, greift und schlägt, wie man es aus Ferienlager oder Turnhalle kennt. Eine ähnliche Stufe der Authentizität erreichen in VR sonst nur Renn- und ähnliche Simulationen. Mit etwas mehr Liebe zu wichtigen Details hätte Racket Fury: Table Tennis VR also ein sehr gutes Spiel sein können. Ich habe selten so viel verschenktes Potential gesehen!

Pro

großartige, realitätsnahe Ballphysik
wichtige Einstellungsmöglichkeiten für Platte und Tischtennis-Kelle
anspruchsvolle Duelle gegen fordernde vom Spiel gesteuerte Gegner...

Kontra

katastrophal schlechter Netzcode Online-Partien sind praktisch unspielbar
sehr wenig Abwechslung für Solisten
... die allerdings nicht wie menschliche Gegner lesbar sind

Wertung

OculusRift

Die hervorragende Simulation lädt zu spannenden Partien ein - fehlende Inhalte und der kaputte Online-Modus stören das Erlebnis allerdings gewaltig.

VirtualReality

Die hervorragende Simulation lädt zu spannenden Partien ein - fehlende Inhalte und der kaputte Online-Modus stören das Erlebnis allerdings gewaltig.

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